TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/14 W168 2146185-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.02.2019
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Entscheidungsdatum

14.02.2019

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W168 2146185-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX, StA Somalia gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.01.2017, Zahl: 1125436106/ 161083770, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben, der Asylantrag wird zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.

B.)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG idgF nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte nach unberechtigter Einreise in das Bundesgebiet am 05.08.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Eine durchgeführte Eurodac - Abfrage ergab eine erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers in Italien mit Datum 23.07.2016.

Bei der durchgeführten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er nicht an Beschwerden oder Krankheiten leide, die ihn an der Einvernahme hindern würden oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen würden. Zum Reiseweg befragt brachte er vor, dass er im März 2016 zunächst aus seiner Heimat kommend über Kenia, Uganda und den Südsudan nach Libyen gefahren sei. Von dort sei er nach Italien gelangt. Er habe in keinem anderen Land um Asyl angesucht und habe in keinem Land ein Visum oder einen Aufenthaltstitel erlangt. Der Beschwerdeführer habe zudem kein bestimmtes Zielland gehabt. Zu den Ländern der Durchreise könne er keine näheren Angaben machen, da er sich bei einem Somalier aufgehalten habe. In Österreich habe er keine Familienangehörigen oder sonstigen Verwandte.

Im Akt des Bundesamtes befindet sich ein Aktenvermerk vom 11.08.2016 betreffend "Indikatoren für Altersfeststellung", dem zu entnehmen ist, dass gemäß dem durch zwei Referenten durchgeführten "Vier-Augen-Prinzip" offenbar Zweifel an dem vom Beschwerdeführer angegebenen Geburtsdatum bzw. seiner Minderjährigkeit bestehen (vgl. AS 53).

Einem mit 17.08.2016 datierten Schreiben eines Röntgeninstitutes ist zu entnehmen, dass beim Beschwerdeführer eine Bestimmung des Knochenalters der linken Hand erfolgte, wobei "sämtliche Epiphysenfugen an den Phalangen und den Metacarpalia geschlossen seien und sich am Radius eine zarte Epiphysennarbe zeige". Das Ergebnis lautet: "GP 31, Schmeling 4" (AS 67).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete aufgrund dieser Informationen am 20.08.2016 ein auf Art. 13 Abs. 1 Dublin III VO gestütztes Aufnahmegesuch an Italien und wies die italienischen Behörden darauf hin, dass die Angaben des Beschwerdeführers bezüglich seiner Minderjährigkeit aufgrund seines Aussehens und mangelnden Dokumenten unglaubwürdig seien. Das Resultat einer ersten medizinischen Untersuchung indiziere, dass er höchstwahrscheinlich volljährig sei.

Zunächst verweigerte Italien mit Schreiben vom 31.08.2016 die Rückübernahme des Beschwerdeführers mit der Begründung, dass der Beschwerdeführer erklärt habe, dass er ein unbegleiteter Minderjähriger sei, und er in Italien keinen Asylantrag gestellt habe.

Mit Schreiben vom 05.09.2016 remonstrierte das BFA gegen diese Verweigerung mit dem Hinweis, dass das Alter des Beschwerdeführers im Wege einer multifaktoriellen medizinischen Untersuchung abgeklärt werde und die italienischen Behörden unverzüglich über die Resultate informieren würden.

In Folge beauftragte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Erstellung einer medizinischen Altersdiagnose. Aus einem gerichtsmedizinischen Gutachten vom 20.10.2016 geht hervor, dass sich in der Zusammenschau der Ergebnisse der radiologischen Untersuchungen der Hand, der Schlüsselbeine und des Gebisses für den Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Untersuchungen am 23.09.2016 ein Mindestalter von 18 Jahren ergebe.

Mit Verfahrensanordnung vom 24.10.2016 stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Volljährigkeit des Beschwerdeführers fest. Begründend wurde ausgeführt, dass sich dies aus dem persönlichen Erscheinungsbild und des Ergebnisses des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere durch das im Zuge der Altersfeststellung erstellte Gutachten vom 23.09.2016 ergebe. Der Beschwerdeführer wurde in Folge für volljährig erklärt und für das weitere Verfahren das Geburtsdatum 15.02.1998 festgelegt.

In einer Stellungnahme zur Feststellung der Volljährigkeit vom 10.11.2016 wird durch den gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers ausgeführt, dass gravierende Bedenken hinsichtlich der verwendeten Methode der Altersfeststellung an sich bestehen würden, zumal auch Röntgenaufnahmen das Alter nicht mit absoluter Genauigkeit zeigen würden können. Auch ein aktueller Artikel in International Journal of Refugee Law beleuchte die Thematik der Altersfeststellung bei unbegleiteten Minderjährigen sehr ausführlich und komme zu dem Schluss, dass der Einsatz radiologischer bildgebender Methoden zur Altersfeststellung minderjähriger Asylwerber den internationalen Vorgaben der Forensik nicht entspreche. Zweifel hinsichtlich des Alters würden dadurch nicht beseitigt werden, sondern bestehen bleiben. Dem Problem der Altersfeststellung liege das Problem der fehlenden Personendatenerfassung, insbesondere auch der fehlenden Registrierung von Geburten und Geburtsdaten in den klassischen Flüchtlingsländern wie Afghanistan oder beispielsweise Somalia zugrunde. Eine wissenschaftlich gesicherte Altersfeststellung sei damit mit den genannten Methoden schlichtweg unmöglich. Es fehle zudem an nachvollziehbaren Begründungen, wie der Gutachter zu seinem Ergebnis komme. Eine Altersdiagnose sei demnach erst als "ultima ratio" vorzunehmen, wenn der Antragsteller seine Minderjährigkeit nicht auf anderen Weg zu belegen vermöge. Vorrang vor der Vornahme einer Altersdiagnose habe die Überprüfung von Dokumenten sowie allfällige Zeugenbefragungen. Wäre der Beschwerdeführer von Seiten der Behörde auf die Relevanz des Alters bzw. dessen Nachweises hingewiesen worden bzw. zu dieser Thematik befragt worden, wozu die Behörde im Rahmen ihrer Manuduktionspflicht verpflichtet gewesen wäre, hätte er entsprechende Dokumente vorlegen können. Da bei der Altersdiagnose kein zweifelfreies Alter festgestellt worden sei, müsse zu Gunsten des Fremden von seiner Minderjährigkeit ausgegangen werden. Im Rahmen der Stellungnahme wurde eine Kopie einer Meldebestätigung des Beschwerdeführers sowie die Kopie einer Geburtsurkunde und die Teilnahmebescheinigung an einem Deutschkurs A1 Teil 1 vorgelegt.

Im Anschluss an die Remonstration vom 05.09.2016 wurde Italien mit Schreiben vom 12.11.2016 dieses Alters-Gutachten, mit dem Hinweis, dass der Beschwerdeführer zum Antragszeitpunkt in Österreich zumindest 18 Jahre gewesen sei, übermittelt.

Mit Schreiben vom 14.11.2016 stimmte Italien dem Aufnahmeersuchen gem. Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO ausdrücklich zu.

Am 15.12.2016 erfolgte, nach Erhalt einer Rechtsberatung, eine Einvernahme im Zulassungsverfahren durch das BFA. In der Einvernahme gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er sich geistig und körperlich in der Lage fühle, die Einvernahme durchzuführen und gesund sei. Über Vorhalt des Ergebnisses der Altersfeststellung, dem zufolge zum Untersuchungszeitpunkt ein Mindestalter von 18 Jahren festgestellt worden sei, brachte der Beschwerdeführer vor, dass er nicht in einem Krankenhaus geboren worden sei. Seine Eltern hätten ihm vor einiger Zeit erzählt, dass er 15 Jahre alt sei, dann jedoch gemeint, er sei bereits 16 Jahre und nunmehr sei er bereits 17 Jahre alt. Eine Kopie des Gutachtens wurde dem Beschwerdeführer im Rahmen der Einvernahme ausgefolgt. Er habe in Österreich keine Verwandte oder sonstige Familienangehörige und seine bereits getätigten Angaben zur Reiseroute würden der Wahrheit entsprechen. In Italien habe er sich ca. ein Monat aufgehalten und er sei in weiterer Folge mit dem Bus nach Österreich weitergereist. Auf Vorhalt der aufgrund der ausdrücklichen Zustimmungserklärung Italiens eingetretenen Zuständigkeit dieses Mitgliedstaates zur Durchführung des Verfahrens, brachte der Beschwerdeführer vor, dass er in Italien auf der Straße gelebt habe und es weder Zukunft noch Sicherheit gegeben habe. Die Gefahr sei groß, dass er Menschenhändlern in die Hände falle. In Österreich besuche er bereits einen Deutschkurs und habe die Hoffnung, dass er in die Schule gehen werde, da er ein Vollstipendium über dreieinhalb Jahre bekomme. Im Vergleich zu Italien habe er in Österreich die Chance auf eine gute Zukunft. Italien sei nicht sein Zielland gewesen und die Fingerabdrücke seien ihm zwangsweise abgenommen worden. Befragt, ob es weitere Gründe gebe, die einer Rückkehr nach Italien entgegenstehen würden, brachte der Beschwerdeführer vor, dass es in Italien auch eine kriminelle Organisation gegeben habe, die Flüchtlinge ausnütze und auch er selbst habe mit dieser Probleme gehabt. Dabei handle es sich um Organhändler und als Jugendlicher sei man besonderer Gefahr ausgesetzt, mit diesen konfrontiert zu werden. Die Frage, ob er diesbezüglich bei der Polizei gewesen sei und um Hilfe gebeten habe, wurde von ihm verneint, da er so schnell wie möglich das Land verlassen habe wollen und dafür keine Zeit gehabt habe. Nach Aufklärung der Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme zu den Länderfeststellungen zu Italien, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er in Gefahr sei, wenn er nach Italien zurückkehre, den Grund dafür habe er bereits erwähnt. Er habe in Italien keine Zukunft, daher wolle er nicht nach Italien zurück. Der Beschwerdeführer könne nur schlecht schlafen und habe Probleme beim Essen, stehe jedoch nicht in ärztlicher Behandlung.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom Beschwerdeführer zwei Empfehlungsschreiben und Bewerbungsschreiben für eine Lehrstelle als Koch zur Vorlage gebracht. Dem Beschwerdeführer wurde eine vierwöchige Frist eingeräumt, um eine Originalgeburtsurkunde vorzulegen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III VO zuständig ist, sowie II. gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung nach Italien zulässig sei. Der Bescheid legt in seiner Begründung und den aktuellen Feststellungen insbesondere ausführlich dar, dass in dem zuständigen Mitgliedstaat die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich sind und den Grundsätzen des Unionsrechts genügen.

Der Bescheid legt in seiner Begründung und den aktuellen Feststellungen insbesondere ausführlich dar, dass in dem zuständigen Mitgliedstaat die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung, die aktuelle Unterbringungssituation, der Zugang zu medizinischen Dienstleistungen für Antragsteller, sowie die Sicherheitslage unbedenklich sind und den Grundsätzen des Unionsrechts genügen. Beweiswürdigend wurde insbesondere festgestellt, dass die Identität des Beschwerdeführers mangels Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments oder sonstigen Bescheinigungsmittels nicht feststehe. Die Feststellung zur Volljährigkeit des Beschwerdeführers gründe sich auf ein gerichtsmedizinisches Gutachten. Diese Volljährigkeitsbeurteilung habe ergeben, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Asylantragstellung mindestens 18 Jahre alt gewesen sei. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer ein Dokument vorgelegt habe, bei welchem es sich um die Geburtsurkunde handeln soll, vermöge die festgestellte Volljährigkeit zum Zeitpunkt der Asylantragstellung in Österreich nicht in Zweifel zu ziehen. Dieses Dokument weise eindeutig keinen amtlichen Charakter auf und stelle somit keine unbedenkliche Urkunde oder ein sonstiges Bescheinigungsmittel dar. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung des Beschwerdeführers ernstlich für möglich erscheinen lassen würden, sei im Verfahren nicht erstattet worden. In einer Gesamtbetrachtung habe sich daher kein Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergeben. Insbesondere wurde ausgeführt, dass nicht festgestellt hätte werden können, dass seine Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien eine Verletzung des Art. 8 EMRK bedeuten würde. Es würde kein besonderes Abhängigkeits- bzw. Naheverhältnis zu im Bundesgebiet befindlichen Personen bestehen. Das Vorliegen von berücksichtigungswerten Krankheiten wäre nicht vorgebracht worden. Im Verfahren sei kein im besonderen Maße substantiiertes glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer relevanten Verletzung des Art. 4 Grundrechte - Charta bzw. Art. 3 EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen, hervorgekommen. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe daher zu. Italien sei bereit, den Antragsteller einreisen zu lassen und seinen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen bzw. die sonstigen ihn aus der Dublinverordnung und anderen einschlägigen unionsrechtlichen Rechtsakten treffenden Verpflichtungen dem Antragsteller gegenüber zu erfüllen. Es sei festzustellen, dass in Italien, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union als einer Rechts- und Wertegemeinschaft und des Europarates mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verletzung der EMRK im gegenständlichen Zusammenhang nicht eintreten werde. Auch aus der Rechtsprechung des EGMR oder aus sonstigem Amtswissen lasse sich eine systematische, notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Italien keinesfalls erkennen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zeitgerecht erhobene Beschwerde. In

dieser wird zusammenfassend ausgeführt, dass entsprechend dem Grundsatz "in dubio pro

minore von der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers auszugehen gewesen wäre.

Die Behörde gehe in ihrer Verfahrensanordnung vom 15.02.1998 als spätmöglichstes

Geburtsdatum aus, im Bescheid nehme die Behörde wiederum nehme ohne nähere Begründung XXXX als Geburtsdatum an. Wie bereits ausführlich dargelegt, bestehe dringender Verdacht auf das Vorliegen von Menschenhandel, das Strafverfahren sei mit Anzeige bereits eingeleitet worden. Die Behörde habe unterlassen, die Sachlage durch einfaches Nachfragen näher zu konkretisieren und damit seien ihr nicht nur Ermittlungsfehler, sondern auch Fehler in der Beweiswürdigung und in der rechtlichen Beurteilung unterlaufen. Dazu komme der Umstand, dass sowohl das Alter als auch der psychische Zustand des Beschwerdeführers unberücksichtigt geblieben seien. Aufgrund der real begründeten Befürchtungen sowie seiner Erfahrungen in Italien sei zusätzlich zu befürchten, dass eine Abschiebung nach Italien sich stark traumatisierend auf den psychischen Zustand des Beschwerdeführers auswirken würde, was wiederum eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde und die Entscheidung vor allem unter Berücksichtigung der mangelnden medizinischen Versorgung unzulässig mache. Nach der Judikatur des VfGH wäre im konkreten Fall eine Einzelfallzusage zur Beurteilung der Frage, ob dem Beschwerdeführer in Italien eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe, erforderlich gewesen. Auch die Dublin III-Verordnung verlange eine individuelle Prüfung jedes Falles. Eine derartige Einzelfallprüfung sei von der belangten Behörde im gegenständlichen Fall aber gerade nicht durchgeführt worden. Da im gegenständlichen Fall keine individuellen Garantien seitens der italienischen Behörden für die Unterbringung und Versorgung mit Lebensmitteln und in medizinischer Hinsicht des Beschwerdeführers vorliegen würden und dem Beschwerdeführer in Italien Obdachlosigkeit, menschenunwürdige Bedingungen und unzureichende medizinische Versorgung drohen würden, sei das Verfahren mit Mangelhaftigkeit belastet. Die von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen zur Situation in Italien seien unvollständig, einseitig und teilweise nicht mehr aktuell. Weiters würden sich die Länderinformationen zu einem überwiegenden Anteil auf die Darstellung der rechtlichen Vorgaben und der vorgesehenen Strukturen beschränken, ohne jedoch auf die aktuelle tatsächliche Situation für Asylwerber Rücksicht zu nehmen. Nur bei Vorlage einer entsprechenden individuellen Zusicherung durch die italienischen Behörden ließe sich davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer in Italien adäquat versorgt werde, die Einholung einer individuellen Zusicherung sei im gegenständlichen Fall durch die Behörde jedoch verabsäumt worden. Unter Verweis auf die aktuelle Rechtsprechung des EGMRK komme das VG Hannover zum Schluss, dass in allen Fällen, auch bei jungen, gesunden, männlichen Asylwerbern individuelle Zusicherungen eingeholt werden müssen. Beantragt wurde, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Der Beschwerde wurden eine Betreuungsvereinbarung vom 02.11.2016, eine Vollmacht vom 25.01.2017, eine Zeugenvernehmung der LPD vom 24.01.2016, eine Stellungnahme zur Feststellung der Volljährigkeit vom 10.11.2016, eine Stellungnahme MEN VIA-Unterstützung für männliche Betroffene von Menschenhandel, Artikel "Terrorgruppen am illegalen Organhandel beteiligt-Flüchtlinge als mobile billige Ersatzteillager" vom 30.10.2016, psychologische Stellungnahme vom 25.01.2017.

In der psychologischen Stellungnahme vom 25.01.2017 wird ausgeführt, dass die aktuell existenziellen Bedrohungen in Hinblick auf die Abschiebung nach Italien eine Retraumatisierung ausgelöst habe und sich Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung abgezeichnet hätten. Außerdem würden vom Beschwerdeführer Zustände von Herzrasen mit Vigilanzsteigerung beschrieben werden, die er selbst nicht kontrollieren könne. Auch Suizidgedanken würden bejaht werden, welche der Beschwerdeführer in seinen massiven Angstzuständen und seiner Verzweiflung begründet sehe.

Mit Datum 07.02.2017 übermittelte die LPD OÖ einen Abschlussbericht der Erhebungen

hinsichtlich der Ermittlungen gegen einen unbekannten Täter aufgrund des Verdachtes auf Menschenhandel.

Mit Schreiben des gesetzlichen Vertreters des Beschwerdeführers vom 22.02.2017 wurde das Bundesverwaltungsgericht aufgefordert, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, da ihm die Abschiebung nach Italien drohe. Zur Vulnerabilität des Beschwerdeführers werde auf die psychologische Stellungnahme verwiesen.

Einem Bericht über die erfolgte Abschiebung der Landespolizeidirektion Niederösterreich

vom 23.02.2017 ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer am selben Tag auf

dem Luftweg nach Italien überstellt wurde.

In einem Schreiben der Volkshilfe vom 27.02.2017 wird ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer in Italien keinerlei Versorgung bzw. Unterbringung zur Verfügung stehe. Aus einem weiteren Schreiben vom 28.02.2017 geht hervor, dass der Beschwerdeführer in Italien obdachlos und ohne jegliche Versorgung wäre.

Mit Erkenntnis des BVwG vom 08.05.2017 wurde die Beschwerde gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen, gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 BFA - Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 144/2013, (BFA-VG) wurde festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war und die ordentliche Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG idgF für nicht zulässig erklärt.

Gegen dieses Erkenntnis des BVwG wurde außerordentliche Revision erhoben. Es wäre in dem Erkenntnis des BVwG davon ausgegangen worden, dass eine Zuständigkeit Italiens gem. Art 13 Abs. 1 Dublin III VO vorliegen würde, bzw. dass Art. 5 Abs. 2 der Durchführungs - VO eine Verlängerung der in Art. 22 Abs. 1 Dublin III VO normierten Frist für die Antwort auf ein Remonstrationsverfahren vorsehen würde. Es würde sich jedoch die Frage stellen, ob auch von einer Zuständigkeit Italiens auszugehen sei, wenn Italien zuerst das Aufnahmegesuch innerhalb der zweimonatigen Frist ablehne und die Zustimmung - nach Einleitung eines Remonstrationsverfahrens gem. Art. 5 Abs. 2 der DurchführungsVO nach Ablauf der in Art. 22 Abs. 1 Dublin III VO normierten Frist erteile. Hierzu fehle eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Revision wurde vom VwGH für zulässig erklärt.

Mit Beschluss des VwGH vom 14.11.2017 wurden dem EuGH nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.) Führt die Versäumung der Frist gem. Art. 5 Abs. 2 der Durchführungs VO zur Entgegnung (Remonstration) im Falle der fristgerechten Ablehnung eines Aufnahmegesuches gem. Art. 21 Abs. 1 Dublin III VO durch den ersuchten Mitgliedsstaat zu einem Zuständigkeitsübergang auf den ersuchenden Mitgliedsstaat, wenn der ersuchende Mitgliedsstaat zunächst fristgerecht ein Aufnahmegesuch im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Unersatz 1 der Dublin III VO gestellt hat und aufgrund (nachträglicher) Ermittlungen der ersuchte Mitgliedsstaat als der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III VO zuständige Mitgliedsstaat feststeht?

2.) Kann der ersuchte - und nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III VO zuständige - Mitgliedsstaat dem Aufnahmeersuchen nach Art. 21 Abs. 1 Dublin III Vo auch dann noch wirksam zustimmen, wenn die in Art. 22 Abs. 7 Dublin III VO festgelegte Antwortfrist bereits abgelaufen ist und der ersuchte Mitgliedsstaat das Aufnahmegesuch zuvor fristgerecht abgelehnt hat?

Das Urteil des EUGH in den hierzu verbundenen Rechtssachen C-47/17 und C 48/17 erging am 13.11.2018 mit der auch für den gegenständlichen Fall maßgeblichen Begründung.

Mit Erkenntnis des VwGH wurde das angefochtene Erkenntnis des BVwG aufgehoben.

Begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass nach den Erwägungen des oben angeführten Urteils des EuGH der ersuchende Mitgliedsstaat zwar berechtigt ist ein Remonstrationsverfahren auch dann noch anzustrengen, wenn der Abschluss desselben erst nach Ablauf der in Art. 22 Abs. 1 und 6 Dublin III VO vorgesehenen First eingetreten ist. Den Ausführungen des EuGH ist zu entnehmen, dass das Remonstrationsverfahren in Einklang mit den Vorschriften der Dublin III VO und den von dieser verfolgten Zielen auszulegen ist, sodass davon auszugehen ist, dass mit der Versäumung der Frist zur (neuerlichen) Anfrage im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Durchführungs VO dieses Recht für den ersuchenden Mitgliedsstaat verloren geht. Demzufolge ist Art. 5 Abs. 2 Durchführungs VO dahin auszulegen, dass der ungenutzte Ablauf der vorgesehenen Frist von drei Wochen für das Remonstrationsverfahren bewirkt, dass der ersuchende Mitgliedsstaat für die Prüfung des betreffenden Antrages auf internationalen Schutz zuständig anzusehen ist. Dies trifft lediglich dann nicht zu, wenn dem ersuchenden Staat noch die für die Stellung eines erneuten Gesuchs um Wiederaufnahme innerhalb der dazu in Art. 23 Abs. 2 Dublin III VO vorgesehenen zwingenden Fristen erforderliche Zeit zur Verfügung steht. (EUGH 13.11.2018, X und X, C - 47/17 und C - 48 /17, Rn 86f).

Im gegenständlichen Verfahren ist die neuerliche Anfrage des BFA gem. Art. 5 Abs. 2 Durchführungs VO erst am 12.11.2016 und damit nach Ablauf der dreiwöchigen Frist ab Empfang der fristgerecht erfolgten ablehenden Antwort des nach den Bestimmungen des Art. 21 Dublin III VO ersuchten Mitgliedsstaates erfolgt. Die Zuständigkeit für die inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz des Revisionswerbers ist daher mit Ablauf der dreiwöchigen Frist ab Erhalt der abschlägigen Mitteilung seitens Italiens mangels fristgerechter Einleitung des Remonstrationsverfahrens auf die österreichischen Behörden übergegangen. Die Zustimmung der italienischen Behörden zur Aufnahme des BF vom 14. November 2016 gem. Art. 13 Abs. 1 Dublin III VO konnte vor dem Hintergrund des Verlustes des Rechts auf Einleitung des Remonstrationsverfahrens die Zuständigkeit Italiens nicht neuerlich begründen. (ähnlich VwGH 13.12.2018, RA 2017/18/0110: Fehlen einer Norm betreffend einen neuerlichen Zuständigkeitsübergang vgl. VwGh 24.10.2018, Ra 201/14/0133).

Infolge der Zuständigkeit Österreichs für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz kommt die Zurückweisung des Antrages gem. §5 Abs. 1 AsylG 2005 und sohin auch die Erlassung der Anordnung der Außerlandesbringung nach §61 im Revisionsfall nicht in Betracht und das angefochtene Erkenntnis war in Folge zu beheben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer begab sich illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 05.08.2016 aus Italien kommend gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz wobei er angab, dass er Minderjährig wäre.

Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich entgegen seinen Angaben im Verfahren um eine nach Durchführung einer multifaktoriellen Altersfeststellung zweifelsfrei festgestellt volljährige Person.

Es wird weiters festgestellt, dass das Bundesamt aufgrund der vorliegenden Informationen begründet und fristgerecht ein auf Art. 13 Abs. 1 Dublin III VO gestütztes Aufnahmeersuchen an Italien richtete.

Italien lehnte zunächst die Aufnahme des BF mit dem Hinweis, dass es sich bei dem BF um eine angegeben minderjährige Person handle, ab.

Die neuerliche Anfrage des BFA gem. Art. 5 Abs. 2 Durchführungs VO und Remonstration gegen diese Ablehnung mit dem Hinweis auf das Ergebnis der Altersfeststellung, welches das Vorliegen einer Volljährigkeit des BF aufzeigte, erfolgte am 12.11.2016 und damit nach Ablauf der dreiwöchigen Frist ab Empfang der fristgerecht erfolgten ablehenden Antwort des nach den Bestimmungen des Art. 21 Dublin III VO ersuchten Mitgliedsstaates.

Die Zuständigkeit für die inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz des Revisionswerbers ist mit Ablauf der dreiwöchigen Frist ab Erhalt der abschlägigen Mitteilung seitens Italiens mangels fristgerechter Einleitung des Remonstrationsverfahrens auf die österreichischen Behörden übergegangen.

Die Zustimmung der italienischen Behörden zur Aufnahme des BF vom 14. November 2016 gem. Art. 13 Abs. 1 Dublin III VO kann vor dem Hintergrund des Verlustes des Rechts auf Einleitung des Remonstrationsverfahrens die Zuständigkeit Italiens nicht neuerlich begründen.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen ergeben sich aus dem Akt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, insbesondere aus den Niederschriften und dem Ergebnis der Eurodac - Abfrage, bzw. aus dem weiteren Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zur Behebung des angefochtenen Bescheides:

Die gegenständliche Beschwerde ist nach dem 01.01.2014 beim Bundesverwaltungsgericht anhängig geworden, sodass insgesamt nach der Rechtslage ab diesem Tag vorzugehen ist.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Auf gegenständliches Verfahren angewandt sind in concreto folgende Ausführungen zu erstatten:

Eine nach Ablehnung des ersuchten Mitgliedsstaates erfolgte neuerliche Anfrage des BFA gem. Art. 5 Abs. 2 Durchführungs - VO und Remonstration gegen diese mit dem Hinweis auf das Ergebnis der Altersfeststellung erfolgte am 12.11.2016 und damit nach Ablauf der dreiwöchigen Frist ab Empfang der ablehenden Antwort des nach den Bestimmungen des Art. 21 Dublin III VO fristgerecht ersuchten Mitgliedsstaates.

Die Zuständigkeit für die inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz des Revisionswerbers ist mit Ablauf der dreiwöchigen Frist ab Erhalt der abschlägigen Mitteilung seitens Italiens mangels fristgerechter Einleitung des Remonstrationsverfahrens auf die österreichischen Behörden übergegangen. Die Zustimmung der italienischen Behörden zur Aufnahme des BF vom 14. November 2016 gem. Art. 13 Abs. 1 Dublin III VO kann vor dem Hintergrund des Verlustes des Rechts auf Einleitung des Remonstrationsverfahrens die Zuständigkeit Italiens nicht neuerlich begründen.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt, sondern ausschließlich tatsachenlastig ist. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben. Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist die zur asylrechtlichen Ausweisung ergangene zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs übertragbar.

Schlagworte

Remonstration, Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W168.2146185.1.00

Zuletzt aktualisiert am

09.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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