TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/6 W103 2215296-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.03.2019
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Entscheidungsdatum

06.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §18 Abs1 Z4
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W103 2215296-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Russische Föderation und gesetzlich vertreten durch XXXX, geb. XXXX, dieser vertreten durch die XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.01.2019, Zl. 1213086509-181120696, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005

idgF, §§ 9, 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG idgF, §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der minderjährige Beschwerdeführer ist der im Jahr XXXX im Bundesgebiet geborene Sohn des Beschwerdeführers zu Zl. W182 1439218-2 und der Beschwerdeführerin zu Zl. W182 1439219-2. Er ist, ebenso wie seine Eltern, Staatsangehöriger der Russischen Föderation inguschetischer Volksgruppenzugehörigkeit.

1. Zum vorangegangenen Verfahren seiner Familienangehörigen:

1.1. In Bezug auf die Eltern und die ältere Schwester des minderjährigen Beschwerdeführers hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheiden vom 10.10.2017 bzw. 11.10.2017 ausgesprochen, dass diesen der ihnen vormals mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.09.2014 bzw. Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.03.2015 zuerkannte subsidiäre Schutz gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt werde (Spruchpunkt I.), die ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen werde (Spruchpunkt II.), den Genannten ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde, gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die Genannten eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

1.2. Die gegen diese Bescheide eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.07.2018, Zln. W182 1439218-2/10E, W182 1439219-2/10E und W182 2177158-1/8E, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 9 Abs.1 und Abs. 4 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, sowie gemäß §§ 57, 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz idgF iVm §§ 52 Abs. 2 Z 4, 52 Abs. 9, 46 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 24 Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung beträgt.

Das Bundesverwaltungsgericht ging in jenen Entscheidungen von folgendem entscheidungsmaßgeblichen Sachverhalt aus:

Die Eltern des minderjährigen Beschwerdeführers hätten am 03.06.2013 gemeinsam mit ihrer erstgeborenen Tochter Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet gestellt, welche mit Erkenntnissen des BVwG vom 01.09.2014 in Bezug auf Asyl wegen der Unglaubwürdigkeit der vom Vater des Beschwerdeführers geltend gemachten Fluchtgründe abgewiesen worden wären und mit denen den Eltern des minderjährigen Beschwerdeführers wegen der äußerst schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung ihrer erstgeborenen Tochter subsidiärer Schutz (im Familienverfahren) gewährt sowie eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 01.09.2015 erteilt worden sei. Der im Bundesgebiet nachgeborenen Schwester des minderjährigen Beschwerdeführers sei auf ihren Antrag vom 26.02.2015 subsidiärer Schutz im Familienverfahren gewährt und ihr ebenfalls eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 01.09.2015 erteilt worden. Die erstgeborene Tochter sei am XXXX verstorben.

Es sei nicht glaubhaft, dass dem Vater des minderjährigen Beschwerdeführers bei der Rückkehr in die Russische Föderation Verfolgung oder eine Art. 3 EMRK widersprechende Lage drohe. Die Familienmitglieder des Beschwerdeführers würden an keinen schwerwiegenden Krankheiten leiden. Die Eltern des Beschwerdeführers mit Schul- und Berufsausbildung (Tierarzt, Schneiderin) bzw. -erfahrung (Berufssoldat, Wachdienst) in der Russischen Föderation seien in einem erwerbsfähigen Alter und verfügen über familiäre (Eltern, Geschwister) sowie verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte (Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen) im Herkunftsstaat, auch außerhalb Inguschetiens.

Die Familienmitglieder des Beschwerdeführers seien seit etwa 5 Jahren in Österreich aufhältig. Der Vater des Beschwerdeführers habe Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 nachweisen können und habe Kenntnisse auf dem Niveau A2 erworben, die Mutter des Beschwerdeführers habe erst kürzlich mit einem Deutschkurs begonnen. Sie würden die staatliche Grundversorgung beziehen und seien nicht selbsterhaltungsfähig. Der Vater des Beschwerdeführers habe bisher mit Unterbrechungen in Summe knapp 5 bis 6 Monate im Bundesgebiet gearbeitet, und ginge offenbar seit 02.07. einer Halbtagsbeschäftigung (20 Stunden pro Woche) nach. Die Mutter des Beschwerdeführers sei bisher noch keiner Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nachgegangen. Die Schwester des Beschwerdeführers besuche den Kindergarten. Die Genannten seien strafrechtlich unbescholten.

Die Mutter des Beschwerdeführers sei schwanger, wobei ein errechneter Geburtstermin laut Mutter Kind Pass mit 19.10.2018 datiert wurde.

Beweiswürdigend wurde aufgrund näherer Erwägungen von einer Unglaubwürdigkeit der vom Vater des minderjährigen Beschwerdeführers dargelegten Verfolgungsgründe ausgegangen.

In rechtlicher Hinsicht erwog das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen, dass nach dem Ableben der erstgeborenen Tochter der Eltern des minderjährigen Beschwerdeführers die Voraussetzungen für die weitere Gewährung von subsidiärem Schutz an ihre Familienangehörigen gemäß § 34 AsylG 2005 nicht mehr vorliegen würden (§ 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005).

Dass die Familienmitglieder des minderjährigen Beschwerdeführers im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnten, hätten diese nicht glaubwürdig dartun bzw. im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden können. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die Eltern und die Schwester des minderjährigen Beschwerdeführers somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder drohe im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte.

Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Familienmitglieder des minderjährigen Beschwerdeführers als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, seien nicht hervorgekommen. Die Sicherheitslage in der Russischen Föderation und in Inguschetien sei nicht dergestalt, dass praktisch jeder, der dorthin zurückkehre einer Art. 3 EMRK widersprechenden Situation ausgesetzt sei.

Es könne auch nicht erkannt werden, dass den Familienmitgliedern des minderjährigen Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegen VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), hätten doch die im Herkunftsstaat über familiäre Anknüpfungspunkte verfügenden Eltern des Beschwerdeführers selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihnen im Falle einer Rückführung in die Russische Föderation jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und sie in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären.

Die Eltern des Beschwerdeführers seien - abgesehen von einem Ischiasleiden des Vaters und einem Schilddrüsenleiden der Mutter, wobei keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es sich hierbei im Hinblick auf Art. 3 EMRK um besonders außergewöhnliche oder schwerwiegende, lebensbedrohliche Krankheiten handeln würde - weitgehend gesund und grundsätzlich arbeitsfähig.

Die Eltern des minderjährigen Beschwerdeführers würden über hinreichende Schul- und Berufsausbildung bzw. Berufserfahrung verfügen. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Teilnahme am Erwerbsleben könne - unter Rücksichtnahme auf die Schwangerschaft der Mutter - zumindest beim Vater des Beschwerdeführers vorausgesetzt werden. Unabhängig davon sei aber davon auszugehen, dass die Familie des Beschwerdeführers bei einer Notlage neben staatlicher Unterstützung jedenfalls auf entsprechende Hilfeleistungen (Unterkunft, Verpflegung, sonstige materielle Leistungen) durch ihre im Herkunftsland aufhältigen Familienangehörigen zurückgreifen könnten. Die Familie des minderjährigen Beschwerdeführers verfüge über zahlreiche Verwandte, sodass insgesamt von einem maßgeblichen familiären Rückhalt im Rückkehrfall ausgegangen werden könne.

In Bezug auf die ausgesprochenen Rückkehrentscheidungen gelangte das Bundesverwaltungsgericht zu dem Schluss, dass im Hinblick auf die Zeitspanne, während der sich die Eltern und die Schwester des minderjährigen Beschwerdeführers in Österreich aufgehalten hätten, selbst unter Miteinbeziehung integrativer Merkmale in sprachlicher, sozialer und beruflicher Hinsicht eine von Art. 8 EMRK geschützte "Aufenthaltsverfestigung" unter den gegebenen Umständen noch nicht angenommen werden könne. Anhaltspunkte für eine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation könnten nicht erkannt werden. Somit habe nicht festgestellt werden können, dass dem subjektiven Interesse der Familienmitglieder des minderjährigen Beschwerdeführers am Verbleib im Inland Vorzug gegenüber dem maßgeblichen öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukomme.

Die Frist für die freiwillige Ausreise sei der damaligen fortgeschrittenen Schwangerschaft der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers Rechnung tragend spruchgemäß bis zu dem im Mutter-Kind Pass berechneten Geburtstermin zuzüglich einer nachfolgenden Schutzfrist (inklusive Zeitpuffer) zu verlängern gewesen.

2. Zum gegenständlichen Verfahren:

2.1. Für den minderjährigen Beschwerdeführer wurde infolge Übermittlung seiner österreichischen Geburtsurkunde durch seinen Vater gemäß § 17a AsylG 2005 ein Verfahren auf internationalen Schutz vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingeleitet, in dessen Rahmen der Vater des Beschwerdeführers als sein gesetzlicher Vertreter am 10.01.2019 niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen wurde. Dabei gab der gesetzliche Vertreter des minderjährigen Beschwerdeführers im Wesentlichen an, sein im Bundesgebiet geborener Sohn leide gegenwärtig an einer Erkältung, sei jedoch ansonsten gesund; dieser habe keine eigenen Fluchtgründe, da er in Österreich geboren sei. Der Antrag seines Sohnes werde im Rahmen des Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG 2005 gestellt.

2.2. Mit im Spruch angeführten Bescheid vom 25.01.2019 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des minderjährigen Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den minderjährigen Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.), gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestünde (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde über diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz des minderjährigen Beschwerdeführers wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.).

In seiner Entscheidungsbegründung hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst fest, der Beschwerdeführer sei ein minderjähriges Kind, welches sich in Obhut seiner Eltern befände, welche weiterhin für ihn sorgen würden. Der minderjährige Beschwerdeführer sei gesund, befinde sich in einem anpassungsfähigen Alter und weise keine eigenen Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen auf. Eine aktuelle oder individuelle drohende Verfolgung im Herkunftsstaat habe nicht festgestellt werden können. Den Eltern sowie seiner Schwester sei aufgrund des Krankheitsbildes einer zwischenzeitlich verstorbenen weiteren Schwester der Status von subsidiär Schutzberechtigten zugekommen, welcher nach dem Tod der Minderjährigen aberkannt worden sei. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der minderjährige Beschwerdeführer oder seine Familienangehörigen in der Russischen Föderation asylrelevanter Verfolgung oder Gefährdung durch staatliche Organe oder durch Privatpersonen ausgesetzt seien, ebensowenig hätten stichhaltige Gründe für die Annahme festgestellt werden können, dass der minderjährige Beschwerdeführer Gefahr liefe, in der Russischen Föderation einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen individuellen Gefahr unterworfen zu werden. Eine Zuerkennung eines Status im Rahmen des Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG komme nicht in Betracht, zumal keinem anderen Mitglied seiner Familie der Status des Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten zukomme. Seine Eltern und seine ebenfalls minderjährige Schwester seien gleichermaßen von einer Rückkehrentscheidung betroffen. Weitere, einer Rückkehrentscheidung entgegenstehende, familiäre oder private Anknüpfungspunkte habe die gesetzliche Vertretung des Beschwerdeführers nicht vorgebracht. Aspekte, welche die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG rechtfertigen würden, seien nicht hervorgekommen. Da für den minderjährigen Beschwerdeführer keine Verfolgungsgründe vorgebracht worden seien, für die Behörde feststünde, dass für den Genannten bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Gefahr einer Menschrechtsverletzung gegeben wäre und eine sofortige Umsetzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Sinne eines geordneten Fremdenwesens geboten erscheine, sei der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 AsylG die aufschiebende Wirkung abzuerkennen gewesen, daran anknüpfend sei gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG auszusprechen gewesen, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht bestehe.

2.3. Gegen den dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation am 22.02.2019 fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in welcher begründend zusammengefasst ausgeführt wurde, die Behörde habe den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren nicht Genüge getan, zumal die von der belangten Behörde zitierten Länderberichte ein unvollständiges und teils nicht hinreichend aktuelles Bild der Situation in der Heimatregion des minderjährigen Beschwerdeführers liefern würden. Aus aktuellen Medienberichten ginge hervor, dass es zu weitaus mehr bewaffneten Auseinandersetzungen in Inguschetien gekommen sei, als in den Vorjahren; es komme regelmäßig zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Rebellen sowie gezielten Attacken der Rebellen auf Personen, welche mit der Regierung in Verbindung gebracht würden. Inguschetien sei inzwischen das gefährlichste Pflaster in der russischen Nordkaukasus-Region und befinde sich am Rande eines offenen Bürgerkrieges. Hätte die belangte Behörde entsprechendes Berichtsmaterial berücksichtigt und die von ihr selbst zitierten Länderberichte korrekt ausgewertet, hätte sie zum Schluss kommen müssen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation asylrelevante Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie drohe. Das reale Risiko einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bestünde beim Beschwerdeführer in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente des Beschwerdeführers, sodass gerade bei ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko bestehe, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. Dies ergebe sich einerseits aus den zitierten Länderberichten, welche die prekäre Situation belegen und andererseits aus der Tätigkeit des Vaters des Beschwerdeführers für das russische Militär. Im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers - egal in welchen Teil der Russischen Föderation - müsse mit Vergeltungsaktionen durch die im gesamten Staatsgebiet gut vernetzten Rebellen gerechnet werden. Auch im Hinblick auf den gesundheitlichen Zustand der Mutter des Beschwerdeführers könne dieser eine Rückkehr in die Russische Föderation nicht zugemutet werden. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die Behörde sohin zum Ergebnis gelangen müssen, dass dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt werden hätte müssen. Der Beschwerdeführer sei in Österreich geboren und gefährde durch seinen Aufenthalt weder die öffentliche Ordnung noch die nationale Sicherheit oder das wirtschaftliche Wohl. Der Eingriff in das schützenswerte Privatleben des Minderjährigen sei als unverhältnismäßig zu qualifizieren und daher auf Dauer unzulässig. Die Behörde habe zudem eine Prüfung des Kindeswohls unterlassen. Das Bundesverwaltungsgericht habe binnen einer Woche über die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden; zudem werde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

2.4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 28.02.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der minderjährige Beschwerdeführer ist der im XXXXim Bundesgebiet geborene Sohn des Beschwerdeführers zu Zl. W182 1439218-2 und der Beschwerdeführerin zu Zl. W182 1439219-2, sowie Bruder der minderjährigen Beschwerdeführerin zu Zl. W182 2177158-1; er ist, ebenso wie seine Eltern, Staatsangehöriger der Russischen Föderation inguschetischer Volksgruppenzugehörigkeit und führt die im Spruch ersichtlichen Personalien.

In Bezug auf die im Jahr 2013 ins Bundesgebiet eingereisten Eltern und die ältere Schwester des minderjährigen Beschwerdeführers hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheiden vom 10.10.2017 bzw. 11.10.2017 ausgesprochen, dass diesen der ihnen vormals mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.09.2014 bzw. Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.03.2015 zuerkannte subsidiäre Schutz gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt werde (Spruchpunkt I.), die ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen werde (Spruchpunkt II.), den Genannten ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde, gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die Genannten eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.), sowie dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Die gegen diese Bescheide eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.07.2018, Zln. W182 1439218-2/10E, W182 1439219-2/10E und W182 2177158-1/8E, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 9 Abs. 1 und Abs. 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, sowie gemäß §§ 57, 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz idgF iVm §§ 52 Abs. 2 Z 4, 52 Abs. 9, 46 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 24 Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung beträgt.

Nicht festgestellt werden kann, dass der in Österreich geborene minderjährige Beschwerdeführer nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte oder dass diesem eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

Die gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Beschwerdeführers, welche im Hinblick auf ihren Sohn keine individuellen Rückkehrbefürchtungen vorgebracht haben, haben nicht glaubhaft gemacht, dass der knapp fünf Monate alte Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation befürchten müsste, Verfolgung durch staatliche Behörden zu erleiden, in eine hoffnungslose Lage zu kommen, einem realen Risiko einer sonstigen Verfolgung oder einer Verletzung seiner Rechte auf Leben, nicht unmenschlicher Behandlung oder Folter unterworfen zu werden und/oder nicht der Todesstrafe zu unterliegen oder als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes unterworfen zu werden.

Der minderjährige Beschwerdeführer leidet an keiner akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung, welche ein Hindernis für eine Rückführung in die Russische Föderation darstellen würde. Eine Rückkehr würde nur gemeinsam mit einem Elternteil erfolgen, sodass auch kein Risiko besteht, dass der Minderjährige im Fall einer Rückkehr auf sich alleine gestellt wäre und daher Gefahr liefe, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

Der minderjährige Beschwerdeführer lebt im Bundesgebiet in einem gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern sowie seiner ebenfalls minderjährigen älteren Schwester, deren Aufenthalt infolge Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht rechtmäßig ist. Aufgrund seines Lebensalters verfügt der minderjährige Beschwerdeführer außerhalb seiner Kernfamilie noch über keine maßgeblichen Bindungen sozialer oder wirtschaftlicher Natur. Eine Integrationsverfestigung/Verwurzelung im Bundesgebiet liegt angesichts seines Lebensalters ebenfalls noch nicht vor.

1.2. Hinsichtlich der entscheidungsrelevanten Situation in der Russischen Föderation wird unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid zitierten Länderberichte Folgendes festgestellt:

...

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

-

BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

-

Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

-

EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

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Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

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DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",

https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 28.8.2018

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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu

Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 21.5.2018).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

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US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst FSB, das Untersuchungskomittee und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. 2016 wurde die Föderale Nationalgarde gegründet. Diese neue Exekutivbehörde steht unter der Kontrolle des Präsidenten, der ihr Oberbefehlshaber ist. Ihre Aufgaben sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache und dem FSB, Administrierung von Waffenbesitz, Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (US DOS 20.4.2018).

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (US DOS 20.4.2018).

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 21.5.2018).

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnenderweise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramzan Kadyrows stehen (Rüdisser 11.2012). Ramzan Kadyrows Macht gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen Kadyrowzy. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet und ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017). Vor allem tschetschenische Sicherheitsbehörden können Menschenrechtsverletzungen straffrei begehen (HRW 7.2018). Die Angaben zur zahlenmäßigen Stärke tschetschenischer Sicherheitskräfte fallen unterschiedlich aus. Von Seiten des tschetschenischen MVD [Innenministerium] sollen in der Tschetschenischen Republik rund 17.000 Mitarbeiter tätig sein. Diese Zahl dürfte jedoch nach der Einrichtung der Nationalgarde der Föderation im Oktober 2016 auf 11.000 gesunken sein. Die Polizei hatte angeblich 9.000 Angehörige. Die überwiegende Mehrheit von ihnen sind ethnische Tschetschenen. Nach Angaben des Carnegie Moscow Center wurden die Reihen von Polizei und anderen Sicherheitskräften mit ehemaligen tschetschenischen Separatisten aufgefüllt, die nach der Machtübernahme von Ramzan Kadyrow und dem Ende des Krieges in die Sicherheitskräfte integriert wurden. Bei der tschetschenischen Polizei grassieren Korruption und Missbrauch, weshalb die Menschen bei ihr nicht um Schutz ersuchen. Die Mitarbeiter des Untersuchungskomitees (SK) sind auch überwiegend Tschetschenen und stammen aus einem Pool von Bewerbern, die höher gebildet sind als die der Polizei. Einige Angehörige des Untersuchungskomitees versuchen, Beschwerden über tschetschenische Strafverfolgungsbeamte zu untersuchen, sind jedoch "ohnmächtig, wenn sie es mit der tschetschenischen OMON [Spezialeinheit der Polizei] oder anderen, Kadyrow nahestehenden "unantastbaren Polizeieinheiten" zu tun haben" (EASO 3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018

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HRW - Human Rights Watch (7.2018): Human Rights Watch Submission to the United Nations Committee Against Torture on Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1439255/1930_1532600687_int-cat-css-rus-31648-e.docx, Zugriff 2.8.2018

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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 2.8.2018

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US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von

Artikel 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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