TE Lvwg Erkenntnis 2018/7/25 VGW-102/012/17042/2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.07.2018
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Entscheidungsdatum

25.07.2018

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
41/01 Sicherheitsrecht

Norm

B-VG Art. 130 Abs1 Z2
SPG §16 Abs2
SPG §38a Abs1
SPG §38a Abs2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag. Hornschall über die Maßnahmenbeschwerde des Herrn A. B., geb. 1982, gemäß Art. 132 Abs. 2 B-VG wegen a) Wegweisung und Betretungsverbot von 2 Wochen von der Adresse Wien, C.-Straße, am 10.11.2017, ca. 11.30 Uhr, sowie b) Abnahme des Wohnungsschlüssels

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 35 VwGVG i.V.m. § 1 Z 3, 4 und 5 der Verwaltungsgerichts-Aufwandsersatzverordnung - VwG-AufwErsV hat der Beschwerdeführer, Herr A. B., der Landespolizeidirektion Wien als obsiegender belangter Behörde den Vorlageaufwand in der Höhe von € 57,40, den Schriftsatzaufwand in der Höhe von € 368,80 und den Verhandlungsaufwand in der Höhe von € 461,- binnen 14 Tagen ab Zustellung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz – VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz – B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

Gang des Verfahrens

Der Beschwerdeführer, Herr A. B., erhob die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde vom 19.12.2017 und führte darin im Wesentlichen – die eigentliche Maßnahmenbeschwerde betreffend - wie folgt aus:

Am 10.11.2017 habe er sich mit seiner Lebensgefährtin, Frau D. E., in der gemeinsamen Wohnung befunden. Der Beschwerdeführer habe an diesem Tag an einer Magendarminfektion mit 39 °C Fieber gelitten. Es kam zu einem Streit mit seiner Lebensgefährtin über die Betreuung des gemeinsamen Sohnes F.. Der Beschwerdeführer habe die Wohnung verlassen, um Medikamente zu holen. Bei seiner Rückkehr hätten zwei Polizisten gegen ihn das Betretungsverbot für die Wohnung ausgesprochen.

Als er nach einer Erklärung fragte, und was ihm zur Last gelegt werde, sagte einer der Polizisten, dass es reicht, wenn er es wolle. Der Beschwerdeführer habe seine Lebensgefährtin an der Hand berührt. Das reiche für eine schwere Körperverletzung. Der BF habe den Polizisten darüber informiert, dass er krank sei, hohes Fieber habe, und zurück in sein Bett wolle. Den Polizisten habe das nicht interessiert. Der Beschwerdeführer sei aufgefordert worden seine Sachen zu packen und die Wohnung zu verlassen, da er ein Gefährder sei. Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, dass er kein Geld habe und wegen Arbeitsunfällen körperlich und seelisch behindert sei. Der Polizist habe auf das Gesetz verwiesen. Der BF habe gesagt, dass er zu niemanden kann. Der Polizist habe darauf erwidert, dass der Beschwerdeführer es nicht anders verdiene. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer ein Mann ist, sei Grund genug im nicht zu glauben.

Die Lebensgefährtin habe beim Eintreffen der Polizisten gesagt, dass das alles nicht wahr sei. Es gebe keinen Grund, den Beschwerdeführer aus der Wohnung zu schmeißen, weil sie selbst die Wohnung verlassen wolle. Sie können im Gegensatz zum Beschwerdeführer zu ihren Verwandten oder ins Frauenhaus.

Der Beschwerdeführer führt weiters aus, dass das Betretungsverbot schon im Vorfeld über Funk ausgesprochen wurde. Durch das bestimmte auftretende Organe seien klargemacht worden, dass jeder Widerstand mit Staatsgewalt überwunden werden würde.

Der Beschwerdeführer legte ein Attest der Allgemeinmedizinerin Dr. G. vom 20.11.2017 vor, aus dem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer unter einer schweren psychischen Erkrankung leidet, in einem Zelt lebt und akut suizidgefährdet ist.

In der Gegenschrift vom 13.2.2018 führt die belangte Behörde, die Landespolizeidirektion Wien, im Wesentlichen wie folgt aus:

Laut Angaben von Frau E. habe ihr der Beschwerdeführer im Zuge eines Streites die Hand verdreht. Sie habe darauf Schmerzen in der rechten Schulter, dem rechten Ellbogen, den rechten Unterarm und im rechten Daumen gehabt. Am Unterarm sei durch die Polizisten eine leichte Rötung zu erkennen gewesen.

Sogar unter der Schwelle eines gefährlichen Angriffs gelegene Handlungen seien bestimmte Tatsachen im Sinne des § 38a Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz – SPG. Umso mehr gelte dies für einen bereits erfolgten gefährlichen Angriff. Aufgrund der positiven Gefährdungsprognose sei gegen den Beschwerdeführer ein Betretungsverbot verhängt worden. Der Beschwerdeführer sei bereits in der Vergangenheit wegen Gewalt beamtshandelt worden.

Das Verwaltungsgericht Wien führte am 12.7.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu der der Beschwerdeführer und ein Vertreter der belangten Behörde ladungsgemäß erschienen. Als Zeugen wurden die an der Amtshandlung beteiligten Beamten Insp. H. K. und Insp. L. M. sowie die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, Frau D. E., einvernommen. Letztere wurde via Videokonferenz einvernommen, weil sie im Vorfeld der Verhandlung gegenüber der Richterin glaubhaft angab, vom Beschwerdeführer mit dem Umbringen bedroht worden zu sein, wenn sie gegen ihn aussage. Es wurde in den Behördenakt Einsicht genommen.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Feststellungen

Am 10.11.2017 gegen 12:00 Uhr wurden die beiden an der Amtshandlung beteiligten Polizeibeamten und ein weiterer Streifenwagen über die Funkleitzentrale der Landespolizeidirektion Wien zur Wohnung in Wien, C.-Str. beordert. Grund des Einsatzes war „Mann schlägt Frau“.

Frau D. E., die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, A. B., öffnete die Türe und gab den Beamten gegenüber weinerlich an, dass der Beschwerdeführer ihr im Zuge eines Streites wegen der Betreuung des gemeinsamen Sohnes F. die Hand verdreht habe. Dies zeigte sie den Beamten durch eine Drehbewegung vor. Sie gab für die Beamten glaubhaft an, dass sie im rechten Arm Schmerzen verspüre. Es war eine Rötung (Striemen) am Arm zu erkennen, die aussah, als ob Frau E. am Arm angepackt worden war. Die Beamten versuchten zur Dokumentation ein Foto von der Rötung zu machen. Die Rötung erwies sich jedoch als nicht farbintensiv genug.

Der Beschwerdeführer wurde getrennt von seiner Lebensgefährtin im Garten einvernommen und mit der vorgefundenen Rötung am Arm seiner Lebensgefährtin konfrontiert. Er gab gegenüber den Beamten in ruhiger Art und Weise an, dass ein Streit wegen des Kindes stattgefunden habe. Er bestritt jegliche Vorwürfe einer Misshandlung.

Die Beamten konnten beobachten, dass der gemeinsame kleine Sohn des Paares vor seinem Vater zurückwich, als sich dieser im versuchte, sich ihm zu nähern.

Eine telefonische Nachfrage der Beamten vor Ort ergab, dass es über den Beschwerdeführer bereits einen Eintrag in der Gefährderdatei der Landespolizeidirektion Wien gab.

Von den handelnden Beamten wurde eine Gefährdungsprognose durchgeführt und gegen den Beschwerdeführer eine Wegweisung und ein Betretungsverbot für die gegenständliche Wohnung gemäß § 38a SPG ausgesprochen. Zur Absicherung des Verbotes wurde sein Wohnungsschlüssel abgenommen.

Nicht festgestellt werden konnte, dass der Beschwerdeführer oder seine Lebensgefährtin den Beamten gegenüber angegeben hatten, dass er an diesem Tag krank war. Ebenso konnte nicht festgestellt werden, dass die Lebensgefährtin den Beamten gegenüber angab, dass der Beschwerdeführer sie nur an der Hand gestreichelt hätte oder sie die Wohnung verlassen wolle, weil sie bei Freunden oder im Frauenhaus unterkommen könne.

Beweiswürdigung

Die Feststellungen des Verwaltungsgerichtes Wien gründen sich auf die detaillierten, professionellen und glaubhaften Aussagen der handelten Beamten und den unbedenklichen Inhalt des Behördenaktes.

Die Angaben des Beschwerdeführers und seiner als Zeugin einvernommenen Lebensgefährtin vermochten das Verwaltungsgericht Wien hingegen nicht zu überzeugen. Der Beschwerdeführer erweckte in den umfangreichen und weitschweifigen Ausführungen in seiner Beschwerde den Eindruck, dass es in den vergangenen Jahren zu mehreren Meinungsdifferenzen zwischen ihm und einzelnen Beamten der Landespolizeidirektion Wien gekommen ist und er sich deshalb bedroht fühlt. Er gab auch in der Verhandlung an, dass er Angst habe, weggewiesen zu werden, wenn er einen Polizisten nur sieht. In der gemeinsam mit der gegenständlichen Maßnahmenbeschwerde übermittelten Dienstaufsichtsbeschwerde, die zuständigkeitshalber an die Dienstbehörde weitergeleitet wurde, geben der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin sogar selbst an, dass der verfahrensgegenständliche Notruf der Lebensgefährtin nur fingiert war, um die Reaktion der Polizei zu testen, weil sich der Beschwerdeführer verfolgt fühlt (AS 29).

Die als Zeugin vernommene Lebensgefährtin des Beschwerdeführers schilderte am 28.5.2018 der erkennenden Richterin in einem Telefonat unter Tränen, dass der Beschwerdeführer sie mit dem Umbringen bedroht habe, wenn sie aussagt, dass er sie verletzt und bedroht hat. Frau E. gab aus eigenem glaubhaft an, dass sie deshalb im Strafverfahren wegen Körperverletzung gegen den Beschwerdeführer vor dem Bezirksgericht … (AZ: …) als Zeugin gelogen habe, was für den Beschwerdeführer zu einem Freispruch von dem Vorwurf der Körperverletzung geführt habe. Sie sei mittlerweile in ein Frauenhaus geflohen und fürchte sich vor dem Beschwerdeführer. Um die Zeugin zu schützen, wurde sie in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien via Videokonferenz in einem Polizeikommissariat aus vernommen.

Frau E., die angab mittlerweile wieder eine Lebensgemeinschaft mit dem Beschwerdeführer aufgenommen zu haben, sagte in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien völlig konträr zum Telefonat aus, dass der Beschwerdeführer sie nicht geschlagen, sondern nur an der Hand genommen habe. Er habe sie nur gestreichelt. Die von den Polizeibeamten vorgefundenen Rötungen am Arm seien durch ein Putzmittel hervorgerufen worden. Sie konnte nicht plausibel erklären, warum sie dann die Polizei gerufen hat.

Dem Verwaltungsgericht Wien erscheint bezüglich der Rötungen die Aussage des Insp. K. weitaus stimmiger. Es ist ihm als routinierten Polizeibeamten, der sehr oft mit häuslicher Gewalt konfrontiert ist, zuzutrauen, dass er von Misshandlungen herrührende Rötungen von solchen durch Putzmittel unterscheiden kann. Außerdem hinterlässt auch ein aggressives Putzmittel nach den allgemeinen Lebenserfahrungen keine Striemen auf der Haut.

Auf ihre differierenden Angaben angesprochen, gab die Zeugin unumwunden an, gelogen zu haben. Auf die Frage, ob sie im Telefonat oder in den Gerichtsverhandlungen gelogen habe, sagte sie nach einigem Überlegen aus, beim Telefonat am 28.5.2018 die erkennende Richterin angelogen zu haben. In den Verhandlungen vor dem Bezirksgericht … und dem Verwaltungsgericht Wien habe sie jeweils die Wahrheit gesagt.

Völlig unglaubhaft erscheint dem Verwaltungsgericht Wien, das es zu einem Polizeieinsatz mit zwei Streifenwagen samt Betretungsverbot kommt, weil eine Frau den Notruf wählt und sagt, dass sie an der Hand gestreichelt wurde.

Die Zeugin hinterließ beim Verwaltungsgericht Wien einen tragischen und unglaubhaften Eindruck. Sie scheint sich situationsbedingt zu entscheiden, ob sie die Wahrheit sagt oder nicht.

Maßgebliche Rechtslage

§ 38a SPG lautet:

Betretungsverbot und Wegweisung zum Schutz vor Gewalt
§ 38a.

(1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einem Menschen, von dem auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass er einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit begehen werde (Gefährder),

1.

das Betreten einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, und deren unmittelbarer Umgebung oder

2.

sofern es sich bei dem Gefährdeten um einen unmündigen Minderjährigen handelt, das Betreten

a)

einer vom gefährdeten Unmündigen zur Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht im Sinne des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985, besuchten Schule oder

b)

einer von ihm besuchten institutionellen Kinderbetreuungseinrichtung oder

c)

eines von ihm besuchten Horts samt eines Bereichs im Umkreis von fünfzig Metern,

zu untersagen.

(2) Bei Anordnung eines Betretungsverbotes haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes

1.

dem Gefährder den räumlichen Bereich, auf den sich das Betretungsverbot bezieht, zur Kenntnis zu bringen, wobei der Geltungsbereich des Betretungsverbotes nach Abs. 1 Z 1 nach Maßgabe der Erfordernisse eines wirkungsvollen vorbeugenden Schutzes zu bestimmen ist,

2.

ihn, im Falle einer Weigerung, den vom Betretungsverbot nach Abs. 1 umfassten Bereich zu verlassen, wegzuweisen,

3.

dem Gefährder alle in seiner Gewahrsame befindlichen Schlüssel zur Wohnung gemäß Abs. 1 Z 1 abzunehmen,

4.

ihm Gelegenheit zu geben, dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitzunehmen und sich darüber zu informieren, welche Möglichkeiten er hat, unterzukommen.

Bei einem Verbot, in die eigene Wohnung zurückzukehren, ist besonders darauf Bedacht zu nehmen, dass dieser Eingriff in das Privatleben des Betroffenen die Verhältnismäßigkeit (§ 29) wahrt. Sofern sich die Notwendigkeit ergibt, dass der Betroffene die Wohnung oder eine Einrichtung nach Abs. 1 Z 2, deren Betreten ihm untersagt ist, aufsucht, darf er dies nur in Gegenwart eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes tun.

(3) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind verpflichtet, vom Gefährder die Bekanntgabe einer Abgabestelle für Zwecke der Zustellung der Aufhebung des Betretungsverbotes, der Ladung zu einer präventiven Rechtsaufklärung (Abs. 6a) oder einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382e EO zu verlangen. Unterlässt er dies, kann die Zustellung solcher Schriftstücke so lange durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch erfolgen, bis eine Bekanntgabe erfolgt; darauf ist der Gefährder hinzuweisen.

(4) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind weiters verpflichtet,

1.

den Gefährdeten von der Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382e EO und von geeigneten Opferschutzeinrichtungen (§ 25 Abs. 3) und

2.

sofern Unmündige gefährdet sind, unverzüglich

a.

den örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger gemäß § 37 Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013 (B-KJHG 2013), BGBl. I Nr. 69, und

b.

den Leiter einer Einrichtung gemäß Abs. 1 Z 2 für die das Betretungsverbot verhängt wurde

zu informieren.

(5) Bei der Dokumentation der Anordnung eines Betretungsverbotes ist nicht bloß auf die für das Einschreiten maßgeblichen Umstände, sondern auch auf jene Bedacht zu nehmen, die für ein Verfahren nach §§ 382b und 382e EO oder für eine Gefährdungsabklärung im Sinne des § 22 B-KJHG 2013 durch den zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger von Bedeutung sein können.

(6) Die Anordnung eines Betretungsverbotes ist der Sicherheitsbehörde unverzüglich bekanntzugeben und von dieser binnen 48 Stunden zu überprüfen. Stellt die Sicherheitsbehörde fest, dass das Betretungsverbot nicht hätte angeordnet werden dürfen, so hat sie dieses dem Gefährder gegenüber unverzüglich aufzuheben; der Gefährdete ist unverzüglich darüber zu informieren, dass das Betretungsverbot aufgehoben werde; die Aufhebung des Betretungsverbotes sowie die Information des Gefährdeten haben nach Möglichkeit mündlich oder schriftlich durch persönliche Übergabe zu erfolgen. Die nach Abs. 2 abgenommenen Schlüssel sind mit Aufhebung des Betretungsverbotes dem Gefährder auszufolgen, im Falle eines Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382e EO beim ordentlichen Gericht zu erlegen.

(6a) Ist das Betretungsverbot nach Abs. 6 nicht aufzuheben, so kann der Gefährder von der Sicherheitsbehörde während eines aufrechten Betretungsverbots (Abs. 8) vorgeladen werden, um über rechtskonformes Verhalten nachweislich belehrt zu werden, wenn dies wegen der Persönlichkeit des Gefährders oder der Umstände beim Einschreiten erforderlich erscheint (präventive Rechtsaufklärung). § 19 AVG gilt.

(7) Soweit ein Betretungsverbot nach Abs. 1 Z 2 gemeinsam mit einem Betretungsverbot nach Abs. 1 Z 1 verhängt wird, kann ersteres auch für den örtlichen Wirkungsbereich einer anderen Sicherheitsbehörde (§§ 8 und 9) angeordnet werden; diese ist unverzüglich zu verständigen. Der über die Überprüfung des Betretungsverbotes (Abs. 6) hinausgehende Vollzug obliegt der jeweils örtlich zuständigen Sicherheitsbehörde.

(8) Die Einhaltung eines Betretungsverbotes ist zumindest einmal während der ersten drei Tage seiner Geltung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu überprüfen. Das Betretungsverbot endet zwei Wochen nach seiner Anordnung.Wird die Sicherheitsbehörde binnen dieser Frist vom ordentlichen Gericht über die Einbringung eines Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382e EO informiert, so verlängert sich das Betretungsverbot bis zum Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung des ordentlichen Gerichts an den Antragsgegner, längstens jedoch auf vier Wochen ab Anordnung. Im Falle einer Zurückziehung des Antrages endet das Betretungsverbot zwei Wochen nach seiner Anordnung, bei Zurückziehung des Antrags nach Eintritt der Verlängerung des Betretungsverbotes, sobald die Sicherheitsbehörde von der Zurückziehung durch Mitteilung des ordentlichen Gerichts Kenntnis erlangt.

(9) Das ordentliche Gericht hat die örtlich zuständige Sicherheitsbehörde von der Einbringung eines Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382e EO und dessen Umfang sowie von einer allfälligen Zurückziehung unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

§ 16 SPG lautet:

3. Hauptstück
BegriffsbestimmungenAllgemeine Gefahr; gefährlicher Angriff; Gefahrenerforschung
§ 16.

(1) Eine allgemeine Gefahr besteht

1.

bei einem gefährlichen Angriff (Abs. 2 und 3)

oder

2.

(2) Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Verlangen eines Verletzten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand

1.

nach dem Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, ausgenommen die Tatbestände nach den §§ 278, 278a und 278b StGB, oder

        2. bis 6. …

handelt.

(3) Ein gefährlicher Angriff ist auch ein Verhalten, das darauf abzielt und geeignet ist, eine solche Bedrohung (Abs. 2) vorzubereiten, sofern dieses Verhalten in engem zeitlichen Zusammenhang mit der angestrebten Tatbestandsverwirklichung gesetzt wird.

(4) Gefahrenerforschung ist die Feststellung einer Gefahrenquelle und des für die Abwehr einer Gefahr sonst maßgeblichen Sachverhaltes.

§ 83 Strafgesetzbuch – StGB lautet:

Körperverletzung
§ 83.

(1) Wer einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.

(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer einen anderen am Körper mißhandelt und dadurch fahrlässig verletzt oder an der Gesundheit schädigt.

(3) Wer eine Körperverletzung nach Abs. 1 oder 2 an einer Person, die mit der Kontrolle der Einhaltung der Beförderungsbedingungen oder der Lenkung eines Beförderungsmittels einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt betraut ist, während oder wegen der Ausübung ihrer Tätigkeit begeht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.

§ 29 SPG lautet:

Verhältnismäßigkeit
§ 29.

(1) Erweist sich ein Eingriff in Rechte von Menschen als erforderlich (§ 28a Abs. 3), so darf er dennoch nur geschehen, soweit er die Verhältnismäßigkeit zum Anlaß und zum angestrebten Erfolg wahrt.

(2) Insbesondere haben die Sicherheitsbehörden und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes

1.

von mehreren zielführenden Befugnissen jene auszuwählen, die voraussichtlich die Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt;

2.

darauf Bedacht zu nehmen, ob sich die Maßnahme gegen einen Unbeteiligten oder gegen denjenigen richtet, von dem die Gefahr ausgeht oder dem sie zuzurechnen ist;

3.

darauf Bedacht zu nehmen, daß der angestrebte Erfolg in einem vertretbaren Verhältnis zu den voraussichtlich bewirkten Schäden und Gefährdungen steht;

4.

auch während der Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt auf die Schonung der Rechte und schutzwürdigen Interessen der Betroffenen Bedacht zu nehmen;

5.

die Ausübung der Befehls- und Zwangsgewalt zu beenden, sobald der angestrebte Erfolg erreicht wurde oder sich zeigt, daß er auf diesem Wege nicht erreicht werden kann.

Rechtliche Beurteilung

Ad I.

Das vom Verwaltungsgericht Wien gepflogene Beweisverfahren hat ergeben, dass die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers den Polizeinotruf betätigte und den befassten Beamten gegenüber glaubhaft darstellte, dass ihr der Beschwerdeführer in schmerzhafter Art und Weise während eines Streites den Arm verdreht habe. Die Polizeibeamten konnten gerötete Striemen am Arm der Lebensgefährtin wahrnehmen. Der getrennt befragte Beschwerdeführer bestritt jegliche Misshandlung. Die Beamten konnten beobachten, dass der gemeinsame kleine Sohn des Paares vor seinem Vater zurückwich. Eine telefonische Nachfrage ergab einen Eintrag des Beschwerdeführers in der Gefährderdatei der Landespolizeidirektion Wien.

Wenn ein Betretungsverbot verhängt wird, muss es laut Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auf Grund bestimmter Tatsachen wahrscheinlich sein, dass ein gefährlicher Angriff bevorsteht. Ausschlaggebend ist der Wissenstand der Beamten zum Zeitpunkt des Einschreitens. Es ist aus dem Gesamtbild eine Prognose abzuleiten, ob ein gefährlicher Angriff bevorsteht.

Die Ermächtigung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, einem Menschen das Betreten einer Wohnung, in der eine gefährdete Person wohnt, zu untersagen, verlangt das Vorliegen bestimmter Tatsachen, auf Grund derer anzunehmen ist, es stehe ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit eines anderen Menschen bevor.

Ein gefährlicher Angriff ist nach § 16 Abs. 2 SPG die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand u.a. nach dem Strafgesetzbuch handelt. Die Folge, dass wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs ein gefährlicher Angriff bevorsteht, wird vom Gesetz aber nicht vermutet, sondern ist vom einschreitenden Organ zu beurteilen. Dabei ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen und zunächst zu fragen, ob er vertretbar annehmen konnte, dass ein gefährlicher Angriff erfolgt ist und ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorsteht. Auf Grund des sich ihm bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit durch denjenigen, gegen den das Betretungsverbot verhängt wird, bevorsteht (vgl. VwGH vom 8. September 2009, Zl 2008/17/0061 und VwGH vom 21. Dezember 2000, Zl. 2000/01/0003).

Demnach sind die Wegweisung und Betretungsverbot gleichermaßen an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Welche Tatsachen als solche im Sinne des § 38a SPG in Frage kommen, sagt das Gesetz nicht (ausdrücklich).

Entscheidend ist stets, dass gesamthaft betrachtet die Prognose ableitbar ist, dass ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person bevorstehe; auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Wegzuweisenden bevorstehe (vgl VwGH vom 24. Februar 2004, Zl 2002/01/0280 m.w.H.)

Wie bereits erwähnt, muss auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den mutmaßlichen Gefährder bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen (vgl etwa VwGH vom 24. Oktober 2013, Zl 2011/01/0158, VwGH vom 8. September 2009, Zl 2008/17/0061; VwGH vom 24. Februar 2004, Zl 2002/01/0280; und VwGH vom 21. Dezember 2000, Zl 2000/01/0003; sowie Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, 4. Auflage 2011, Seite 383 f, Anm. 5).

Aus der dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für den beschwerdegegenständlichen Fall Folgendes zu gewinnen:

Aufgrund der ihnen gegenüber getätigten Angaben des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin sowie aufgrund der von ihnen getätigten Beobachtungen und Recherchen führten die Beamten eine Gefährdungsprognose durch. Diese ergab gesamthaft betrachtet zurecht, dass die Beamten mit gutem Grund nach ihren Wissensstand zum Zeitpunkt des Einschreitens weitere gefährliche Angriffe des Beschwerdeführers gegen die Gesundheit seiner Lebensgefährtin befürchten mussten. Neben den glaubhaften Schilderungen der Lebensgefährtin, dass er der Beschwerdeführer den Arm verdreht habe, fanden die Beamten Rötungen am Arm der Lebensgefährtin vor, die für sie aufgrund ihrer weitreichenden Erfahrungen mit Opfern von Gewalt in der Familie zu den Angaben der Lebensgefährtin passten. Als weiteres Indiz für vom Beschwerdeführer ausgehende Aggressionen konnten sie beobachten, dass der kleine Sohn des Paares vor seinem Vater zurückwich. Auch der Eintrag in der Gefährderdatei passte ins Bild. Die Polizeibeamten haben daher zurecht gegen den Beschwerdeführer eine Wegweisung und ein Betretungsverbot für die gegenständliche Wohnung gemäß § 38a SPG ausgesprochen, um seine Lebensgefährtin vor (weiteren) gefährlichen Angriffen gegen ihre Gesundheit zu schützen. Zur Absicherung des Verbotes wurde dem Beschwerdeführer zurecht sein Wohnungsschlüssel abgenommen.

Ob die Wegweisung und das Betretungsverbot ex-post betrachtet rechtmäßig verhängt wurden, wird gemäß § 38 Abs. 6 SPG binnen 48 Stunden behördlich recherchiert und geprüft und ist nicht mehr Gegenstand der Maßnahmenbeschwerde, welche zur Überprüfung Rechtmäßigkeit dieser Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dient. Der vom Beschwerdeführer in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien vorgelegte Protokollvermerk über die gekürzte Urteilsausfertigung des Bezirksgerichtes … vom 11.6.2018, GZ: …, wonach der Beschwerdeführer vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung von Frau E. durch Zerrung des rechten Unterarmes freigesprochen wurde, hat somit keine Relevanz für das gegenständliche Verfahren. Bei einer Maßnahmenbeschwerde gegen eine Wegweisung ist nämlich ex ante festzustellen, welche Grundlagen den Beamten für ihre Gefährdungsprognose zur Verfügung standen. Wesentlich sind somit die Beobachtungen der Beamten vor Ort und die Aussagen der getrennt zu befragenden Beteiligten sowie gegebenenfalls andere sofort und unmittelbar zur Verfügung stehende Beweise. Aus diesen Informationen ist zu deduzieren, ob mit gutem Grund ein (weiterer) gefährlicher Angriff zu erwarten ist. Ob tatsächlich ein gefährlicher Angriff zuvor stattgefunden hat, ist somit für die Rechtmäßigkeit einer Wegweisung und des Betretungsverbotes nicht ausschlaggebend. Es handelt sich um gesetzlich vorgesehene Sofortmaßnahmen zur Gefahrenabwehr.

Aus den gleichen Gründen kann aus dem zehn Tage nach dem Vorfall erstellten ärztlichen Attest von Frau Dr. G. über den Gesundheitszustand von Frau E. nichts gewonnen werden.

Zu den vom Beschwerdeführer getätigten Behauptungen und vorgelegten Attesten über angebliche gesundheitliche Folgen der gegenständlichen Maßnahme ist zu sagen, dass etwaige Folgen des Betretungsverbotes nicht verfahrensgegenständlich sind.

Ob in der Gefährderdatei der Landespolizeidirektion Wien ein Eintrag über Antrag des Beschwerdeführer nach dem 10.11.2017 gelöscht wurde, ist nicht ausschlaggebend, weil die Beamten mit gutem Grund allein wegen der glaubhaften Schilderungen der Lebensgefährtin, den vorgefundenen roten Striemen auf ihrem Arm und des Verhaltens des Sohnes davon ausgehen konnten, dass ein weiterer gefährlicher Angriff durch den Beschwerdeführer bevorsteht.

Auch ist das Vorgehen der Exekutivbeamten gegenüber dem Beschwerdeführer in Anbetracht der berechtigten Vermutung weiterer gefährlicher Angriffe als verhältnismäßig zu betrachten. Die vom Gesetzgeber für jede Maßnahme vorgesehene Verhältnismäßigkeit kann nicht so interpretiert werden, dass eine Wegweisung nicht vorgenommen werden darf, wenn der potentielle Gefährder gesundheitlich angeschlagen ist. Irrrelevant ist somit, ob der Beschwerdeführer am 10.11.2017 unter Drogeneinfluss stand oder unter gesundheitlichen Problemen litt. Eine Wegweisung dient dem Schutz potentieller Opfer. Dieser angestrebte Erfolg konnte im gegenständlichen Fall nur durch die Wegweisung des Beschwerdeführers erreicht werden, weil die gefährdete Lebensgefährtin das Recht auf Verbleib in der Wohnung hatte. Es konnte nicht festgestellt werden, dass Frau E. aus freien Stücken beabsichtigte, auf dieses Recht zu verzichten. Es stand den handelnden Beamten somit kein anderes zum Ziel führendes Mittel zum Schutz des potentiellen Opfers zur Verfügung.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

Ad II.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 Abs. 1, 3 und 4 Z 3 VwGVG iVm § 1 Z 3, 4 und 5 VwG-AufwErsV.

Ad III.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Betretungsverbot; Wegweisung; Sicherungsmaßnahme; Präventivcharakter; gefährlicher Angriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.102.012.17042.2017

Zuletzt aktualisiert am

07.05.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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