Entscheidungsdatum
05.03.2019Norm
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1Spruch
W234 2194614-1/10E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bernhard KETTL, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2018, Zl. XXXX :
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der damals noch minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen, reiste im Jahr 2004 in Begleitung seiner Eltern in das Bundesgebiet ein. Der Beschwerdeführer stellte durch seinen gesetzlichen Vertreter am 15.04.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz, dem vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 20.05.2005 stattgegeben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) vom 05.04.2018 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 20.05.2005, XXXX , zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters werde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 werde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer werde zudem auch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 werde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Ziffer 1 FPG 2005 werde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grund der Beschwerde, der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen, reiste im Jahr 2004 in Begleitung seiner Eltern in das Bundesgebiet ein und stellte am 15.04.2004 durch seinen gesetzlichen Vertreter einen Antrag auf internationalen Schutz, welchem vom Bundesasylamt stattgegeben wurde. Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 20.05.2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Seit 2005 hielt sich der Beschwerdeführer als anerkannter Flüchtling im Bundesgebiet auf.
2. Mit Schreiben vom 19.02.2018 - dem Beschwerdeführer während seiner Anhaltung in der Justizanstalt XXXX am 21.02.2018 zugestellt - verständigte das Bundesamt den Beschwerdeführer darüber, dass wegen mehrerer von ihm begangener Straftaten und Verurteilungen beabsichtigt sei, gegen ihn ein Verfahren zur Aberkennung seines Asylstatus einzuleiten und ihn in seinen Herkunftsstaat auszuweisen. Dem Beschwerdeführer wurden zudem Länderberichte zur allgemeinen Lage in der Russischen Föderation, insbesondere Tschetschenien, übermittelt und ihm zur Wahrung seines Parteiengehörs die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme binnen drei Wochen eingeräumt.
Unter einem wurde dem Beschwerdeführer innerhalb einer ebenfalls dreiwöchigen Frist zudem auch die Möglichkeit eingeräumt - anhand vorgefertigter Fragen des Bundesamtes - zu seiner aktuellen Situation in Österreich schriftlich Stellung zu nehmen. Dazu wurde der Beschwerdeführer schriftlich gefragt, ob er in Österreich verheiratet sei oder in einer ständigen Lebensgemeinschaft leben würde, ob er in Österreich lebende Kinder habe und ob er in Österreich andere nahe Verwandte habe, von denen er finanziell abhängig sei. Für den Fall, dass diese Fragen nicht mit Bescheinigungsmittel unterlegt und unter Nennung der Namen und Adressen der jeweiligen Familienangehörigen beantwortet würden, kündigte das Bundesamt an, davon auszugehen, dass sich keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet aufhalten würden bzw. er zu ihnen über keine nähere Beziehung verfüge. Zudem wurden auch Fragen zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers und zu einem etwaigen Besuch von Deutschkursen in das Schreiben aufgenommen. Für den Fall, dass der Beschwerdeführer zu den Deutschkenntnissen keine Bescheinigungsmittel in Vorlage bringe, kündigte das Bundesamt an, davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer kein Deutsch beherrsche. Weiters wurden auch Fragen zur Integration des Beschwerdeführers und seiner Schul- bzw. Berufsausbildung in Österreich in das Schreiben aufgenommen. Eine weitere Frage des Schreibens betrifft den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers. Sofern der Beschwerdeführer zu dieser Frage keine Beweismittel vorlege, kündigte das Bundesamt an, davon auszugehen, dass er an keiner schwerwiegenden lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Erkrankung oder einer sonstigen Beeinträchtigung leide. Abschließend wurde der Beschwerdeführer noch ersucht, allfällige Gründe geltend zu machen, aufgrund derer er vermeine, bei einer Rückkehr in die Russische Föderation einer Bedrohungssituation ausgesetzt zu sein.
Dieses Schreiben war in deutscher Sprache abgefasst. Eine Übersetzung des Schreibens oder eine Belehrung in einer Fremdsprache waren dem Schreiben nicht angeschlossen.
3. Eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu dem Schreiben des Bundeamts vom 19.02.2018 langte nicht ein.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 05.04.2018 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 20.05.2005, XXXX , zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Weiters wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Ziffer 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Ziffer 1 FPG 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). In diesem Bescheid stellt das Bundesamt unter anderem fest, dass der Beschwerdeführer an keiner schwerwiegenden lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Erkrankung oder einer sonstigen Beeinträchtigung leide, in Österreich keine Ausbildung abgeschlossen habe, nur über jene Familienmitglieder als Angehörige verfüge, die mit ihm eingereist seien und keine weiteren Anknüpfungspunkte in Österreich und keine ausgeprägte Integration aufweise. Feststellungen zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers, etwaigen Vereins- oder sonstigen Mitgliedschaften in Österreich und den Bindungen des Beschwerdeführers zum Herkunftsstaat werden nicht getroffen.
5. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer während seiner Anhaltung in der Justizanstalt XXXX am 09.04.2018 zugestellt.
6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 02.05.2018 Beschwerde, welcher per Fax am 04.05.2018 beim Bundesamt einlangte. Damit wird der Bescheid in vollem Umfang angefochten.
7. Der Beschwerdeführer verbüßt derzeit seine Strafhaft in der Justizanstalt XXXX .
III. Beweiswürdigung:
Die unter Punkt II. getroffenen Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus dem Inhalt des vorliegenden Verfahrensaktes.
IV. Rechtliche Beurteilung:
Der angefochtene Bescheid wurde vom Beschwerdeführer am 09.04.2018 persönlich übernommen. Die am 04.05.2018 beim Bundesamt per Fax eingelangte Beschwerde ist somit gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG rechtzeitig.
Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung
1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
2. Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits wiederholt mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. für viele VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):
• Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
• Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
• Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
4. In Bezug auf den ermittelten Sachverhalt erweist sich der angefochtene Bescheid in inhaltlicher Hinsicht als gravierend mangelhaft:
4.1. Im vorliegenden Fall hat das Bundesamt einen wesentlichen Ermittlungsschritt, nämlich die persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers und dessen Befragung bzw. Konfrontation über die den einzelnen Absprüche zugrundeliegenden Sachverhalte unterlassen. Darauf, dass der Beschwerdeführer nicht einvernahmefähig gewesen wäre oder zu entscheidungsmaßgeblichen Umständen aus sonstigen Gründen keine Aussagen treffen hätte können, findet sich keinerlei Hinweis.
Da die Aberkennung des Asylstatus nach § 7 Abs. 1 AsylG auch mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung - nach einem langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet - verbunden wurde, erscheint für die dabei gebotene Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK die persönliche Befragung des Beschwerdeführers zu seinen persönlichen und familiären Verhältnissen sowohl in Österreich als auch der Russischen Föderation als unabdingbar.
Auch soweit das Bundesamt die Verhängung eines Einreiseverbots für geboten erachtete, hätte es (zumindest) für die Bemessung der Höhe die selben Umstände zu berücksichtigen gehabt, die sich nur aus einer persönlichen Befragung und gewonnenen persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers selbst ergeben hätten. So ist bei der Entscheidung über die Dauer eines Einreiseverbots stets auch auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002; vgl. auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/ Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 53 FPG, K12). Außerdem ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Fremden - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237). Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen, wobei im Allgemeinen auch der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks besondere Bedeutung zukommt (VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039).
4.2. Festzuhalten ist, dass die Ermittlungen des Bundesamts zu den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers nur ansatzweise durchgeführt wurden und sehr oberflächlich geblieben sind.
Vom Bundesamt wurde der Beschwerdeführer lediglich mit Schreiben vom 19.02.2018 darüber informiert, dass beabsichtigt sei, ein Verfahren zur Aberkennung seines Status des Asylberechtigten einzuleiten. Das Bundesamt begründete dies pauschal ohne konkrete Angaben damit, dass der Beschwerdeführer mehrere Straftaten begangen habe und deswegen mehrmals strafgerichtlich verurteilt worden sei. Obwohl dem Bundesamt der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers (der sich seit 11.04.2017 in Strafhaft, zunächst in der Justizanstalt XXXX und nunmehr in der Justizanstalt XXXX , befindet) bekannt war, sah dieses davon ab, den Beschwerdeführer mündlich einzuvernehmen, sondern forderte ihn zur schriftlichen Beantwortung einer Reihe von Fragen auf, wodurch offenbar sämtliche als notwendig erachtete Sachverhaltsangaben gewonnen werden sollten. Bei der Bewertung dieser Aufforderung zur schriftlichen Stellungnahme ist zunächst zu berücksichtigen, dass das betreffende Schreiben ausschließlich in deutscher Sprache abgefasst war und diesem keine fremdsprachlichen Ergänzungen - etwa eine Belehrung über die Qualität und wesentliche Bedeutung des Schreibens - angeschlossen wurden. In der Aufforderung zur Stellungnahme verlangte das Bundesamt dem Beschwerdeführer auch ab, seine Angaben zu etwaigen Partnern und Familienangehörigen in Österreich, zu seinen Deutschkenntnissen und zu seinem Gesundheitszustand innerhalb dieser Frist zu treffen und mit Bescheinigungsmitteln zu belegen, widrigenfalls vom Nichtvorliegen von Integrationsleistungen und Erkrankungen sowie von mangelnden Deutschkenntnissen auszugehen sein würde. Dabei war dem Bundesamt bekannt, dass der Beschwerdeführer diese Stellungnahme samt Beweismitteln aus dem Stande der Strafhaft würde beibringen müssen.
4.3. Unter Berücksichtigung des oben skizzierten Ablaufes des Ermittlungsverfahrens geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass das Bundesamt den Sachverhalt, welchen es für die Erlassung sämtlicher Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids als maßgeblich feststellte, im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt hat. Denn trotz nur ansatzweise vorliegender Beweisergebnisse sah das Bundesamt davon ab, den Beschwerdeführer mündlich einzuvernehmen. Dieser gravierende Ermittlungsmangel wird durch die im Verfahren sonst gesetzten Ermittlungsschritte nicht geheilt. Dem Beschwerdeführer, für den (auch trotz seines bereits langjährigen Aufenthaltes in Österreich) nicht ohne Ermittlungen klar ist, inwieweit er der deutschen Sprache ausreichend mächtig ist, wurde lediglich eine - zur Beantwortung sämtlicher Fragen notwendigerweise umfangreiche - schriftliche Stellungnahme während eines Freiheitsentzuges innerhalb einer Frist von drei Wochen aufgetragen, wobei die bloße Beantwortung der Fragen in der Aufforderung zur Stellungnahme als nicht ausreichend bezeichnet wurde, sondern auch eine umfangreiche Vorlage von Bescheinigungsmitteln abverlangt wurde. Hinzu kommt, dass dem Auftrag kein fremdsprachlicher Hinweis auf seinen Inhalt und seine Bedeutung angeschlossen war, sodass unklar ist, inwieweit dessen Inhalt dem Beschwerdeführer verständlich war. Zudem wurde die Aufforderung zur Stellungnahme zudem noch mit der Belehrung verbunden, dass auch die bloße Beantwortung der Fragen, ohne die Antworten durch Bescheinigungsmittel zu belegen, das Bundesamt nicht dazu veranlassen würde, von der jeweils in Aussicht gestellten - für den Beschwerdeführer nachteiligen - Sachverhaltsannahme abzurücken. Daher durfte der Beschwerdeführer auch nicht von der Zweckmäßigkeit der bloßen Beantwortung des Fragenkatalogs ohne Vorlage fehlender Beweismittel ausgehen. Schließlich berücksichtigte die Sachverhaltsermittlung nicht, dass beim Beschwerdeführer Gegebenheiten wie Deutschkenntnisse, persönliche Beziehungen, aber auch Krankheiten vorliegen können, für die - gerade in Strafhaft - keine Bescheinigungsmittel vorliegen müssen oder alsbald beschafft werden können. Insofern musste eine Einvernahme des Beschwerdeführers - gerade mit Blick auf seinen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet - als unabdingbar erscheinen, insbesondere um seine Integration zu erheben und die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots sowie dessen Dauer beurteilen zu können. Im Übrigen bezog der vom Bundesamt herangezogene schriftliche Fragenkatalog keineswegs sämtliche Themengebiete ein, die für die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes maßgeblich sind. Bspw wurde der Beschwerdeführer nicht einmal schriftlich danach gefragt, welche Bindungen zum Herkunftsstaat er noch aufweist, was angesichts seines langjährigen Aufenthalts in Österreich und seines jungen Alters bei seiner Ankunft hier nahegelegen wäre.
4.4. Im Hinblick auf die geschilderte Vorgangsweise - insb angesichts des Absehens von der Einvernahme des Beschwerdeführers, obwohl wesentliche Aspekte seiner persönlichen Verhältnisse in Österreich wie in der Russischen Föderation dem Bundesamt völlig unbekannt waren und sich der Beschwerdeführer schon langjährig im Bundesgebiet aufgehalten hatte - geht das Bundesverwaltungsgericht von nur ansatzweisen Sachverhaltsermittlungen des Bundesamtes aus, zumal diesem der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers in der Justizanstalt bekannt war, sodass es diesen ohne weiteres hätte einvernehmen können, um die umfangreichen Ermittlungslücken zu schließen.
Der angefochtene Bescheid ist sohin gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und ist die Rechtssache zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Dieses wird in der Folge den Beschwerdeführer zumindest einmal persönlich einzuvernehmen und zu sämtlichen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie (allenfalls) die Verhängung eines Einreiseverbots entscheidungsmaßgeblichen Umständen zu befragen haben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 30.06.2015, Ra 2014/03/0054) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Revision ist sohin gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W234.2194614.1.00Zuletzt aktualisiert am
07.05.2019