TE Bvwg Beschluss 2019/3/25 W256 2198822-1

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Veröffentlicht am 25.03.2019
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Entscheidungsdatum

25.03.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W256 2198822-1/9E

W256 2210420-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geboren am XXXX , StA Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24. Mai 2018, Zl. XXXX sowie über die Beschwerde von 2. XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 7. November 2018, Zl. XXXX :

A) Die in ihrem jeweiligen Umfang angefochtenen Bescheide werden

gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheiten zur Erlassung von neuen Bescheiden an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Die Erstbeschwerdeführerin ist Mutter der Zweitbeschwerdeführerin. Diese stellte am 27. März 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Dabei führte sie im Rahmen ihrer am selben Tag erfolgten Erstbefragung - wie auch bei ihrer Befragung vor der belangten Behörde am 4. Jänner 2018 - zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen aus, ihr drohe in Somalia eine Zwangsverheiratung.

Mit dem die Erstbeschwerdeführerin betreffenden Bescheid vom 25. Mai 2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung der Erstbeschwerdeführerin nach Somalia zulässig sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin.

Am 5. November 2018 stellten die Erstbeschwerdeführerin und der Vater der Zweitbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreter für ihre am XXXX geborene Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005. Dabei wurde ausgeführt, dass dem Vater der Zweitbeschwerdeführerin mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16. August 2017 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Österreich zuerkannt worden sei. Es werde daher der Antrag gestellt, der Zweitbeschwerdeführerin (zumindest) denselben Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 AsylG wie ihrem Vater in dessen Asylverfahren zu gewähren. Angaben zu eigenen Fluchtgründen der Zweitbeschwerdeführerin finden sich darin nicht.

Mit dem die Zweitbeschwerdeführerin betreffenden Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), der Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ihr dagegen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III). Begründend führte die belangte Behörde - soweit hier wesentlich zu Spruchpunkt I. - aus, die gesetzlichen Vertreter der Zweitbeschwerdeführerin hätten im Rahmen der Antragsstellung ausgeführt, dass die Zweitbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe habe. Da weder der Erstbeschwerdeführerin, noch dem Vater der Zweitbeschwerdeführerin Asyl zuerkannt worden sei, komme insofern auch in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin eine solche Zuerkennung im Familienverfahren nicht in Betracht.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin. Darin verweist sie im Wesentlichen auf eine ihr im Falle einer Rückkehr nach Somalia drohende Verfolgung als Mädchen, insbesondere im Hinblick auf eine Genitalverstümmelung und habe sich die belangte Behörde damit in keiner Weise auseinandergesetzt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

zu Spruchpunkt A)

zur Zweitbeschwerdeführerin:

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. jüngst auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.).

Der angefochtene Bescheid ist in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin mangelhaft:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Im vorliegenden Fall haben die Erstbeschwerdeführerin und der Vater der Zweitbeschwerdeführerin auch für ihre minderjährige Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin und damit für eine Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Angaben zu den Fluchtgründen der Zweitbeschwerdeführerin finden sich - entgegen den Ausführungen der belangten Behörde - darin nicht.

§ 34 Abs. 4 AsylG 2005 ordnet ausdrücklich an, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen und über jeden mit gesondertem Bescheid abzusprechen ist.

Daraus folgt aber, dass für jeden Familienangehörigen allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln sind. Nur wenn solche - nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren - nicht hervorkommen, ist dem Familienangehörigen jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (siehe dazu u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. März 2015, Ra 2014/19/0063 m.v.w.H sowie jüngst das Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes vom 15. Oktober 2018, Ra 2018/14/0143).

In Bezug auf die Ermittlung von Fluchtgründen ordnet § 19 Abs. 2 AsylG eine verpflichtende Einvernahme des Asylwerbers durch den zur Entscheidung berufenen Organwalter an. Damit soll - nach den Erläuterungen zur RV 952 BlgNR XXII. GP - ein Asylwerber die Möglichkeit erhalten, von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter persönlich angehört zu werden.

Von einer solchen Einvernahme kann - wie aus § 19 Abs. 2 AsylG hervorgeht - grundsätzlich nur in jenen Fällen abgesehen werden, in denen der Asylwerber auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen.

Das entbindet die belangte Behörde aber nicht von ihrer oben dargestellten Pflicht, für jeden Familienangehörigen allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln, weshalb sie - dem Zweck des § 19 Abs. 2 AsylG 2005 entsprechend - in solch einem Fall unter Umständen dazu befähigte Personen zu befragen hat.

Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde mit den eigenen Fluchtgründen der Zweitbeschwerdeführerin in keiner Weise auseinandergesetzt. Jedenfalls kann weder den vorlegten Verwaltungsakten, noch dem angefochtenen Bescheid entnommen werden, dass die belangte Behörde diesbezügliche Erhebungen, wie insbesondere eine Einvernahme der Eltern der Zweitbeschwerdeführerin, in irgendeiner Form durchgeführt hat.

Vor dem Hintergrund der obigen Rechtslage wäre die belangte Behörde aber verpflichtet gewesen, sich mit dem Antrag der Zweitbeschwerdeführerin, insbesondere mit ihren eigenen Fluchtgründen, gesondert auseinanderzusetzen. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass - wie auch in der Beschwerde letztlich vorgebracht - gerade Mädchen in Somalia eine asylrelevante Verfolgung aufgrund einer Genitalverstümmelung drohen kann (siehe dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Juni 2017, Ra 2017/01/0039 und vom 1. März 2018, Ra 2017/19/0545 u.v.m.).

Da sich die belangte Behörde mit den Fluchtgründen der Zweitbeschwerdeführerin gar nicht auseinandergesetzt hat und der maßgebliche Sachverhalt somit nicht feststeht, war im Hinblick auf diese besonders gravierenden Ermittlungslücken eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit den Fluchtgründen der Zweitbeschwerdeführerin (eingehend) auseinanderzusetzen und dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch eine gezielte Befragung der Eltern der Zweitbeschwerdeführerin, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder durch weitere sich daraus ergebender Maßnahmen, zu setzen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren betreffend die Zweitbeschwerdeführerin zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

zur Erstbeschwerdeführerin:

Wie bereits oben ausgeführt wurde, handelt es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine Familienangehörige der Zweitbeschwerdeführerin im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005. Da das die Zweibeschwerdeführerin betreffende Verfahren hinsichtlich der Gewährung des Status einer Asylberechtigten wieder bei der belangten Behörde anhängig ist und gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 Verfahren von Familienangehörigen "unter einem" zu führen sind, war der die Erstbeschwerdeführerin betreffende Bescheid ebenso an die belangte Behörde zurückzuverweisen (siehe dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2011, 2011/23/0098; vom 25. November 2009, 2007/01/1153; sowie vom 26. Juni 2007, 2007/20/0281, ua).

Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass die angefochtenen Bescheide "aufzuheben" waren. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).

zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ungeeignete Ermittlungen gesetzt hat, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W256.2198822.1.00

Zuletzt aktualisiert am

06.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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