Entscheidungsdatum
14.03.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W182 2215855-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Mongolei, vertreten durch den Verein ZEIGE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.02.2019, Zl. 619862903 - 180057058/BMI-BFA_WIEN_AST_01, gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerde gegen den angefochtene Bescheid wird
der Beschwerde stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz
(B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) ist Staatsangehörige der Mongolei und stellte am 17.01.2018 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
In einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.01.2018 brachte die BF zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen vor, dass sie in der Mongolei Probleme mit ihrer Familie und bei einer Rückkehr Angst vor ihrem Vater habe. Sie habe sich in Österreich von 2013 bis 2016 aufgrund eines österreichischen Studentenvisums aufgehalten. Der Aufenthaltstitel sei bereits abgelaufen, jedoch habe sie um Verlängerung angesucht. Sie befinde sich derzeit wegen einer diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung in fachärztlicher Behandlung.
Die BF legte eine am 17.12.2017 von ihr an eine Rechtsvertretung ausgestellte Vertretungsvollmacht inklusive Zustellvollmacht vor.
Laut Bescheid einer Magistratsabteilung des Amtes der Wiener Landesregierung vom 12.04.2017 wurde der Antrag der BF vom 10.03.2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Studierender" gemäß § 64 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I. Nr 100/2005, abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF den erforderlichen Studienerfolg nicht nachweisen habe können.
Das Verfahren wurde am 17.01.2018 zugelassen.
Die BF wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) für den 24.05.2018 hinsichtlich ihrer Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz zu einer Einvernahme geladen. Dazu wurde von der Rechtsvertretung der BF in einem Schreiben vom 22.05.2018 ausgeführt, dass die BF infolge einer psychosewertigen Erkrankung und der dadurch bedingten nicht gegebenen Einvernahmefähigkeit nicht zur Einvernahme erscheinen könne. Dazu wurde ein Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 21.05.2018 beigelegt, der neben der psychiatrischen Diagnose posttraumatische Belastungsstörung (ICD. 10 F 43.1) und depressive Episode, gegenwärtig schwergradig mit psychotischen Symptomen (ICD 10 F 32.3), die Beurteilung enthielt, dass die BF zufolge der psychiatrischen Erkrankung und auch der Nebenwirkungen der Medikation derzeit nicht einvernahmefähig sei, weshalb um die Verschiebung des Einvernahmetermins in etwa zwei Monaten gebeten werde.
Das Bundesamt ist dem Ersuchen nachgekommen und hat die BF mit Ladung vom 07.09.2018 für einen Einvernahmetermin am 08.10.2018 geladen. Der Ladung wurde seitens der BF neuerlich mit einem Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 05.10.2018 begegnet, wobei unter bestehender psychiatrischer Diagnose und den Hinweis, dass die BF zufolge der psychiatrischen Erkrankung und auch der Nebenwirkungen der Medikation derzeit nicht Einvernahmefähigkeit sei, neuerlich um die Verschiebung des Einvernahmetermins um etwa zwei Monate gebeten wurde.
Das Bundesamt ist dem Ersuchen neuerlich nachgekommen. Mit Schreiben des Bundesamtes vom 09.10.2018 wurde die BF allerdings für den 29.10.2018 zwecks psychiatrischer Untersuchung zu einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie geladen. Die Fachärztin wurde vom Bundesamt als Sachverständige zur Klärung folgender Fragen bestellt:
1) Kann geklärt werden, welche psychotische Erkrankung bei der Antragstellerin aktuell vorliege? Falls ja, bitte um genaue Bezeichnung des Krankheitsbildes. 2) Welche Behandlungen sind angebracht? 3) Liegt aus medizinischer bzw. psychiatrischer Sicht irgendein Hindernis vor, welches eine Rückführung der Antragstellerin in deren Herkunftsstaat (Mongolei) unzulässig machen würde?
Die BF ist diesem Ladungstermin nachgekommen und wurde am 29.10.2018 durch die Fachärztin untersucht. Letztere kam in einem psychiatrisch-neurologischen Sachverständigengutachten vom 11.01.2019, das im Wesentlichen auf Akteneinsicht und der Untersuchung am 29.10.2018 beruhte, zum Ergebnis, dass die BF an einer als leicht- mittelgradig qualifizierenden reaktiv-depressiven Störung bei histrionischer Persönlichkeitsorganisation leide. Hinweise auf eine psychotische Erkrankung würden sich nicht ergeben. Dem vorliegenden Störungsbild angemessen wäre eine Psychotherapie mit symptomangepasster psychopharmakologischer Behandlung. Aus medizinischer Sicht ergebe sich kein Hinweis, der eine Rückführung in den Herkunftsstaat unzulässig machen würde. Hinsichtlich der Exploration wurde von der Sachverständigen und anderem ausgeführt, dass diese sich als äußerst schwierig gestaltet habe, da die BF stockend, insbesondere auf Fragen ihre Familie betreffend geantwortet habe, dabei ihre Augen nach oben verdreht und auf Ansprache nicht reagiert habe, wobei erst durch wiederholtes Zureden sie wieder in ihre Aufmerksamkeit zurückgeholt werden habe können. Ab Beginn des Gespräches habe die BF auch eine Misstrauenshaltung gegenüber der Dolmetscherin gezeigt. Zu ihrer Familie habe die BF unter anderem angegeben, dass es zu Gewalthandlungen durch den Vater gekommen sei, wobei es ihr trotz wiederholter Nachfrage nicht weiter möglich erschienen sei, über ihren Vater zu sprechen. Zu ihren psychischen Beschwerden befragt, habe die BF angegeben, dass sie erstmals im Alter von 16 Jahren in der Mongolei in psychiatrischer Behandlung gestanden sei, nachdem sie Probleme mit ihrer Familie und dem Vater gehabt hätte. Genauer zu den Beschwerden im Jugendalter befragt, habe die BF erneut keine Reaktion gezeigt, wieder abwesend imponiert, die Augen nach oben verdreht und schnell zu atmen begonnen. Befragt, weshalb sie nicht in das Heimatland zurückkehren möchte, habe die BF geantwortet, dass sie einfach nicht wolle und Riesenangst habe. Nach dem Grund für die Angst befragt, habe die BF angegeben, dass sie nicht darüber reden wolle und es kompliziert sei. Sie hätte große Angst vor dem Vater, könne jedoch nicht darüber reden und wolle manchmal einfach sterben. Ihr Vater sei XXXX . Weiters wurde u.a. ausgeführt, dass die BF aktuell auf eine psychopharmakologische Kombinationstherapie eingestellt sei und sich im psychiatrischen Querschnittsbefund bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten orientiert erweise. Der Gedankenductus weise themenspezifisch einen erschwerten Abruf von belastenden Gedächtnisinhalten auf, der formale Ablauf zeige sich teilweise gehemmt, inhaltliche Auffälligkeiten seien nicht fassbar. In der Untersuchungssituation zeige die BF ein erheblich histrionisch anmutendes Verhalten mit wiederkehrendem Verdrehen der Augen nach oben und oneiroid anmutenden Zuständen.
Mit Ladung des Bundesamtes vom 15.01.2019 wurde die BF in weiterer Folge für einen Einvernahmetermin am 29.01.2019 geladen. Der Ladung wurde seitens der BF erneut mit einem Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 25.01.2019 begegnet. Darin wurde ausgeführt, dass die BF wieder akut an ihrer psychiatrischen Erkrankung erkrankt sei und derzeit massiv antidepressiv, neuroleptisch und tranquilisierend medikamentös-psychiatrisch therapiert werde. Die BF könne zufolge der psychiatrischen Erkrankung und der Nebenwirkungen der Medikation derzeit nicht sinnvoll an juristischen Verfahren teilnehmen. Es wurde darum gebeten, der BF in absehbarer Zeit einen neuen Einvernahmetermin zu geben.
Nachdem die BF zum Einvernahmetermin nicht erschienen ist, wurde ihrer Vertretung seitens des Bundesamtes mit E-Mail vom 30.01.2019 mitgeteilt, dass beabsichtigt werde, für die BF einen Bescheid ohne Einvernahme zu erlassen. Dazu wurde weiters ausgeführt, dass eine Frist von sieben Tagen für eine schriftliche Stellungnahme eingeräumt werde.
Mit E-Mail der Rechtsvertretung der BF vom 30.01.2019 wurde dem Bundesamt im Wesentlichen mitgeteilt, dass die geplante Vorgehensweise des Bundesamtes auf keiner Rechtsgrundlage basiere und abgelehnt werde. Weiters wurde um Übersendung des Sachverständigengutachtens vom 11.01.2019 ersucht, welches seitens des Bundesamtes mit E-Mail vom 31.01.2019 übermittelt wurde.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen oben angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde - ohne Durchführung einer Einvernahme - der Antrag der BF auf internationalen Schutz vom 17.01.2018 - gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich Asyl (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Mongolei (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ihr nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BVA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Mongolei zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die freiwillige Frist für die Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
Seitens des Bundesamtes wurde im bekämpften Bescheid zum Gesundheitszustand der BF festgestellt, dass unter Berücksichtigung des psychiatrisch/neurologischen Gutachtens nicht festgestellt werden könne, dass die BF an einer massiven psychischen Erkrankung leide, die eine Behandlung im Herkunftsland ausschließen würde. Weiter habe nicht festgestellt werden können, dass die BF in der Mongolei asylrelevanter Verfolgung oder Gefährdung durch staatliche Organe oder Privatpersonen ausgesetzt gewesen sei bzw. pro futuro asylrelevanter Bedrohung in der Mongolei ausgesetzt sein werde. Bezüglich ihrer Fluchtgründe habe sie ausschließlich wirtschaftliche und persönliche Motive glaubhaft machen können. Es könnten keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass die BF Gefahr liefe, in der Mongolei einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden. Beweiswürdigend wurde unter anderem ausgeführt, dass die Feststellung, wonach die BF an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung leide, sich aus den psychiatrisch neurologischen Sachverständigengutachten vom 11.01.2019 ergebe. Während der Erstbefragung am 07.01.2018 und der psychiatrisch-neurologischen Untersuchung vom 29.10.2018 habe sich herausgestellt, dass die BF lediglich zur Verbesserung ihrer Lebensperspektive in das Bundesgebiet eingereist sei. So sei es der BF trotz der Befragung durch die Gutachterin nicht möglich gewesen, die konkreten Familienprobleme mit ihrem Vater zu schildern, sondern habe sie Probleme lediglich als "kompliziert" beschrieben und angegeben, dass es nicht einfach wäre. Für das Bundesamt seien die Familienprobleme nicht nachvollziehbar, zumal die BF zu keiner Zeit konkrete Angaben rund um die familiären Probleme gemacht habe. Hinsichtlich der Probleme mit ihrem Vater sei es ihr auch möglich und zumutbar, an einem anderen Ort in der Mongolei einen Neuanfang zu machen. Indem sie mit drei Schwestern im guten Kontakt stehe, wobei eine Schwester sie auch jetzt finanziell unterstütze, wäre diese für sie als emotionale Stütze verfügbar. Es sei ihr in Zukunft möglich, in der Heimat selbstständig und unabhängig zu leben. Der Rechtsvertretung der BF sei mitgeteilt worden, dass beabsichtigt werde, einen Bescheid ohne Einvernahme zu erlassen, wobei eine Frist für die schriftliche Stellungnahme bis zum 06.02.2019 gewährt worden sei. Bis dato habe die Rechtsvertretung der BF keine schriftliche Stellungnahme eingebracht, weswegen davon ausgegangen worden sei, dass darauf verzichtet worden sei.
Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes vom 11.02.2019 wurde der BF eine namentlich genannte Organisation als Rechtsberatung amtswegig zur Seite gestellt.
3. Gegen den Bescheid wurde durch die Rechtsvertretung der BF binnen offener Frist im vollen Umfang Beschwerde erhoben. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass allein die Erstbefragung und die Ausführungen im Gutachten vom 11.01.2019 keine ausreichende Grundlage für die Feststellungen des Bundesamtes im bekämpften Bescheid darstellen. So sei die Gutachterin gesetzlich nicht dazu befugt, auch über das rechtliche Zutreffen von Aussagen eines Asylwerbers zu entscheiden. In diesem Zusammenhang würden die Schwierigkeiten des Bundesamts, infolge der bisher nicht gegebenen Möglichkeit, die BF hinsichtlich ihrer Fluchtgründe zu befragen, nicht in Abrede gestellt werden. Unabhängig davon würden die Feststellungen der Erstbehörde im bekämpften Bescheid aber auch nur Vermutungen über die Gründe, weshalb die BF einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, darstellen. Die BF erachte daher die Einvernahme des sie behandelnden Psychiaters und Psychotherapeuten zum Thema ihres damaligen aktuellen Gesundheitszustands, wobei sie schon jetzt zustimme, diesen von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden, als sinnvoll. Neben einer mündlichen Verhandlung, bei der die BF alles weitere vorbringen werde, wurde ua. die Behebung und Zurückverweisung des Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG an die belangte Behörde beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu Spruchteil A):
2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend wie folgt festgehalten (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063):
"Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f)."
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
§ 18. (1) AsylG 2005 lautet:
Das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht haben in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
[...]
(3) Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen.
2.2. Im gegenständlichen Fall liegt eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor.
Das Bundesamt hat es im konkreten Fall völlig verabsäumt, eine Einvernahme der BF nach § 19 Abs. 2 AsylG 2005 durchzuführen.
Gemäß § 19 Abs. 2 AsylG 2005 ist ein Asylwerber vom Bundesamt, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und - soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird - zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Eine Einvernahme kann unterbleiben, wenn dem Asylwerber ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt (§ 12a Abs. 1 oder 3). Weiters kann eine Einvernahme im Zulassungsverfahren unterbleiben, wenn das Verfahren zugelassen wird. § 24 Abs. 3 bleibt unberührt.
Auch § 24 Abs. 3 AsylG 2005 sieht für das Bundesamt bei bestimmten Konstellationen die Möglichkeit vor, im Asylverfahren ohne Durchführung einer Einvernahme zu entscheiden. Steht der entscheidungsrelevante Sachverhalt fest und hat sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen (Abs. 1), steht gemäß § 24 Abs. 3 AsylG 2005 die Tatsache, dass der Asylwerber vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht einvernommen wurde, einer Entscheidung nicht entgegen. Ein Asylwerber entzieht sich nach § 24 Abs. 1 AsylG 2005 dem Asylverfahren, wenn (Z 1) dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht sein Aufenthaltsort wegen Verletzung seiner Mitwirkungspflichten gemäß § 13 Abs. 2 BFA-VG, §§ 15 oder 15a weder bekannt noch sonst durch das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht leicht feststellbar ist oder (Z 2) er das Bundesgebiet freiwillig verlässt, und das Verfahren nicht als gegenstandslos abzulegen ist (§ 25 Abs. 1) oder (Z 3) er trotz Aufforderung zu den ihm vom Bundesamt im Zulassungsverfahren gesetzten Terminen nicht kommt.
Dem bekämpften Bescheid ist nicht zu entnehmen, auf welche Grundlage das Bundesamt seine Entscheidung stützte, um von der grundsätzlich nach § 19 Abs. 2 AsylG 2005 zwingend vorgesehenen Einvernahme der Asylwerberin abzusehen. Aus dem Akteninhalt ergibt sich kein Hinweis darauf, dass eine Konstellation vorliegt, die ein Vorgehen nach § 24 Abs. 3 AsylG 2005 rechtfertigt. Der Bescheidbegründung ist auch nicht zu entnehmen, dass das Bundesamt davon ausgegangen ist, dass die BF auf Grund von in ihrer Person gelegenen Umständen nicht in der Lage wäre, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen. Vielmehr hat das Bundesamt im Bescheid wiederholt auf das Zutreffen des Gutachtens vom 11.01.2019 verwiesen.
Hierbei ist auch darauf hinzuweisen, dass die Ausführungen im bekämpften Bescheid, wonach die Rechtsvertretung der BF keine schriftliche Stellungnahme zum E-Mail des Bundesamtes vom 30.01.2019 eingebracht hätte, so nicht im Einklang mit dem Akteninhalt steht, zumal noch am 30.01.2019 eine Stellungnahme der Rechtsvertretung der BF erfolgt ist, in der sinngemäß mitgeteilt wurde, dass das von der Behörde geplante vorgehen - nämlich ohne Einvernahme zu entscheiden - rechtswidrig sei und abgelehnt werde.
Unter diesen Voraussetzungen hätte das Bundesamt jedoch einen neuen Ladungsversuch - allenfalls mit der Sanktion der zwangsweisen Vorführung mittels Ladungsbescheid nach § 19 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. I Nr. 51/1991 idgF - vorzunehmen gehabt.
Aber selbst wenn das Bundesamt, was hier jedoch nicht erkennbar der Fall war, davon ausgegangen wäre, dass die BF zum Entscheidungszeitpunkt aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht einvernahmefähig gewesen wäre, und sohin begründete Zweifel an ihrer Prozessfähigkeit gehabt hätte, wäre die Frage der Prozessfähigkeit der BF nach § 9 AVG durch einen dazu befähigten medizinischen Sachverständigen von Amts wegen abzuklären gewesen. Dies deshalb, weil bei Bestätigung der Prozessunfähigkeit das Bundesamt verpflichtet gewesen wäre, nach § 11 AVG vorzugehen, d.h. die Bestellung eines Sachwalters beim zuständigen (Pflegschafts-)Gericht zu veranlassen (vgl. dazu auch VwGH 20.12.2016, Zl. Ra 2015/01/0162).
Insoweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt, ist sie gemäß § 9 AVG von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Soll von Amts wegen oder auf Antrag gegen einen schutzberechtigten Beteiligten, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, oder gegen eine Person, deren Aufenthalt unbekannt ist, eine Amtshandlung vorgenommen werden, so kann die Behörde gemäß § 11 AVG, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, die Betrauung einer Person mit der Obsorge oder die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters oder Kurators beim zuständigen Gericht (§ 109 JN) veranlassen.
Für den Fall des Vorgehens gegen einen handlungsunfähigen Beteiligten kann Laut Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht davon ausgegangen werden, dass § 11 AVG der Behörde ein Ermessen einräumt. Muss die Behörde gegen einen handlungsunfähigen Beteiligten, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, eine Amtshandlung vornehmen, so hat sie einen Sachwalter bestellen zu lassen (vgl. Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, Anmerkung 8 zu § 11, und Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, 7. Auflage, Rz 148; vgl auch Zierl, Die Auswirkungen einer Entmündigung auf das Verwaltungsrecht, ÖJZ 1982, 533 und 566, hier: 570, und Maurer/Tschugguel, Das österreichische Sachwalterrecht in der Praxis2, 337) (vgl. dazu VwGH 25.03.1999, Zl. 98/06/0141).
In diesem Zusammenhang ist der Vollständigkeit halber aber auch noch zu ergänzen, dass die Frage des Bestandes eines Vollmachtsverhältnisses mit einem gewillkürten Vertreter von der Frage der Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters gemäß § 11 AVG zu unterscheiden ist (vgl. dazu ausführlich etwa VwGH 25.03.1999, Zl. 98/06/0141). In der vorliegenden Konstellation lag zum Zustellungszeitpunkt zweifelsfrei ein Vollmachtsverhältnis mit einem gewillkürten Vertreter vor. Dies gilt umso mehr, als die Erstbefragung der BF auch ohne jegliche Auffälligkeiten durchgeführt werden konnte, und auch nie behauptet wurde, dass die BF zu diesem Zeitpunkt nicht einvernahmefähig gewesen wäre.
2.3. Im gegenständlichen Fall liegt sohin eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes und das diesem zugrunde liegende Verfahren erweist sich in besonders gravierender Weise als mangelhaft. Die Durchführung oder Wiederholung einer Einvernahme erscheint unvermeidlich. Der maßgebliche Sachverhalt stellt sich mangels entsprechender Ermittlungen - auch in Verbindung mit der Beschwerde - als ungeklärt dar. Das Verfahren vor dem Bundesamt ist - wie oben dargestellt - mit massiven Mängeln behaftet. Weit reichende Erhebungen, welche grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführen sind, wären demnach durch das Verwaltungsgericht zu tätigen. Indem das Bundesamt in der vorliegenden Konstellation ohne weiteres auf eine Einvernahme der BF verzichtete, ist im Ergebnis davon auszugehen, dass das Bundesamt bloß ansatzweise ermittelt hat. Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass zur Behebung der Mängel (lediglich) "ergänzende" Ermittlungen durch das Bundesverwaltungsgericht vorzunehmen wären (vgl. etwa VwGH 15.11.2018, Zl. Ra 2018/19/0268-9).
Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Verwaltungsgerichtes gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. So können keine Anhaltspunkte dafür erkannt werden, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache im Interesse der Raschheit gelegen wäre. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal es auch nicht als asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde anzusehen ist und die Verwaltungsbehörde durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich rascher und effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann. Aus der Aktenlage ergeben sich weiters auch keine Hinweise, wonach die Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Vielmehr ist angesichts der Einrichtung und Ausstattung des Bundesamtes als asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde vom Gegenteil auszugehen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit an das Bundesamt zurückzuverweisen.
Unter Berücksichtigung des unter Punkt II.2.2. näher Ausgeführten wird das Bundesamt die BF - allenfalls mit der Sanktion der zwangsweisen Vorführung mittels Ladungsbescheid nach § 19 AVG - zu laden und erstmals einzuvernehmen haben. Obwohl sich aus den Beschwerdeausführungen ableiten lässt, dass eine Einvernahmefähigkeit der BF aktuell nicht bestritten wird, wird die Einvernahme- bzw. Prozessfähigkeit der BF - um alle Zweifel auszuschließen - unmittelbar vor der Einvernahme durch einen dazu befähigten medizinischen Sachverständigen von Amts wegen abzuklären sein.
2.4. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn u.a. bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs.1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben (vgl. dazu insbesondere die unter den Punkten II.2.1. f. zitierte Judikatur).
Die Revision ist sohin gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, gesundheitlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W182.2215855.1.00Zuletzt aktualisiert am
06.05.2019