TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/12 G307 2196419-1

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Veröffentlicht am 12.02.2019
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Entscheidungsdatum

12.02.2019

Norm

AsylG 2005 §55 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

G307 2196419-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA: Mazedonien, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige Gesellschaft mbH - ARGE Rechtsberatung in 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2018, Zahl XXXX, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben, und der Beschwerdeführerin gemäß § 55 Abs. 2 AsylG ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) stellte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 19.05.2017 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 2 AsylG.

2. Am 05.03.2018 fand eine niederschriftliche Einvernahme der BF durch das BFA im Aufenthaltstitelantragsverfahren statt.

3. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des BFA, dem bevollmächtigten Sohn der BF persönlich übergeben am 27.04.2018, wurde der Antrag der BF gemäß § 55 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach Mazedonien zulässig sei (Spruchpunkt III.) sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist zur freiwilligen Ausreise im Ausmaß von zwei Wochen festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

4. Mit per E-Mail am 24.05.2018 beim BFA eingebrachtem Schreiben, erhob die BF durch ihre Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) Beschwerde gegen den zuvor angeführten Bescheid.

Darin wurde neben der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt, eine Rückkehrentscheidung für dauernd unzulässig zu erklären und der BF einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG zuzuerkennen, in eventu die Abschiebungsentscheidung zu beheben und eine Abschiebung nach Mazedonien für nicht zulässig zu erklären, in eventu die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

5. Die Beschwerde samt Verfahrensakten wurde vom BFA dem BVwG am 04.06.2018 vorgelegt.

6. Am 11.09.2018 fand vor dem BVwG, Außenstelle Graz, eine mündliche Verhandlung statt, an der die RV der BF sowie der Ehegatte der BF persönlich teilnahmen und die Tochter der BF als Zeugin einvernommen wurde.

Von einer Ladung der BF wurde seitens des erkennenden Gerichts auf Grund deren dokumentierten Krankheitsbildes Abstand genommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum), ist Staatsangehörige von Mazedonien, mit XXXX, geb. XXXX, StA: Mazedonien verheiratet und im Besitz eines mazedonischen Reisepasses.

Die BF reiste gemeinsam mit ihrem Ehegatten am 04.04.2017 ins Bundesgebiet ein, wo sie sich seither durchgehend aufhält. Grund für die Einreise war der Besuch der gemeinsamen Kinder in Österreich.

Die BF lebt mit ihrem Mann sowie der Tochter, XXXX, geb. XXXX, und Sohn XXXX, geb. XXXX, im gemeinsamen Haushalt in Österreich.

Sowohl der Sohn als auch die Tochter der BF sind im Besitz eines Aufenthaltstitels "Rot- Weiß-Rot-Karte" bzw. Daueraufenthalt EU. Weder die BF noch deren Ehegatte sind im Besitz eines Aufenthaltstitels.

Die Tochter der BF ist als Angestellte erwerbstätig und kommt für die Mietkosten der gemeinsam bewohnten Wohnung in Österreich in Höhe € 600,00 auf. Auch der Sohn der BF geht einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit in Österreich nach und bringt als "IT-Assistent-Manager" monatlich € 1.800,00 ins Verdienen.

Die BF und ihr Ehemann beziehen mazedonische Pensionsleitungen und Mieteinnahmen aus Liegenschaftsbesitzen in Mazedonien in der Gesamthöhe von monatlich ca. € 1.100,00 und verfügt die BF zudem über eine mazedonische Sozialversicherung. Darüber hinaus sind die BF und ihr Ehegatte im Besitz von € 5.000,00 an Ersparnissen sowie einer weiteren Liegenschaft in XXXX.

Im Herkunftsstaat halten sich weiterhin Angehörige der BF auf.

Die BF leidet an:

* St. P. Mamma Carcinom

* N. bronchi EGFR pos. 2016

* Z.n. Pneumektomie und Chemotherapie

* Cerebrale SBL 5/2017-Ganzhirnradiatio, und

* Hepatale SBL 5/2017-pulmonales Adenocarcinom, aktivierende EGFR Mutation

und befindet sich aktuell in regelmäßiger Behandlung. Die aktuellen Behandlungskosten wurden zum Teil von den Kindern der BF und zum Teil von der mazedonischen Krankenversicherung der BF bestritten.

Aktuell ist die BF nicht transportfähig und ist eine Besserung der Gesundheitslage der BF nicht absehbar. Die BF ist zudem pflegebedürftig, wird von ihrem Ehegatten und ihren Kindern betreut und weist eine krankheitsbedingte verkürzte Lebenserwartung auf.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF über Deutschkenntnisse verfügt, einen Deutschkurs besucht hat, eine Deutschprüfung oder Integrationskurs iSd. § 9 IntG absolviert hat.

Die BF ist nicht arbeitsfähig und geht keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nach, sondern lebt von ihrem monatlichen Eheeinkommen, eigenen Ersparnissen und Zuwendungen ihrer Kinder.

Ein Bezug von staatlichen Sozialleistungen oder Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung konnte nicht festgestellt werden.

Die BF erweist sich in strafrechtlicher Hinsicht als unbescholten, jedoch konnten Anhaltspunkte für das Vorliegen einer tiefgreifenden Integration in sprachlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht nicht festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1.Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten sowie einer mündlichen Verhandlung durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

2.2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität, Bestand der Staatsbürgerschaft, Besitz eines mazedonischen Reisepasses sowie Aufenthalt von Angehörigen im Herkunftsstaat getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen weder in der gegenständlichen Beschwerde noch in der mündlichen Verhandlung entgegengetreten wurde.

Die gegenständliche Antragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen ergibt sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt.

Die Ehe mit XXXX, sowie die Mutterschaft zu den oben genannten gemeinsamen Kindern, erschließen sich aus den in Vorlage gebrachten Unterlagen [Reisepässe der besagten Kinder sowie Vollmachtserteilung an den Sohn], dem Datenbestand des ZMR sowie den Aussagen der BF vor der belangten Behörde sowie den Angaben des Ehegatten und der Tochter der BF in der mündlichen Verhandlung (siehe G307 2197472-1/6Z).

Die gemeinsame Einreise ins Bundesgebiet folgt den übereinstimmenden Angaben der BF vor der belangten Behörde sowie ihres Ehegatten und ihrer Tochter in der mündlichen Verhandlung (siehe ebd.) und findet zudem im Datenbestand des ZMR eine Untermauerung.

Dem Datenbestand des Zentralen Melderegisters lässt sich zudem die gemeinsame Haushaltsführung mit ihrem Ehegatten und den gemeinsamen Kindern entnehmen und legt der jeweilige Datenbestand des zentralen Fremdenregisters offen, dass die Kinder der BF im Besitz der oben genannten Aufenthaltstitel sind, die BF und deren Ehegatte jedoch keinen solchen besitzen.

Der Grund für die Einreise folgt dem übereinstimmenden Vorbringen der BF vor der belangten Behörde mit jenem ihres Mannes in der mündlichen Verhandlung. Zudem lassen die im Reisepass der BF angebrachten Ein- und Ausreisevermerke erkennen, dass die BF immer wieder nach Österreich gereist und nur kurz Aufenthalt genommen hat, was wiederum ihr Vorbringen, bloß ihre Kinder besuchen gewollt zu haben, untermauert. Darüber hinaus - medizinische Gründe für die Einreise ausschließend - geht aus dem in Vorlage gebrachten Arztbrief des XXXX vom XXXX.2017, hervor, dass die BF aufgrund einer akuten Gangataxie und einer geplanten Inanspruchnahme medizinischer Leistungen stationär aufgenommen wurde und im Rahmen der Behandlung ihren Wunsch auf eine Weiterbehandlung in und Transferierung nach Mazedonien geäußert hat.

Das Zentrale Fremdenregister zeigt zudem auf, dass die BF nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels ist und folgt die Feststellung der strafgerichtlichen Unbescholtenheit dem Amtswissen des erkennenden Gerichts (Einsicht in das Strafregister der Republik Österreich).

Die Erwerbstätigkeiten der Tochter und des Sohnes der BF beruhen auf den Angaben der BF und deren Tochter vor der belangten Behörde sowie der Tochter der BF in der mündlichen Verhandlung (siehe G307 2197472-1/6Z). Zudem spiegeln sich diese auch in einem jeweiligen Sozialversicherungsauszug wieder.

Die Erwerbsunfähigkeit der BF erschließt sich aus deren Krankheitsbild, der Pflegebedürftig- und Behandlungsnotwendigkeit und ergeben sich die Erwerbslosigkeit sowie die mangelnde Feststellbarkeit des Bezuges von Sozialleistungen wiederum aus dem auf den Namen der BF lautenden Sozialversicherungssauzug sowie den stimmigen Angaben der BF. Darüber hinaus folgt der Nichtbezug von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung dem Datenbestand des GVS-Informationssystems.

Die Kostenübernahme für die bisherigen Behandlungen der BF durch deren Kinder und der Bestand der mazedonischen Krankenversicherung beruhen auf den glaubwürdigen Vorbringen der Tochter der BF vor der belangten Behörde und wird dies zudem durch den Umstand bestätigt, dass die BF bis dato laut Sozialversicherungsauszug und GVS-Informationssystem keine Sozialleistungen oder Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung in Österreich bezogen hat. Darüber hinaus vermochte die BF durch Vorlage einer Sozialversicherungskarte das Bestehen einer Sozialversicherung nachzuweisen, was auch im Sozialversicherungsauszug der BF Niederschlag gefunden hat.

Die monatlichen Einkünfte der BF beruhen auf den Angaben der BF und deren Tochter vor der belangten Behörde sowie den sich damit in Einklang befindlichen Angaben des Mannes und der Tochter der BF in der mündlichen Verhandlung.

Die Nichtfeststellbarkeit von Deutschkenntnissen sowie der Nichtbesuch bzw. die Absolvierung von Deutschkursen, Deutschprüfungen oder eines Integrationskurses, beruhen auf der Nichtvorlage diesbezüglicher Unterlagen seitens der BF. Zudem vermeinte die BF vor der belangten Behörde, der deutschen Sprache nicht mächtig zu sein und lässt der aktuelle Gesundheitszustand der BF einen Spracherwerb nicht nahelegen.

Die Feststellung, dass die BF ihren Lebensunterhalt in Österreich aus ihren Ersparnissen, monatlichen Einkommen und Zuwendungen ihrer Kinder bestreitet, folgt den übereinstimmenden Vorbringen der BF vor der belangten mit jenem ihres Ehegatten und deren Tochter in der mündlichen Verhandlung. Ferner wird dies auch durch den Umstand gestützt, dass nicht festgestellt werden konnte, die BF habe bis dato keine Sozialleistungen oder solche aus der staatlichen Grundversorgung bezogen.

Die Nichtfeststellbarkeit von einer tiefgreifende Integration im Bundesgebiet nahelegenden Anhaltspunkten ergibt sich aus dem fehlenden Vorbringen eines entsprechenden Sachverhaltes seitens der BF. Zudem lässt der erst kurze Aufenthalt im Bundesgebiet eine solche Integration auch nicht nahelegen.

Das oben zitierte Krankheitsbild samt der Behandlungsnotwendigkeit beruht auf den zahlreichen in Vorlage gebrachten medizinischen Unterlagen. Diesen kann zudem konkret entnommen werden, dass die BF einer ständigen Kontrolle und Behandlung bedarf (siehe vom Ehegatten der BF in der mündlichen Verhandlung vorgelegten vorläufigen ambulanten Patientenbrief des XXXX, vom XXXX.2018), eine Pflegebedürftigkeit und verkürzte Lebenserwartung aufweist und zudem nicht transportfähig ist. Die belegte medizinische Historie der BF lässt eine kontinuierliche Verschlechterung des Gesundheitsbildes bei aufrechter Behandlungsnotwendigkeit in Folge eines Fortschreitens der Tumorerkrankung und Anstieg der Tumormarker erkennen. Dies wiederum lässt eine Besserung des Gesundheitszustandes der BF in absehbarer Zeit nicht erkennen.

Der Krankheits- und Pflegebedürftigkeitszustand der BF legen jedenfalls nahe, dass die BF von ihren in Österreich aufhältigen Angehörigen betreut wird, was auch in den Angaben des Ehegatten und der Tochter der BF in der mündlichen Verhandlung (siehe G307 2197472-1/6Z) eine Bestätigung findet.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt, und gemäß Abs. 4 Z 10 leg cit, jeder Fremder der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist als Drittstaatsangehöriger.

Die BF als Staatsangehörige von Mazedonien ist sohin Drittstaatsangehörige iSd. § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.

3.1.2. Staatsangehörige der Republik Mazedonien, die Inhaber eines biometrischen Reisepasses sind, sind nach Art. 1 Abs. 2 iVm Anlage II der Verordnung (EG) Nr. 539/2011 vom 15.03.2001, ABl. L 81 vom 21.03.2001, S. 1, von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit.

Gemäß Art. 20 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) können sich sichtvermerksbefreite Drittausländer im Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten frei bewegen, höchstens jedoch drei Monate innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab dem Datum der ersten Einreise an und soweit sie die nunmehr im Schengener Grenzkodex vorgesehenen Einreisevoraussetzungen erfüllen. Für einen geplanten Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen, wobei der Zeitraum von 180 Tagen, der jedem Tag des Aufenthalts vorangeht, berücksichtigt wird, gelten für einen Drittstaatsangehörigen die in Art. 6 Abs. 1 Schengener Grenzkodex, VO (EU) 2016/399, genannten Einreisevoraussetzungen. So muss der Drittstaatsangehörige im Besitz eines gültigen Reisedokuments und, sofern dies in der sog. Visumpflicht-Verordnung VO (EG) Nr. 539/2001 vorgesehen ist, im Besitz eines gültigen Visums sein. Er muss weiters den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen und über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben; er darf nicht im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein und keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaates darstellen und insbesondere nicht in den nationalen Datenbanken der Mitgliedstaaten zur Einreiseverweigerung aus denselben Gründen ausgeschrieben worden sein.

Gemäß § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthaltes im Bundesgebiet die Befristung oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben (Z 1), oder sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder eine Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind (Z 2).

Die BF fällt nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

Die BF reiste am 04.04.2017 ins Bundesgebiet ein und seither nicht wieder aus. Auch ist sie nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels sodass sich ihr aktueller Aufenthalt nach Ablauf der 90 Tage sichtvermerksbefreiten Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet als durchgehend unrechtmäßig erweist. Ein Antrag iSd. § 55 ASylG vermittelt gemäß § 58 ABs. 13 AsylG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht.

3.1.4. Der mit "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK" betitelte § 55 ASylG lautet:

"§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

3.1.5. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. "legitimate family" bzw. "famille légitime") oder einer unehelichen Familie ("illegitimate family" bzw. "famille naturelle"), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, Serife Yigit, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

• die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

• das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

• die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

• den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

• die Bindungen zum Heimatstaat,

• die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

• auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u. a., Zl. 26940/10).

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in seiner ständigen Rechtsprechung, dass bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen wird, eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist, die auf alle Umstände des Einzelfalles Bedacht nimmt. Bei dieser Abwägung kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird, die im Einzelfall zu einer maßgeblichen Verstärkung des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich führen kann (vgl. etwa VwGH vom 29.02.2012, 2010/21/0310 bis 0314 und 2010/21/0366, mwN).

Bei der vorzunehmenden Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK ist daher auch der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers zu berücksichtigten (vgl. etwa EGMR, Bensaid/Vereinigtes Königreich, vom 06.02.2001, Zahl 44599/98, Rz 46f). Die Notwendigkeit der Behandlung einer Erkrankung (nur) in Österreich kann auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK im Sinne einer hierdurch bewirkten Verstärkung des Interesses an einem Verbleib im Bundesgebiet Bedeutung zukommen (vgl. VwGH vom 05.07.2011, 2008/21/0282 mwN; vom 29.02.2012, 2010/21/0310 und vom 24.08.2015, Ra 2014/18/0146). Die diesbezügliche Rechtsprechung des VwGH verwies in weiterer Folge auf die EGMR Judikatur zu N./Vereinigtes Königreich (EGMR vom 19.02.2009, Nr. 26565/05), wobei nunmehr die Kriterien des Erkenntnisses des EGMR vom 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien, heranzuziehen sind. Während bei einer Beurteilung der Auswirkung einer Krankheit bzw. einer Behandlungsnotwendigkeit in Österreich auf die privaten Interessen eines Betroffenen nicht die gleiche Eingriffsintensität wie nach Art. 3 EMRK gefordert ist, sind die Prüfungsparameter der Rechtsprechung des EGMR nunmehr nach Paposhvili/Belgien entsprechend mitzubedenken.

Das persönliche Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 10. November 2015, Ro 2015/19/0001, mwN; zur Übertragbarkeit der zu früher geltenden Rechtslagen des FPG ergangenen Rechtsprechung zur Interessenabwägung bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auf die seit 1. Jänner 2014 geltende Rechtslage nach dem BFA-VG vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. November 2015, Ra 2015/21/0101). [...] (vgl. 15.12.2015,

Zl. Ra 2015/19/0247)

Bei einer Abwägung iSd. Art 8 EMRK kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird, die im Einzelfall zu einer maßgeblichen Verstärkung des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich führen kann (Hinweis Erkenntnisse vom 29. Februar 2012, 2010/21/0310 bis 0314 und 2010/21/0366, mwN). So muss das Verwaltungsgericht bei Vorliegen einer maßgeblichen Erkrankung, die eine jederzeitige medizinische Behandlung erforderlich und einen Transport in den Herkunftsstaat für den Fremden gesundheits- oder lebensgefährdend machen kann, dieses besondere private Interesse am vorübergehenden Verbleib in Österreich gegen das öffentliche Interesse an einer sofortigen Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet abwägen. Im Allgemeinen hat zwar kein Fremder ein Recht, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet (Hinweis E vom 29. April 2010, 2009/21/0055). Das schließt aber nicht aus, dass im Falle einer maßgeblichen Erkrankung mit negativen Verlauf, ein beachtenswertes privates Interesse des Fremden (auch) im Sinne des Art. 8 MRK vorliegt, den Aufenthalt vorübergehend zu verlängern. (vgl. VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146).

3.1.6. Die BF verfügt auf Grund des gemeinsamen Haushaltes mit ihren zum Aufenthalt in Österreich berechtigten Kindern über familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich. Zudem ist aufgrund des Gesundheits- und Pflegezustandes der BF sowie der teils von ihren Kindern übernommenen Betreuung und Unterbringung von einem besonderen Naheverhältnis auszugehen, sodass vom Vorliegen eines schützenswerten Privat- und Familienlebens iSd. Art 8 EMRK auszugehen ist (vgl. Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerber und Art 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 860). Die BF reiste zuletzt am 04.04.2017 ins Bundesgebiet zum Besuch ihrer Kinder ein und hegte nicht den Wunsch, im Bundesgebiet zu verbleiben. Auch musste sich die BF mangels Aufenthaltstitels bewusst gewesen sein, nicht dauerhaft im Bundesgebiet verbleiben zu können. Im konkreten Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass die BF aufgrund ihres dokumentierten Krankheitsverlaufes und aktuell bestehender Transportunfähigkeit an einer Ausreise aus dem Bundesgebiet faktisch gehindert war, was auch bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit ihres aktuellen Aufenthaltes berücksichtigt werden muss.

Wenn die BF zudem auch nicht auf einen langjährigen Aufenthalt und besondere Integrationsmomente, wie Deutschkenntnisse, besonderes soziales Engagement oder Erwerbstätigkeiten in Österreich zurückblicken kann, bedarf ihr aktueller Gesundheitszustand der BF einer maßgeblichen Beachtung. Unbeschadet einer im Herkunftsstaat allfällig bestehenden hinreichenden medizinischen Versorgung der BF kann eingedenk ihres momentanen Gesundheitszustandes nicht gesagt werden, dass die BF Zugang zu nach Mazedonien schließt deren Rückkehr dorthin und damit eine mögliche Fortführung der notwendigen Behandlungen ebendort per se aus.

Eine Abwägung all der sich widerstreitenden Interessen hat im gegenständlich konkreten Einzelfall ein Überwiegen der Interessen der BF am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber jenen der Republik Österreich an deren Ausweisung zur Folge. Zwar besteht ein großes öffentliches Interesse an der Beachtung fremdenrechtlicher, die Einreise und den Aufenthalt in Österreich regelnder Normen sowie an der Beendigung unrechtmäßiger Aufenthalte in (vgl. VwGH 09.03.2003, 2002/18/0293). Doch im gegenständlich konkreten Fall ist auf Seiten der BF in Anschlag zu bringen, dass diese nicht willkürlich gegen gültige fremdenrechtliche Normen verstoßen hat, deren Gesundheitszustand eine Rückkehr in ihren Herkunftsstaat und damit einhergehend eine Behandlung in Mazedonien ausschließt, sie bis dato keine öffentlichen Leistungen in Anspruch genommen hat, deren medizinische Kosten aufgrund bestehender familiärer Zuwendungen und einer bestehenden Sozialversicherung gedeckt sind und der Unterhalt der BF in Österreich aufgrund eines eigenen Einkommens und Unterstützungsleistungen ihrer Kinder als gesichert angesehen werden kann.

Insofern sohin eine Aufenthaltsbeendigung aufgrund des Überwiegens der privaten Interessen der BF einen unrechtmäßigen Eingriff in deren geschützte Rechte iSd. Art 8 EMRK bedeutete und zudem eine Besserung des Gesundheitszustandes der BF sowie einer damit einhergehenden Wiedererlangung ihrer Transport- bzw. Reisefähigkeit aus aktueller Sicht nicht abgesehen werden kann, liegen gegenständlich die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels iSd. § 55 AsylG vor (vgl. Szymanski, AsylG § 55 Anm. 1, in Schrefler-König/Szymanski (Hrsg) Fremdenpolizei- und Asylrecht Teil II: wonach § 55 AsylG das Bleiberecht iSd. der Judikatur des VfGH um setzt und hierfür Bedingung sei, dass eine Aufenthaltsbeendigung im Hinblick auf Art 8 EMRK auf Dauer unzulässig ist; sowie Szymanski, BFA-VG § 9 Rz. 14, in Schrefler-König/Szymanski (Hrsg) Fremdenpolizei- und Asylrecht Teil I: wonach eine Ausweisung insbesondere dann auf Dauer unzulässig sei, wenn das Ende der Unzulässigkeit zwar denkbar aber nicht absehbar ist.).

In Ermangelung des Erbringens erforderlicher Nachweise iSd § 55 Abs. 1 Z 2 AylG seitens der BF war der Beschwerde stattzugeben und der BF spruchgemäß ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 Abs. 2 AsylG "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen. Ausschlussgründe iSd. § 60 AsylG liegen nicht vor.

3.2.5. Aufgrund erfolgter - die Aufhebung der von der belangten Behörde ausgesprochenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme bewirkender - Stattgabe des verfahrensgegenständlichen Antrages der BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG fällt auch die Voraussetzung für einen Ausspruch einer Rückkehrentscheidung (§ 52 Abs. 3 FPG) sowie über die Zulässigkeit der Abschiebung (siehe § 52 Abs. 9 FPG) samt Festsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise (§ 55 FPG) weg, weshalb die entsprechenden Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides - im Zuge der Stattgabe der Beschwerde - als aufgehoben gelten.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung, gesundheitliche Beeinträchtigung,
Interessenabwägung, private Interessen, Selbsterhaltungsfähigkeit,
Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G307.2196419.1.00

Zuletzt aktualisiert am

07.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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