TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/15 W165 2149727-2

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Veröffentlicht am 15.03.2019
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Entscheidungsdatum

15.03.2019

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W165 2149727-2/21E

W165 2149730-2/21E

W165 2149732-2/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ilse LESNIAK als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX alias XXXX , beide vertreten durch Caritas der Erzdiözese Wien, und 3.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , alle StA. Nigeria, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2017, 1.) Zl. 16-1125542305-161086035, 2.) Zl. 16-1125541700-161086027 und 3., Zl. 16-1125542207-161086043, zu Recht erkannt:

A) Den Beschwerden wird gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG idgF

stattgegeben, die bekämpften Bescheide werden behoben und die Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz zugelassen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerinnen (im Folgenden: BF), Staatsangehörige Nigerias, sind laut eigener Angabe Cousinen. Die BF gelangten illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellten am 06.08.2016 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass die BF zuvor aufgrund illegaler Einreise am 21.07.2016 in Italien erkennungsdienstlich behandelt worden waren.

In ihrer Erstbefragung am 06.08.2016 gaben die BF im Wesentlichen an, sie seien über Niger und Libyen nach Italien gelangt. Dort hätten sie sich eine Woche aufgehalten und seien dann weiter nach Österreich gefahren. Sie hätten ihr Heimatland verlassen und seien nach Österreich gereist, um ihre leibliche Mutter zu suchen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) richtete am 13.08.2016 auf Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO gestützte Aufnahmeersuchen an Italien.

Mit Schreiben vom 31.10.2016 setzte das BFA die italienischen Behörden vom Eintritt der Zuständigkeit durch Fristablauf gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO in Kenntnis.

Bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 18.01.2017 gaben die BF, jeweils im Beisein eines Rechtsberaters und einer Vertrauensperson der Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels, zusammengefasst an, dass sie psychisch und physisch in der Lage seien, die Befragung zu absolvieren. Sie seien Cousinen und hätten keine Verwandten im Bereich der EU. Sie seien von "Big Mama" nach Österreich gebracht worden, diese habe die Reise für sie organisiert. Derzeit würden sie im Frauenhaus leben. Den derzeitigen Aufenthaltsort von "Big Mama" würden sie nicht kennen. In Italien hätten sie keine Einvernahme gehabt und keine Entscheidung bekommen.

Im Zuge ihrer Einvernahme legten die BF jeweils das Protokoll ihrer Opfervernehmung als besonders schutzbedürftiges Opfer gemäß § 66a StPO vom 12.10.2016 vor dem Bundesministerium für Inneres, Zentralstelle Bekämpfung Schlepperkriminalität/Menschenhandel, vor.

Mit Stellungnahmen vom 24.01.2017 wiesen die BF durch ihre Vertreterin darauf hin, dass sie Opfer von Menschenhandel seien und ihnen dies erst in Österreich bewusst geworden sei. Laut den internationalen und europäischen Vereinbarungen zum Thema Menschenhandel würden ihnen ab dem Zeitpunkt, in dem sie als Opfer identifiziert worden seien, sämtliche gesetzliche Schutzmaßnahmen zustehen. Die Lage für von Menschenhandel Betroffene finde in den Länderfeststellungen des BFA zu Italien überhaupt keine Berücksichtigung und sei eine Überstellung nach Italien eine eindeutige Verletzung der sich aus Art. 4 EMRK ergebenden Verpflichtungen. Weitere positive Verpflichtungen des BFA als österreichischer Behörde seien direkt aus der Richtlinie 2011/36/EU vom 05.04.2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer abzuleiten. Gemäß Art. 11 dieser Richtlinien müsse der Staat Opfer von Menschenhandel betreuen und unterstützen, ungeachtet der Entwicklungen im Strafverfahren. Im konkreten Fall müsse betont werden, dass die Polizei intensiv gegen die Menschenhändler in diesem Fall ermittle. Um eine dem Verfassungsrecht, dem EU-Recht und dem internationalen Recht konforme Entscheidung treffen zu können, müsse das BFA von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch machen.

Mit Bescheiden des BFA vom 15.02.2017 wurden in Spruchpunkt I. die Anträge der BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 13 Abs. 1 iVm Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO zuständig sei. In Spruchpunkt II. wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG gegen die BF eine Außerlandesbringung angeordnet und ausgesprochen, dass ihre Abschiebung nach Italien zulässig sei. Aus den Angaben der BF gehe nicht hervor, dass sie in Italien der Gefahr einer konkreten Verfolgung ausgesetzt seien und sei auch kein mangelnder Schutzwille oder mangelnde Schutzfähigkeit des Staates zu entnehmen. Im gegenständlichen Verfahren sei keine drohende Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte im Fall einer Überstellung nach Italien ersichtlich.

Gegen die Bescheide brachten die BF fristgerecht inhaltlich gleichlautende Beschwerden ein und führten im Wesentlichen aus, dass es die Behörde verabsäumt habe, die zutreffende Rechtslage für Opfer von Menschenhandel anzuwenden. Die Lage von Menschenhandelsopfern werde durch Spezialnormen geregelt und sei in der Folge die Dublin III-VO nur sekundär anzuwenden. Eine Überstellung der BF nach Italien verstoße gegen alle zutreffenden Gesetze und müsse das BFA von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch machen.

Mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 14.03.2017, W161 2149727-1/4Z, W161 2149730-1/4Z und W161 214732-1/4Z, wurde den Beschwerden aufschiebende Wirkung zuerkannt, was den italienischen Behörden mit Schreiben vom 22.03.2017 mitgeteilt wurde.

Mit Beschlüssen des BVwG vom 28.03.2017, W161 2149727-1/5E, W161 2149730-1/5E und W161 214732-1/5E wurde den Beschwerden gemäß § 21 Abs. 3, 2. Satz BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben. Begründend wurde ausgeführt, dass sich aufgrund der Angaben der BF der Verdacht ergeben habe, dass diese Opfer von Frauenhandel seien. In den angefochtenen Bescheiden seien weder Feststellungen zum tatsächlichen Verfahrensstand noch darüber, ob die BF Zeugen bzw. Opfer im Strafverfahren seien, getroffen worden. Im fortgesetzten Verfahren werde die erstinstanzliche Behörde sohin Erhebungen zum Stand des Strafverfahrens sowie zu einer möglichen Stellung der BF als Zeugen bzw. Opfer in diesem Verfahren zu tätigen haben.

Im fortgesetzten Verfahren wurden die BF am 08.06.2017 neuerlich vor dem BFA im Beisein ihrer Vertreterin einvernommen. Dabei gaben diese an, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, die Befragung zu absolvieren. Die 1.-BF legte das Original ihrer Geburtsurkunde und die 2.-BF eine Kopie ihrer Geburtsurkunde vor. Die 3.-BF gab an, eine Kopie ihrer Geburtsurkunde bei der Opferschutzeinrichtung zu haben. Die BF hätten keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Ob derzeit ein straf- oder zivilrechtliches Verfahren anhängig sei, würden sie nicht wissen. Die 2.-BF und die 3.-BF gaben an, dass sie im April vor Gericht einvernommen worden seien, jedoch keine weiteren Details kennen würden. Die BF gaben im Wesentlichen gleichlautend an, dass sie in Italien Angst vor Menschenhändlern und keinen Schutz hätten. Sie würden sich in Österreich sicher fühlen.

Mit Stellungnahme vom 16.06.2017 brachte die Vertreterin der BF Kritik an der Einvernahmesituation vor dem BFA vor und führte zusammengefasst aus, dass auf die Vulnerabilität der BF keine Rücksicht genommen worden sei. Die Angst und Unsicherheit der BF sei spürbar gewesen und werde dazu ein "Wahrnehmungsbericht" der BF beigelegt. Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Überstellung werde auf die ausführliche Stellungnahme vom 24.01.2017 sowie die Beschwerde vom 06.03.2017 verwiesen. Die Behörde müsse von der Überstellung nach Italien Abstand nehmen, um eine Art. 4 EMRK-Verletzung zu vermeiden.

In den beigelegten Wahrnehmungsberichten brachten die BF im Wesentlichen gleichlautend vor, dass sie bei der Einvernahme wie Verbrecher und nicht wie Opfer von Menschenhandel behandelt worden wären und Fragen gestellt bekommen hätten, die sie nicht beantworten hätten können.

Am 21.06.2017 wurden die BF einer Untersuchung durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin, psychosomatische und psychotherapeutische Medizin und Psychotherapeutin unterzogen und von dieser eine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren erstattet. Unter Einbeziehung der medizinischen Vorgeschichte trifft die Ärztin in ihren Stellungnahmen vom 26.06.2017 folgende Feststellungen:

Bei der 1.-BF würden sich keine Hinweise auf Suizidalität finden und seien keine traumaspezifischen Symptome fassbar. Die 1.BF wirke desinteressiert am Gespräch. Es handle sich um eine seelisch gesunde junge Frau, die HIV-positiv sei. Eine Behandlung sei bereits eingeleitet worden.

Bei der 2.-BF seien keine Zeichen einer Ängstlichkeit oder traumatypische Symptome fassbar und würden keine Hinweise auf Suizidalität bestehen. Es handle es sich um eine gesunde junge Frau ohne nennenswerte subjektive Beschwerden. Auch seien keinerlei Symptome von Krankheitswert beobachtbar.

Bei der 3.-BF seien keine Suizidalität und keine Ängste oder traumatypischen Symptome fassbar. Sie wirke zur Zeit der Befundaufnahme sehr gesund, wenngleich auch gelangweilt bzw. desinteressiert an der Befundaufnahme. Es hätten keinerlei krankheitswertige Symptome festgestellt werden können und zwar weder subjektiv von der 3.BF angegeben noch beobachtbar.

Mit Schreiben vom 20.06.2017 (2.-BF) bzw. 21.06.2017 (1.-BF und 3.-BF) beantragten die BF beim BFA die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Besonderer Schutz" gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005. Das ausgefüllte Antragsformular wurde jeweils am 07.07.2017 persönlich abgegeben.

Auf Ersuchen des BFA langten am 31.07.2017 medizinische Unterlagen zur HIV-Erkrankung der 1.-BF ein.

Mit Bescheiden des BFA vom 01.08.2017 wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 13 Abs. 1 iVm Art. 22 Abs. 7 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zuständig sei (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringungen angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebungen nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig seien (Spruchpunkt II.).

Die Anträge auf internationalen Schutz seien zurückzuweisen, da gemäß Art. 13 Abs. 1 iVm Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO Italien für die Prüfung der Anträge zuständig sei. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung der BF ernstlich für möglich erscheinen lassen würden, sei im Verfahren nicht erstattet worden. Die BF würden an keinen schweren körperlichen Krankheiten oder psychischen Störungen leiden. In Bezug auf die HIV-Infektion der 1.-BF seien in Italien Behandlungsmöglichkeiten gegeben, ebenso sei die unerlässliche medizinische Versorgung gewährleistet. Dass den BF in Italien Versorgung oder ein ordnungsgemäßes Asylverfahren nicht zukommen würden, habe nicht festgestellt werden können. Die BF seien dem herangezogenen Berichtsmaterial zur Versorgungssituation für Asylwerber in Italien nicht in einer Art und Weise entgegengetreten, als dass sich hieraus eine die BF im Falle einer Überstellung nach Italien möglicherweise drohende Verletzung ihrer Rechte nach Art. 3 EMRK ableiten ließe. Selbst bei Vorliegen der behaupteten Gefährdung sei den Angaben der BF kein mangelnder Schutzwille oder mangelnde Schutzfähigkeit des italienischen Staates zu entnehmen. Italien sei als sicherer Staat im Sinne des Asylgesetzes anzusehen und den BF stünde jedenfalls die Möglichkeit offen, sich an die dortigen Polizeibehörden zu wenden, weshalb im Falle der BF keine drohende Verletzung ihrer Rechte gemäß Art. 3 EMRK ersichtlich wäre.

Am 16.08.2017 brachten die BF fristgerecht gleichlautende Beschwerden ein und führten im Wesentlichen aus, dass es das BFA verabsäumt habe, konkrete, entscheidungswesentliche Feststellungen in Bezug auf die Rolle der BF in diesem Verfahren zu treffen. Es hätte festgestellt werden müssen, dass die BF in diesem Strafverfahren Opfer und gleichzeitig wichtige Zeugen seien und es sohin begründeten Verdacht dahingehend gebe, dass die BF Betroffene von Menschenhandel seien. Der belangten Behörde sei vorzuwerfen, dass auch die Begründung bzw. die Beweiswürdigung im gegenständlichen Fall grob mangelhaft seien. So wäre es jedenfalls geboten gewesen, mit der spezialisierten Abteilung des Bundeskriminalamtes und/oder mit der Staatsanwaltschaft Kontakt aufzunehmen, um fallspezifische Informationen einzuholen bzw. zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit jedenfalls die vorgelegten Kopien der zeugenschaftlichen Aussagen zu würdigen. Es sei auszuschließen, dass von der belangten Behörde eine Einzelfallzusicherung im Hinblick auf die spezifischen Bedürfnisse der BF als Menschenhandelsopfer eingeholt worden wäre. Beantragt wurde, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Mit Beschlüssen des BVwG vom 04.09.2017, W165 2149230-2/3Z, W165 2149727-2/3Z und W165 2149732-2/3Z, wurde den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

In einer Stellungnahme vom 24.11.2017 gab die Vertreterin der BF bekannt, dass den BF vom BFA "Aufenthaltsberechtigungen besonderer Schutz" erteilt worden seien. Der Stellungnahme wurden Kopien der Geburtsurkunden der BF sowie Kopien von Aufenthaltsberechtigungskarten gemäß § 57 AsylG 2005 angeschlossen. Weiters wurde beantragt, die Verfahren der BF aufgrund der Erteilung eines Aufenthaltstitels zuzulassen.

Mit Schreiben vom 28.11.2017 teilte das BFA mit, dass den BF jeweils am 10.11.2017 eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, gültig bis 09.11.2018, erteilt worden sei.

Mit Stellungnahme vom 09.03.2018 beantragte die Vertreterin unter Berufung auf Art. 19 Abs. 1 Dublin III-VO die Zulassung des Verfahrens der BF in Österreich.

Mit Schreiben vom 24.03.2018 steilte das BFA mit, dass sich die 3.-BF seit 17.03.2018 in Untersuchungshaft befinde.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 01.08.2018 wurde die 3.-BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28 Abs. 1 5. Fall, Abs. 4 Z 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt.

Mit Schreiben vom 19.10.2018 zog die Vertreterin der BF ihre Vollmacht betreffend die 3.-BF unter gleichzeitigem abermaligem Hinweis darauf, dass aufgrund der Erteilung eines österreichischen Aufenthaltstitels gemäß Art. 19 Abs. 1 Dublin III-VO die Zuständigkeit zur Führung des Asylverfahrens auf Österreich übergegangen sei, zurück.

Mit Schreiben vom 19.02.2019 setzte das BFA das BVwG hierüber in Kenntnis, dass der 1.-BF und der 2.-BF für ein weiteres Jahr gültige Aufenthaltsberechtigungen besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erteilt worden seien. Bezüglich einer Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung der 3.-BF liegt dem BVwG bis dato keine Information vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF, nigerianische Staatsangehörige, sind laut eigener Angabe Cousinen und reisten im Juli 2016 aus ihrem Heimatstaat kommend über den Niger und Libyen illegal nach Italien ein, wo diese am 21.07.2016 infolge illegaler Einreise erkennungsdienstlich behandelt wurden. In der Folge reisten die BF illegal in das österreichische Bundesgebiet weiter und stellten hier am 06.08.2016 einen Anträge auf internationalen Schutz.

Am 13.08.2016 richtete das BFA Aufnahmeersuchen gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO an Italien. Mit Schreiben vom 31.10.2016 teilte das BFA der italienischen Dublin-Behörde mit, dass auf Grund nicht fristgerecht erfolgter Antwort gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO Verfristung eingetreten und nunmehr Italien für die Durchführung der gegenständlichen Asylverfahren zuständig sei.

Nachdem das BFA mit Bescheiden vom 15.02.2017 die Anträge der BF auf internationalen Schutz zurückgewiesen und die Außerlandesbringung nach Italien angeordnet hatte, gab das BVwG den dagegen erhobenen Beschwerden mit Beschlüssen vom 28.03.2017, W161 2149727-1/5E, W161 2149730-1/5E und W161 214732-1/5E statt und behob die bekämpften Bescheide. Im fortgesetzten Verfahren wies das BFA die Anträge der BF mit Bescheiden vom 01.08.2017 abermals zurück und ordnete die Außerlandesbringung nach Italien an.

Nach Einlangen der dagegen erhobenen Beschwerden beim BVwG wurde den BF vom BFA am 10.11.2017 jeweils für ein Jahr gültige "Aufenthaltsberechtigungen besonderer Schutz" nach § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erteilt. Die Aufenthaltsberechtigungen der 1.-BF und der 2.-BF wurden um ein weiteres Jahr verlängert. Zu einer allfälligen ebenso seitens der 3.-BF beantragten Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung verfügt das BVwG gegenwärtig über keine Information.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich der illegalen Einreise der BF in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten und der erkennungsdienstlichen Behandlung in Italien ergeben sich aus den Angaben der BF im Rahmen ihrer Einvernahmen im Zusammenhalt mit den vorliegenden EURODAC-Treffermeldungen der Kategorie "2" zu Italien.

Die Feststellungen zum mit Italien durchgeführten Konsultationsverfahren beruhen auf dem im Verwaltungsakt einliegenden Schriftwechsel, der bisherige Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung, dass den BF jeweils "Aufenthaltsberechtigungen besonderer Schutz" erteilt wurde, folgt aus den in den Akten in Kopie einliegenden Aufenthaltsberechtigungskarten sowie der Mitteilung des BFA vom 28.11.2017. Die Feststellung, dass die Aufenthaltstitel der 1.-BF und der 2.-BF um ein weiteres Jahr verlängert wurden, ergibt sich aus der diesbezüglichen Mitteilung des BFA vom 19.02.2019.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerden:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetztes 2005 (AsylG 2005) lauten:

§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes

im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen.

Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO lauten:

Art. 2

Definitionen

d) "Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz" die Gesamtheit der Prüfungsvorgänge, der Entscheidungen oder Urteile der zuständigen Behörden in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß der Richtlinie 2013/32/EU und der Richtlinie 2011/95/EU mit Ausnahme der Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemäß dieser Verordnung

l) "Aufenthaltstitel" jede von den Behörden eines Mitgliedstaats erteilte Erlaubnis, mit der der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats gestattet wird, einschließlich der Dokumente, mit denen die Genehmigung des Aufenthalts im Hoheitsgebiet im Rahmen einer Regelung des vorübergehenden Schutzes oder bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die eine Ausweisung verhindernden Umstände nicht mehr gegeben sind, nachgewiesen werden kann; ausgenommen sind Visa und Aufenthaltstitel, die während der zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats entsprechend dieser Verordnung erforderlichen Frist oder während der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz oder eines Antrags auf Gewährung eines Aufenthaltstitels erteilt wurden

Art. 3

Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

Art. 7

Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Art. 13

Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Art. 18

Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.

In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

[...]

Art. 19

Übertragung der Zuständigkeit

(1) Erteilt ein Mitgliedstaat dem Antragsteller einen Aufenthaltstitel, so obliegen diesem Mitgliedstaat die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1.

(2) Die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1 erlöschen, wenn der zuständige Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d, um dessen/deren Aufnahme oder Wiederaufnahme er ersucht wurde, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, die betreffende Person ist im Besitz eines vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels.

Ein nach der Periode der Abwesenheit im Sinne des Unterabsatzes 1 gestellter Antrag gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.

(3) Die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben c und d erlöschen, wenn der zuständige Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d, um dessen/deren Wiederaufnahme er ersucht wurde, nach Rücknahme oder Ablehnung des Antrags das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines Rückführungsbeschlusses oder einer Abschiebungsanordnung verlassen hat.

Ein nach einer vollzogenen Abschiebung gestellter Antrag gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.

Art. 22

Antwort auf ein Aufnahmegesuch

(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nach Erhalt des Gesuchs.

(2) In dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats werden Beweismittel und Indizien verwendet.

(3) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten die Erstellung und regelmäßige Überprüfung zweier Verzeichnisse, in denen die sachdienlichen Beweismittel und Indizien gemäß den in den Buchstaben a und b dieses Artikels festgelegten Kriterien aufgeführt sind, fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

a) Beweismittel:

i) Hierunter fallen förmliche Beweismittel, die insoweit über die Zuständigkeit nach dieser Verordnung entscheiden, als sie nicht durch Gegenbeweise widerlegt werden;

ii) Die Mitgliedstaaten stellen dem in Artikel 44 vorgesehenen Ausschuss nach Maßgabe der im Verzeichnis der förmlichen Beweismittel festgelegten Klassifizierung Muster der verschiedenen Arten der von ihren Verwaltungen verwendeten Dokumente zur Verfügung;

b) Indizien:

i) Hierunter fallen einzelne Anhaltspunkte, die, obwohl sie anfechtbar sind, in einigen Fällen nach der ihnen zugebilligten Beweiskraft ausreichen können;

ii) Ihre Beweiskraft hinsichtlich der Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz wird von Fall zu Fall bewertet.

(4) Das Beweiserfordernis sollte nicht über das für die ordnungsgemäße Anwendung dieser Verordnung erforderliche Maß hinausgehen.

(5) Liegen keine förmlichen Beweismittel vor, erkennt der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit an, wenn die Indizien kohärent, nachprüfbar und hinreichend detailliert sind, um die Zuständigkeit zu begründen.

(6) Beruft sich der ersuchende Mitgliedstaat auf das Dringlichkeitsverfahren gemäß Artikel 21 Absatz 2, so unternimmt der ersuchte Mitgliedstaat alle Anstrengungen, um die vorgegebene Frist einzuhalten. In Ausnahmefällen, in denen nachgewiesen werden kann, dass die Prüfung eines Gesuchs um Aufnahme eines Antragstellers besonders kompliziert ist, kann der ersuchte Mitgliedstaat seine Antwort nach Ablauf der vorgegebenen Frist erteilen, auf jeden Fall ist die Antwort jedoch innerhalb eines Monats zu erteilen. In derartigen Fällen muss der ersuchte Mitgliedstaat seine Entscheidung, die Antwort zu einem späteren Zeitpunkt zu erteilen, dem ersuchenden Mitgliedstaat innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist mitteilen.

(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Im gegenständlichen Verfahren ist das BFA in Anbetracht der Tatsache, dass die BF aus einem Drittstaat kommend im Jahr 2016 die Grenze Italiens auf dem Seeweg illegal überschritten haben (Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO) und in Italien erkennungsdienstlich behandelt wurden, zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass grundsätzlich eine Zuständigkeit Italiens für die Aufnahme der BF gegeben sein könnte. Da Italien in weiterer Folge eine fristgerechte Beantwortung der österreichischen Aufnahmegesuche unterlassen hat, ist auch grundsätzlich die Verpflichtung Italiens zur Aufnahme der BF gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO eingetreten. Gemäß Art. 18 Abs. 1 lit a Dublin III-VO hätte dies sohin grundsätzlich die Verpflichtung Italiens nach sich gezogen, die BF - die in Österreich erstmals Anträge auf internationalen Schutz gestellt haben - nach Maßgabe des Art. 22 Dublin III-VO aufzunehmen.

In weiterer Folge hat Österreich den BF jedoch "Aufenthaltsberechtigungen besonderer Schutz" nach § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erteilt.

Die Regelung des Art. 19 Abs. 1 Dublin III-VO normiert für den Fall, dass ein Mitgliedstaat dem Antragsteller einen Aufenthaltstitel erteilt, dass diesem Mitgliedstaat die Pflichten nach Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO obliegen.

Bei der Regelung des Art. 19 Abs. 1 Dublin III-VO handelt es sich um eine Sonderzuständigkeitsnorm, da in diesem Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach erfolgter (Asyl)antragstellung entgegen der Sachverhaltsversteinerungsregel des Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO Relevanz zukommt. Diese Sonderzuständigkeitsnorm kommt ex lege mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Tragen (vgl. hierzu auch Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, K1 zu Art. 19 sowie K7 zu Art. 3 Abs. 2).

Aus der Formulierung "dem Antragsteller" in Art. 19 Abs. 1 Dublin III-VO ergibt sich, dass Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO erst dann zur Anwendung kommt, nachdem der Drittstaatsangehörige in einem Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat - was gegenständlich der Fall ist - (vgl. hierzu Filzwieser/Sprung, aaO, K1 zu Art. 19).

Nach der Begriffsdefinition des Art. 2 lit. l Dublin III-VO ist unter "Aufenthaltstitel" jede von den Behörden eines Mitgliedstaates erteilte Erlaubnis, mit der der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen (...) im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats gestattet wird (...), zu verstehen. Ausgenommen sind Aufenthaltstitel, die während der zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats entsprechend dieser Verordnung erforderlichen Frist oder während der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz oder eines Antrags auf Gewährung eines Aufenthaltstitels erteilt wurden.

Unter "Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz" iSd diesbezüglichen Begriffsbestimmung des Art. 2 lit. d Dublin III-VO sind jedoch nicht die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates gemäß dieser Verordnung zu verstehen, sodass die Zuständigkeitsverfahren nach der Dublin III-VO hievon explizit ausgenommen werden (vgl. hierzu Filzwieser/Sprung, aaO, K10 zu Art. 2).

Im vorliegenden Fall wurden die Aufenthaltsberechtigungen nach erfolgter Asylantragstellung und während des laufenden Zuständigkeitsverfahrens nach der Dublin III-VO erteilt.

Ein Anwendungsfall der hinsichtlich Aufenthaltstitel in Art. 2 lit. l 2. Halbsatz Dublin III-VO normierten Ausnahmebetatbestände ist gegenständlich nicht ersichtlich, zumal, wie ausgeführt, die Zuständigkeitsverfahren nach der Dublin III-VO nicht unter die Begriffsbestimmung der "Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz" des Art. 2 lit d Dublin III-VO zu subsumieren sind.

Dies führt zu dem Ergebnis, dass vom Vorliegen von die Zuständigkeit Österreichs begründenden Aufenthaltstiteln iSd Art. 19 Abs. 1 Dublin III-VO auszugehen ist. Die Zuständigkeit Österreichs ist grundsätzlich mit (erstmaliger) Erteilung der Aufenthaltsberechtigungen ex lege eingetreten, sodass eine Zuständigkeit Österreichs zur Führung der Asylverfahren der BF anzunehmen ist.

Die bekämpften Bescheide waren daher zu beheben und die Verfahren in Österreich zuzulassen.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, da die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Zur Frage, welche österreichischen Aufenthaltstitel bzw. ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 im Zulassungsverfahren von der Ausnahmebestimmung in Art. 2 lit. l Dublin III-VO erfasst wäre, liegt im Zusammenhang mit den hier aufgeworfenen Rechtsfragen noch keine Rechtsprechung vor.

Schlagworte

Fristablauf, Fristversäumung, Revision zulässig, Überstellungsfrist,
Verfristung, Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W165.2149727.2.00

Zuletzt aktualisiert am

07.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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