TE Vfgh Erkenntnis 1997/2/25 B3754/96

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Veröffentlicht am 25.02.1997
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §6 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Versagung einer Aufenthaltsbewilligung für die nicht eigenberechtigte Beschwerdeführerin wegen Antragstellung durch die in Österreich lebende Mutter als gesetzliche Vertreterin vom Inland statt vom Ausland aus; Unterstellung eines verfassungswidrigen Gesetzesinhalts durch ein den Regelungssinn und die konkrete Fallkonstellation mißachtendes Gesetzesverständnis

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin, zuhanden ihres bevollmächtigten Vertreters, die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die am 3. Juli 1988 geborene, minderjährige Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige, lebt seit ihrer Geburt durchgehend in Rußland. Die Mutter und gesetzliche Vertreterin der Minderjährigen hält sich aufgrund ihr erteilter Aufenthaltsbewilligungen seit 1989 in Österreich auf, wo sie 1994 einen österreichischen Staatsbürger heiratete.

Zwecks Familienzusammenführung, nämlich zur Aufnahme der bisher bei den Großeltern lebenden Tochter in die Familie der Mutter, stellte die durch die Mutter vertretene Beschwerdeführerin am 12. April 1996 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Dieser Antrag wurde von der Mutter als gesetzlicher Vertreterin der Bewilligungswerberin im Inland unterfertigt und unmittelbar beim Magistrat der Stadt Wien eingebracht. Die Beschwerdeführerin selbst hielt sich auch zu diesem Zeitpunkt im Ausland auf.

2. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien wurde dem Antrag mit der Begründung keine Folge gegeben, daß jener als Erstantrag entgegen §6 Abs2 Aufenthaltsgesetz nicht vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus gestellt worden sei.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit dem im wesentlichen gleichbegründeten Bescheid des Bundesministers für Inneres abgewiesen, wobei nochmals festgehalten wurde, daß sich die Bewilligungswerberin zwar zum Zeitpunkt der Antragstellung im Ausland aufgehalten, jedoch nicht das Formerfordernis der Antragstellung "vom Ausland aus" erfüllt habe.

3. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der ua. die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

4. Der belangte Bundesminister für Inneres hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ohne auf die Sache einzugehen - die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid greift in das der Beschwerdeführerin durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Ein Eingriff in dieses - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

2. Die Beschwerdeführerin hielt sich stets, und zwar auch im Zeitpunkt der Antragstellung, in ihrer Heimat auf. Allein aus dem Grund der fehlenden Eigenberechtigung der erst acht Jahre alten Beschwerdeführerin brachte den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung die in Österreich lebende Mutter als gesetzliche Vertreterin ein; hiebei war es im Hinblick auf den Aufenthaltsort der Mutter naheliegend, an die Aufenthaltsbehörde unmittelbar heranzutreten.

Die belangte Behörde nahm trotz dieser besonderen, durch den legalen Inlandsaufenthalt des gesetzlichen Vertreters charakterisierten Sachlage an, daß diese Vorgangsweise nicht dem in §6 Abs2 AufenthaltsG festgelegten Erfordernis der Antragstellung "vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus" entspricht, und wies - wie schon erwähnt - aus diesem Grund den Antrag ab.

Diese Rechtsansicht der belangten Behörde ist jedoch grundlegend verfehlt und unterstellt der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen Inhalt: Sowohl nach dem Wortlaut als auch nach der Entstehungsgeschichte liegt der Sinn der maßgeblichen Bestimmung darin, daß der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vor der Einreise nach Österreich gestellt wird, der Antragsteller also den Ausgang des Verfahrens in seinem Heimatland abzuwarten hat und erst dann einreist, wenn ihm die Bewilligung zum Aufenthalt in Österreich antragsgemäß erteilt worden ist. Der Umstand, daß der Antrag durch die gesetzliche Vertreterin im Inland eingebracht wurde, während sich die Antragstellerin selbst (stets) im Ausland befand, ist in diesem besonders gelagerten Fall bedeutungslos, weil dem Gesetzeszweck vollständig entsprochen ist.

Die belangte Behörde hat dadurch, daß sie in der konkreten Fallkonstellation auf dem Boden eines den Regelungssinn mißachtenden Gesetzesverständnisses vom Erfordernis der Einbringung des Antrags im Ausland ausgegangen ist, dem §6 Abs2 AufenthaltsG einen verfassungswidrigen, weil dem Art8 EMRK widersprechenden Inhalt unterstellt, was den Bescheid mit Verfassungswidrigkeit belastet.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens aufzuheben. Bei diesem Ergebnis war es entbehrlich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

III.        Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

IV.                                 Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B3754.1996

Dokumentnummer

JFT_10029775_96B03754_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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