TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/3 L507 2149168-1

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Veröffentlicht am 03.01.2019
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Entscheidungsdatum

03.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L507 2149168-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2017, Zl. 1091185302/151555725, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.02.2018 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger arabischer Abstammung und moslemischer (schiitischer) Religionszugehörigkeit, stellte am 15.10.2015, nachdem er zuvor illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist, einen Antrag auf internationalen Schutz.

Hiezu wurde er noch am selben Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt, wobei er vorbrachte, dass er als Sicherheitsmann bei einer britischen Firma gearbeitet habe und schiitische Milizen das nicht gewollt hätten. Der Beschwerdeführer sei von den schiitischen Milizen bedroht worden und habe deshalb den Irak verlassen.

2. Am 12.05.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen.

Dabei brachte er zusammengefasst vor, dass er bei einer Sicherheitsfirma als Wachmann gearbeitet habe. Am 29. oder 30.08.2015 sei er von schiitischen Milizen angerufen und aufgefordert worden zu kooperieren. Er hätte Waffen und Autos der Sicherheitsfirma "rauslassen" sollen. Der Beschwerdeführer habe diesen Anruf ignoriert und nicht ernst genommen. Er habe gedacht, jemand mache sich über ihn lustig. Am nächsten Tag sei er mit einem Freund in die Arbeit gefahren. Hinter ihnen sei ein anderes Auto gefahren und hätten sie stehenbleiben sollen. Der Beschwerdeführer und sein Freund seien aber weitergefahren. Sie seien dann schneller gefahren, als der Beschwerdeführer erneut einen Anruf von derselben Nummer erhalten habe. Der Beschwerdeführer habe nicht abgehoben und seinen Freund gebeten, schneller zu fahren. Als das passiert sei, sei der Beschwerdeführer auf dem Weg von der Arbeit nach Hause gewesen. Er habe sich dann noch eine Stunde zu Hause aufgehalten, ehe er nach Najaf gefahren sei und von dort aus nach drei Tagen den Irak verlassen habe.

3. Mit Bescheid des BFA vom 30.01.2017, Zl. 1091185302/151555725, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß

§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.01.2018 erteilt.

Beweiswürdigend wurde vom BFA ausgeführt, dass es die behauptete Bedrohung aufgrund des unplausiblen und widersprüchlichen Vorbringens des Beschwerdeführers für nicht glaubwürdig befinde.

Infolge der derzeitig im Irak vorherrschenden schlechten allgemeinen Sicherheitslage seien dem Beschwerdeführer jedoch der Status des subsidiär Schutzberechtigten und gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen gewesen.

4. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 31.01.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

5. Der bekämpfte Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 02.02.2017 ordnungsgemäß zugestellt. Gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides richtet sich die am 27.02.2017 beim BFA eingelangte Beschwerde. Darin wurde ausgeführt, dass die herangezogenen Länderberichte allgemein, unvollständig und größtenteils veraltet seien. Hinsichtlich der Stellung schiitischer Milizen wurden im Weiteren auszugsweise Berichte sowie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zitiert. Unzureichend seien die Länderfeststellungen auch im Hinblick auf die Rechtsschutzmöglichkeiten gewesen. Weiters wurde - wie näher dargelegt - versucht, die vom BFA aufgegriffenen Widersprüche und Unplausibilitäten aufzuklären. Das BFA habe es unterlassen, den realen Hintergrund der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Fluchtgeschichte zu ermitteln sowie die Glaubwürdigkeit der Behauptungen auch im Vergleich zu den diese Ereignisse betreffenden Berichten zu messen. Zur rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführte, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe durch schiitische bewaffnete Akteure, welche mit irakischen Sicherheitsbehörden kooperieren, verfolgt werde.

6. Am 15.02.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde dem Beschwerdeführer die Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen. Zudem wurden ihm die aktuellen Länderinformationen zum Irak ausgehändigt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen eingeräumt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak, schiitischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er stammt aus Basra, wo er fünf Jahre die Grundschule besuchte. Anschließend war er ein Jahr in der Landwirtschaft tätig, ehe er begonnen hat Gemüse am Markt zu verkaufen. Anschließend war er Arbeiter im Hafen von Basra, hat dann von 2001 bis 2003 seinen Militärdienst geleistet und war danach wieder Arbeiter im Hafen von Basra. Zuletzt war der Beschwerdeführer bei unterschiedlichen Firmen als Wach- bzw. Sicherheitsmann tätig.

Die Eltern, zwei Brüder und sieben Schwestern des Beschwerdeführers sind nach wie vor im Irak aufhältig.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor der Ausreise aus seiner engeren Heimat einer individuellen Verfolgung durch Mitglieder der schiitischen Milizen ausgesetzt war.

1.2. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

Politische Lage

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.2.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazat) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).

Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).

Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018). Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018; vgl. IRIS 11.5.2018).

Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.2.2018).

Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 9.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker,

https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 19.10.2018

-BBC - British Broadcasting Corporation (9.12.2017): Iraq declares war with Islamic State is over, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-42291985, Zugriff 18.10.2018

-BBC - British Broadcasting Corporation (3.10.2018): New Iraq President Barham Saleh names Adel Abdul Mahdi as PM, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-45722528, Zugriff 18.10.2018

-CIA - Central Intelligence Agency (17.10.2018): The World Factbook - Iraq,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 19.10.2018

-DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 18.10.2018

-Fanack (27.9.2018): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 17.10.2018

-The Guardian (3.10.2018): Iraqi president names Adel Abdul-Mahdi as next prime minister,

https://www.theguardian.com/world/2018/oct/03/iraqi-president-names-adel-abdul-mahdi-as-next-prime-minister, Zugriff 18.10.2018

-ICG - International Crisis Group (9.5.2018): Iraq's Pre-election Optimism Includes a New Partnership with Saudi Arabia, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/iraqs-pre-election-optimism-includes-new-partnership-saudi-arabia, Zugriff 18.10.2018

-KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 17.10.2018

-LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018):

The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 18.10.2018

-Reuters (15.9.2018): Iraq parliament elects Sunni lawmaker al-Halbousi as speaker, breaking deadlock, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics/iraq-parliament-elects-sunni-lawmaker-al-halbousi-as-speaker-breaking-deadlock-idUSKCN1LV0BH, Zugriff 18.10.2018

-RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 18.10.2018

-Der Standard (13.5.2018): Wahlen im Irak: Al-Abadi laut Kreisen in Führung,

https://derstandard.at/2000079629773/Irakische-Parlamentswahl-ohne-groessere-Zder, Zugriff 2.11.2018

-Der Standard (3.10.2018): Neue alte Gesichter für Iraks Topjobs, https://derstandard.at/2000088607743/Neue-alte-Gesichter-fuer-Iraks-Topjobs, Zugriff 19.10.2018

-TA - Tagesanzeiger (12.5.2018): Im Bann des Misstrauens, https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/im-bann-des-misstrauens/story/29434606, Zugriff 18.10.2018

-UNSC - United Nations Security Council (17.1.2018): Report of the Secretary-General pursuant to resolution 2367 (2017), https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N1800449.pdf, Zugriff 19.10.2018

-WZ - Wiener Zeitung (12.5.2018): Erste Wahl im Irak nach Sieg gegen IS stößt auf wenig Interesse,

https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/964399_Erste-Wahl-im-Irak-nach-Sieg-gegen-IS-stoesst-auf-wenig-Interesse.html, Zugriff 23.10.2018

Protestbewegung

Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormem Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da'wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

Quellen:

-Al Jazeera (22.7.2018): Iraq protests: What you should know, https://www.aljazeera.com/indepth/features/iraq-protests-180717074846746.html, Zugriff 23.10.2018

-Al Jazeera (3.8.2018): Protests in Iraq dwindle after weeks of anger,

https://www.aljazeera.com/news/2018/08/protests-iraq-dwindle-weeks-anger-180803192747710.html, Zugriff 24.10.2018

-Carnegie - Carnegie Middle East Center (19.9.2018): The Basra Exception, http://carnegie-mec.org/diwan/77284?lang=en, Zugriff 23.10.2018

-CNN - Central News Network (17.7.2018): Protests spread, turn deadly in Iraq: At least 8 are dead, dozens hurt, https://edition.cnn.com/2018/07/16/world/iraq-protests-violent/index.html, Zugriff 23.10.2018

-The Daily Star (19.7.2018): In Iraq, old grievances fuel deadly protests,

https://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2018/Jul-19/457085-in-iraq-old-grievances-fuel-deadly-protests.ashx, Zugriff 23.10.2018

-DW - Deutsche Welle (15.7.2018): Protests spread from oil-rich Basra across southern Iraq,

https://www.dw.com/en/protests-spread-from-oil-rich-basra-across-southern-iraq/a-44678926, Zugriff 23.10.2018

-HRW - Human Rights Watch (24.7.2018): Iraq: Security Forces Fire on Protesters,

https://www.hrw.org/news/2018/07/24/iraq-security-forces-fire-protesters, Zugriff 24.10.2018

-ICG - International Crisis Group (31.7.2018): How to cope with Iraq's summer brushfire,

https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/b61-how-cope-iraqs-summer-brushfire, Zugriff 23.10.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (14.7.2018): Protests In Iraq Greatly Escalate And Spread Throughout South, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/protests-in-iraq-greatly-escalate-and.html, Zugriff 24.10.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (17.7.2018): Iraq Government Starts Crackdown On Protests,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/iraq-government-starts-crackdown-on.html, Zugriff 24.10.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (21.7.2018): 2 Killed As Protests Hit 10 Provinces In Iraq,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/2-killed-as-protests-hit-10-provinces.html, Zugriff 24.10.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (25.7.2018): Silencing Protests In Iraq,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/silencing-protests-in-iraq.html, Zugriff 24.10.2018

-Kurier (15.7.2018): Proteste im Irak eskalieren weiter: Mehrere Tote,

https://kurier.at/politik/ausland/proteste-im-irak-eskalieren-weiter-mehrere-tote/400066748, Zugriff 24.10.2018

-NPR - National Public Radio (27.9.2018): Months Of Protests Roil Iraq's Oil Capital Basra,

https://www.npr.org/2018/09/27/651508389/months-of-protests-roil-iraqs-oil-capital-basra?t=1539869569857&t=1540298050551, Zugriff 23.10.2018

-Die Presse (15.7.2018): Massive Proteste breiten sich im Süden des Irak aus,

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5464674/Massive-Proteste-breiten-sich-im-Sueden-des-Irak-aus, Zugriff 24.10.2018

-Vox (8.9.2018): The violent protests in Iraq, explained, https://www.vox.com/world/2018/9/7/17831526/iraq-protests-basra-burning-government-buildings-iran-consulate-water, Zugriff 24.10.2018

-WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_ssc=LCwsLA==&em_cnt=994916&em_loc=69&em_ref=/nachrichten/welt/weltpolitik/&em_ivw=RedCont/Politik/Ausland&em_absatz_bold=0, Zugriff 2.11.2018

Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 19.7.2018

-CRS - Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress, https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf, Zugriff 29.10.2018

-MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 30.10.2018

Sicherheitslage im Nord- und Zentralirak

In den Provinzen Ninewa und Salah al-Din muss weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Diese Gefährdungslage gilt ebenfalls für die Provinz Anbar und die Provinz Ta'mim (Kirkuk), sowie auch für die Provinz Diyala. Hinzu kommen aktuelle Spannungen zwischen irakischen Streitkräften und kurdischen Peshmerga (AA 1.11.2018).

Mit dem Zuwachs und Gewinn an Stärke von lokalen und sub-staatlichen Kräften, haben diese auch zunehmend Verantwortung für die Sicherheit, politische Steuerung und kritische Dienstleistungen übernommen. Infolgedessen ist der Nord- und Zentralirak, obgleich nicht mehr unter der Kontrolle des IS, auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle. Die Fragmentierung der Macht und die große Anzahl an mobilisierten Kräften mit widersprüchlichen Loyalitäten und Programmen stellt eine erhebliche Herausforderung für die allgemeinen Stabilität dar (GPPI 3.2018).

Der Zentralirak ist derzeit der wichtigste Stützpunkt für den IS. Die Gewalt dort nahm im Sommer 2018 zu, ist aber inzwischen wieder gesunken. In der Provinz Diyala beispielsweise fiel die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle von durchschnittlich 1,7 Vorfällen pro Tag im Juni 2018 auf 1,1 Vorfälle im Oktober 2018. Auch in der Provinz Salah al-Din kam es im Juni 2018 zu durchschnittlich 1,4 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Tag, im Oktober jedoch nur noch zu 0,5. Die Provinz Kirkuk verzeichnete im Oktober 2018 einen Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit durchschnittlich 1,5 Vorfällen pro Tag, die höchste Zahl seit Juni 2018. Die Anzahl der Vorfälle selbst ist jedoch nicht so maßgeblich wie die Art der Vorfälle und die Schauplätze an denen sie ausgeübt werden. Der IS ist in allen ländlichen Gebieten der Provinz Diyala, in Süd-Kirkuk, Nord- und Zentral-Salah-al-Din tätig. Es gibt regelmäßige Angriffe auf Städte; Zivilisten und Beamte werden entführt; Steuern werden erhoben und Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen ausgeübt, die sich weigern zu zahlen; es kommt auch regelmäßige zu Schießereien. Es gibt immer mehr Berichte über IS-Mitglieder, die sich tagsüber im Freien bewegen und das Ausmaß ihrer Kontrolle zeigen. Die Regierung hat in vielen dieser Gegenden wenig Präsenz und die anhaltenden Sicherheitseinsätze sind ineffektiv, da die Kämpfer ausweichen, wenn die Einsätze im Gang sind, und zurückkehren, wenn sie wieder beendet sind. Der IS verfügt derzeit über eine nach außen hin expandierende Kontrolle in diesen Gebieten (Joel Wing 2.11.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (1.11.2018): Irak: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/iraksicherheit/202738, Zugriff 1.11.2018

-GPPI - Global Public Policy Institute (3.2018): Iraq after ISIL:

Sub-State Actors, Local Forces, and the Micro-Politics of Control, http://www.gppi.net/fileadmin/user_upload/media/pub/2018/Gaston_Derzsi-Horvath_Iraq_After_ISIL.pdf, Zugriff 5.11.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (2.11.2018): October 2018: Islamic State Expanding Operations In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/11/october-2018-islamic-state-expanding.html, Zugriff 5.11.2018

Sicherheitslage im Süden des Irak

Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (Landinfo 31.5.2018).

In der Provinz Basra kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen. In Basra und den angrenzenden Provinzen besteht ebenfalls das Risiko von Entführungen (AA 1.11.2018).

Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, zu Verletzten und Toten (CEDOCA 28.2.2018). Dies war auch im Juli und September 2018 der Fall, als Demonstranten bei Zusammenstößen mit der Polizei getötet wurden (Al Jazeera 16.7.2018; vgl. Joel Wing 5.9.2018, AI 7.9.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (1.11.2018): Irak: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/iraksicherheit/202738, Zugriff 1.11.2018

-AI - Amnesty International (7.9.2018): Iraq: Effective Investigations needed into deaths of protesters in Basra, https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE1490552018ENGLISH.PDF, Zugriff 2.11.2018

-Al Jazeera (16.7.2018): Death toll rises in southern Iraq protests, https://www.aljazeera.com/news/2018/07/death-toll-rises-southern-iraq-protests-180716181812482.html, Zugriff 2.11.2018

-CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat général aux réfugiés et aux apatrides (28.2.2018): IRAK: Situation sécuritaire dans le sud de l'Irak, https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi_focus_irak_situation_securitaire_dans_le_sud_de_lirak_20180228.pdf, Zugriff 1.11.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (5.9.2018): Basra Explodes In Rage and Riots Over Water Crisis,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/09/basra-explodes-in-rage-and-riots-over.html, Zugriff 2.11.2018

-Landinfo - The Norwegian COI Centre (31.5.2018): Irak:

Sikkerhetssituasjonen i Sør-Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434620/1226_1528700530_irak-temanotat-sikkerhetssituasjonen-i-syarirak-hrn-31052018.pdf, Zugriff 1.11.2018

Rechtsschutz und Justizwesen

Die Bundesjustiz besteht aus dem Obersten Justizrat (Higher Judicial Council, HJC), dem Bundesgerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission und anderen Bundesgerichten, die durch das Gesetz geregelt werden. Das reguläre Strafjustizsystem besteht aus Ermittlungsgerichten, Gerichten der ersten Instanz, Berufungsgerichten, dem Kassationsgerichtshof und der Staatsanwaltschaft (LIFOS 8.5.2014). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.2.2018).

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 12.2.2018). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein. Darüber hinaus schwächen die Sicherheitslage und die politische Geschichte des Landes die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 20.4.2018). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.2.2018).

Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 16.1.2018).

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.2.2018). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft (FH 16.1.2018). Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.2.2018).

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Die Integritätskommission untersucht routinemäßig Richter wegen Korruptionsvorwürfen, aber einige Untersuchungen sind Berichten zufolge politisch motiviert. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente sowie der Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 20.4.2018). Nicht nur Polizei Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).

Die Verfassung gibt allen Bürgern das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess. Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen. Obwohl Ermittlungs-, Prozess- und Berufungsrichter im Allgemeinen versuchen, das Recht auf ein faires Verfahren durchzusetzen, ist der unzureichende Zugang der Angeklagten zu Verteidigern ein schwerwiegender Mangel im Verfahren. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 20.4.2018).

2017 endeten viele Schnellverfahren gegen Terrorverdächtige mit Todesurteilen. Zwischen Juli und August 2017 erließen die irakischen Behörden auch Haftbefehle gegen mindestens 15 Rechtsanwälte, die mutmaßliche IS-Mitglieder verteidigt hatten. Den Anwälten wurde vorgeworfen, sie stünden mit dem IS in Verbindung (AI 22.2.2018).

Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 16.7.2018

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425073.html, Zugriff 13.7.2018

-FH - Freedom House (16.1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq, Zugriff 25.7.2018

-LIFOS (8.5.2014): Iraq: Rule of Law in the Security and Legal System, https://landinfo.no/asset/2872/1/2872_1.pdf, Zugriff 13.7.2018

-Stanford - Stanford Law School (2013): Constitutional Law of Iraq, https://law.stanford.edu/wp-content/uploads/2018/04/ILEI-Constitutional-Law-2013.pdf, Zugriff 12.7.2018

-USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 13.7.2018

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 20.4.2018).

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Sie sind noch

nicht befähigt, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.2.2018).

Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums. Nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen findet Missbrauch vor allem während der Verhöre inhaftierter Personen im Rahmen der Untersuchungshaft statt. Probleme innerhalb der Provinzpolizei des Landes, einschließlich Korruption, bleiben weiterhin bestehen. Armee und Bundespolizei rekrutieren und entsenden bundesweit Soldaten und Polizisten. Dies führt zu Beschwerden lokaler Gemeinden bezüglich Diskriminierung aufgrund ethno-konfessioneller Unterschiede durch Mitglieder von Armee und Polizei. Die Sicherheitskräfte unternehmen nur begrenzte Anstrengungen, um gesellschaftliche Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 31.10.2018

-USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

Volksmobilisierungseinheiten (PMF)

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" (al-hashd al-sha'bi, engl.:

popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 20.4.2018). Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mosul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.2.2018).

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.2.2018). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten das Assad-Regime in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind. Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und der iranischen Revolutionsgarde. Ende 2017 war keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch Premierminister und ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Die Bemühungen der Regierung, die PMF als staatliche Sicherheitsbehörde zu formalisieren, werden fortgesetzt, aber Teile der PMF bleiben "iranisch" ausgerichtet. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderungen in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 20.4.2018).

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa'ib Ahl al-Haqq und den Kata'ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen von Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF. Diese Meldungen haben sich mit dem Konflikt um die umstrittenen Gebiete zum Teil verschärft (AA 12.2.2018).

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des "Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak" gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der "Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak" wurde später zum "Obersten Islamischen Rat im Irak" (OIRI), siehe Abschnitt "Politische Lage"]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017).

Die Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata'ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017).

Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali al-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

Auch die Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im

Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl al-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, den Kata'ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feldkommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF

Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mosul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf - mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen - oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sindwaren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind waren (Posch 8.2017).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 31.10.2018

-ICG - International Crisis Group (30.7.2018): Iraq's Paramilitary Groups: The Challenge of Rebuilding a Functioning State, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/188-iraqs-paramilitary-groups-challenge-rebuilding-functioning-state, Zugriff 31.10.2018

-Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien -Volksmobilisierungseinheiten und andere, per E-mail

-Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha'bi: Die irakischen "Volksmobilisierungseinheiten" (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 31.10.2018

-USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter und unmenschliche Behandlung sind lautder irakischen Verfassung ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren angewandt, etwa bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte. Laut Informationen von UNAMI sollen u. a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den Praktiken gehören. Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz übergeben, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (AA 12.2.2018).

Es gibt Berichte, dass die Polizei mit Gewalt Geständnisse erzwingt und Gerichte diese als Beweismittel akzeptieren. Weiterhin misshandeln und foltern die Sicherheitskräfte der Regierung, einschließlich der mit den PMF verbundenen Milizen, Personen während Verhaftungen, Untersuchungshaft und nach Verurteilungen. Internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fälle von Folter und Misshandlung in Einrichtungen des Innenministeriums und in geringerem Umfang in Haftanstalten des Verteidigungsministeriums sowie in Einrichtungen unter KRG-Kontrolle. Ehemalige Gefangene, Häftlinge und Menschenrechtsgruppen berichteten von einer Vielzahl von Folterungen und Misshandlungen (USDOS 20.4.2018).

Gegen Ende der Kämpfe um Mossul zwischen Mai und Juli 2017 häuften sich Berichte, wonach irakische Einheiten, darunter Spezialkräfte des Innenministeriums, Bundespolizei und irakische Sicherheitskräfte, Männer und Jungen, die vor den Kämpfen flohen, festnahmen, folterten und außergerichtlich hinrichteten (AI 22.2.2018).

In ihrem Kampf gegen den IS haben irakische Streitkräfte Hunderte von IS-Verdächtigen gefoltert, hingerichtet oder gewaltsam verschwinden lassen. Zahlreiche gefangene IS-Verdächtige haben behauptet, die Behörden hätten sie durch Folter zu Geständnissen gezwungen. Während der Militäreinsätze zur Befreiung von Mosul, haben irakische Streitkräfte mutmaßliche IS-Kämpfer, die auf dem Schlachtfeld oder in dessen Umfeld gefangen genommen worden waren, ungestraft gefoltert und hingerichtet, manchmal sogar nachdem sie Fotos und Videos der Misshandlungen auf Social Media Seiten veröffentlicht hatten (HRW 18.1.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Re

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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