TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/11 W189 2124557-3

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Veröffentlicht am 11.03.2019
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Entscheidungsdatum

11.03.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W189 2124562-3/7E

W189 2124553-3/4E

W189 2124557-3/4E

W189 2124559-3/4E

W189 2171720-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , (BF1) 2.) XXXX , geb. XXXX , (BF2) 3.) XXXX , geb. XXXX , (BF3) 4.) XXXX , geb. XXXX , (BF4) und 5.) XXXX , geb. XXXX (BF5) alle 1.) bis 5.) StA. Somalia, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.08.2017 und 04.08.2017, 1.) Zl. 830750308/140203748, 2.) Zl. 830750406/140203896, 3.) Zl. 830750602/140203829, 4.) Zl. 1093753104/151708292 und 5.) Zl. 1159611307/170827719 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.02.2019 zu Recht erkannt:

A) Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX sowie XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 und XXXX sowie XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 und 4 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX sowie XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Die Erstbeschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihren beiden älteren Kindern, den zweit- und drittgenannten Beschwerdeführern, mit entsprechenden Sichtvermerken am 22.11.2014 in Österreich ein und stellte für sich und ihre beiden Kinder am 24.11.2014 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

Bei der Erstbefragung am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass ihrem Ehemann in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und sie wegen der Familienzusammenführung nach Österreich gekommen seien um denselben Schutz zu erhalten.

Am 01.06.2015 wurde die Erstbeschwerdeführerin vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Die Erstbeschwerdeführerin führte zu ihren persönlichen Verhältnissen aus, dass ihre Familie in Somalia lebe, sie aber bereits seit langer Zeit keinen Kontakt mit ihnen gehabt habe, sie wisse nicht einmal ob die Familie noch lebe. Sie habe den Ehemann im Jahr 2005 geheiratet und hätten sie gemeinsam mit der Schwiegermutter in Koryoley, Bezirk XXXX , bis zur Ausreise des Ehemannes im Jahr 2011 gelebt. Zu ihrem Fluchtgrund führte sie im Wesentlichen aus, dass der Ehemann Somalia wegen der Probleme mit der Al-Shabaab verlassen habe. Die Al-Shabaab seien aber weiterhin zu ihr gekommen und hätten sie aufgefordert den Aufenthaltsort des Ehemannes bekanntzugeben. Man habe ihr gedroht den Kindern etwas anzutun, zu Übergriffen sei es aber nicht gekommen. Außerdem habe die Schwiegermutter die Zweitbeschwerdeführerin beschneiden lassen wollen. Sie selbst sei immer dagegen gewesen und sei es deshalb zu Streitigkeiten mit ihr gekommen. Überdies gehöre sie der Volksgruppe der Ashraf an, dies sei eine Minderheit, sie dürften nicht mit Kindern einer anderen Volksgruppe spielen. Auf Vorhalt, ob die Erstbeschwerdeführerin noch Weiteres anführen wolle, gab diese an, dass ihre Kinder keine eigenen Fluchtgründe hätten. Sie habe aber nie eingewilligt, dass die Zweitbeschwerdeführerin beschnitten werde. Auf Vorhalt des Referenten, wonach die Volksgruppe der Ashraf laut Länderberichten keine verfolgte Volksgruppe sei, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass dies nicht der Grund der Ausreise gewesen sei, es in Somalia aber immer wieder Probleme wegen der Volksgruppenzugehörigkeit gebe.

Für die am XXXX in Wien geborene Viertbeschwerdeführerin stellte die Erstbeschwerdeführerin am 06.11.2015 einen Antrag im Familienverfahren und gab dazu an, dass die mj. Tochter keine eigenen Fluchtgründe habe.

Mit Fax vom 07.03.2016 wurden beim Bundesamt Säumnisbeschwerden betreffend alle vier Beschwerdeführer eingebracht.

Das Bundesamt legte dem Bundesverwaltungsgericht die Säumnisbeschwerden und die Verwaltungsakten mit Schriftsatz vom 08.04.2016 vor.

Am 10.05.2016 langte ein Schreiben der Erstbeschwerdeführerin ein, mit welchem diese die Säumnisbeschwerden für sich und ihre Kinder zurückzog.

Mit gleichlautenden Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.06.2016 wurden die Verfahren der Beschwerdeführer gemäß §28 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt und die Akten an die belangte Behörde rückgemittelt.

Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.08.2016 wurden die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und befristete Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.).

Nach einer Zusammenfassung des Verfahrensganges führte die belangte Behörde aus, dass die Erstbeschwerdeführerin als Grund der Ausreise in erster Linie ein gemeinsames Leben mit dem Ehemann angeführt habe. Hinsichtlich der häufigen Besuche und verbalen Drohungen der Al Shabaab, die im Laufe der Zeit weniger geworden seien, wurde ausgeführt, dass es zu keinen Übergriffen gekommen und die Erstbeschwerdeführerin daher keiner unmittelbaren Gefahr ausgesetzt gewesen sei. Außerdem seien die Fluchtgründe des Ehemannes als nicht asylrelevant entschieden worden, weshalb die vorgebrachten Drohungen wegen des Ehemannes nicht nachvollziehbar seien.

Aufgrund dieser Ausführungen sei davon auszugehen, dass sie gemeinsam mit dem Ehemann habe leben wollen, eine Ausreise aus asylrelevanten Gründen habe nicht festgestellt werden können.

Hinsichtlich der mj. Zweit-bis Viertbeschwerdeführer führte die belangte Behörde im Wesentlichen gleichlautend aus, dass für diese keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht worden seien und laut Angaben der Mutter diese gemeinsam mit dem Vater leben wollen.

Rechtlich wurde zu den Spruchpunkten I. erläutert, dass eine konkret gegen die Erst- bis Viertbeschwerdeführer gerichtete persönliche Verfolgung im gesamten Verfahren nicht behauptet und auch nicht erkannt worden sei. Maßnahmen, welche sich direkt gegen den einzelnen gewendet hätten, seien im gesamten Verfahren mit keinem Wort dargebracht worden. Daher mangle es dem Vorbringen an der erforderlichen Anknüpfung an einen Konventionsgrund. Da keinem anderen Familienangehörigen der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, käme eine Zuerkennung aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens nicht in Betracht.

Die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkte II.) wurde mit der instabilen politischen, militärischen und allgemein menschenrechtlichen Lage in Somalia sowie mit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Hinblick auf den Ehemann bzw. Vater im Familienverfahren begründet.

Mit Verfahrensanordnungen vom 26.08.2016 wurde den Beschwerdeführern von Amts wegen eine Rechtsberatungsorganisation für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

Gegen die Spruchpunkte I. dieser Bescheide wurde fristgerecht in einem gemeinsamen Schriftsatz wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften Beschwerde erhoben, die am 27.09.2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. Darin wurde im Wesentlichen begründend ausgeführt, dass sich die belangte Behörde über Feststellungen, dass die Zweit- und Viertbeschwerdeführerin in Somalia Gefahr laufe, beschnitten zu werden, völlig hinweggesetzt habe, obwohl die Erstbeschwerdeführerin diese Gefahr bereits in der Einvernahme geschildert und hingewiesen habe, dass ihre Schwiegermutter auf die Beschneidung der Zweitbeschwerdeführerin gedrängt habe. Obzwar die Erstbeschwerdeführerin Gegnerin von Genitalverstümmelung sei, befürchte sie, nach langer Abwesenheit des Ehemannes in Somalia und aufgrund des Drängens der Familie über nicht ausreichend Einfluss zu verfügen, um die Zweit- und Viertbeschwerdeführerin vor solchen Gewaltakten schützen zu können. Daher wäre es erforderlich und wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, Länderberichte, die Aufschluss über die Situation von Mädchen in Somalia geben, heranzuziehen, um beurteilen zu können, ob im gegenständlichen Sachverhalt GFK-relevante Fluchtgründe vorliegen würden. Aus diesen Gründen beantragten die Beschwerdeführer, die angefochtenen Bescheide dahingehend abzuändern, dass ihnen der Status von Asylberechtigten zuerkannt werde.

Mit Beschlüssen des Bundesveraltungsgerichtes vom 13.12.2016 wurden die angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs.3 VwGVG behoben und an die belangte Behörde zurückverwiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme am 01.06.2015 an mehreren Stellen die Gefahr der Beschneidung ihrer Tochter erwähnt habe und die belangte Behörde zu diesem Thema keinerlei Ermittlungen durchgeführt habe.

Am 19.06.2017 führte die belangte Behörde eine niederschriftliche Einvernahme mit der Erstbeschwerdeführerin durch. Die Erstbeschwerdeführerin gab befragt zu den Fluchtgründen der im Bundesgebiet geborenen Viertbeschwerdeführerin an, dass sie noch nicht beschnitten worden sei, obwohl dies im Heimatland üblich und Tradition sei. Die Großmutter würde die Tochter beschneiden lassen, wenn sie nach Somalia zurückkäme. In weiterer Folge schilderte die Erstbeschwerdeführerin, dass sie im dritten Monat 2013 gemeinsam mit ihren Kindern nach Addis Abeba gezogen und im November 2014 ausgereist sei. Die im Jahr XXXX geborene Zweitbeschwerdeführerin wurde ebenfalls nicht beschnitten, sie habe das insofern verhindern können, als sie zu diesem Zeitpunkt auf das noch jugendliche Alter der Zweitbeschwerdeführerin verwiesen habe. Sie habe dann schließlich, bevor die seitens der Großmutter geplante Beschneidung stattgefunden habe, die Ausreise angetreten.

Für die am XXXX in Wien geborene Fünftbeschwerdeführerin stellte die Erstbeschwerdeführerin am 14.07.2017 einen Antrag im Familienverfahren und gab dazu an, dass die mj. Tochter keine eigenen Fluchtgründe habe.

Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.08.2017 wurden die Anträge der Erst-bis Viertbeschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 abgewiesen. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.08.2017 wurde der Antrag der Fünftbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.).

Nach einer Zusammenfassung des Verfahrensganges führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Erstbeschwerdeführerin im Zuge ihrer Asylbeantragung als Grund für die Ausreise in erster Linie angegeben habe, mit ihrem Mann gemeinsam leben zu können. Bei der zweiten Einvernahme habe die Erstbeschwerdeführerin dann die Gefahr einer FGM hinsichtlich ihrer Töchter geltend gemacht, obwohl klar aus den Länderfeststellungen hervorgehe, dass es zur Vermeidung einer Verstümmelung auf die Standfestigkeit der Mutter ankäme. Obzwar unbeschnittene Frauen in der somalischen Gesellschaft stigmatisiert seien, käme es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um eine vollzogene Verstümmelung festzustellen und habe es die Erstbeschwerdeführerin geschafft die Verstümmelung der Zweitbeschwerdeführerin hintanzuhalten. Schließlich sei eine FGM ohne die Einwilligung der Mutter unwahrscheinlich und könne diese gemeinsamen mit einem standhaften Vater dem gesellschaftlichen Druck standhalten.

9. Gegen die Spruchpunkte I. dieser Bescheide wurde fristgerecht in einem gemeinsamen Schriftsatz wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften Beschwerde erhoben, die am 05.09.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte.

10. Am 14.02.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache statt, bei welcher die Erstbeschwerdeführerin auch als gesetzlicher Vertreterin der mj. Zweit-bis Fünftbeschwerdeführer Gelegenheit geboten wurde, ausführlich zu ihren Fluchtgründen Stellung zu nehmen wie auch der Vater der minderjährigen Beschwerdeführer als Zeuge einvernommen wurde. Ein Vertreter der Behörde ist entschuldigt nicht erschienen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den beschwerdeführenden Parteien:

Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige Somalias und steht deren Identität eindeutig fest. Die Erst-bis Drittbeschwerdeführer stellten am 24.11.2014 und die im Bundesgebiet geborenen Viert-und Fünftbeschwerdeführer am 06.11.2015 und 14.07.2017 je einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Die Erstbeschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.

1.2. Festgestellt wird, dass der Zweit-, Viert-und Fünftbeschwerdeführerin in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.

2. Relevante Länderberichte zur Situation in Somalia

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation, Länderinformationsblatt Somalia, 12.01.2018, Auszüge:

1. Frauen/Kinder

Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe, insbesondere in den Lagern der Binnenvertriebenen, ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.12.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

1.1. Weibliche Genitalverstümmelung (FGM)

Die Übergangsverfassung verbietet zwar weibliche Genitalverstümmelung (FGM) (USDOS 25.6.2015), diese ist in Somalia aber weit verbreitet (USDOS 13.4.2016; vgl. LI 11.6.2015; AA 1.12.2015). Betroffen sind mehr als 90% aller Mädchen (LI 11.6.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015). In der Regel erleiden FGM dabei Mädchen im Alter von zehn bis 13 Jahren (AA 1.12.2015); nach anderen Angaben findet die Verstümmelung bei mehr als 80% im Alter zwischen fünf und neun Jahren statt; bei 10% zwischen neun und vierzehn Jahren; und bei 7% zwischen null und vier Jahren (EASO 8.2014). Nach wieder anderen Angaben wurde die Verstümmelung bei 80% der Mädchen im Alter zwischen fünf und 14 Jahren vorgenommen (USDOS 13.4.2016). Quellen im jüngsten Bericht des Danish Immigration Service (DIS) erklären wiederum, dass die große Mehrheit vor dem achten Geburtstag einer Verstümmelung unterzogen wird. Eine Quelle des DIS gab an, dass Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr beschnitten werden. Dies wäre gesundheitlich zu riskant. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016).

63% der Beschnittenen erlitten die weitreichendsten Form (pharaonische Beschneidung/Infibulation/WHO Typ III) (EASO 8.2014). Eine andere Quelle schätzt die Zahl von Infibulationen auf 80% (DIS 1.2016). Verbreitet sind die hieraus resultierenden Gesundheitsprobleme der Betroffenen. Viele überleben die Verstümmelung nicht (AA 1.12.2015).

Bei den Bendiri und den arabischen Gemeinden in Somalia ist nicht die Infibulation sondern die Sunna (WHO Typen I und II) verbreitet. Bei diesen Gruppen scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt. Auch in anderen Teilen Somalias wird zunehmend die Sunna verwendet (DIS 1.2016).

Landesweit bemühen sich die Regierungen, diese Praxis einzuschränken (AA 1.12.2015). UNICEF arbeitet mit der somalischen Regierung, mit Puntland und anderen Akteuren zusammen, um die Menschen gegen FGM zu mobilisieren und die Praktik auszurotten (UNHRC 28.10.2015). In Puntland ist FGM verboten und es gibt Zeichen einer Reduzierung. Laut einer Untersuchung von UNICEF in Zusammenarbeit mit den Regierungen von Somaliland und Puntland sind in Nordsomalia 25% der Mädchen zwischen 1-14 Jahren von FGM betroffen. Im Gegensatz dazu sind es bei den über 15jährigen 99% (UKHO 3.2.2015).

In den Gebieten der al Shabaab ist FGM verboten (LIFOS 24.1.2014). Auch die Gruppe al Islah und andere Islamisten setzen sich gegen FGM ein (C 18.6.2014). Es gibt allerdings keine Behörden oder Organisationen für Mütter, die hinsichtlich der Verhinderung einer FGM Unterstützung oder Schutz bieten (DIS 1.2016).

Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Auch der Bildungshintergrund, der soziale Status sowie die kulturelle und geographische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Es gibt sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen. Leichter ist es aber in den Städten, wo die Anonymität eher gegeben bzw. die enge soziale Interaktion geringer ist (DIS 1.2016).

Generell stößt eine Mutter, die ihre Tochter nicht beschneiden lassen will, in ländlichen Gebieten auf erhebliche Probleme. Auch in urbanen Gebieten kann es zu großem sozialen (LIFOS 24.1.2014) und psychischem Druck kommen, damit die Tochter beschnitten wird. Der psychische Druck kann auch extreme Formen annehmen, derartige Fälle sind aber außergewöhnlich. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck standzuhalten (DIS 1.2016).

Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten. Ohne das Wissen der Mutter kann eine FGM aufgrund der gesundheitlichen Folgen nicht von statten gehen (DIS 1.2016).

Unbeschnittene Frauen sind in der somalischen Gesellschaft sozial stigmatisiert (EASO 8.2014). Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist. Eine Möglichkeit ist, dass eine Mutter vorgibt, dass ihre Tochter einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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C - Experte C (18.6.2014): Dieser Experte arbeitet seit mehreren Jahren zu Somalia.

-

DIS - Danish Immigration Service (1.2016): South Central Somalia - Female Genital Mutilation/Cutting, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1455786226_fgmnotat2016.pdf, Zugriff 4.4.2016

-

EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 14.4.2016

-

LI - Landinfo (11.6.2015): Barn og unge , http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1436864948_3151-1.pdf, Zugriff 4.4.2016

-

LIFOS - Lifos/Migrationsverket (24.1.2014): Kvinnor i Somalia. Rapport från utredningsresa till Nairobi, Kenya i oktober 2013, http://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=31539, Zugriff 4.4.2016

-

UKHO - UK Home Office (3.2.2015): Country Information and Guidance

-

Somalia: Women fearing gender-based harm / violence, http://www.refworld.org/docid/54d1daef4.html, Zugriff 14.4.2016

-

UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,

http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1451399567_a-hrc-30-57-en.docx, Zugriff 23.3.2016

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252727, Zugriff 14.4.2016

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation, Länderinformationsblatt Somalia-Somaliland, 25.04.2016, Auszüge:

2. Frauen

Die Gesundheitsbehörden in Somaliland, UN Organisationen und NGOs bekämpfen die Verbreitung von FGM; diese ist auch gesetzlich verboten. Allerdings hat sich die Tradition in der Gesellschaft kaum verändert - sie ist dort tief verwurzelt. Allerdings hat sich die Schwere des Eingriffs verändert: In vielen Fällen wird nur noch die sogenannte Sunna (WHO Typ II) angewendet (WHO 2012). Die Sunna ist gesetzlich erlaubt (LIFOS 24.1.2014). Einige Familien - vor allem gebildete städtische - haben die FGM-Tradition überhaupt aufgegeben (WHO 2012; vgl. DIS 1.2016). Das Network Against Female Genital Mutilation In Somaliland, in welchem zwanzig Gruppen der Zivilgesellschaft Kampagnen gegen Genitalverstümmelung organisieren, hat u.a. drei Zentren für Betroffene eingerichtet. Das Netzwerk arbeitet mit den somaliländischen Behörden zusammen. Auch mit religiösen Führern wird zusammengearbeitet, damit diese eine fatwa gegen FGM in Somaliland erlassen (UNHRC 28.10.2015).

Quellen:

-

DIS - Danish Immigration Service (1.2016): South Central Somalia - Female Genital Mutilation/Cutting, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1455786226_fgmnotat2016.pdf, Zugriff 4.4.2016

-

LIFOS - Lifos/Migrationsverket (24.1.2014): Kvinnor i Somalia. Rapport från utredningsresa till Nairobi, Kenya i oktober 2013, http://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=31539, Zugriff 4.4.2016

-

UNHRC - UN Human Rights Council (6.11.2015): Summary prepared by the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights in accordance with paragraph 15 (c) of the annex to Human Rights Council resolution 5/1 and paragraph 5 of the annex to Council resolution 16/21; Somalia [A/HRC/WG.6/23/SOM/3], http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1455718419_g1525228.pdf, Zugriff 4.4.2016

-

UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,

http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1451399567_a-hrc-30-57-en.docx, Zugriff 23.3.2016

-

WHO - World Health Organization (2012): Child Health in Somalia - Situation Analysis,

http://applications.emro.who.int/dsaf/EMROPUB_2012_EN_734.pdf, Zugriff 1.4.2016

3. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu den Verwandtschaftsverhältnissen ergeben sich aus den Verwaltungsakten und aus den übereinstimmenden Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Laufe des Verfahrens. Die Feststellungen zu den Verwandten, Familienangehörigen und Verschwägerten in Somalia basieren auf den glaubhaften Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Verfahren. Die Feststellungen zu den persönlichen Umständen der Beschwerdeführer basieren ebenfalls auf den Angaben der Erstbeschwerdeführerin, die nicht angezweifelt werden.

Die Erstbeschwerdeführerin gab in der Verhandlung nachvollziehbar an, die Praxis der FGM für ihre Töchter abzulehnen. Dennoch muss mitbedacht werden, dass die Erstbeschwerdeführerin, die keine Schule besuchte auch in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck erwecken konnte, eigene Standpunkte gegen die gesellschaftliche Norm erfolgreich vertreten zu können, was auch auf den als Zeuge einvernommenen Vater zutrifft (vgl. Verhandlungsschrift, insb. Seite 12). Sie verfügen in Somalia noch über ein soziales Netz, die sozialen Druck auf sie ausüben könnten. Es kann daher ihr Vorbringen, sich gegen eine verfestigte Tradition nicht mit ausreichender Kraft wehren zu können, nicht gänzlich von der Hand gewiesen werden. Die Umstände der sozialen Verwurzelung der Erstbeschwerdeführerin wie auch des Vaters lassen ihr Vorbringen nachvollziehbar erscheinen.

Die aktuellen Länderberichte informieren darüber, dass FGM in Somalia weit verbreitet ist - die FGM-Rate beträgt zwischen 98 und 99% der somalischen Mädchen und Frauen zw. 15 und 49 Jahren. Zwischen 63 und 80% der betroffenen Frauen und Mädchen werden einer Typ III-Beschneidung unterzogen. Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Auch der Bildungshintergrund, der soziale Status und sowie die kulturelle und geographische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Es kann zu psychischem Druck komme, damit eine Tochter beschnitten wird.

Wenn sich die Behörde insbesondere im Bescheid auf Aussagen bezieht, dass es äußerst unwahrscheinlich sei, dass eine Beschneidung gegen den Willen der Eltern vorgenommen wird, so muss darauf hingewiesen werden, dass dies mittlerweile vom VwGH, 12.12.2018, Ra 2018/19/0293, Ra 2018/19/0439 und Ra 2018/19/0387 überholt ist. Eine derartige Begründung benötigt daher jedenfalls ausführliche und haltbare Feststellungen zur persönlichen Situation der Eltern somalischer Mädchen sowie deren gesellschaftliche und soziale Verwurzelung. In den gegenständlichen Fällen gibt es keine ausreichenden Hinweise aus der Biographie der Erstbeschwerdeführerin, die die Annahme einer fehlenden Gefährdung erlauben würden.

Gegenständlich muss daher unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der BF angenommen werden, dass sich die BF 1 wie auch der Vater nicht ausreichend erfolgreich gegen den sozialen Druck, eine FGM an der BF 2, BF4 und BF5 vornehmen zu lassen, wehren könnten.

4. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

4.1. Rechtsgrundlagen:

4.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb des Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

4.1.2. Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation der Asylwerberin und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2003, 2001/20/0011). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; 16.02.2000, 99/01/0097), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob die Asylwerberin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich die Asylwerberin außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

4.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; 18.02.1999, 98/20/0468). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; VwGH 27.06.1995, 94/20/0836; VwGH 23.07.1999, 99/20/0208; VwGH 21.09.2000, 99/20/0373; VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 m. w. N.; VwGH 12.09.2002, 99/20/0505 sowie VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären.

4.1.4. Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen einer Asylwerberin gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status der Asylberechtigten oder der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Diese Bestimmungen gelten sinngemäß auch für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (§ 34 Abs. 5 AsylG).

Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes ist, dem der Status der subsidiär Schutzberechtigten oder der Asylberechtigten zuerkannt wurde.

4.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:

4.2.1. Gemäß den Länderinformationen werden 99% der Mädchen und Frauen in Somalia Opfer einer weiblichen Genitalverstümmelung, wobei 63% der Frauen und Mädchen der weitreichendsten Beschneidung, der Infibulation, unterzogen werden. Die minderjährigen weiblichen Beschwerdeführerinnen wurden einer solchen Genitalverstümmelung noch nicht unterzogen. Es stellt sich somit die Frage, ob sie im Falle einer Rückkehr nach Somalia in konkreter Gefahr wären, Opfer einer weiblichen Genitalverstümmelung zu werden.

Da die Mutter der Beschwerdeführerin aus Qoryoley stammt, ist diese für sie bestehende Gefahr der weiblichen Genitalverstümmelung in Bezug auf Südsomalia zu prüfen. Im Hinblick auf die oben unter Punkt 2 angeführten relevanten Länderinformationen ist festzuhalten, dass in Bezug auf Somalia grundsätzlich von einer der höchsten Prävalenzraten von FGM weltweit auszugehen ist, von der in Somalia ca. 90 % aller Frauen betroffen sind. Zwischen 60% und 80% davon wurden der invasivsten Form der FGM, einer Typ III Infibulation, unterzogen. Zwar führen die Länderberichte aus, dass primär die Mutter bzw. die Eltern eines Mädchens darüber entscheiden, ob eine FGM durchgeführt werden soll, doch geht ein starker sozialer und gesellschaftlicher Druck von der Umgebung der Familie aus. Dieser Druck betrifft einerseits die Akzeptanz des Mädchens in der Gemeinschaft wie auch ihre Möglichkeit, einen Ehemann zu finden und damit männlichen Schutz in Anspruch nehmen zu können.

Die österreichische Staatendokumentation thematisiert an dieser Stelle, dass es auf die Standhaftigkeit der Mutter ankäme, ob eine Verstümmelung vermieden werden könne. Leichter sei dies wegen der Anonymität in Städten als in ländlichen Gebieten. Eine Mutter, die ihre Tochter nicht beschneiden lassen wolle, stoße in ländlichen Gebieten auf erhebliche Probleme. Doch könne es auch in der Stadt zu großem sozialen und psychischem Druck kommen. Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter einer FGM unterzogen wären, sei nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich.

Laut oben zitiertem Bericht schätzt das UK Home Office dieses Risiko als hoch ein und vermeint dass der elterliche Widerstand nicht jedenfalls in der Lage sein würde, das Risiko einer Verstümmelung der Tochter durch Verwandte auszuschalten. Es käme in dieser Situation auf das soziale und wirtschaftliche Umfeld der Eltern und der Familie an.

Zu diesem Umfeld ist im gegenständlichen Fall zu sagen, dass die minderjährigen weiblichen Beschwerdeführerinnen gemeinsam mit ihren Eltern nach Qoryoley zurückkehren müssten. Dort lebten bis zu deren Ausreise die Familie und in der ländlichen Umgebung Verwandtschaft der beschwerdeführenden Parteien. Obzwar sie gegenwärtig keinen Kontakt zu ihnen haben, kann aber ein Aufenthalt von Verwandten dennoch nicht ausgeschlossen werden. Wie im Rahmen der Beschwerdeverhandlung von der Erstbeschwerdeführerin ausgeführt, fürchtet die Mutter der minderjährigen Beschwerdeführerinnen (wie auch der Vater) den enormen sozialen Druck der Familie und die Gefahr, dass auch gegen ihren Willen an den beschwerdeführenden Töchtern durch Verwandte oder das soziale Umfeld eine Genitalverstümmelung vorgenommen wird. Diese Angaben lassen im Lichte oben angeführter Länderinformationen nicht darauf schließen, dass die Mutter der minderjährigen weiblichen Beschwerdeführerinnen standhaft gegen etablierte Konventionen und Traditionen auch gegenüber ihrer näheren und weiteren Familie aufzutreten vermag, um eine Genitalverstümmelung der minderjährigen Beschwerdeführerinnen hintanzuhalten.

Vor diesem Hintergrund würden sich die minderjährigen weiblichen Beschwerdeführerinnen im Falle einer Rückkehr in einer Situation wiederfinden, in der nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass ihre Mutter ihre Vorstellungen, die Töchter keiner Genitalverstümmelung zu unterziehen, nicht entgegen der gesellschaftlichen Norm würde leben können. Das Umfeld der Mutter der minderjährigen Beschwerdeführerinnen deutet nicht auf Umstände hin, die die Mutter im Lichte der relevanten Länderinformationen in die Situation versetzen würde, entsprechend standhaft gegen etablierte Konventionen und Traditionen auch gegenüber ihrer Familie und ihres Clans aufzutreten zu können.

Die zuständige Richterin wertet eine FGM als schwere Misshandlung und schwere Körperverletzung mit lebenslangen Folgen für die betroffenen Mädchen und Frauen. Die minderjährigen BF2, BF4 und BF5 fallen als weibliche Staatsangehörige Somalias, die noch nicht beschnitten wurden aufgrund ihres familiären und kulturellen Umfelds in die bestimmte soziale Gruppe von Frauen und Mädchen, die in Somalia einem entsprechend hohen Risiko ausgesetzt sind, Opfer einer FGM zu werden.

4.2.2. Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht, da diese Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung landesweit praktiziert wird. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Praxis in Somaliland oder Puntland weniger weit verbreitet sei, ist neuerlich darauf hinzuweisen, dass die Familie der minderjährigen weiblichen Beschwerdeführerinnen aus Südsomalia stammen und die Möglichkeit einer Niederlassung in Somaliland oder Punktland in Anbetracht mangelnder familiärer Unterstützung oder Mitgliedschaft zu lokalen Clans, äußerst fraglich erscheint. Eine abschließende Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann jedoch insbesondere vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer solchen im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

4.2.3. Das Bundesverwaltungsgericht geht im Einklang mit den Länderberichten außerdem nicht davon aus, dass zur Vermeidung einer solchen Misshandlung auf die Schutzwilligkeit oder -fähigkeit der somalischen Regierungskräfte zurückgegriffen werden könnte.

4.2.4. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG ergeben haben, ist der BF2, BF4 und BF5 nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

4.2.5. Im Einklang mit der Bestimmungen des § 34 Abs. 2 und 4 AsylG ist der Erstbeschwerdeführerin und dem Drittbeschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ebenfalls der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG auch für diese auszusprechen, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

4.2.6. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Anträge der Viert-und Fünftbeschwerdeführer auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurden, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall bereits Anwendung finden.

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG kommt einer Fremden, der der Status der Asylberechtigten zuerkannt wird, eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu. Diese Aufenthaltsberechtigung verlängert sich kraft Gesetzes nach Ablauf dieser Zeit auf eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Aberkennungsverfahrens nicht vorliegen oder ein Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Dementsprechend verfügen die Viert-und Fünftbeschwerdeführer nun über eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung.

Gemäß § 3 Abs. 4a AsylG gilt oben stehender Abs. 4 in einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 AsylG mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung der Familienangehörigen, von der das Recht abgeleitet wird, richtet. Daher verfügen auch die Erst-und der Dritterbeschwerdeführer, die ihr Recht diesfalls auch von der Zweitbeschwerdeführerin ableiten nun über unbefristete Aufenthaltsberechtigungen.

Zu B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W189.2124557.3.00

Zuletzt aktualisiert am

06.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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