TE Vwgh Erkenntnis 1999/3/23 99/05/0035

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Veröffentlicht am 23.03.1999
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L81703 Baulärm Niederösterreich;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

BauO NÖ 1976 §118 Abs9 idF 8200-14;
B-VG Art140 Abs4;
B-VG Art140 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde 1. des Franz Kussian und 2. der Brigitte Kussian in Sulz/Wienerwald, beide vertreten durch Dr. Richard Proksch, Rechtsanwalt in Wien III, Am Heumarkt 9/1/11, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 28. November 1995, Zl. R/1-V-89217/03, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. FWG-Fernwärmeversorgung Wienerwald-Sulz registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung in Sulz im Wienerwald, 2. Gemeinde Wienerwald, beide vertreten durch Dr. Walter Prüfling, Rechtsanwalt in Wien XII, Schönbrunner Schloßstraße 46), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Ansuchen vom 4. September 1989 beantragte die Erstmitbeteiligte die Baubewilligung für die Aufstellung einer vollautomatischen Ölfeuerungsanlage samt Öllagerung "auf dem Bauplatz in Sulz-Schöffelstraße Grundstück Nr. 62/15 EZ. 425, KG. Sulz im Wienerwald".

In der am 28. September 1989 durchgeführten Bauverhandlung wurden von mehreren Anrainern, darunter auch von den Beschwerdeführern, Einwendungen gegen dieses Bauvorhaben erhoben. Die Beschwerdeführer machten Geruchsbelästigungen durch Rauchimmissionen geltend; das Projekt sei mit der gegebenen Widmung nicht vereinbar.

Mit Bescheid vom 13. Oktober 1989 erteilte der Vizebürgermeister der Zweitmitbeteiligten der Erstmitbeteiligten die beantragte Baubewilligung für die Ölfeuerungsanlage.

Mit Bescheid vom 15. Mai 1991 gab die belangte Behörde einer Vorstellung der Beschwerdeführer gegen eine abweisende Berufungsentscheidung des Gemeinderates Folge, hob den Berufungsbescheid auf und wies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat zurück. Der Gemeinderat hätte es unterlassen, ein Gutachten über das voraussichtlich von der Heizanlage ausgehende Ausmaß von Immissionen auf die Anrainergrundstücke sowie ein darauf aufbauendes medizinisches Gutachten einzuholen. Gerügt wurde im Vorstellungsbescheid auch, dass sowohl der Bürgermeister als auch der Gemeinderat keine Feststellungen über die Widmung des Projektgrundstückes getroffen hätten. Für das fortgesetzte Verfahren wurde ausgesprochen, dass der Gemeinderat vorerst ein emissions- und immissonstechnisches Gutachten über die Auswirkungen der Heizanlage und sodann ein medizinisches Gutachten zur Frage einzuholen habe, ob durch die Auswirkungen der Anlage örtlich unzumutbare Belästigungen auftreten.

Mit Bescheid vom 11. November 1994 wies der Gemeinderat der Zweitmitbeteiligten im zweiten Rechtsgang die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Vizebürgermeisters der Zweitmitbeteiligten vom 13. Oktober 1989 "wegen Rechtswidrigkeit" ab und erteilte unter Vorschreibungen die Bewilligung zur Errichtung einer vollautomatischen Ölfeuerungsanlage mit einer Nennleistung von 359 (gemeint wohl: 350) kW und eines 10.000-Liter-Heizöltanks auf dem Grundstück Nr. 62/15, KG. Sulz im Wienerwald. In diesem Bescheid wurde § 118 Abs. 9 Z. 4 der NÖ Bauordnung 1976 bereits in der Fassung der Novelle LGBl. 8200-12 angewendet.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer

Vorstellung.

Mit Bescheid vom 31. Jänner 1995 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Mödling der Erstmitbeteiligten die gewerbebehördliche Genehmigung für die Abänderung der bestehenden Betriebsanlage im Standort Wienerwald, Mödlingbachgasse (Grundstück Nr. 231/5, KG. Sulz im Wienerwald) durch Einrichtung und Betrieb eines heizölbefeuerten Heizkessels samt technischen Nebeneinrichtungen im bestehenden Betriebsgebäude und Neuverlegung eines unterirdischen Heizöllagertanks unter Auflagen.

Mit Bescheid vom 6. Juni 1995 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Mödling der Erstmitbeteiligten die gewerbebehördliche Genehmigung für die Abänderung der bestehenden Betriebsanlage im Standort Wienerwald, Mödlingbachgasse (Grundstück Nr. 231/5, KG. Sulz im Wienerwald) unter Auflagen. Die Abänderung umfaßte die bauliche und maschinentechnisch geänderte Ausführung der gewerbebehördlich genehmigten Fernwärmeversorgungsanlage (Biomasseheizung).

Mit Bescheid des Landeshauptmannes für Niederösterreich vom 10. Oktober 1995 wurde der Berufung u.a. der Beschwerdeführer keine Folge gegeben und der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 31. Jänner 1995 bestätigt; die Berufung u.a. der Beschwerdeführer wurde, soweit sie sich auf Verstöße gegen Bestimmungen der NÖ Bauordnung bzw. von Widmungsvorschriften bezog, im Grunde des § 356 Abs. 3 GewO 1994 als unzulässig zurückgewiesen; die Berufung wurde, soweit eine Gefährdung der Umwelt durch Lieferung und Verbringung der Heizstoffe (Heizöl) in die Betriebsanlage befürchtet wurde, im Grunde des § 42 Abs. 1 AVG abgewiesen (Spruchpunkt 1.).

Mit Bescheid des Landeshauptmannes für Niederösterreich vom 17. November 1995 wurde aufgrund der Berufung u.a. der Beschwerdeführer der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 6. Juni 1995 insoweit abgeändert, als die unter Spruchteil A des zitierten Bescheides aufgenommene Betriebsbeschreibung präzisiert und das Projekt in diesem Punkt eingeschränkt wurde (Spruchpunkt I); im übrigen wurde der Berufung keine Folge gegeben und der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 6. Juni 1995 bestätigt (Spruchpunkt II).

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Vorstellung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Gemeinderates der Zweitmitbeteiligten vom 11. November 1994 als unbegründet ab. Begründend wurde hiezu ausgeführt, daß die Errichtung einer Fernwärmeanlage durch die Erstmitbeteiligte im gegenständlichen Standort einer gewerbebehördlichen Bewilligung bedürfe, wobei die Errichtung einer vollautomatischen Ölfeuerungsanlage sowie eines 10.000-Liter-Heizöltanks zweifellos als Errichtung eines Teils dieser Betriebsanlage anzusehen sei. Daraus ergebe sich, daß aufgrund der Bestimmung des § 118 Abs. 9 letzter Satz der NÖ Bauordnung 1976 in der Fassung der Novelle LGBl. 8200-12 im Bauverfahren subjektiv-öffentliche Rechte nur durch die Bestimmung des § 118 Abs. 9 Z. 4 leg. cit. begründet würden. Die Novelle LGBl. 8200-12 sei am 21. September 1994 im Landesgesetzblatt kundgemacht worden und daher mangels anderslautender Anordnung am 22. September 1994 in Kraft getreten. Die genannte Novelle enthalte keine Übergangsbestimmung, die zitierte Regelung sei daher ab ihrem Inkrafttreten uneingeschränkt anzuwenden, somit auch auf anhängige Verfahren. Somit sei im Beschwerdefall der Baubehörde zweiter Instanz ein Projekt vorgelegen, das zweifellos einer gewerbebehördlichen Bewilligung bedurft habe, und es sei daher diese Behörde zu Recht davon ausgegangen, daß subjektiv-öffentliche Rechte der Beschwerdeführer nur durch die Regelungen der NÖ Bauordnung 1976 über die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe und die Abstände der Fluchtlinien zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung begründet würden. Eine Verletzung solcher Vorschriften hätten die Beschwerdeführer im gesamten Bauverfahren nie behauptet. Auch dann, wenn andere Nachbarrechte als die im § 118 Abs. 9 Z. 4 der NÖ Bauordnung 1976 in anderen Verfahren als im Baubewilligungsverfahren nicht berücksichtigt werden könnten, bestünden sie auch im Baubewilligungsverfahren nicht. Eine Bestimmung wie § 118 Abs. 9 Z. 4 der NÖ Bauordnung 1976, in der ausdrücklich von den Rechten der Nachbarn die Rede sei, könne nicht bloß im Sinne einer Ergänzung der Verfahrensbestimmung des § 99 Abs. 4 leg. cit. verstanden werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die dem Verwaltungsgerichtshof vorliegende Beschwerde, in der sich die Beschwerdeführer u.a. deshalb in ihren Rechten verletzt erachten, weil das Bauvorhaben trotz Verletzung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte nach § 118 der NÖ Bauordnung 1976 bewilligt worden sei.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, wie die Mitbeteiligten, eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführer führen aus, den Parteien (Nachbarn) müsse es möglich sein, auf die Einhaltung der Flächenwidmung dringen und unzulässige Immissionen abwehren zu können. Die Beschwerdeführer hätten als Anrainer ein Recht auf Einhaltung der Widmung "Bauland-Sondergebiet". Die Ölfeuerungsanlage sei mit dieser Widmung wegen zu hoher Immissionen nicht in Einklang zu bringen. Im Hinblick darauf, daß im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren auf die Baubehörde verwiesen worden sei und Einwendungen hinsichtlich unzulässiger Emissionen oder Einhaltung der materiell richtigen Widmungskategorie als unzulässig zurückgewiesen worden seien, habe die belangte Behörde zu Unrecht das Einwendungsrecht der Beschwerdeführer allein auf Einwendungen im Sinne des § 118 Abs. 9 Z. 4 der NÖ Bauordnung 1976 beschränkt.

§ 118 Abs. 9 der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-12, lautet auszugsweise:

"(9) Subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer werden durch jene Vorschriften begründet, welche nicht nur den öffentlichen Interessen dienen, sondern im Hinblick auf die räumliche Nähe auch dem Anrainer. Hiezu gehören insbesondere die Bestimmungen über

...

4. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe und die Abstände der Fluchtlinien zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung.

Wenn ein Bauvorhaben außer der baubehördlichen auch einer gewerbebehördlichen Bewilligung bedarf, werden subjektiv öffentliche Rechte nur durch die Bestimmung gemäß Ziffer 4 begründet."

Der letzte Satz der Z. 4 des § 118 Abs. 9 der NÖ Bauordnung 1976 wurde mit der Novelle LGBl. 8200-12 eingefügt. Diese Novelle ist am 22. September 1994 in Kraft getreten und enthält keine Übergangsbestimmung; der Gemeinderat wendete sie daher bei Erlassung des Bescheides vom 11. November 1994 zu Recht an.

Bei der Entscheidung darüber, ob die von den Beschwerdeführern behauptete Verletzung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte vorliegt, hatte der Verwaltungsgerichtshof § 118 Abs. 9 der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-12, insbesondere dessen letzten Satz anzuwenden, weil die Anlage auch einer gewerbebehördlichen Bewilligung bedarf.

Der Verwaltungsgerichtshof schloss sich den Bedenken, die der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss vom 16. Juni 1998, B 1364/96-10, gegen diese Bestimmung geäußert hatte, an, und beantragte mit Beschluss vom 24. November 1998, Zl. A 88/98, gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG die Feststellung, dass § 118 Abs. 9 letzter Satz der Nö Bauordnung 1976, LGBl. Nr. 8200-12, verfassungswidrig war.

Mit Erkenntnis vom 9. Dezember 1998, G 134/98 und G 237/98, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass § 118 Abs. 9 letzter Satz der Niederösterreichischen Bauordnung 1976, LGBl. 8200-14, verfassungswidrig war und dass die verfassungswidrige Bestimmung auch in dem beim Verwaltungsgerichtshof zur Zl. 96/05/0020 (nunmehr: 99/05/0035) anhängigen Verfahren nicht mehr anzuwenden sei.

Da die belangte Behörde ihre abweisende Vorstellungsentscheidung ausschließlich auf die nunmehr vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Bestimmung gestützt hatte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Sie wird die Vorstellung, ausgehend von der bereinigten Rechtslage zu prüfen haben. Insbesondere wird zu klären sein, ob mit dem Bescheid des Gemeinderates vom 11. November 1994 den Anforderungen, die die Vorstellungsbehörde mit ihrem aufhebenden Bescheid vom 15. Mai 1991 vorgegeben hat, entsprochen wurde.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Die beantragte mündliche Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG entfallen.

Wien, am 23. März 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999050035.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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