Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. A*****, vertreten durch Mag. Stefan Hutecek und Mag. Katja Pfeiffer, Rechtsanwälte in Herzogenburg, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. November 2018, GZ 7 Rs 67/18a-12, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. März 2018, GZ 30 Cgs 3/18a-8, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:
„Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger aus Anlass der Geburt seines Kindes E***** am 25. 9. 2016 das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum von 25. 9. 2017 bis 24. 11. 2017 zu leisten.“
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, dem Kläger die mit 665,21 EUR (darin 110,87 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 609,67 EUR (darin enthalten 101,61 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 25. 9. 2016 geborene E***** ist das gemeinsame Kind des Klägers und seiner Ehefrau. Beide Eltern haben die Obsorge für E*****. Sie leben aber nicht zusammen, sondern haben ihre Hauptwohnsitze an verschiedenen Orten, die etwa 90 km voneinander entfernt sind. Die Eltern entschieden sich für die Inanspruchnahme des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgelds in der Leistungsart „12+2“ (nunmehr „365+61“). Demnach bezog die Ehefrau des Klägers nach Ende ihres Wochengeldanspruchs von 1. 12. 2016 bis 24. 9. 2017 das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 66 EUR täglich. Am 18. 10. 2017 beantragte der Kläger das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum von 25. 9. 2017 bis 24. 11. 2017.
Mit Bescheid vom 18. 11. 2017 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers ab.
Dagegen erhob der Kläger Klage auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgelds für den Zeitraum von 25. 9. 2017 bis 24. 11. 2017.
Die beklagte Partei wendet zusammengefasst ein, die Anspruchsvoraussetzung des gemeinsamen Haushalts im Sinn einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft sei nicht erfüllt, weil der Kläger mit dem Kind nur zwei Monate lang gemeinsam gewohnt habe. Außerdem liege die Voraussetzung der Mindestbezugszeit von zwei Monaten nicht vor, weil der Kläger von 25. 9. 2017 bis 30. 9. 2017 keinen Anspruch auf Familienbeihilfe gehabt und Familienbeihilfe auch tatsächlich nicht bezogen habe, sondern in diesem Zeitraum noch die Mutter bezugsberechtigt gewesen sei. Es sei daher auch kein lückenloses zeitliches Anknüpfen des Kinderbetreuungsgeldbezugsendes des einen Elternteils und des Kinderbetreuungsgeldbezugsbeginns des anderen Elternteils gegeben.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende weitere Feststellungen:
Die Mutter ist mit ihrem Hauptwohnsitz seit 23. 7. 2015 in *****, gemeldet und hat dort ihren Lebensmittelpunkt. Der Vater (Kläger) ist mit seinem Hauptwohnsitz seit 7. 7. 2011 in *****, gemeldet und hat dort seinen Lebensmittelpunkt. Das Kind war von 26. 9. 2016 bis 25. 9. 2017 mit Hauptwohnsitz an der Adresse der Mutter und von 26. 9. 2017 bis 5. 12. 2017 an der Adresse des Vaters gemeldet. Seit 6. 12. 2017 liegt wiederum eine Hauptwohnsitzmeldung des Kindes an der Adresse der Mutter vor. Die Mutter bezog die Familienbeihilfe von 1. 9. 2016 bis 30. 9. 2017. Daran anschließend, und zwar von 1. 10. 2017 bis 30. 11. 2017 bezog der Vater die Familienbeihilfe. Ab 1. 12. 2017 bis laufend bezieht wieder die Mutter die Familienbeihilfe.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass ein gemeinsamer Haushalt im Sinne des Kinderbetreuungsgeldgesetzes nur dann vorliege, wenn der antragstellende Elternteil und das Kind in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet seien. Der gemeinsame Haushalt gelte bei mehr als 91-tägiger tatsächlicher oder voraussichtlicher Dauer einer Abwesenheit des Elternteils oder des Kindes jedenfalls als aufgelöst. Daraus sei im Wege eines Umkehrschlusses abzuleiten, dass ein gemeinsamer Haushalt nur dann vorliege, wenn er eine Dauer von mindestens 91 Tagen habe. Da der Vater gemeinsam mit seinem Kind lediglich für 72 Tage an der Adresse in ***** gemeldet gewesen sei und das Kind danach wieder an die Adresse der Mutter umgemeldet worden sei, liege keine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Vater und Kind vor. Ein weiterer Grund für die Klageabweisung liege darin, dass die Mindestbezugsdauer von zwei Monaten nicht erfüllt sei. Der Kläger habe von 25. 9. 2017 bis 30. 9. 2017 weder Anspruch auf Familienbeihilfe gehabt noch diese tatsächlich bezogen, weil in diesem Zeitraum noch die Mutter Bezieherin der Familienbeihilfe gewesen sei. Da der Kläger das Kinderbetreuungsgeld bis zum 24. 11. 2017 beantragt habe und ihm die Familienbeihilfe erst ab 1. 10. 2017 zuerkannt worden sei, ergebe sich ein zwei Monate unterschreitender Anspruchszeitraum. Infolge der Bezugslücke von 25. 9. 2017 bis 30. 9. 2017 lägen zudem keine zeitlich unmittelbar aneinander anknüpfende Bezugszeiträume beider Elternteile vor.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der Begriff der „dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ in § 2 Abs 6 erster Satz KBGG idF BGBl I 2016/53 sei ein unbestimmter Gesetzesbegriff, dessen Inhalt im Wege der Auslegung nach § 6 ABGB zu ermitteln sei. Nach der Wortinterpretation falle eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft in der Dauer von nur 72 Tagen schon begrifflich nicht in den Begriffskern einer „dauerhaften“ Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft. Auch die systematische Auslegung bestätige dieses Ergebnis. Der Gesetzgeber gehe von der gesetzlichen Fiktion aus, dass der gemeinsame Haushalt bei mehr als 91-tägiger tatsächlicher oder voraussichtlicher Dauer einer Abwesenheit des Elternteils oder des Kindes jedenfalls als aufgelöst gelte, was darauf hinweise, dass eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft in der Dauer von (wie im vorliegenden Fall) nur 72 Tagen nicht als „dauerhaft“ anzusehen sei. Dass der Gesetzgeber selbst eine Variante des Kinderbetreuungsgeldbezugs in der Dauer „12+2“ (also lediglich in der Dauer von zwei Monaten) vorsehe, spreche nicht gegen dieses Ergebnis, weil sich die Frage nach dem Bezugsmodell erst stelle, wenn die erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien.
Das Berufungsgericht ließ die Revision wegen des Fehlens höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Auslegung des § 2 Abs 6 erster Satz KBGG idF BGBl I 2016/53 („dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“) zu.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist im Sinn des Abänderungsantrags auch berechtigt.
1. Erfordernis eines gemeinsamen Haushalts mit dem Kind
1.1 Da der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Betreuungsleistungen von jenem Elternteil erbracht werden, der mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt, ist eine Voraussetzung des Anspruchs eines Elternteils auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind, dass der Elternteil mit diesem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt (§ 2 Abs 1 Z 2 KBGG).
1.2 Für getrennt lebende Elternteile normiert § 2 Abs 8 KBGG idF BGBl I 2016/53, dass der antragstellende Elternteil, der mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt, darüber hinaus obsorgeberechtigt sein muss und die Anspruchsvoraussetzungen nach Abs 1 Z 1 (Anspruch auf Familienbeihilfe und tatsächlicher Bezug der Familienbeihilfe) in eigener Person erfüllen muss.
1.3 Gemäß § 2 Abs 6 KBGG idF BGBl I 2016/53 liegt ein gemeinsamer Haushalt im Sinne des KBGG nur dann vor, wenn der Elternteil und das Kind in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind. Der gemeinsame Haushalt gilt bei mehr als 91-tägiger tatsächlicher oder voraussichtlicher Dauer einer Abwesenheit des Elternteils oder des Kindes jedenfalls als aufgelöst.
1.4 § 2 Abs 6 und 8 idF BGBl I 2016/53 traten mit 1. 1. 2017 in Kraft und gelten für Bezugszeiträume ab 1. 1. 2017 (§ 50 Abs 19 KBGG), sind also im vorliegenden Fall bereits anwendbar.
2. Zum Erfordernis des gemeinsamen Haushalts bei Bezug des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes durch getrennt lebende Elternteile in der „Variante 12+2“ für den Verlängerungszeitraum
2.1 Die historische Entwicklung der relevanten Gesetzesstellen lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Nach dem dem § 2 KBGG mit der Novelle BGBl I 2009/116 angefügten Abs 6 lag ein gemeinsamer Haushalt im Sinn dieses Gesetzes nur dann vor, wenn der Elternteil und das Kind auch an derselben Adresse hauptwohnsitzlich gemeldet waren. Der gemeinsame Haushalt galt bei mehr als dreimonatiger tatsächlicher oder voraussichtlicher Dauer der Abwesenheit des Elternteils oder des Kindes jedenfalls als aufgelöst.
2.2 Die Gesetzesmaterialien zur damaligen Fassung des § 2 Abs 6 KBGG führten aus, dass durch die Klarstellung, wonach ein gemeinsamer Haushalt eine auf längere Zeit gerichtete Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mit entsprechenden Hauptwohnsitzmeldungen des Elternteils und des Kindes an derselben Adresse voraussetze, eine Entlastung der Eltern und der Krankenversicherungsträger erreicht werde. Der gemeinsame Haushalt könne bereits ab dem ersten Tag der Abwesenheit des Elternteils bzw des Kindes aufgelöst sein. Für Zeiträume bis drei Monate sei daher im Einzelfall zu prüfen, ob der gemeinsame Haushalt aufgelöst sei. Ab einer (tatsächlichen oder voraussichtlichen) Abwesenheit von mehr als drei Monaten sei der Zeitraum von einer derartigen Dauer, dass für die Zeit der Abwesenheit von keinem gemeinsamen Haushalt auszugehen sei, weshalb für die Behörden aufwendige Prüfungstätigkeiten entfielen (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 9).
2.3 Zugleich wurde mit der Novelle BGBl I 2009/116 – zusätzlich zu den pauschalen Bezugsvarianten – in Abschnitt 5 des KBGG das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld geschaffen. Damit wurde es erwerbstätigen Eltern ermöglicht, 80 % ihrer früheren Einkünfte (mit einer Deckelung) längstens bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats des Kindes als Kinderbetreuungsgeld zu erhalten, wobei zwei Monate davon dem zweiten Elternteil vorbehalten sind (§ 24b KBGG; ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 4). Der gemeinsame Haushalt ist – neben den weiteren Voraussetzungen – Anspruchsvoraussetzung auch für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld in der Variante 12+2 (§§ 24 ff KBGG idF der Novelle BGBl I 2009/116; ErläutRV 320 BlgNR 24. GP 16).
2.4 Mit der Novelle zum Kinderbetreuungsgeldgesetz BGBl I 2016/53 wurde in Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen der Begriff des gemeinsamen Haushalts in § 2 Abs 6 KBGG nunmehr dahin umschrieben, dass eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Elternteil und Kind an derselben Wohnadresse sowie (kumulativ) eine hauptwohnsitzliche Meldung an dieser Adresse gegeben sein muss (siehe oben Pkt 1.3).
2.5 Die für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld vorgesehene Bezugsvariante „12+2“ blieb aufrecht (nunmehr 365 Tage + 61 Tage = 426 Tage).
3.1 Rechtsprechung zum Begriff des gemeinsamen Haushalts besteht lediglich zu § 2 Abs 6 KBGG idF vor der Novelle BGBl I 2016/53. Als gemeinsamer Haushalt wurde eine auf längere Zeit gerichtete Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft angesehen. Bei einer tatsächlichen oder geplanten Abwesenheit von mehr als drei Monaten ist dieses Kriterium jedenfalls nicht mehr erfüllt. In diesem Fall muss die Behörde keine weiteren Nachforschungen anstellen (10 ObS 57/13z, SSV-NF 27/37).
3.2 Sonntag (in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG2 § 2 KBGG Rz 24) verweist zur Auslegung des Begriffs „dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ auf die zur Rechtslage vor der Novelle BGBl I 2016/53 ergangene Rechtsprechung (10 ObS 57/13z, SSV-NF 27/37). Aus der Definition des gemeinsamen Haushalts als auf längere Zeit ausgerichtete Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft sei ableitbar, dass der Gesetzgeber auf den Regelfall einer auf längere Zeit ausgerichteten gemeinsamen Wohnung von Elternteil und Kind abstelle.
3.3 Burger-Ehrnhofer (in Kinderbetreuungsgeld und Familienzeitbonusgesetz3 [2017] § 2 KBGG Rz 28 f) nimmt zur Frage, wann eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft als „dauerhaft“ anzusehen ist, nicht Stellung.
3.4 Nach Weißenböck (in Holzmann-Windhofer/ Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz [2017] § 2 KBGG 36 f) werde man aus der Regelung des § 2 Abs 6 KBGG, nach der der gemeinsame Haushalt bei mehr als 91-tägiger tatsächlicher oder voraussichtlicher Dauer einer Abwesenheit des Elternteils oder des Kindes jedenfalls als aufgelöst gelte, im Wege eines Umkehrschlusses ableiten müssen, dass hierunter eine Dauer von mindestens 91 Tagen zu verstehen sei.
3.5 Unter Berufung auf diese Ansicht verneint die beklagte Partei auch im Revisionsverfahren die Berechtigung des Klageanspruchs.
4. Dem ist nicht zu folgen:
4.1 Wie sich aus der Entstehungsgeschichte des § 2 Abs 6 KBGG und den Gesetzesmaterialien ergibt, ist das Fehlen einer ziffernmäßigen Eingrenzung des Begriffs „dauerhaft“ nicht auf ein Versehen des Gesetzgebers im Sinn einer planwidrigen Unvollständigkeit zurückzuführen. Vielmehr handelt es sich um einen unbestimmten Gesetzesbegriff, dessen Inhalt im Wege der Auslegung zu ermitteln ist.
4.2 Die Rechtsansicht des Revisionswerbers, dass eine „dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ jedenfalls bei einem Bezugswechsel zwischen getrennt lebenden Elternteilen in der „Variante 12+2“ auch während der zweimonatigen Bezugsdauer im Verlängerungszeitraum vorliegen könne, ist zutreffend. Wenngleich die reine Wortinterpretation darauf hindeuten könnte, dass eine bloß zweimonatige Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft nur „vorübergehend“ und nicht „dauerhaft“ iSd § 2 Abs 6 idF BGBl I 2016/53 KBGG ist, stünde diese Auslegung bei Berücksichtigung des Bedeutungszusammenhangs in Widerspruch zu § 5 Abs 3 und 4 KBGG sowie § 24b KBGG idF BGBl I 2009/116:
4.3 Mit der KBGG-Novelle BGBl I 2009/116 wurde nicht nur das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld in der Variante 12+2 neu geschaffen, sondern generell die Mindestbezugsdauer pro Bezugsblock von (zuvor) drei Monate auf zwei Monate herabgesetzt (§ 5 Abs 3 und 4; § 24b). In den Gesetzesmaterialien wird dazu dargelegt, dass die kürzere Mindestbezugsdauer zur Erleichterung der Inanspruchnahme vor allem für Väter diene. Den Eltern solle eine flexiblere Handhabung ermöglicht und der abwechselnde Bezug erleichtert werden. Damit seien auch positive Auswirkungen auf die Väterbeteiligung zu erwarten. Die kürzere Mindestbezugsdauer solle daher für alle Varianten gelten (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 4).
4.4 Diese Ziele würden jedoch unterlaufen werden, wenn bei getrennt lebenden Elternteilen ein gemeinsamer Haushalt während der auf zwei Monate reduzierten Mindestdauer zur Begründung einer „dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ nicht ausreichen sollte. Für getrennt lebende Elternteile wäre diesfalls die Bezugsvariante 12+2 von vornherein ausgeschlossen. Ihnen wäre verwehrt, die Kinderbetreuung in der Weise flexibel zu gestalten, dass ein Elternteil die Mindestbezugsdauer in Anspruch nimmt. Dieses Ergebnis stünde nicht nur der Zweckrichtung des KBGG entgegen, die Flexibilität bei der Wahl der Bezugsdauer und bei der Handhabung von Bezugswechsel zu fördern, sondern auch der Intention des Gesetzgebers, im Interesse der Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Wahlfreiheit zu stärken.
4.5 Dem Argument der Revisionswerberin, ein oftmaliges Hin- und Herwechseln eines Kleinkindes zwischen den beiden Elternteilen werde in der Regel nicht dessen Wohl entsprechen, ist entgegenzuhalten, dass es in der Disposition der Eltern steht, den Interessen des Kindes dadurch Rechnung zu tragen, dass beispielsweise nicht nur das Kind für die Dauer des zweimonatigen Verlängerungszeitraums in den Haushalt des Vaters zieht, sondern auch die (bis dahin) vom Vater getrennt lebende Mutter. Wie sich aus der Aktenlage ergibt, haben der Kläger und seine Ehefrau diese Möglichkeit auch tatsächlich wahrgenommen; nach Ablauf der zwei Monate ist die Mutter mit dem Kind wieder an ihren eigenen Wohnsitz zurückgekehrt.
5. Zwischenergebnis:
Die systematische Auslegung und die historische Auslegung ergeben somit, dass bei getrennt lebenden Elternteilen, die sich für die Inanspruchnahme der Bezugsvariante 12+2 entschieden haben, eine „dauerhafte“ Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft iSd § 2 Abs 6 KBGG an derselben Wohnadresse auch dann als erfüllt anzusehen ist, wenn diese im Verlängerungszeitraum nur von zweimonatiger Dauer ist und das Kind anschließend wieder in den Haushalt der Mutter zurückkehrt.
6. Zur Voraussetzung des Anspruchs auf Familienbeihilfe und deren tatsächlichen Bezug
6.1 In ihrer Revisionsbeantwortung geht die beklagte Partei nicht mehr darauf ein, dass der Kläger ab 25. 9. 2017 Kinderbetreuungsgeld beantragt, allerdings erst ab 1. 10. 2017 Familienbeihilfe bezogen hat. Im Hinblick auf den in erster Instanz erhobenen Einwand, dieser Umstand führe zum Unterschreiten des zweimonatigen Mindestbezugszeitraums, ist dazu wie folgt Stellung zu nehmen:
6.2 Nach § 5 Abs 4 bzw § 24b KBGG idF BGBl I 2009/116 kann das Kinderbetreuungsgeld jeweils nur in Blöcken von mindestens zwei Monaten beansprucht werden, es sei denn, dass der beziehende Elternteil durch ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis für eine nicht bloß verhältnismäßig kurze Zeit verhindert ist, das Kind zu betreuen.
6.3 Nach § 2 Abs 1 Z 1 KBGG hat ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind, sofern für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) besteht und Familienbeihilfe für dieses Kind tatsächlich bezogen wird. Demnach muss der antragstellende Elternteil grundsätzlich nicht (selbst) Bezieher der Familienbeihilfe sein, sondern es genügt, wenn der andere Elternteil diese bezieht. Leben die Eltern hingegen getrennt, muss – nach dem für den vorliegenden Fall bereits anwendbaren § 2 Abs 8 KBGG – der antragstellende Elternteil selbst („in eigener Person“) Familienbeihilfe erhalten, es muss also Personenidentität von Familienbeihilfebezieher und Kinderbetreuungsgeldwerber bestehen (§ 2 Abs 8 KBGG idF BGBl I 2016/53; Sonntag in Sonntag/Schober/Konecny, KBGG2 [2017] § 2 Rz 16).
6.4 Nach § 10 Abs 2 FLAG ist der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum für die Familienbeihilfe jeweils der ganze Monat (VwGH 2006/15/0228, 2009/16/0082). Nach dem in § 2a Abs 1 Satz 1 FLAG normierten „Überwiegensprinzip“ steht im Fall eines Haushaltswechsels des Kindes während eines Kalendermonats die Familienbeihilfe jenem Elternteil zu, der für den längeren Zeitraum den mit dem Kind gemeinsamen Haushalt geführt hat (VwGH 2007/15/0058). Ein Wechsel zwischen den Eltern im Bezug der Familienbeihilfe mit Wirksamkeit während eines laufenden Kalendermonats ist somit nicht vorgesehen.
6.5 Demgegenüber gebührt der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld frühestens ab dem Tag der Geburt des Kindes und ist nicht an den Monatsbeginn oder das Monatsende gebunden. Ein Wechsel im Bezug des Kinderbetreuungsgeldes zwischen den Elternteilen ist nicht nur am Monatsersten bzw Monatsletzten möglich, sondern kann von den Eltern (innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Grenzen) dem Datum nach frei gewählt werden.
6.6 Wie sich aus § 2 Abs 1 Z 1 KBGG ergibt, kann ein Wechsel im Bezug des Kinderbetreuungsgeldes zwischen im gemeinsamen Haushalt lebenden Elternteilen ohne nachteilige Folgen für den Kinderbetreuungsgeldanspruch auch während eines Monats vorgenommen werden, selbst wenn der andere Elternteil die Familienbeihilfe für den gesamten Monat bezieht. Dem Kläger als getrennt lebendem Elternteil war es hingegen infolge § 2a Abs 1 FLAG und des dort geregelten „Überwiegensprinzip“ rechtlich nicht möglich, ab dem am 25. 9. 2017 vorgenommenen Haushaltswechsel des Kindes bis 30. 9. 2017 einen Anspruch auf Familienbeihilfe „in eigener Person“ (§ 2 Abs 8 KBGG idF BGBl I 2016/53) zu erwerben, diese Leistung tatsächlich ausgezahlt zu erhalten und so den von ihm angestrebten Mindestbezugszeitraum von zwei Monaten zu erreichen.
6.7 Da in § 2 Abs 8 KBGG idF BGBl I 53/2016 der systematische Unterschied zwischen der Bezugsdauer der Familienbeihilfe nach dem FLAG und dem Erfordernis des tatsächlichen Bezugs der Familienbeihilfe nach dem KBGG nicht ausreichend Berücksichtigung findet, ist diese Regelung bei einem Sachverhalt wie dem vorliegenden – gemessen an ihrem Zweck – überschießend. Entsprechend der vom KBGG angestrebten Flexibilisierung bei der Wahl des Zeitpunkts des Betreuungs- und Bezugswechsels ist § 2 Abs 8 KBGG im vorliegenden Fall daher teleologisch so zu reduzieren, dass ein Normenkonflikt zwischen den Anforderungen des KBGG und des FLAG vermieden wird. Bei getrennt lebenden Elternteilen steht das Fehlen der Personenidentität von Familienbeihilfebezieher und Kinderbetreuungsgeldwerber dem Erfordernis der zweimonatigen Mindestbezugsdauer somit nicht entgegen, wenn das Fehlen der Personenidentität nur darauf zurückzuführen ist, dass der Anspruch auf Familienbeihilfe auf den anderen Elternteil jeweils nur mit dem Monatsersten übergehen kann (§ 10 Abs 2 FLAG iVm § 2a Abs 1 FLAG).
7. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall:
Der Umstand, dass der Kläger im Zeitraum von 25. 9. 2017 bis 30. 9. 2017 nicht die vom Wortlaut des § 2 Abs 8 KBGG geforderte Voraussetzung des Bezugs von Familienbeihilfe in eigener Person erfüllt hat, ist allein auf die Auswirkungen des im Bereich der Familienbeihilfe geltenden Überwiegensprinzips nach § 2a Abs 1 FLAG in Verbindung mit § 10 Abs 2 FLAG zurückzuführen. Da der Kläger in diesem Zeitraum die weiteren Anspruchsvoraussetzungen (gemeinsamer Haushalt und Obsorge) erfüllt, hindert das Fehlen eines Familienbeihilfeanspruchs bzw das Fehlen des tatsächlichen Bezugs dieser Leistung seinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nicht.
8. Der Revision ist daher dahin Folge zu geben, dass die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern sind, dass die beklagte Partei dem Kläger das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld in der gesetzlichen Höhe für den Zeitraum von 25. 9. 2017 bis 24. 11. 2017 zu leisten hat.
9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 ASGG; sie nimmt auf die berechtigten Einwendungen der beklagten Partei Bedacht. Für die Klage steht ein doppelter Einheitssatz nach § 23 Abs 6 RATG nicht zu (OLG Linz SVSlg 52.755). Der nach der Klagebeantwortung eingebrachte Schriftsatz vom 16. 3. 2018 dient nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung. Dies trifft auch auf die Meldeanfragen bzw die dafür verzeichneten Kosten von 8,20 EUR zu, weil die Meldedaten der beklagten Partei von Anfang an bekannt waren (siehe Bescheid Beilage ./A und Seite 4 der Klagebeantwortung).
Textnummer
E124890European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00017.19A.0326.000Im RIS seit
10.05.2019Zuletzt aktualisiert am
16.09.2020