Entscheidungsdatum
19.03.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W191 2186148-2/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Eva Velibeyoglu, Österreichische Flüchtlings- und MigrantInnenhilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.11.2018, Zahl 1178279706-180945255, den Beschluss:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
1. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1. Vorverfahren:
1.1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein indischer Staatsangehöriger, reiste irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 07.01.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).
1.1.2. In seiner Erstbefragung am 08.01.2018 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Wesentlichen an, dass er aus dem Bundesstaat Punjab stamme, die Sprachen Punjabi und Hindi spreche und der Religionsgemeinschaft der Sikhs angehöre. Er habe von 1997 bis 2009 die Schule besucht und zuletzt als Landwirt gearbeitet. In Indien würden seine Mutter und seine Schwester leben; sein Vater sei bereits verstorben.
Zu seinem Fluchtgrund befragte gab der BF an, dass er und andere Jugendliche aus seinem Dorf sich der Aam Admi Partei angeschlossen hätten. Der Dorfrat gehöre jedoch der Kongresspartei an. Bei der Wahl hätte ihre Partei verloren und habe der Dorfrat ihn deswegen durch die Polizei festnehmen und schlagen lassen. Weiters habe der BF ein Problem mit seinem Onkel bezüglich eines Grundstückes, dieser habe ihm mit dem Umbringen gedroht. Für den Fall einer Rückkehr fürchte er um sein Leben.
1.1.3. Mit Schreiben vom 08.01.2018 wurde dem BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme zu "den aktuellen Länderberichten zur Situation im Herkunftsstaat" (anzunehmenderweise ein Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA) abzugeben.
1.1.4. In seiner Einvernahme vor dem BFA am 15.01.2018 bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben und gab weiters an, dass er nach der Schule in der eigenen, vom Vater geerbten Landwirtschaft gearbeitet und ferner 20 Kühe besessen habe. Ihm sei es wirtschaftlich sehr gut gegangen und er habe durch seine Arbeit ungefähr 40.000 Rupien monatlich verdient. Er sei ledig und kinderlos. Im Herkunftsstaat hätten zum Zeitpunkt seiner Ausreise seine Mutter und seine Schwester gelebt, er wisse jedoch nicht, wo sie sich derzeit aufhielten. Sein Onkel mütterlicherseits hätte deren Ausreise organisiert, da sie einmal wegen des BF angegriffen worden seien. Der BF habe die Kühe vor seiner Ausreise verkauft, es gäbe aber das Grundstück noch, wobei das Haus leer stehe. Er sei gesund.
Der BF wurde in weiterer Folge zu seinem angegebenen Fluchtgrund befragt. Belege für sein Vorbringen legte er keine vor.
Zu seinen Lebensumständen in Österreich gab der BF an, dass er hier keine Verwandten oder sonstigen Familienangehörigen habe. Er lebe in einem Flüchtlingsheim und von der Grundversorgung. Er sei nicht Mitglied in irgendwelchen Vereinen oder Organisationen und kenne auch niemanden im Bundesgebiet.
Am Ende der Einvernahme wurde dem BF die Möglichkeit eingeräumt, zu den aktuellen Länderberichten zu Indien, welche ihm bereits mit Schreiben vom 08.01.2018 übermittelt worden waren, eine Stellungnahme abzugeben. Dazu gab der BF an, dass er diese nicht gelesen habe. Auch der bei der Einvernahme anwesende Rechtsberater gab keine Stellungnahme ab.
1.1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 18.01.2018, Zahl 1178279706-180022076, den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 07.01.2018 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG) in Verbindung mit § 9 BFA-VG. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55, 57 AsylG wurden dem BG nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage zwei Wochen [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei unglaubhaft und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des BF sowie gegen eine Ausweisung des BF nach Indien. Überdies stünde dem BF eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde, Abschiebungshindernis läge keines vor.
Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der sehr kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen und es komme daher auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG nicht in Betracht. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Indien. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.
1.1.6. Die gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachte Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 21.08.2018, W169 2186148-1/5E, gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG, § 9 BFA-VG und §§ 52, 55 FPG mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der erste Spruchteil des Spruchpunktes III. wie folgt laute: "Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 wird nicht erteilt".
Die Entscheidung erwuchs mit 24.08.2018 in Rechtskraft.
1.2. Gegenständliches (aktuelles) Verfahren:
1.2.1. Nachdem der BF trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung im Bundesgebiet verblieb, führte das BFA ein Verfahren betreffend aufenthaltsbeende Maßnahmen und übermittelte dem BF im Rahmen des Parteiengehörs ein Schriftstück "Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme" vom 29.10.2018.
Darin wurde dem BF vorgehalten, dass er seiner rechtskräftigen Ausreisepflicht nicht nachgekommen sei, sodass beabsichtigt sei, eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem auf die Dauer von zwei Jahren befristeten Einreiseverbot zu erlassen. Mehrere Fragen zu den Lebensumständen des BF wurden gestellt und eine Frist von 14 Tagen eingeräumt.
1.2.2. Mit E-Mail vom 12.11.2018 übermittelte der nunmehrige gewillkürte Vertreter seine Vertretungsvollmacht und teilte mit, dass der BF das Schriftstück nicht hätte beheben können, da er keine Identitätskarte besitze. Man ersuche daher, das Schriftstück an den "angewiesenen" Rechtsvertreter zu übersenden.
1.2.3. Mit - gegenständlich angefochtenem - Bescheid vom 22.11.2018 wurde dem BF in Spruchpunkt I. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Es wurde gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). In Spruchpunkt IV. wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt V.).
In der Bescheidbegründung wurde ausgeführt, dass der BF nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG erfülle. Die angeblichen Fluchtgründe des BF seien rechtskräftig für unglaubhaft befunden worden und der Erlassung einer (neuerlichen) Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen, zumal er seiner Verpflichtung zur Ausreise bisher nicht gefolgt sei. Die Abschiebung des BF nach Indien sei weiterhin zulässig. Sein beharrliches illegales Verbleiben im österreichischen Bundesgebiet stelle eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen, auf die nationale Sicherheit, das wirtschaftliche Wohl und andere angeführte Interessen dar. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.
1.2.4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schreiben seines Vertreters ohne Datum fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde wegen "inhaltlich falscher Entscheidung und mangelhafter Verfahrensführung".
Begründend wurde der Verfahrensgang knapp zusammengefasst wiederholt und moniert, dass der BF unbescholten sei, am Verfahren stets kooperativ mitgewirkt habe und mangels Identitätspapieren nicht hätte zurückkehren können. Aus diesem Grund habe er auch die Aufforderung zur Stellungnahme nicht bei der Post beheben können, erst sein Rechtsvertreter habe diese Aufforderung am 13.11.2018 übernommen. Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid habe er am 20.11.2018 - und somit auch rechtzeitig innerhalb der eingeräumten Frist - eine Stellungnahme erstattet.
Die Verhängung eines Einreiseverbotes sei ohne Anlass und ohne gesetzlichen Grund. Der BF sei unbescholten und keine Belastung für öffentliche Gebietskörperschaften, eine Bedrohung oder Gefährdung von öffentlichen Interessen gehe von ihm nicht aus.
Weiters könne die belangte Behörde nicht erklären, warum nach einer Rückkehrentscheidung im August nun schon weder eine Rückkehrentscheidung erlassen werde ("so als ob jene von August nicht gültig wäre").
Die Voraussetzungen für die Ausstellung einer Karte für Geduldete lägen vor.
1.2.5. Da die in der Beschwerde angeführte Stellungnahme des BF bzw. seines Vertreters weder im angefochtenen Bescheid Erwähnung fand, noch dem Verwaltungsakt einlag, ersuchte das erkennende Gericht das BFA mit Schreiben vom 13.03.2019 um Mitteilung, ob und wann eine solche Stellungnahme beim BFA eingelangt sei, und zutreffendenfalls um Übermittlung derselben.
1.2.6. Mit Schreiben vom 14.03.2019 übermittelte das BFA - ohne nähere Erläuterung dazu, ob und warum diese dem Verwaltungsakt nicht einliegt, und ob und inwiefern sie bei der Bescheiderlassung berücksichtigt worden sei, und wenn nicht, warum nicht - die angesprochene Stellungnahme vom 20.11.2018.
Der BF (bzw. sein Vertreter) moniert darin, dass eine Begründung für die beabsichtigte Erlassung eines Einreiseverbotes der Verständigung nicht zu entnehmen sei. Der BF stelle keine Gefährdung für die öffentliche Ordnung dar und sei auch nicht freiwillig rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig, da ihm mangels Reisedokumentes eine Ausreise nicht möglich sei.
Er sei arbeitswillig und -fähig und stelle keine Belastung für die öffentliche Hand dar. Er habe bis dato Sozialhilfe nicht in Anspruch genommen.
2. Rechtliche Beurteilung und Beweiswürdigung:
2.1. Anzuwendendes Recht:
Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das FPG und das AsylG verweisen, anzuwenden.
Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung).
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht (VwG), wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen.
2.2. Rechtlich folgt daraus:
Zu Spruchteil A):
2.2.1. Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde wurde am 24.12.2018 beim BFA eingebracht und ist nach Vorlage am 04.01.2019 beim BVwG eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.
2.2.2. Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das VwG den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, sofern die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.
Zur Anwendung der Vorgängerbestimmung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat - an dessen Stelle als Rechtsmittelinstanz in Asylsachen mit 01.07.2008 der Asylgerichtshof und mit 01.01.2014 das BVwG getreten ist - hat der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) mit Erkenntnis vom 21.11.2002, 2002/20/0315, ausgeführt:
"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. dazu unter dem besonderen Gesichtspunkt der Auslegung der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde im abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 AsylG die Ausführungen im Erkenntnis vom 23.07.1998, 98/20/0175, Slg. Nr. 14.945/A, die mehrfach vergleichend auf § 66 Abs. 2 AVG Bezug nehmen; zu diesem Erkenntnis siehe auch Wiederin, ZUV 2000/1, 20 f.)"
Mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, hat der VwGH einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss eines VwG aufgehoben, weil das VwG in der Sache selbst hätte entscheiden müssen. In der Begründung dieser Entscheidung führte der VwGH unter anderem aus, dass die Aufhebung eines Bescheides durch ein VwG nicht in Betracht kommt, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies werde jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen werde insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen ließen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hätte, damit diese dann durch das VwG vorgenommen werden.
2.2.3. Der BF ist im Jahr 2018 illegal nach Österreich eingereist und nach rechtskräftig negativer Beendigung seines Verfahrens betreffend internationalen Schutz mit 24.08.2018 im Inland verblieben.
Grundsätzlich ist es dann schon die Aufgabe der Behörde, auf die Setzung aufenthaltsbeendigender Maßnahmen hinzuwirken, da trotz Bestehens einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung der Umstand, dass der BF - über einen erheblichen Zeitraum hinaus - rechtswidrig im Land verbliebe, geeignet wäre, einen Anlass für die Erlassung einer neuerlichen Rückkehrentscheidung - und somit keinen Verstoß gegen den Grundsatz "ne bis in idem" - zu begründen.
Diesfalls war es jedoch die Aufgabe der belangten Behörde, ein ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes zu führen.
Dazu gehört im vorliegenden Fall eine Einvernahme des BF, in der maßgebliche Umstände, wie seine Bereitschaft, persönliche Reisedokumente vorzulegen oder in Ermangelung solcher auf die Erlangung von Ersatzreisepapieren hinzuwirken, zu prüfen waren.
Das BFA hat jedoch lediglich ein schriftliches Parteiengehör eingeräumt und auch auf den erhaltenen Hinweis, dass der BF über Identitätspapiere nicht verfüge, keine weitere Prüfung vorgenommen. Das BFA hat auch nicht die selber gewährte Frist für die Abgabe einer Stellungnahme abgewartet, sondern schon vor Ablauf der Frist den Bescheid erlassen. Erst auf den Hinweis in der Beschwerde und auf ausdrückliches Ersuchen durch das erkennende Gericht hat das BFA diese offenbar nach Bescheiderlassung erhaltene Stellungnahme des BF im Nachhinein dem BVwG - ohne jegliche Erklärung für dieses Vorgehen bzw. Unterlassen - übermittelt.
Einen weiteren Grund für die grobe Mangelhaftigkeit des geführten Verfahrens stellt der Umstand dar, dass das BFA u.a. eine Rückkehrentscheidung erlassen hat, ohne in der Begründung Feststellungen über die Lage im Herkunftsstaat zu treffen. Solche wurden weder in das Verfahren eingebracht, noch finden sich im Bescheid allenfalls Feststellungen darüber, dass sich die Lage im Vergleich zum noch nicht lange zurückliegenden Entscheidungszeitpunkt im Asylverfahren nicht erheblich geändert hätte.
Dass im gegenständlich angefochtenen Bescheid in Spruchpunkt I. eine neuerliche Absprache gemäß § 57 AsylG getroffen wurde, steht im Spannungsverhältnis zum bereits angesprochenen Grundsatz von "ne bis in idem" und mag der gesetzlichen Bestimmung des § 58 Abs. 1 Z 5 AsylG geschuldet sein.
Was das Einreiseverbot anbelangt, so kommt die Erlassung eines solchen grundsätzlich bei Verbleiben im Bundesgebiet nach rechtswidrigem Aufenthalt in erheblichem Ausmaß schon in Betracht, doch ist auch hier der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie den Sachverhalt nur rudimentär - siehe die Ausführungen oben zur Rückkehrentscheidung - geprüft hat.
Dazu kommt, dass der BF - nicht so wie bei dem der Entscheidung des VwGH vom 31.01.2019, Ra 2018/14/0197, zugrunde liegenden Sachverhalt - seinen Angaben zufolge keine Sozialleistungen in Anspruch genommen hat und somit auch der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG (Mittellosigkeit) nicht angewendet wurde.
Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes lediglich auf die allgemeine Bestimmung des § 53 Abs. 2 FPG zu stützen, kommt zwar grundsätzlich in Betracht, doch ist auch dafür die Durchführung eines hinreichenden Ermittlungsverfahrens erforderlich.
Das BFA hat jedoch nicht einmal ansatzweise ermittelt, ob und warum der BF eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstelle, sowie ob es nachvollziehbare Gründe gäbe, die den Verbleib des BF im Inland erklären bzw. rechtfertigen würden.
2.2.4. Da somit das BFA im vorliegenden Fall in mehrfacher Weise kein hinreichendes Ermittlungsverfahren geführt hat, den Grundsatz des Parteiengehörs erheblich verletzt hat - und auch die vorgenommene Beweiswürdigung nicht einmal als rudimentär bezeichnet werden kann -, ist zusammenfassend festzustellen, dass das BFA nicht mit der ihm gebotenen Genauigkeit und Sorgfalt vorgegangen ist und die Sachlage nicht ausreichend erhoben bzw. sich (in der Bescheidbegründung) nur mangelhaft mit den Angaben des BF und den Beweisergebnissen auseinandergesetzt hat.
Im gegenständlichen Fall sind der angefochtene Bescheid der belangten Behörde und das diesem zugrunde liegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren der belangten Behörde mit den oben dargestellten schweren Mängeln behaftet. Die Vornahme der angeführten Feststellungen und Erhebungen durch das BVwG selbst verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des VwGH und unter Effizienzgesichtspunkten, zumal diese grundsätzlich vom BFA durchzuführen sind.
2.2.5. Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA die dargestellten Mängel zu verbessern und in Wahrung des Grundsatzes des Parteiengehörs dem BF die Ermittlungsergebnisse zur Kenntnis zu bringen haben.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
In der rechtlichen Beurteilung (Punkt 2.) wurde unter Bezugnahme auf die Judikatur des VwGH ausgeführt, dass im erstbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, weil § 28 Abs. 3 2. Satz inhaltlich § 66 Abs. 2 AVG (mit Ausnahme des Wegfalls des Erfordernisses der Durchführung einer mündlichen Verhandlung) entspricht, sodass die Judikatur des VwGH betreffend die Zurückverweisung wegen mangelhafter Sachverhaltsermittlungen, die in ihren wesentlichen Grundzügen auch mit der aktuellen Entscheidung des VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur neuen Rechtslage bestätigt worden ist, heranzuziehen ist. Im Übrigen trifft § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eine klare Regelung (im Sinne der Entscheidung des OGH vom 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb auch aus diesem Grund keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W191.2186148.2.00Zuletzt aktualisiert am
09.05.2019