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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz betreffend die Konvertierung eines afghanischen Staatsangehörigen vom Islam zum Christentum; keine Nachvollziehbarkeit der Begründung des – von der inneren Überzeugung nicht getragenen – ReligionswechselsSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Nach seiner Einreise in das Bundesgebiet stellte er am 3. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte zu seinen Fluchtgründen vor, er habe in Afghanistan gemeinsam mit einem Freund ein Buch über die Zeugen Jehovas gelesen. Nach einem Überfall von Dorfbewohnern habe der Beschwerdeführer dem Freund sein Motorrad geliehen, damit dieser habe fliehen können. In der Folge sei auch der Beschwerdeführer verdächtigt worden, vom Islam abgefallen zu sein, und sei von der Dorfbevölkerung bedroht und verfolgt worden. Der Beschwerdeführer sei zunächst in den Iran ausgereist, nach sechs Jahren aber nach Afghanistan abgeschoben worden. Er habe sich in Herat niedergelassen, sei dort jedoch von Personen aus seinem Heimatdistrikt erkannt worden. Es sei erneut behauptet worden, dass er Christ sei. Nachdem er auf dem Weg nach Kabul, wo er sich einen Reisepass habe ausstellen lassen wollen, von den Taliban überfallen und verletzt worden sei, habe er Afghanistan verlassen.
2. Am 14. März 2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) einvernommen und legte ein Taufzeugnis der Iranischen christlichen Gemeinde in der Evangeliumsgemeinde Favoriten vom 29. Dezember 2016 vor. Am 5. Mai 2017 wurde der Beschwerdeführer erneut vom BFA einvernommen und zur behaupteten Zugehörigkeit zum Christentum befragt.
Mit Bescheid des BFA vom 10. Jänner 2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 leg.cit. als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgesetzt.
Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer eine Beschwerde, in der er sein Vorbringen wiederholte und ausführte, UNHCR habe in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 29. April 2016 mehrere Risikoprofile aufgezählt, wobei das Profil des Beschwerdeführers mindestens zwei davon entspreche, nämlich jenem Angehöriger religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet werde, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben, sowie jenem Angehöriger gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten. Dem Beschwerdeführer drohe in Afghanistan Verfolgung als Zugehöriger zur Volksgruppe der Hazara sowie auf Grund seiner religiösen Überzeugung und der ihm deshalb von regierungsfeindlichen Kräften unterstellten feindlichen politischen Gesinnung. Zudem sei die Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Kabul als äußerst prekär einzustufen, sodass dem Beschwerdeführer eine Niederlassung dort nicht zumutbar sei.
3. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der der Beschwerdeführer insbesondere zu den Gründen seines Religionswechsels befragt wurde und auszugsweise folgende Angaben machte:
"BF: Ich hatte in Afghanistan keine Information über den islamischen Glauben. Ich bin als Moslem auf die Welt gekommen und ich habe diesen Glauben geerbt. Nach dem mir mein Onkel erzählt hat, dass die Taliban meinen Vater und meine Mutter getötet haben, habe ich begonnen mich mit dem Glauben zu beschäftigen. Es gibt einige Gründe warum ich mich für das Christentum entschieden habe, nämlich: Dass es im Islam keine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau gibt und der Frau nur halb so viel Wert beigemessen wird, wie einem Mann. Im Christentum sind Frauen gleichberechtigt. Im Islam gibt es die Blutrache.
Blut wird mit Blut vergolten. Jesus hat gesagt, dass wenn man von jemanden geohrfeigt wird, soll man ihm die andere Gesichtshälfte hinhalten und auf keinen Fall Rache üben. Jesus hat einer Frau, die Ehebruch begangen hatte, vergeben und er hat einen blinden Mann geheilt. Mohammad hat eine Frau, die Ehebruch begangen hatte, zum Tode verurteilt und eine blinde Person wurde von ihm nicht akzeptiert. Im Christentum gibt es keine Scheidung, im Islam jedoch schon. Ein Moslem darf vier Frauen heiraten. In islamischen Ländern dürfen Frauen nicht Richterinnen werden. All diese Gründe haben zu meiner Entscheidung, zum Christentum zu konvertieren, geführt.
[…]
RI: Früher haben Christen auch Andersdenkende getötet. Warum haben Sie sich trotzdem für das Christentum entschieden?
BF: Ich habe Ihre Frage nicht verstanden.
RI: Früher haben Menschen, im Namen des Christentums, andere Menschen getötet und ausgebeutet, was sagen Sie dazu?
BF: Darüber weiß ich nichts, ich gebe an, dass wenn in einem islamischen Land, jemand den islamischen Glauben ablegt und einen anderen annimmt, dieser getötet werden darf bzw die Tötung dieser Person erlaubt ist.
RI: Habe[…] ich Sie richtig verstanden, dass Ihnen die historische Entwicklung des Christentums nicht bekannt ist?
BF: [I]ch weiß nur, dass vor 500 Jahren, in Deutschland, das Christentum durch Martin Luther entstanden ist. Ich meine damit nur den Glaubenszweig der Protestanten.
RI: Was unterscheidet die Protestanten von den Katholiken?
BF: Ich kenne keine Untersch[ie]de. Ich glaube, dass es nicht von Bedeutung ist, ob man Protestant oder Katholik ist. Das Wichtigste ist es, dass man zu Gott steht. In meiner letzten Einvernahme bin ich ebenfalls nach den Unterschieden zwischen den Katholiken oder Protestanten gefragt worden. Ich hatte damals auch keine Informationen und habe angegeben, dass die Katholiken einen bestimmten Beitrag an ihre Kirche bezahlen müssen und dass für die Protestanten dieser Beitrag entfällt.
RI: Wenn es keinen Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten gibt, warum hat Martin Luther dann den Glaubenszweig der Protestanten erschaffen?
BF: Martin Luther war selbst ein Katholik. Er hat nicht daran geglaubt, dass ein Kind acht Tage nach der Geburt getauft werden sollte und deshalb hat er den Glaubenszweig der Protestanten gegründet, als Protestant wird man dann getauft, wenn man den Glauben vollständig angenommen hat.
RI: Auf der Homepage der Evangelischen Kirche Salzburg Tirol (www.sichtbar-evangelisch.at) steht, dass die Kindertaufe bis zum ersten Lebensjahr nach wie vor de[n] Regelfall darstellt. Was sagen Sie dazu?
BF: Ich habe darüber keine Informationen.
RI: Beschreiben Sie mir die wesentlichen Schritte auf Ihre[m] persönlichen Weg zum Christentum in Österreich.
BF: Als ich am ersten Tag nach Österreich gekommen bin, wurde ich von den Menschen hier sehr freundlich aufgenommen. Es gab für uns Essen, Kleidung und einen Schlafplatz. Mir hat das Verhalten der Leute sehr gut gefallen und ich habe mich für den Glauben dieser Leute interessiert. Ich bin dann mit einem Freund in eine iranische Kirche gegangen und habe mich entschlossen Christ zu werden.
RI: Was waren die nächsten Meilensteine?
BF: Mein Unterricht hat dann am 07.04.2016 begonnen. Am 17.07. hat dann mein Taufunterricht begonnen, welcher vier Monate gedauert hat. Am 29.12.2016 wurde ich dann getauft.
RI: Was war Ihr persönlicher Beweggrund sich dem Christentum zuzuwenden?
BF: Für mich waren die Untersch[ie]de zwischen dem ls[l]am und dem Christentum, der Hauptgrund meiner Konversion. Ich habe schon einige Untersch[ie]de genannt und kann auch weitere aufzählen.
RI: Wie hat sich Ihr Leben verändert, nachdem Sie Christ geworden sind?
BF: Ich fühle mich als Christ sehr gut, zum Zeitpunkt, als ich noch in islamischen Ländern gelebt habe, hatte ich keine guten Gefühle. Ich habe gestritten. Seit ich Christ bin, habe ich mich dahingehend verändert.
RI: Was hat dies mit dem Umstand zu tun, dass Sie jetzt Christ sind?
BF: Ich meine damit, dass mit dem Islam Krieg verbunden ist. In islamischen Ländern gibt es keine Sicherheit und keinen Frieden. Das Christentum handelt von Liebe, Leidenschaft und Freundschaft.
[…]
RI: Was wissen sie von den Zeugen Jehovas?
BF: Ich kann mich nicht mehr daran erinnern.
RI: Beschreiben Sie mir den christlichen Jahreskreis bzw das Kirchenjahr. Welche christlichen Feste werden jedes Jahr gefeiert?
BF: Am 25. Dezember wird die Geburt Christi gefeiert, danach kommt das Osterfest. Zu Ostern ist Jesus gekreuzigt worden und wieder von den Toten auferstanden. Danach wird Pfingsten gefeiert und dann wird Christi Himmelfahrt gefeiert.
RI: Und was feiert man zu Pfingsten?
BF: Zu Pfingsten, geht es um den heiligen Geist. Der Heilige Geist kommt auf die Erde.
RI: Welches Ereignis im Leben Jesus Christus ist maßgeblicher Bestandteil des Christentums?
BF: Jesus konnte Tote zum Leben erwecken. Er hat bei einer Hochzeitsfeier, Wasser in Wein verwandelt und er konnte Blinde bzw Kranke heilen. Jesus Christus ist der Retter der Menschheit, er hat sich für unsere Sünden geopfert und wurde gekreuzigt.
RI: Erklären Sie mir die Bedeutung von Jesus im Islam bzw im Christentum?
BF: Im Islam ist Jesus ein Prophet. Im Christentum ist er Sohn Gottes. Die Muslime sagen, dass jene Leute die Jesus als Sohn Gottes bezeichnen, Ungläubige bzw 'Kafer' sind.
RI: Seit wann wissen Sie das?
BF: Seit ich hier bin und darüber gelesen habe.
RI: Verfügen Sie über eine eigene Bibel? In welcher Sprache? Hilft Ihnen jemand beim Bibelstudium?
BF: Ja, in Farsi. Ich lese die Bibel allein und verstehe sie.
RI: Haben Sie eine Lieblingsstelle in der Bibel?
BF: Ja, im Buch Matthäus ist an einer Stelle angeführt, dass man sich mit den Nachbarn anfreunden soll und mit den Feinden anfeinden soll. Jesus sagt aber man soll sich mit seinen Feinden anfreunden und für diejenigen die einem schlechtes wollen, soll man beten.
RI: Welche Gebete kennen Sie?
BF: Ich kenne das 'Vater Unser'. Ich kenne auch einige weitere Gebete, weil man diese bei der Taufe aufsagen muss 'Das Gebet der Jünger'.
RI fordert den BF auf das 'Vater Unser' aufzusagen. Der RI unterbricht an einer Stelle 'Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.' Und fordert den BF auf diese Stelle zu erklären.
BF: An dieser Stelle wird gesagt, dass man all jenen die einem etwas schulden oder einem etwas Böses antun wollen, vergeben soll.
RI: Wann haben Sie zum letzten Mal etwas in diesem Sinne gemacht?
BF: Ich bete immer zu Gott und ersuche ihn unseren Feinden den wahren Weg zu zeigen.
RI: Welche Kernbotschaft enthalten diesen Zeilen?
BF: Das Christentum handelt von Liebe, Glaube, Freundschaft, Leidenschaft usw
RI: Was wird zu Oster[n] gefeiert?
BF: Jesus Christus ist drei Tage nach seinem Tod von den Toten wiederauferstanden.
RI: Was ist dann passiert?
BF: Er ist in den Himmel aufgestiegen.
RI: Welche letzten Worte tätigte Jesus am Kreuz?
BF: Er hat zu Gott gesprochen und er hat gesagt, weshalb er ihn alleine gelassen hat."
Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Bescheid des BFA erhobene Beschwerde ab. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht aus, der Beschwerdeführer habe hinsichtlich seiner Beweggründe bezüglich seiner Hinwendung zum Christentum insgesamt nicht glaubhaft vermitteln können, dass diese von einer inneren Überzeugung getragen seien. Zu den Gründen, die den Beschwerdeführer dazu bewogen hätten, zum Christentum zu konvertieren, sei nur bruchstückhaft eine religiöse bzw spirituelle Auseinandersetzung zu entnehmen. Er sei bei den Einvernahmen vor dem BFA nicht in der Lage gewesen, substantiiert zu beschreiben, was das Christentum für ihn persönlich ausmache und was das Besondere am christlichen Glauben für ihn sei, obwohl er bereits vor den Einvernahmen vor dem BFA rund ein Jahr lang regelmäßig an Veranstaltungen der Iranischen Christlichen Gemeinde teilgenommen habe und auch dort getauft worden sei. Auch wenn aus den Ausführungen des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung punktuell eine spirituelle Auseinandersetzung erkennbar sei, verweise er vielfach nur auf gesellschaftliche Probleme in islamischen Ländern.
Die Ausführungen des Beschwerdeführers zum Ablauf einer Messe seien trotz Nachfrage äußerst dürftig geblieben, den Ausführungen des Beschwerdeführers sei zu entnehmen, dass er an den Gottesdiensten nur passiv teilgenommen habe. Eine umfassende Wiedergabe von Details, wie es von Personen, welche sich tatsächlich einem neuen Glauben zugewandt haben und denen es gerade aus Begeisterung ein Bedürfnis ist, darüber zu sprechen, zu erwarten wäre, lasse der Beschwerdeführer – auch vor dem Hintergrund, dass ein Gottesdienst ein wesentliches Element der Glaubensausübung darstelle – vollkommen vermissen. Auch sei der Beschwerdeführer nur teilweise in der Lage gewesen, christliches Wissen zu vermitteln, so habe er – zumindest – die wichtigsten christlichen Feste im Jahr genannt, habe das Wesen des Osterfestes prägnant, aber hinsichtlich des Pfingstfestes nur teilweise beschreiben können, habe eine Lieblingsstelle aus der Bibel – sinngemäß – zitieren und das "Vater unser" beten können. Zu einer umfassenden Wiedergabe von Bibelwissen verbunden mit eigenen Gedanken, Details oder Zusammenhängen sei der Beschwerdeführer – trotz seiner Taufe und regelmäßigen Teilnahme an Veranstaltungen – jedoch nicht in der Lage gewesen. Vielmehr hätten sich insbesondere in der Beschwerdeverhandlung massive Lücken mit dem christlichen Glauben offenbart: So sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen, einen Unterschied von Protestanten bzw Katholiken zu erklären. Er habe von sich aus ausgeführt, dass es keine Unterschiede zwischen diesen beiden Konfessionen gäbe. Soweit der Beschwerdeführer zur Gründung des Glaubenszweiges der Protestanten durch Martin Luther angegeben habe, dieser habe die Kindertaufe abgelehnt, scheine klar, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Christentum, insbesondere mit dem evangelischen Glauben, beim Beschwerdeführer in keiner Weise stattgefunden habe.
Der Pastor der Iranischen Christlichen Gemeinde habe in der Beschwerdeverhandlung ausgeführt, dass in seiner christlichen Gemeinde auch Kirchengeschichte, insbesondere auch die dunklen Seiten im Mittelalter vermittelt würden. Im Gegensatz dazu habe der Beschwerdeführer erklärt, dass er nichts darüber wisse, dass auch früher Menschen, im Namen des Christentums andere Menschen getötet und ausgebeutet hätten. Auch hierin offenbare sich das mangelnde Interesse des Beschwerdeführers an der christlichen Gemeinschaft, zumal er nicht in der Lage sei, vermitteltes Wissen wiederzugeben. Auch habe sich in der Beschwerdeverhandlung gezeigt, dass der Beschwerdeführer den christlichen Grundsatz des achten Gebotes "Du sollst nicht lügen" – noch – nicht verinnerlicht habe. In diesem Zusammenhang sei auf die widersprüchlichen und gesteigerten Ausführungen zu den Fluchtgründen zu verweisen, die dazu geführt hätten, dass der Beschwerdeführer als persönlich unglaubwürdig festzustellen gewesen sei. In einer Gesamtschau könne daher weder festgestellt werden, dass der christliche Glauben wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden sei, noch, dass er seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weiter nachkommen würde und er sein Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nach außen zur Schau tragen würde. Sohin sei eine Scheinkonversion festzustellen gewesen.
Nach Überzeugung des Bundesverwaltungsgerichtes überwögen unter Berücksichtigung des Gesamteindruckes vom Beschwerdeführer, basierend auf seinem Aussageverhalten im Asylverfahren, seinem rudimentären Wissen um christliche Inhalte und den bereits zuvor dargestellten Aspekten, die Anhaltspunkte, dass es dem Beschwerdeführer lediglich darum gehe, den äußeren Anschein einer Konversion zur Erlangung einer positiven Entscheidung im Asylverfahren zu erwecken und dass er diese Religion im Rückkehrfall nicht leben bzw nach außen zur Schau tragen würde.
Da sich das Vorbringen zu einem Glaubenswechsel als nicht glaubhaft erwiesen habe, könne auch ein (impliziter) Abfall vom schiitischen Glauben nicht festgestellt werden, sodass als Glaubensüberzeugung des Beschwerdeführers noch "schiitischer Moslem" festzustellen gewesen sei. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan habe der Beschwerdeführer mit einer Verfolgung aus dem engsten Familienkreis nicht zu rechnen. Er habe zwar angegeben, mit seiner Frau in Afghanistan über seine Konversion gesprochen zu haben, es sei aber nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer weiteren Personen in Afghanistan von seiner (Schein-)Konversion erzählt habe, noch, dass seine Ehefrau anderen Menschen in Afghanistan davon erzählt habe. Es sei im Verfahren auch nicht hervorgekommen, dass sich der Beschwerdeführer kritisch gegenüber dem Islam geäußert habe, dass er missionarisch tätig werden würde oder dass die angebliche Konversion bzw das Interesse am christlichen Glauben des Beschwerdeführers in Österreich den afghanischen Staatsorganen bereits bekannt geworden sei.
Aus einer Gesamtschau der im Verfahren erörterten Länderinformationen ergebe sich, dass eine Person mit einem Profil wie jenem des Beschwerdeführers, der sich nicht aktiv überzeugt und tatsächlich auf Grund eines inneren Entschlusses zum Christentum bekennt und dieses lebt, sondern daran allenfalls Interesse gezeigt hat, bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ausgesetzt wäre. Ein Leben in der afghanischen Gesellschaft sei (sogar) für Personen, die über ihre Ablegung des islamischen Glaubens Stillschweigen bewahren, möglich. Schließlich sei aus den Länderinformationen zu entnehmen, dass niemand bei einer Rückkehr verdächtigt werde, dass er Christ oder Spion geworden wäre. Ausgenommen seien jene Personen, die selber Zeichen in diese Richtung gegeben hätten.
Probleme träten laut den Länderinformationen erst bei offener Kritik am Islam bzw erkennbar angenommenen anderen Glauben auf. Sollte, aus welchen Gründen auch immer, die Taufe des Beschwerdeführers im Falle einer Rückreise nach Afghanistan dort bekanntwerden, so könne der Beschwerdeführer laut den vorliegenden Länderinformationen seine Konversion innerhalb von drei Tagen widerrufen. Da der Beschwerdeführer nur zum Schein konvertiert und der christliche Glaube kein wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit sei, sei daher ein Widerruf des Beschwerdeführers problemlos möglich.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere in den Rechten auf Religionsfreiheit und auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, die "belangte Behörde" habe die Voraussetzungen für und das Vorliegen eines wirksamen Beitrittes zu einer gesetzlich anerkannten oder auch nicht anerkannten Kirche bzw Religionsgemeinschaft denkunmöglich beurteilt, weil das staatliche Recht die Voraussetzungen und die Form eines Beitrittes zu einer anerkannten Religionsgemeinschaft deren interner Regelung überlasse, das Gericht aber ausführe, dass die bloße Behauptung eines Interesses am Christentum zur Geltendmachung einer asylrelevanten Konversion zum Christentum nicht ausreiche. Durch die Feststellung, dass der Beschwerdeführer der schiitischen Glaubensrichtung des Islam angehöre, werde dieser auch in seiner negativen Religionsfreiheit verletzt.
Das Bundesverwaltungsgericht habe bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt, weil es unterlassen habe, zwischen der bekenntnismäßigen Zugehörigkeit einer Person, die sich zu einer bestimmten religiösen Lehre bekenne, und der (juristischen) Zugehörigkeit zu einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgemeinschaft zu unterscheiden. Theologisch komplexe Fragen zur historischen Entwicklung der Religionen seien weder geeignet, die subjektive Zugehörigkeit zur Iranischen Christlichen Gemeinde in Wien bzw zur Evangelischen Pfarrgemeinde A.u.H.B. Innsbruck, noch die juristische Zugehörigkeit zu einer dieser staatlich anerkannten Kirchen zu prüfen.
Letztlich sei der Beschwerdeführer auch im Recht auf Achtung des Privatlebens verletzt worden, weil das Bundesverwaltungsgericht die integrationsrelevanten Aspekte des Privatlebens des Beschwerdeführers fehlerhaft gewürdigt habe und das öffentliche Interesse am Verbleib des – in einem Lehrverhältnis stehenden – Beschwerdeführers im Inland übergangen habe.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Gemäß Art14 StGG ist jedermann die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet. Gemäß Art9 Abs1 EMRK hat jedermann das Recht auf Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit des Einzelnen, seine Religion einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben. Art9 Abs2 EMRK normiert einen materiellen Gesetzesvorbehalt: Demnach darf die Religionsfreiheit "nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind". Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit ist ein höchstpersönliches Recht, welches Inländern und Ausländern gleichermaßen zukommt (vgl Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht11, 2016, Rz 935, unter Hinweis auf VfSlg 13.513/1993).
3. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
4. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
4.1. Maßgeblich für die Gewährung von Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention sind – wie auch in §3 Abs2 AsylG 2005 zum Ausdruck kommt – nicht nur jene Gründe die den Antragsteller zum Verlassen des Herkunftsstaates bewogen haben, sondern auch jene, die zum Entscheidungszeitpunkt eine asylrelevante Verfolgung begründen können (vgl zB VfGH 27.2.2018, E2958/2017 mwN).
4.2. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes erfordert die Beachtung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Glaubens- und Gewissensfreiheit im Asylverfahren im konkreten Fall die Widerlegung, dass ein Religionswechsel aus innerer Überzeugung erfolgt ist. Sobald auf Grund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich ist, muss sich auf Grund der Persönlichkeit, aller Umstände der persönlichen Glaubwürdigkeit sowie darauf aufbauend einer ins einzelne gehenden Beweiswürdigung und allenfalls der Einvernahme von Personen, die Auskunft über den Glaubenswechsel und die diesem zugrunde liegenden Überzeugungen geben können, ein detaillierter Eindruck darüber verschafft werden, inwieweit der Religionswechsel auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruht (vgl VfSlg 19.837/2013; VfGH 22.9.2014, U2193/2013; 27.2.2018, E2958/2017).
4.3. Diesen Anforderungen wird das Bundesverwaltungsgericht hier nicht gerecht. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung gelangt es zu der Auffassung, der Beschwerdeführer sei nur teilweise in der Lage gewesen, christliches Wissen wiederzugeben. Er habe zwar das Wesen des Osterfestes prägnant, jenes des Pfingstfestes nur teilweise beschreiben können. Ebenso habe er zwar eine Lieblingsstelle aus der Bibel sinngemäß zitieren und das "Vater unser" beten können, zu einer umfassenden Wiedergabe von Bibelwissen verbunden mit eigenen Gedanken, Details oder Zusammenhängen sei er jedoch trotz seiner Taufe und regelmäßiger Teilnahme an Veranstaltungen nicht in der Lage gewesen. Massive Lücken in Bezug auf Kenntnisse über den christlichen Glauben hätten sich etwa darin offenbart, dass der Beschwerdeführer keinen Unterschied zwischen den Konfessionsrichtungen der Protestanten und der Katholiken habe erklären können. Auch wenn aus seinen Ausführungen punktuell eine spirituelle Auseinandersetzung erkennbar sei, verweise der Beschwerdeführer vielfach nur auf gesellschaftliche Probleme in islamischen Ländern.
4.4. Dem Bundesverwaltungsgericht kann nicht in seiner Auffassung gefolgt werden, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der richterlichen Befragung Wissenslücken offenbart habe, die geeignet seien, ein aufrichtiges Bekenntnis zum Christentum in Zweifel zu ziehen. Wenn das Bundesverwaltungsgericht das Wissen des Beschwerdeführers um christliche Inhalte in der Folge als "rudimentär" bezeichnet, ist diese Wertung vor dem Hintergrund der Angaben des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer war – wie auch das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat – in der Lage, die wesentlichen christlichen Feste zu beschreiben, konnte eine Lieblingsstelle aus der Bibel (samt Fundstelle) zitieren und ein Gebet wiedergeben bzw hat angegeben, dass er weitere Gebete kenne. Er hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht auch die Gründe dargelegt, weshalb der christliche Glaube für sein Leben eine tragende Bedeutung habe, hat dazu auf die von ihm genannten Unterschiede zwischen dem Islam und dem Christentum verwiesen und angeboten, weitere Unterschiede zu nennen. Im Zusammenspiel mit der Einschätzung des Zeugen, der von der Gläubigkeit des Beschwerdeführers überzeugt war, liegt nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ein starkes Indiz für einen aus innerer Überzeugung erfolgten Religionswechsel vor.
Soweit das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang geradezu zynisch festhält, der Beschwerdeführer habe den christlichen Grundsatz des achten Gebotes – Du sollst nicht lügen – (noch) nicht verinnerlicht, und dabei auf das als unglaubwürdig beurteilte Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers verweist, kommt dieser Argumentation kein Begründungswert zu (vgl VfSlg 20.105/2016).
4.5. Das Bundesverwaltungsgericht hat in willkürlicher Weise, da nicht nachvollziehbar, in der angefochtenen Entscheidung den vom Beschwerdeführer erfolgten Religionswechsel vom Islam zum Christentum als nicht von einer inneren Überzeugung getragen gewertet.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Religionsfreiheit, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2019:E4695.2018Zuletzt aktualisiert am
10.05.2019