TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/18 W182 2189171-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.03.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

18.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W182 2189171-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2018, Zl. 760848705 - 160530956-BMI-BFA BGLD RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 7 Abs. 4

Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 sowie § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I. Nr. 87/2012 idgF, § 52 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, § 46 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 55 Abs. 1 - 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste am 16.08.2006 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

In der Einvernahme beim Bundesasylamt am 08.05.2007 begründete er seinen Antrag im Wesentlichen damit, dass er bis zum Jahr 2000 für Widerstandskämpfer Medikamente und Waffen vom Schwarzmarkt besorgt hätte, weshalb er vom Militär und dem FSB verfolgt worden wäre. Es habe jedoch niemals Übergriffe gegen seine Person gegeben. Seine Frau sei im August 2002 von maskierten Männern getötet worden. Auf die Frage, warum seine Frau getötet worden sei, gab der BF an: "Das weiß ich nicht. Vielleicht wegen mir. Ich weiß es nicht genau."

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.10.2007, Zahl: 0608.487-BAE, wurde seinem Asylantrag gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gem. § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Aus einem beigelegten Aktenvermerk vom selben Tag geht hervor, dass der BF glaubwürdig geschildert habe, dass er einer Verfolgungsgefahr aufgrund seiner politischen Gesinnung (Unterstützung der Widerstandskämpfer) ausgesetzt gewesen sei, wobei seine Gattin im Jahr 2002 von einer russischen Sonderheit angeblich wegen seiner Tätigkeit umgebracht worden sei.

Am 23.02.2011 beantragte der BF die freiwillige Rückkehr in die Russische Föderation. Mit Schreiben vom 02.03.2011 widerrief er diese.

In einer niederschriftlichen Einvernahme am 18.10.2011 vor dem Bundesasylamt führte der BF auf Nachfrage, aus welchem Grund sich in seinem russischen Auslandspass zwei weißrussische Grenzstempel aus dem Jahr 2008 befänden, obwohl der BF bereits im Jahr 2006 nach Österreich gereist sei, an, dass seine Tochter geheiratet hätte und er Kleidung und Geschenke in Weißrussland gekauft habe. In Weißrussland würden russische Waren verkauft werden, in der Slowakei und Tschechien habe es keine Waren gegeben, die ihm gefallen hätten. Nachgefragt, ob er Beweise für seinen Aufenthalt habe, verneinte er dies, sein russischer Pass sei nun ohnehin abgelaufen. Nachgefragt, warum er einen Antrag auf freiwillige Rückkehr gestellt habe, antwortete der BF, dass sein Sohn ihn dazu gezwungen habe, er es sich jedoch dann anders überlegt habe. Dem BF wurde zur Kenntnis gebracht, dass er, falls er in die Russische Föderation reise bzw. sich einen neuen russischen Reisepass ausstellen lassen wolle, ihm der Status als anerkannter Flüchtling aberkannt werden könne, da er sich wieder unter den Schutz seines Heimatstaates stelle (AS 745 BFA).

Am 14.04.2016 wurde seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) ein Aberkennungsverfahren eingeleitet. Am selben Tag wurde ein Rechercheauftrag zur Identität des BF im Herkunftsland erteilt.

In einer Anfragebeantwortung durch einen gerichtlich beeideten und zertifizierten Buchsachverständigen vom 06.06.2016 wurde festgehalten, dass XXXX , geb. XXXX sowohl laut dem Melderegister der Russischen Föderation als auch nach den Melderegistern der Teilrepublik Tschetschenien und Inguschetien nie gemeldet gewesen sei und ihm auch niemals Pässe ausgestellt worden seien. Der unter der angegebenen früheren Wohnadresse in XXXX und Grozny lebenden Familie sei der Name XXXX unbekannt.

Am 05.02.2018 fand beim Bundesamt eine Einvernahme des BF statt. In dieser gab er an, dass er auf dem Pass einen Fehler gemacht habe und XXXX geschrieben habe, er allerdings XXXX heiße, XXXX sei der Name seines Vaters. Er habe immer schon so geheißen. Aktuell sei er verheiratet und habe ein fünf Monate altes Kind, namens XXXX , er sei am XXXX 2017 geboren worden. Seine Frau, XXXX , befinde sich noch im Asylverfahren, sie habe einen negativen Bescheid bekommen, die Diakonie habe dagegen Beschwerde erhoben. Sein Sohn müsste auch Asyl bekommen, da er mit seiner Mutter einen negativen Bescheid erhalten habe, werde dem BF jetzt auch sein Pass abgenommen. Sowohl er als auch seine Frau hätten das Sorgerecht für den Sohn, sie wären beide als Eltern auf der Geburtsurkunde angeführt. Seine Frau habe er traditionell im Jahr 2016 geheiratet, ein Jahr später hätten sie in Polen standesamtlich geheiratet. Nachgefragt, welche Verwandten sich noch in der Russischen Föderation befinden würden, führte der BF an, dass seine Eltern bereits verstorben wären. Er habe zwei verheiratetet und zwei ledige Schwestern und einen jüngeren Bruder, der in der Russischen Föderation inhaftiert sei. Eine der verheirateten Schwestern lebe in Grosny, die andere in XXXX , die ledigen Schwestern würden bei Bekannten leben, das Elternhaus stehe leer, weil die Familie wegen seinem Bruder ein Problem habe. Befragt, ob er Kontakt zu seinen Familienangehörigen habe, gab der BF an, dass ihn sein Neffe vor zwei Monaten kontaktiert habe wegen der Probleme seines Bruders, die näheren Umstände wolle er nicht anführen, um nicht anderen Leuten Probleme zu machen. Es würde sich eventuell auch negativ auf die Situation seines Sohnes, der in Österreich inhaftiert sei, auswirken. Sein Sohn sei bei Begehung der Straftat noch minderjährig gewesen, er habe jemanden geschlagen. Auf Nachfrage, warum sein Bruder in Russland inhaftiert worden sei, gab der BF an, dass sein Bruder einen Streit mit dem Nachbarn gehabt habe, weil der Nachbar seine Schwester geschlagen habe, wovon sie einen Kieferbruch erlitten und 1,5 Monate im Krankenhaus gewesen sei. Der Nachbar habe ein Messer gehabt, mit dem er "hin und her gefuchtelt" und sich dabei selbst verletzt habe, er sei seinen Verletzungen schließlich erlegen, das Video, das das beweise, sei jedoch verschwunden und sein Bruder deshalb zu acht Jahren Gefängnisstrafe wegen Morde verurteilt worden. Der BF sei seit 08.11.2017 arbeitslos, er habe vier Monate bei einer Firma gearbeitet und sei gekündigt worden, weil er nicht gut Deutsch spreche. Er sei seit dem Jahr 2008 beschäftigt gewesen und über Leasingfirmen angestellt worden, er habe immer nur drei, vier oder sechs Monate bei verschiedenen Firmen gearbeitet, in Innsbruck sei er auch nach drei Monaten grundlos gekündigt worden, obwohl er 13 Stunden am Tag gearbeitet habe. Er habe einen A1 und A2 Deutschkurs besucht, er sei immer beschäftigt gewesen, weshalb er den Kurs teilweise nicht besuchen habe können, Dokumente könne er allerdings nicht vorlegen. Derzeit beziehe er die Mindestsicherung. Als er noch in XXXX gelebt habe, sei er mit einer österreichischen Familie eng befreundet gewesen, seit dem Umzug hätten sie allerdings keinen Kontakt mehr. Zu seinem Gesundheitszustand befragt, führte der BF an, dass er früher Probleme mit seiner Leber gehabt habe, die noch immer vorliegen würden, er nehme nun jedoch keine Medikamente mehr, da sein Arzt gesagt habe, die Blutwerte würden stimmen. Ansonsten nehme er nur wegen Magenproblemen Medikamente. Befragt, warum der BF im Jahr 2004 aus der Russischen Föderation ausgereist sei, führte er an, dass seine Frau von unbekannten Leuten ermordet worden sei, seine Kinder seien zu diesem Zeitpunkt zu Hause gewesen. Er sei damals bereits von seiner Frau getrennt gewesen, allerdings wären sie noch verheiratet gewesen, von seinem Bruder habe er schließlich vom Tod seiner Frau erfahren. Den Grund für die Ermordung wisse er nicht, er sei damals, aus Angst ebenfalls getötet zu werden, mit seinen Kindern nach Österreich gereist. Befragt, ob er im Herkunftsstaat leben könne, wenn er die damaligen Gründe nicht gehabt hätte, bzw. ob diese Probleme noch immer bestehen würden, antwortete der BF, wenn er keine Probleme hätte, wäre er nach dem Tod seiner Mutter nach Hause gefahren, um sie zu begraben. Auf Vorhalt, dass eine Verfolgung nicht mehr bestehen könne, weil sich die Lage im Herkunftsstaat massiv geändert habe und keine Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes vorliegen würden, gab der BF an, dass er sehr dankbar für seinen Konventionspass sei und er wisse, dass es keinen Sicherheitsgrund gebe, in Österreich zu bleiben, dass aber immer noch das Problem in seinem Heimatland bestehe. Seine XXXX jährige Tochter sei psychisch krank und sei dem BF weggenommen worden, er kenne seit zwei oder drei Jahren ihren Aufenthaltsort nicht, was nach tschetschenischen Bräuchen eine Schande darstelle. Auch seine Enkelkinder wären seinem Sohn weggenommen worden, er wolle ein Obsorgerecht für diese haben. Über Vorhalt, dass Erkundungen im Herkunftsstaat ergeben hätten, dass an der angeführten Adresse in XXXX eine Familie lebe, die den BF nicht kenne, antwortete er, dass er immer dort gemeldet gewesen sei, in der Wohnung in Grozny habe er zwar gelebt, sei dort allerdings nie gemeldet gewesen. Über Vorhalt, dass der BF in Österreich bereits straffällig geworden und er in Österreich nicht nachhaltig verfestigt sei, gab er an, dass er seinen Führerschein habe umschreiben lassen wollen und erfahren habe, dass es sich um eine Fälschung handle. Einmal habe er seine Freundin geschlagen, weil sie mit einem anderen Mann "gechattet" habe. Über Vorhalt, dass dies einen Mangel an Integrationsbereitschaft zeige, gab er an, dass er niemals etwas Schlechtes gemacht habe, es sei falsch gewesen, dass er seine Frau damals geschlagen habe.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 26.02.2018 wurde dem BF der mit Bescheid vom 19.10.2007 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters wurde ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55 und 57 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt IV und V.). Weiters wurde unter Spruchpunkt VI. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Die Behörde verwies darauf, dass der Status eines Asylberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen sei, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 vorliege und einer der in Art. 1 Abschnitt C der GFK angeführten Endigungsgründe eingetreten sei, was im konkreten Fall gegeben sei, da die Voraussetzungen, die zu einer Zuerkennung geführt hätten, nicht mehr vorliegen würden. Der BF habe Angehörige in der Russischen Föderation, sei gesund und arbeitsfähig, er verstehe und spreche die Sprache seines Herkunftslandes. Er habe in Polen seine Gattin geheiratet, der gemeinsame Sohn sei vor kurzem auf die Welt gekommen, beide würden über kein dauerndes Aufenthaltsrecht verfügen. Seine Asylgewährung habe auf dem Umstand beruht, dass er Widerstandskämpfer unterstützt habe, sowie auf dem Umstand, dass seine Frau deshalb getötet worden wäre und er eine Sterbeurkunde seiner damaligen Gattin vorgelegt habe. Die durch das Bundesamt im Aberkennungsverfahren angestrebten Ermittlungen hätten ergeben, dass die Gründe, die zum Erfolg der Asylgewährung geführt hätten, offenbar nicht bzw. niemals vorgelegt hätten, jedenfalls nicht unter den geschilderten Umständen und daher massiv zu bezweifeln wären. Weder sei er oder seine Familie in XXXX , dem Vorfallsort der den Ausreisegründen zugrunde gelegten Ermordung seiner Gattin je registriert worden, noch sei der Todesfall seiner Gattin dort eingetragen worden. Die Ermittlungen hätten zudem ergeben, dass dem BF nie ein Reisepass auf seinen Namen ausgestellt worden sei und das Bundesamt mangels anderer glaubhafter Dokumente zu seiner Identität davon ausgehe, dass auch diese nicht den Tatsachen entspreche und von ihm durch Vorlage eines totalgefälschten Passes vorgetäuscht worden sei. Da in Russland Meldepflicht herrsche, sei davon auszugehen, dass der BF und seine Familie eine andere Identität hätten. Weiters sei der BF in Österreich wegen Vorlage eines russischen Führerscheins, der sich als Totalfälschung herausgestellt habe, wegen Dokumentenfälschung rechtskräftig verurteilt worden. Es sei daraus ersichtlich, dass der BF hinsichtlich seiner Identität jedenfalls falsche Angaben getätigt habe. Die Sicherheitslage habe sich im Gegensatz zu den Nachbarrepubliken dauerhaft und nachhaltig verbessert. Es habe sich im gegenständlichen Fall kein Hinweis darauf ergeben, dass der BF im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation am Leben oder an seiner Unversehrtheit bedroht oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe unterworfen sei. Dem BF sei der Status des Asylberechtigten gem. § 7 Abs. 1 AsylG 2005 abzuerkennen, weil einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten sei, da die Z5 erfüllt sei, da er nach Wegfall der Umstände, auf Grund deren er als Flüchtling anerkannt worden sei, es nicht mehr ablehnen könne, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitze.

Gemäß § 7 Abs. 2 AsylG könne das BFA einem Fremden, der nicht straffällig geworden sei (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolge und der Fremde im Bundesgebiet seinen Hauptwohnsitz habe.

Seit der Asylzuerkennung wären bereits mehr als fünf Jahre vergangen, der Strafregisterauszug des BF weise jedoch mehrere rechtskräftige Verurteilungen auf, unter anderem auch eine die in die Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen falle, weshalb die unwiderlegliche Vermutung der sozialen Verfestigung auf den BF nicht anwendbar sei. Im Zuge des Verfahrens wären dem BF alle beabsichtigten Maßnahmen der Behörde eingeräumt und ihm Möglichkeit gegeben worden, zu allen Entscheidungspunkten Stellung zu nehmen.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde und führte darin im Wesentlichen aus, dass die österreichische Behörde im Rahmen des Asylverfahrens des BF seinen Namen falsch geschrieben habe und der BF versucht habe diesen Schreibfehler korrigieren zu lassen, was jedoch misslungen sei. Auch zu der vonseiten des Bundesamts durchgeführten Recherche werde angeführt, dass der BF nie angegeben habe, in XXXX wohnhaft gewesen zu sein, so habe er stets angegeben, im Dorf XXXX gewohnt zu haben, weshalb nachvollziehbar sei, dass in der Ortschaft XXXX keine Meldung des BF zu finden gewesen wäre. Der BF habe im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht immer wieder nachvollziehbar geschildert und sei nicht verständlich, warum die Behörde ihm die Glaubwürdigkeit abspreche. Die Behörde verkenne darüber hinaus, dass die gesamte Familie des BF aufgrund des Vorfalles, welcher zur Ermordung seiner damaligen Ehefrau sowie wegen der familiären Probleme und der daraus resultierenden Blutrache, weshalb unter anderem sein Bruder inhaftiert worden sei, aus Angst um ihr Leben nicht mehr an dieser Adresse, sondern an wechselnden Orten versteckt leben würde. Diese Ereignisse hätten tiefsitzende Narben hinterlassen und sei bei seinen Kindern zum Zeitpunkt der Einreise in Österreich eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden, welche unter anderem auch eine intensive ärztliche Behandlung nötig gemacht habe. Die Bedrohungslage bestehe daher nach wie vor und habe sich die Lage entgegen der Behauptung der Erstbehörde nicht verbessert. Der BF werde mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Situation geraten. Aufgrund der positiven Zukunftsprognose und dem persönlichen Interesse an der Fortführung des Privat- und Familienlebens habe die Interessenabwägung zugunsten des BF auszufallen.

4.1. Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 20.12.2018 wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme des BF in Anwesenheit eines Vertreters der Behörde, des Vertreters des BF sowie einer Dolmetscherin der russischen Sprache, weiters durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie in den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes. In dieser brachte der BF1 vor, dass er im Jahr 2012, als seine Mutter gestorben sei, in Inguschetien gewesen sei, dies habe er vor dem Bundesamt falsch angegeben. Seine älteren vier Kinder leben in Österreich, sowie seine sechs Enkelkinder, seine Schwiegertochter sei Österreicherin und habe zwei Söhne. Der BF habe im Jahr 2017 geheiratet und aus dieser Ehe einen einjährigen Sohn, seine Frau sei aktuell schwanger, im Jänner sei die Geburt. Er wohne mit keinem seiner Verwandten zusammen, bis auf eine Tochter habe er zu seinen Kindern und Enkelkindern in Österreich Kontakt. Befragt zu seinen Verwandten in Tschetschenien führte der BF an, dass eine Schwester mit einem Tschetschenen verheiratet sei und in Tschetschenien lebe, sie sei die einzige, zu der er Kontakt habe. Ein Bruder sei im Gefängnis, weil er jemanden ermordet habe. Der BF habe in der Russischen Föderation viele Wohnortswechsel gehabt, er habe in drei bis vier Wohnungen in Inguschetien gelebt, da er vier Kinder gehabt habe, sei er nicht bei Verwandten untergekommen, sondern habe verschiedene Wohnungen angemietet. In XXXX sei seine Frau ermordet worden, es sei dort sehr wenig Platz gewesen. Damals habe er am Bau gearbeitet und sei immer wieder auf anderen Baustellen gewesen, er sei allerdings immer wieder zu seiner Frau und seinen Kindern gekommen, es sei schwierig gewesen. Er habe überall angegeben, dass er sich von seiner Frau getrennt habe, damit sie im Falle von Problemen keine Schwierigkeiten wegen ihm bekomme, was allerdings nicht gestimmt habe.

In Österreich habe er vier Deutschkurse besucht, die Zertifikate habe er allerdings nicht mehr, er vermute er habe ein A2 Zertifikat. Er sei schwach im Schreiben und Lesen der deutschen Sprache, er sei allerdings in der Lage seine behördlichen Termine selbst ohne Dolmetscher wahrzunehmen. Derzeit sei er in einer Reinigungsfirma tätig, davor habe er Arbeitslosengeld bezogen. Er sei derzeit in der Lage, seinen eigenen Lebensunterhalt selbständig zu finanzieren. Seine Frau beziehe keine Grundversorgung und lebe ebenfalls von seinem Geld. Nachgefragt, wie lange der BF angesichts seiner Aufenthaltsdauer in Österreich gearbeitet habe, führte er an, dass er einen Versicherungsdatenauszug nachreichen werde. Nachgefragt, ob der BF einem Verein angehöre oder gemeinnützige Tätigkeiten verrichte, antwortete er, dass er ein Kleinkind habe und sich um dieses kümmern müsse, er habe nicht viel Zeit für etwas anderes. Seine Schwiegertochter habe ihm erlaubt, dass die Enkelkinder gelegentlich zu Besuch kommen dürften, was ihm viel bedeute. Die Familie seiner aktuellen Ehefrau lebe in Polen, sie würden dort über Aufenthaltstitel verfügen und könnten in ganz Europa reisen und arbeiten. Als der BF in Wiener Neustadt gelebt habe, habe er österreichische Freunde gehabt, er habe viele Bekannte. Nun bemühe er sich, mit seinem Kind viel Zeit zu verbringen, da er bereits einen Sohn, der nun im Gefängnis sei, verloren habe. Zu diesem stehe er auch in Kontakt, er bereue seine Tat. Auf Nachfrage, was er bei einer Rückkehr in die Russische Föderation befürchte, gab der BF an, dass sein Hauptproblem die Blutrache sei. Seine Schwester sei von einem Nachbarn geschlagen worden und habe davon zwei Kieferbrüche davongetragen. Sein jüngerer Bruder sei in einen Streit mit diesem Nachbarn gekommen, der ein großes Messer bei sich gehabt habe, mit dem er "herumgefuchtelt" habe. Ein Überwachungsvideo habe den Vorfall gefilmt, diese Beweise wären aber unterdrückt worden. Sein Bruder habe eine Stange gegen den Nachbarn geworfen und dieser habe sich mit dem Messer selbst in die Hauptader geschnitten und sei verblutet. Sein Bruder sei daraufhin wegen Mord zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Bei so einer Situation wisse jeder, dass die Familienangehörigen des Täters fliehen müssten, das Elternhaus sei geplündert und angezündet worden. Seine Mutter habe deshalb einen Herzinfarkt bekommen und sei im Jahr 2012 verstorben, der BF sei deshalb in die Russische Föderation gefahren, um sie zu begraben, er habe allerdings niemandem davon erzählt, er sei ca. zwei Wochen dort gewesen. Der BF sei bei einer Rückkehr der erste, der für diese Blutrache verantwortlich gemacht würde. Nachgefragt, warum seine Brüder sich nicht um das Begräbnis der Mutter gekümmert hätten, führte er an, dass dies seine Pflicht gewesen sei. Außerdem habe er während dieser Zeit den Führerschein gemacht, er habe diesen aktualisieren lassen und habe eine Computerprüfung ablegen müssen. Diesen russischen Führerschein habe er für seine Arbeit benötigt, er habe ihn auch einmal in Österreich verwendet und habe dafür Strafe gezahlt. Er wolle nun seinen Führerschein richtig ausstellen lassen. Nachgefragt, ob einer seiner Familienmitglieder, insbesondere seine Brüder, der Blutrache zum Opfer gefallen wären, verneinte dies der BF und gab an, dass sein Bruder, der in XXXX lebe, keine Probleme habe. Auf Nachfrage, wieso der BF nicht selbst dorthin gehen könne, antwortete er, dass er seine Gründe habe. Das einzige was ihn mit Russland verbunden habe, sei seine Mutter gewesen. Nachgefragt, warum es dem BF nicht möglich sei, irgendwo anders in Russland zu leben, antwortete er, dass es als Tschetschene schwer sei. Auf Nachfrage, was der BF wegen des Vorfalles im Jahr 2002, als seine Frau erschossen worden sei, befürchte, gab er an, dass er nicht wissen könne, was noch sein könnte. Seine Tochter sei seit diesem Vorfall psychisch krank und besachwaltert, er habe keinen Kontakt zu ihr.

Im Zuge der Verhandlung legte der BF folgende Unterlagen vor:

-

Befundbericht seiner Ehefrau vom 14.12.2018, aus der hervorgeht, dass diese in der XXXX sei und die Schwangerschaft bisher normal verlaufen sei;

-

Mitteilung des AMS vom 04.12.2018 über den Leistungsanspruch aus der Arbeitslosenversicherung vom 03.12.2018 bis 21.04.2019;

-

Anmeldung zur Sozialversicherung als Reinigungskraft ab XXXX .2018;

-

Lebenslauf.

5. Die Gattin des BF, XXXX , und ihr gemeinsamer Sohn, XXXX , sind russische Staatsangehörige.

Die Gattin des BF reiste 2017 nach Österreich ein und stellte hier am 03.08.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zuvor hatte sie den BF am XXXX 2017 in Polen geheiratet. Die Gattin war zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung schwanger. Am XXXX 2017 wurde ihr gemeinsamer Sohn XXXX im Bundesgebiet geboren. Für diesen wurde am 19.10.2017 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die Antragstellung wurde von der Gattin des BF ausschließlich damit begründet, dass sie zu ihrem Gatten wolle, der ihn Österreich wohne. Laut ihrer eigenen Angaben in ihrem Asylverfahren habe der BF sie in Polen angerufen und ihr gesagt, dass sie nach Österreich kommen und hier das gemeinsame Kind zur Welt bringen solle. Sie habe laut eigenem Vorbringen im Asylverfahren das Herkunftsland im Jahr 2010 (im Alter von 21 Jahren) mit ihren Eltern und Geschwistern verlassen, wobei darauffolgend Asylverfahren in Belgien, in Frankreich und in Polen negativ entschieden wurden. Sie würde sich seit 6 Jahren in Polen aufhalten. Die Gattin des BF verfügt über einen von XXXX 2016 bis XXXX 06.2019 gültigen Aufenthaltstitel für Polen. Bei einer Rückkehr ins Heimatland würde sie nichts befürchten, sie wolle aber bei ihrem Gatten bleiben.

Die Anträge der Gattin und des Sohnes des BF wurden mit Bescheiden des Bundesamtes vom 20.12.2017, Zlen 1162658909 -170908450 und 1170173308 - 171189699, ohne in die Sache einzutreten wegen einer Zuständigkeit Polens nach Art 18 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates als unzulässig zurückgewiesen, wobei gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und die Zulässigkeit der Abschiebung nach Polen festgestellt wurde.

Den dagegen erhobenen Beschwerden wurde mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.01.2018, Zlen. W235 2183216-1/3Z und W235 2183219-1/3Z, die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Am XXXX 2019 wurde ein weiterer gemeinsamer Sohn des BF und seiner Gattin im Bundesgebiet geboren.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig und Moslem. Der BF reiste gemeinsam mit seinen vier inzwischen volljährigen Kindern aus erster Ehe im August 2006 nach Österreich, wo er am 16.08.2006 einen Asylantrag stellte. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.10.2007, Zahl: 0608.487-BAE, wurde seinem Asylantrag gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gem. § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass der BF einer Verfolgung wegen Unterstützung von Widerstandskämpfer ausgesetzt gewesen sei. Seine Frau sei deshalb im Jahr 2002 umgebracht worden.

Am 23.02.2011 beantragte der BF die freiwillige Rückkehr in die Russische Föderation. Mit Schreiben vom 02.03.2011 widerrief er diese.

Der BF reiste im Herbst 2012 für zwei Wochen in sein Herkunftsland, wobei er während seines Aufenthaltes eine Führerscheinprüfung absolvierte und sich einen russischen Führerschein ausstellen hat lassen.

Das nunmehr gegenständliche Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten wurde am 14.04.2016 eingeleitet.

1.2. Der BF konnte keine absolvierten Deutschprüfungen nachweisen. Er kann sich zwar auf einfachem Niveau auf Deutsch verständigen, aufgrund seiner deutlich eingeschränkten Deutschkenntnisse war die Durchführung der Verhandlung weitestgehend nur unter Zuhilfenahme eines Russisch-Dolmetschers möglich.

In Österreich leben vier erwachsene Kinder aus seiner ersten Ehe, die alle von ihm abgeleitet Asyl erhielten, in Österreich leben sechs Enkelkinder. Seinem Sohn wurde mit hg. Erkenntnis vom 04.10.2018 der Status des Asylberechtigten aberkannt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen. Der BF lebt mit keinem seiner erwachsenen Kinder im gemeinsamen Haushalt, er steht mit ihnen in Kontakt.

Der BF heiratete im Jahr 2017 XXXX , eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, aus der Ehe entstammen zwei Kinder, XXXX und XXXX , die in Österreich geboren wurden. Seine Ehefrau verfügt über einen befristeten, gültigen Aufenthaltstitel für Polen. Ihre Anträge auf internationalen Schutz in Österreich wurden im Wesentlichen auf eine Familienzusammenführung mit dem BF gestützt. Der BF lebt mit ihr und den Kindern in Österreich im gemeinsamen Haushalt.

Der BF war laut Versicherungsdatenauszug in Österreich in Summe nicht einmal XXXX Monate tatsächlich erwerbstätig. Die längste durchgehende Erwerbstätigkeit hat knapp 4 Monate angedauert. Zuletzt war er von XXXX 2018 bis XXXX 2019 - davon seit 01.01.2019 geringfügig - beschäftigt.

Der BF leidet derzeit an keinen schwerwiegenden physischen oder psychischen Erkrankungen.

1.3. Der BF wurde mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX 2011, rk. am XXXX 2011 wegen des Vergehens der Urkundenfälschung gemäß § 223 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt, welche unter Festsetzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde.

Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX .2012, rk. am XXXX 2012, wurde der BF wegen des Vergehens der Verleumdung gemäß § 297 Abs. 1, 1. Fall StGB zu einer Geldstrafe von 70 Tagssätzen zu je 4,00 EUR, insgesamt 280 Euro und im NEF 35 Tage Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX 2013, rk. am XXXX 2013 wurde der BF wegen des Vergehens der versuchten Körperverletzung nach § 15 StGB, § 83 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagssätzen zu je 4,00 EUR, insgesamt 960,00 EUR und im NEF 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt.

1.4. Der BF besuchte in der Russischen Föderation eine Hauptschule und absolvierte eine zweijährige Ausbildung im Bauwesen, er konnte seinen Lebensunterhalt anschließend als Bauarbeiter finanzieren. Er beherrscht die tschetschenische und die russische Sprache.

Er verfügt in Tschetschenien nach wie vor über ein familiäres Netz, so lebt dort eine Schwester des BF, die verheiratet ist, der BF hat regelmäßigen Kontakt zu ihr. Ein Bruder lebt und arbeitet in der Region XXXX , er ist Experte für den Innenausbau und arbeitet mit seinen Neffen zusammen. Ein weiterer Bruder sitzt im Gefängnis, den Aufenthaltsort seiner zwei weiteren Brüder ist ihm nicht bekannt.

Die Verwandten des BF sind in der Russischen Föderation keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Diese könnten den BF nach einer Rückkehr im Bedarfsfall anfänglich unterstützen.

Es ist dem BF möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation auch außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus niederzulassen und sich dort anzumelden. Die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland bieten trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit entsprechende Chancen auch für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken.

Der BF hat Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF nach einer Rückkehr ins Herkunftsland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanten Übergriffe ausgesetzt ist. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass dieser konkret Gefahr liefe, in seinem Herkunftsstaat aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

1.5. Zur Situation im Herkunftsland wird von den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten Länderinformationen zur Russischen Föderation bzw. Tschetschenien ausgegangen:

1. Politische Lage im Allgemeinen

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017

-

CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017

-

EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017

-

GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017

-

GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2017c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 11.7.2017

-

Kurier.at (13.7.2017): Nemzow-Mord: 20 Jahre Straflager für Mörder,

https://kurier.at/politik/ausland/nemzow-mord-20-jahre-straflager-fuer-moerder/274.903.855, Zugriff 13.7.2017

-

RA - Russland Analysen (7.10.2016): Nr. 322, Bewegung in der russischen Politik?,

http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/RusslandAnalysen322.pdf, Zugriff 21.6.2017

-

Standard (29.7.2017): Alle Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldiggesprochen,

http://derstandard.at/2000060550142/Alle-Angeklagten-im-Mordfall-Nemzow-schuldig-gesprochen, Zugriff 30.6.2017

1.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-

GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

-

ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-

Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

2. Sicherheitslage im Allgemeinen

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gew

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten