TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/6 W168 2200312-1

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Veröffentlicht am 06.02.2019
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Entscheidungsdatum

06.02.2019

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W168 2200312-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Dr. MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.06.2018, Zl. 1186043305/180211345 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben, der Asylantrag wird zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin (BF), eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, stellte am 01.03.2018 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Eine durchgeführte EURODAC-Abfrage ergab keinen Treffer; eine Abfrage in der Visa Datenbank ergab das Vorliegen eins von 06.01.2018 bis 09.02.2018 gültiges Schengen-Visums Typ C, ausgestellt am 22.12.2017 von der italienischen Botschaft in Moskau/RF.

Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 02.03.2018 gab die Beschwerdeführerin an, dass sie in Österreich oder einem EU-Staat keine Familienangehörigen habe, ihr zukünftiger Ehemann jedoch im Bundesgebiet lebe. Sie sei am 25 oder 26.02.2018 schlepperunterstützt über ihr unbekannte Länder nach Österreich eingereist und habe in keinem der durchgereisten Länder um Asyl angesucht. Die Tante der Beschwerdeführerin, von der auch die gesamte Reise organsiert worden sei, habe für sie ein Visum bei einem Reisezentrum beantragt. Ihre Mutter habe ihr den Reisepass abgenommen, da sie gegen ihre Einreise in Österreich gewesen sei.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 06.03.2018 ein auf Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) gestütztes Aufnahmeersuchen an Italien.

Italien ließ das Aufnahmeersuchen unbeantwortet. Mit Schreiben vom 07.05.2018 teilte das BFA der italienischen Dublin-Behörde daher mit, dass gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO Verfristung eingetreten und Italien nunmehr zur Führung des Verfahrens zuständig sei.

Nach durchgeführter Rechtsberatung fand am 05.06.2018 im Beisein einer Rechtsberaterin die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem BFA statt. Dabei gab die Beschwerdeführerin über Nachfrage an, dass sie sich psychisch und physisch in der Lage sehe, die Befragung durchzuführen und im vierten Monat schwanger sei. Sie habe im bisherigen Verfahren die Wahrheit angegeben und könne keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen, da ihr der Reisepass von ihrer Mutter weggenommen und ihr der Personalausweis samt Rucksack gestohlen worden sei.

Zu ihrem Gesundheitszustand führte sie aus, dass ihr eine Zyste in den Beinen entfernt worden sei und Probleme mit ihrer Schwangerschaft habe, da sie unter Brechreiz leide, wogegen ihr Medikamente verschrieben worden seien. Am 14.06.2018 habe sie einen erneuten Kontrolltermin, der errechnete Geburtstermin sei der 11.11.2018. Weiters führte die BF aus, dass am 08.03.2018 im Islamischen Zentrum in Wien einen anerkannten Flüchtling geheiratet habe. Dieser würde sich bereits seit etwa 16 Jahren im Bundesgebiet aufhalten. Die Frage, ob sie in Österreich Verwandte habe, verneinte die Beschwerdeführerin. Ihre Tante habe ihr das Reisevisum für Österreich besorgt, an die konkrete Reiseroute nach Österreich könne sich die Beschwerdeführerin jedoch nicht erinnern und sie habe sich auch nie in Italien aufgehalten. Ihren genauen Einreiszeitpunkt in Österreich könne sie nicht durch die Vorlage diesbezüglicher Beweismittel untermauern. Zur geplanten Vorgehensweise, sie aufgrund der vorliegenden Zustimmung Italiens durch Verfristung außer Landes zu bringen, gab sie an, dass ihr Reiseziel aufgrund des Aufenthaltsortes ihres Ehemannes Österreich gewesen sei. Da es ihr nicht gelungen sei, ein österreichisches Visum zu erhalten und ihre Mutter ihr den Reisepass abgenommen habe, sei es ihr nicht möglich gewesen, das Land legal zu verlassen. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden von der Beschwerdeführerin ein Ehevertrag des Islamischen Zentrums in Wien vom 03.06.2018, ein Mutter-Kind-Pass vom 09.04.2018 mit dem errechneten Geburtstermin 11.11.2018, Überweisung an die chirurgische Ambulanz Baden aufgrund eines Abszesses sowie Ambulanzkarten einer Abteilung für Chirurgie eines Landesklinikums vom 14.05.2018 mit der Diagnose "Abszess rechts" vorgelegt. Als Therapie wurden eine Inzision in Lokalanästhesie, Lascheneinlage, Schmerztherapie mit Mexalen und antibiotische Abdeckung mit Dalacin 300mg 1-1-1 per os sowie eine Kontrolle und Laschenentfernung angeordnet.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 06.06.2018 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt I.). Zudem wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG gegen die Beschwerdeführerin die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Italien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Das BFA traf zur Lage in Italien umfassende Feststellungen und führte begründend zusammengefasst aus, dass die Identität der Beschwerdeführerin in Ermangelung geeigneter, heimatstaatlicher, identitätsbezeugender Dokumente nicht feststehe. Laut dem vorgelegten Mutter-Kind-Pass sei die Beschwerdeführerin schwanger, der errechnete Geburtstermin sei der 11.11.2018. Unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen hätten sich im Verfahren keine Hinweise ergeben, dass sie an einer schweren körperlichen Krankheit oder an einer schweren psychischen Störung leide. Italien sei durch Verfristung für die Führung des Asylantrages gemäß Art. 12 Abs. 4 i.V.m. Art. 22 Abs. 7 der Dublin III-Verordnung zuständig geworden. Zum Privat- und Familienleben wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin eine Beziehung zu ihrem in Österreich wohnhaften Lebenspartner pflege, mit dem sie jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt lebe. Anlässlich ihrer Einvernahme habe sie angegeben, ihren Lebenspartner und Vater ihres ungeborenen Kindes am 08.03.2018 traditionell geheiratet zu haben. Die Beschwerdeführerin habe einen Ehevertrag vorgelegt, der am 03.06.2018 vom islamischen Zentrum in Wien ausgestellt worden sei, der Tag ihrer Eheschließung sei daraus jedoch nicht ersichtlich. Soweit die Beschwerdeführerin im Verfahren im Hinblick auf ein relevantes Familien-und Privatleben auf die Beziehung zu ihrem Lebenspartner hinweise, sei anzumerken, dass er diese Beziehung zu einem Zeitpunkt eingegangen sei, zu welchem ihr und ihrem Lebenspartner ihr unsicherer Aufenthaltsstatus in Österreich bereits bekannt gewesen sein habe müssen und sie unter objektiven Gesichtspunkten betrachtet zu diesem Zeitpunkt nicht davon ausgehen habe können, dass ihr ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukomme. Unter diesen Gesichtspunkten erfolge im Falle der Außerlandesbringung der Beschwerdeführerin aus Österreich zwar ein Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Familien-und Privatlebens, dieser sei jedoch angesichts der aufgelisteten Faktoren nicht besonders einschneidend und gewichtig, nachdem weder die Beschwerdeführerin noch ihr Lebenspartner von einer dauerhaften und familienähnlichen Beziehung in Österreich ausgehen hätten können. Es sei auch auszuschließen, dass bislang eine maßgebliche Integrationsverfestigung ihrer Person in Österreich stattgefunden habe. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung der Beschwerdeführerin ernstlich für möglich erscheinen ließe, sei im Verfahren nicht erstattet worden. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG, wonach die Beschwerdeführerin in Italien Schutz vor Verfolgung finde, sei nicht erschüttert worden und es habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ergeben.

3. Gegen den Bescheid des BFA erhob die Beschwerdeführerin durch ihre Vertretung am 03.07.2018 rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde.

Festgehalten wurde zusammengefasst, dass die Beschwerdeführerin im vierten Monat schwanger sei, wobei es sich um eine komplizierte Schwangerschaft handle. Die nötige Pflege könne sie zweifelsohne nur in Österreich in der notwendigen Form bekommen, da auch ihr Ehegatte seit 16 Jahren als anerkannter Flüchtling im Bundesgebiet wohnhaft sei. Es würden auch Ergebnisse der Ermittlungen in der angefochtenen Entscheidung fehlen, weswegen auch ein Begründungsmangel vorliege. Im Ergebnis habe aufgrund der mangelhaften Erhebungstätigkeit der maßgebliche Sachverhalt nicht geklärt werden und daher nicht festgestellt werden können, ob nun tatsächlich die Voraussetzungen vorliegen würden, welche die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens der Beschwerdeführerin begründen würden. Der Beschwerde wurden eine Kopie des Mutter-Kind-Passes, eine Kopie des Reisepasses des Lebenspartners der Beschwerdeführerin sowie ein Ehevertrag des Islamischen Zentrums Wien vom 03.06.2018 angeschlossen.

Mit Information des BFA vom 08.01.2019 wurde das BVwG über die Geburt des Kindes der BF mit Datum XXXX , sowie über den mittlerweile eingetretenen Ablauf der Überstellungsfrist mit Datum 07.11.2018 informiert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 01.03.2018 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Sie verfügte zum Zeitpunkt der Antragstellung über ein seit weniger als sechs Monate abgelaufenes (Gültigkeitszeitraum von 06.01.2018 bis 09.02.2018)

Schengen-Visum der Kategorie C, ausgestellt von der italienischen Vertretungsbehörde in Moskau/Russische Föderation.

Das BFA richtete am 06.03.2018 ein auf Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an Italien, dem die italienische Dublin-Behörde durch Verfristung am 07.05.2018 zustimmte.

Im gegenständlichen Verfahren ist nach Information des BFA die Überstellungsfrist gem. Art 29 Abs. 1 Dublin III VO mit Datum 07.11.2018 abgelaufen.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich des Vorliegens des oben genannten italienischen Schengen-Visums, sowie hinsichtlich der Asylantragstellung in Österreich ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin und dem vorhandenen Ergebnis der VIS-Abfrage.

Die Feststellung bezüglich der Zustimmung zur Aufnahme der Beschwerdeführerin seitens Italiens durch Verfristung ergibt sich aus dem durchgeführten Konsultationsverfahren zwischen der österreichischen und der italienischen Dublin-Behörde. Der diesbezügliche Schriftwechsel ist Teil des Verwaltungsaktes.

Der Ablauf der Überstellungsfrist gem. Art 29 Abs. 1 Dublin III VO ergibt sich aus dem Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes, sowie aus dem Schreiben des BFA vom 08.01.2019.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:

"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

§ 29 Abs. 2 Dublin-III-VO lautet: "Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist."

Aufgrund des Inhaltes des Vorliegenden Verwaltungsaktes, als auch nach Information des BFA vom 08.01.2019 ist im gegenständlichen Verfahren die Überstellungfrist mit Datum 07.11.2018 abgelaufen.

Aus diesem Grund war spruchgemäß zu entscheiden.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wurde.

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte und des EGMR bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.

Schlagworte

Fristablauf, Fristversäumung, Überstellungsfrist, Verfristung,
Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W168.2200312.1.00

Zuletzt aktualisiert am

09.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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