TE OGH 2019/4/24 13Os6/19k

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.04.2019
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. April 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Binder als Schriftführer in der Strafsache gegen Vincent O***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 7. August 2018, GZ 4 Hv 24/18s-226, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Vincent O***** im dritten Rechtsgang (vgl zu den ersten beiden Rechtsgängen 13 Os 129/16v und 13 Os 5/18m) des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 21. Oktober 2015 in G***** Edu Ov***** vorsätzlich zu töten versucht, indem er ihm mit einem Jagdmesser einen Stich in den Bauch und zumindest zwei Stiche ins Gesicht versetzte, wobei der Bauchstich eine lebensgefährliche Verletzung mit Darmaustritt zur Folge hatte.

Die Geschworenen hatten die Hauptfrage 1 nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB stimmeneinheitlich bejaht, die hiezu gestellte – zutreffend alternativ gefasste (RIS-Justiz RS0102740 [T1]) – Zusatzfrage 1 nach dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr nach § 3 Abs 1 erster Satz StGB und dem Schuldausschließungsgrund der Notwehrüberschreitung aus asthenischem Effekt nach § 3 Abs 2 StGB stimmeneinheitlich verneint.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Schuldspruch richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6 und 8 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Die gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge (Z 6) verlangt die deutliche und bestimmte Bezeichnung jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen, somit fallbezogen eines die begehrte Eventual- oder Zusatzfrage – nach den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen (RIS-Justiz RS0100527 [T1], RS0100871 [T3] und RS0100930) – indizierenden Tatsachensubstrats (RIS-Justiz RS0119417; Lässig, WK-StPO § 313 Rz 8, § 314 Rz 3).

Hievon ausgehend verfehlt die eine Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags nach § 76 StGB vermissende Fragenrüge die Ausrichtung am Verfahrensrecht. Denn mit dem Hinweis auf die Zeugenaussagen des Opfers und der Ehefrau des Angeklagten über ihr sexuelles Verhältnis und das diesbezügliche – danach schon einige Zeit vor der Tat gegeben gewesene – Wissen des Beschwerdeführers sowie auf die Verletzungen des Opfers wird nach den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen kein Indiz für einen allgemein begreiflichen heftigen und tiefgreifenden Affekt zur Tatzeit bezeichnet (vgl RIS-Justiz RS0092271 und RS0092087; RS0092108 [insbesondere T6]).

Gleiches gilt, soweit die Beschwerde mit dem Hinweis auf die Verantwortung des Angeklagten, er habe nach dem Angriff von seinem Opfer abgelassen, und den Umstand, dass er im Haus verblieb und den ihm körperlich unterlegenen, flüchtenden Edu Ov***** nicht weiter verfolgte, das Unterbleiben der Stellung einer Zusatzfrage nach dem Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) kritisiert. Ausgehend von den im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen, wonach Vincent O***** dem Opfer mit Tötungsvorsatz mit einem Jagdmesser einen Stich in den Bauch versetzte, der eine lebensgefährliche Verletzung mit Darmaustritt zur Folge hatte (US 2), bedurfte es nämlich keiner weiteren Handlung des Angeklagten zur Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolgs, sodass ein beendeter Versuch vorlag (vgl Hager/Massauer in WK2 StGB §§ 15, 16 Rz 155). Ist aber der Versuch beendet, so ist Rücktritt nur durch freiwillige Erfolgsabwendung möglich. Um in einem solchen Fall straflos zu werden, muss der Täter die Deliktsvollendung, für die er nach seiner Vorstellung schon alles unternommen hat, durch eine gezielte Gegenaktion (contrarius actus) abwenden, wobei ihm dies auch tatsächlich gelingen muss (Hager/Massauer in WK2 StGB §§ 15, 16 Rz 168). Das Vorliegen von Indizien für eine gelungene freiwillige Erfolgsabwendung wird jedoch nicht behauptet.

Die Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung betreffend die für die Annahme einer Notwehrsituation geforderte Gegenwärtigkeit des Angriffs einwendende Instruktionsrüge (Z 8) berücksichtigt nicht den gesamten Inhalt der Rechtsbelehrung, wonach der Angriff „gegenwärtig (im Gange befindlich) oder unmittelbar drohend (bevorstehend)“ sein muss und „[g]egen einen bereits abgeschlossenen Angriff […] keine Notwehr mehr zulässig“ ist (Rechtsbelehrung S 27). Damit wird sie nicht prozessförmig zur Darstellung gebracht (RIS-Justiz RS0100695 [T7]).

Die in Ansehung der gestellten Zusatzfrage geforderte „genaue Bezugnahme auf den Sachverhalt“ ist entgegen der Beschwerdeauffassung nicht Gegenstand der nach abstrakten Gesichtspunkten ohne Bezugnahme auf konkrete Tatumstände abzufassenden Rechtsbelehrung (RIS-Justiz RS0109476 [insbesondere T2]; Philipp, WK-StPO § 321 Rz 16).

Die vom Beschwerdeführer vermisste Belehrung, dass die Frage der Notwehrüberschreitung aus der Perspektive des Angegriffenen ex ante zu beurteilen sei, findet sich
– solcherart ebenfalls prozessordnungswidrig übergangen – auf S 28 der Rechtsbelehrung.

Des weiteren kritisiert die Instruktionsrüge das Unterbleiben einer „Belehrung darüber, was ein Entschuldigungsgrund rechtlich bedeutet“. Sie macht jedoch nicht deutlich, weshalb die die „privilegierende Regelung“ des § 3 Abs 2 StGB betreffende Wortfolge „nach dem Vorsatzdelikt entschuldigt“ (Rechtsbelehrung S 28) in Zusammenschau mit den Ausführungen zur Schuld (Rechtsbelehrung S 12 ff) und dem Prüfungsschema, wonach Gründe gegeben sein können, die die Handlung des Täters auf Grund gesetzlicher Bestimmungen entschuldbar erscheinen lassen (Rechtsbelehrung S 15), mit Bezug auf den Empfängerhorizont eines maßgerechten Laienrichters missverständlich und deshalb weiter aufzulösen gewesen wäre (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 65).

Die Rechtsbelehrung kann nur insoweit angefochten werden, als sie Fragen betrifft, die an die Geschworenen tatsächlich gestellt wurden (RIS-Justiz RS0101085, RS0101091). Die Kritik der Instruktionsrüge an der „irreführenden“ Belehrung zum Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch geht somit ins Leere.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E124892

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0130OS00006.19K.0424.000

Im RIS seit

10.05.2019

Zuletzt aktualisiert am

21.02.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten