TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/25 W182 1234482-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.03.2019
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Entscheidungsdatum

25.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9

Spruch

W182 1234482-2/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Thomas KLEIN, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.11.2017, Zl. 722568109 - 170677504 BMI-BFA BGLD RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) I. In Erledigung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. bis

VII. des bekämpften Bescheides wird der Beschwerde stattgegeben und der Bescheid in diesem Umfang ersatzlos behoben.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis

III. des bekämpften Bescheides gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 7 Abs. 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 sowie § 57 AsylG 2005, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste mit seinen Eltern und Geschwistern im September 2002 im Alter von 16 Jahren illegal in das Bundesgebiet ein, wobei für ihn am 18.11.2002 ein Asylerstreckungsantrag gemäß § 10 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl I 1997/76, gestellt wurde.

Der Asylantrag seines Vaters vom 11.09.2002 wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.01.2003, Zl. 02 25.676, gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Weiters wurde gemäß § 8 AsylG 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation derzeit nicht zulässig sei.

Der Asylerstreckungsantrag des BF wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.01.2003, Zl. 02 25.681-BAE, gemäß § 10 iVm § 11 Abs. 1 AsylG 1997 abgewiesen.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 13.02.2004, Zl. 234.480/0-VII/20/03, wurde der Berufung des Vaters des BF gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes vom 14.01.2003 stattgegeben und ihm gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt und festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Die Entscheidung wurde im Wesentlichen unter Zugrundelegung der vom Bundesasylamt im bekämpften Bescheid getroffenen Feststellungen, wonach der Vater des BF aufgrund der allgemeinen Situation in Tschetschenien dort unmenschlicher Behandlung ausgesetzt wäre und ihm in den übrigen Teilen der Russischen Föderation aus Gründen seiner ethnischen Herkunft staatlicher Schutz verweigert werde, begründet.

Gleichzeitig wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 13.02.2004, Zl. 234.482/0-VII/20/03, der Berufung des BF gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.01.2003, Zl. 02 25.681-BAE, stattgegeben und ihm gemäß § 11 AsylG 1997 durch Erstreckung Asyl gewährt.

1.2. Am XXXX 2017 und XXXX 2017 ergingen an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) Mitteilungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), aus denen im Wesentlichen hervorging, dass der BF nach Einschätzung des BVT Kontakte zu Personen, die radikal islamischen Kreisen zuzurechnen seien, habe, weshalb eine entsprechende vom BF ausgehende Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich angenommen werden müsse. In der Mitteilung vom XXXX .2017 kam das BVT im Hinblick auf einen Antrag des BF vom 10.01.2017 auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses für Asylberechtigte iSd § 94 Abs. 1 FPG u.a. nach Ausführungen XXXX zum Ergebnis, dass zu befürchten sei, dass der BF als Mitglied einer kriminellen Organisation oder kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Sinne der §§ 278 bis 278b StGB durch den Aufenthalt im Ausland die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährde.

Mit Schreiben des Bundesamtes vom 30.06.2017 wurde dem BF mitgeteilt, dass ein Aberkennungsverfahren hinsichtlich seines Status als Asylberechtigter eingeleitet werde, da er eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle.

In einer Einvernahme beim Bundesamt am 17.07.2017 wurde dem BF u.a. vorgehalten, dass er im Jahr XXXX worden sei, wo er XXXX gewesen wäre XXXX und er nicht nur deshalb vom BVT als latente Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich eingestuft werde. Der BF bestritt im Wesentlichen diese Einschätzung und gab an, dass dieser Mann ein Bekannter gewesen sei, den er zufällig im XXXX in einem Restaurant in Deutschland kennengelernt hätte. Dieser hätte ihn dann XXXX angerufen und gefragt, ob der BF XXXX . Sie seien dann im XXXX nach XXXX gefahren, wobei sie in weiterer Folge von der Polizei kontrolliert und einvernommen worden seien. Der BF habe nicht gewusst, dass der Mann XXXX habe. Der BF habe niemals vorgehabt, nach Syrien oder in den Irak zu gehen, um sich dort einer Kampfgruppe oder ideologischen Verbindung anzuschließen. Er habe auch keine radikalen Ideen. Er bete fünf Mal am Tag, halte den Ramadan ein und lebe seinen Glauben. Wenn er Zeit habe, gehe er zum Freitagsgebet. Plätze, die ihm bekannt seien, dass dort Extremisten verkehren, meide er. Dem BF wurde zu Kenntnis gebracht, dass ihm der Asylstatus ausschließlich wegen des Familienstatus zu seinem Vater erteilt worden sei. Der BF verzichtete darauf, dazu etwas zu ergänzen oder zu berichtigen. Auf Vorhalt, dass der BF im Herkunftsland nie verfolgt worden sei und er dort wieder Aufenthalt nehmen könne, gab er an, dass sein Vater einen Grund gehabt habe, Tschetschenien zu verlassen und es für ihn nicht ungefährlich sei, obwohl sich die Situation geändert habe. Was den BF bei einer Rückkehr nach Russland passieren würde, könne er nicht sagen. Die Polizei würde ihn sicher empfangen, was weiter passiere, wisse er nicht. Der BF hab vor seiner Ausreise im Jahr 2002 drei Jahre in Tschetschenien und davor drei bis vier Jahre in XXXX gelebt. Er habe dort auch die Schule besucht. In Tschetschenien würden Geschwister seiner Eltern an verschiedenen Orten leben. Er habe telefonischen Kontakt zu Familienangehörigen in Russland. Der BF sei ledig und kinderlos. Früher sei er arbeitslos gewesen und habe von der Mindestsicherung gelebt, davor habe er aber schon mehrere Vollzeitjobs gehabt. Seit letzter Woche sei er Botenfahrer. Eine abgeschlossene Berufsausbildung habe er nicht, er habe aber in Österreich die Matura gemacht. Er trainiere ab und zu in einem Box Club. Der BF bestätigte zudem, dass sein Vater im Asylverfahren einen falschen Familiennamen hinsichtlich seiner Identität angegeben habe, der BF - wie auch sein Vater - hätten XXXX geheißen.

2. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes vom 02.11.2017 wurde dem BF der mit Bescheid vom 13.02.2004 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters wurde ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt IV. und V.). Weiters wurde unter Spruchpunkt VI. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 9 FPG wurde gegen den BF ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Darin wurde u.a. festgestellt, dass die Identität des BF mangels vorgelegter geeigneter Personaldokumente nicht feststehe und er eine falsche Identität genannt habe. Der BF sei aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit Österreichs anzusehen. Eigene glaubhafte konventionsrelevante Gründe würden nicht bestehen und hätten nie bestanden. Hinsichtlich des Vaters des BF sei ein Aberkennungsverfahren anhängig. Bei einer Rückkehr ins Herkunftsland bestehe für den BF auch kein reales Risiko, dort einer Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Gefahr oder einer dem 6. oder 13. Zusatzprotokoll zur EMRK widerstreitenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Der BF sei gesund und arbeitsfähig, verfüge über eine Grundschulbildung sowie berufliche Erfahrungen. Im Herkunftsstaat würden soziale Kontakte sowie eine reelle Unterkunftsmöglichkeit bestehen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse seien gesichert. Der BF sei kinderlos, ledig und strafrechtlich unbescholten. Er habe außer seinen Eltern und Geschwistern keine familiären Bindungen in Österreich. Er gehe derzeit keiner Beschäftigung nach, zuletzt sei er vom XXXX .2017 bis XXXX .2017 unselbstständig beschäftigt gewesen. Er sei die meiste Zeit in Österreich ohne Beschäftigung gewesen. Er habe ein Gewerbe angemeldet und die Sozialversicherungsbeiträge nicht bezahlt. Seine Wertevorstellungen würden massiv den Grundsätzen der österreichischen Verfassung und dem europäischen Recht wie den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen widersprechen. Dazu wurden weiters Feststellungen zum Herkunftsstaat getroffen.

Beweiswürdigend wurden unter anderem die folgenden Erwägungen getroffen:

Aus der "Einschätzung des BVT ergibt sich, dass Sie Kontakt zu Individuen haben, die radikal islamistischen Kreisen zuzurechnen sind und Sie zusammen XXXX wollten, dies aber XXXX verhindert werden konnte. Dieser Mitreisende war XXXX und XXXX . Vor allem aufgrund der XXXX ist offensichtlich davon auszugehen, dass auch Sie sich XXXX wollten. Auf Vorhalt des Bundesamtes gaben Sie dazu an, dass Sie auf Ersuchen XXXX wollen. Abgesehen davon, dass Sie dazu keine Beweismittel vorgelegt haben ( XXXX ) ergibt sich, dass für Sie aus den von Ihnen genannten Gründen absolut keine Motivation bestanden haben konnte, XXXX , da Ihr Bekannter jedenfalls sich nicht gescheut hat, XXXX und nicht plausibel ist, warum er dann XXXX . Dazu kommt, dass aufgrund des geschilderten Hergangs die Beziehung zu diesem Begleiter ganz andere Umstände innewohnen, als dass Sie diesen angeblich zufällig in einem Restaurant in Deutschland kennen gelernt hätten. Vor allem erklärten Sie, die Leute kritisch zu beleuchten, was mit einem solchen Verhalten, eben gleich mit diesem völlig unkritisch zumindest XXXX , wo Sie diesen bloß einmal getroffen hätten. Sie waren daher nicht imstande, der Behörde glaubhaft die Einschätzung des BVT zu entkräften, denn diese Angaben wurden seitens des BVT ernstlich angezweifelt und die "Harmlosigkeit" XXXX infrage gestellt. Dies wurde damit begründet, dass aus ähnlich gelagerten Fällen bekannt sei, dass Personen, die XXXX Zusammenfassend sei laut BVT festzustellen, dass bei Ihnen ein nicht zu ignorierendes Interesse an radikal-islamischen Ideologien bestehe, insoweit sie XXXX . Darüber hinaus kommt das BVT zum Schluss, dass jedenfalls durch Ihren Aufenthalt im Ausland die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährdet ist. [...] Hier ist ausdrücklich drauf zu verweisen, dass den Schlussfolgerungen des BVT als Spezialbehörde erhöhter Beweiswert beizumessen ist."

Zur Rückkehrentscheidung und dem Einreiseverbot wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF keine besonderen Bindungen in Österreich habe, die über das normale Maß der Beziehungen zu anderen Personen hinausgehen würden. Zweifelsfrei existiere eine Beziehung zwischen dem BF und seinen Eltern und Geschwistern, doch sei diese dahingehend zu relativieren, dass er volljährig sei. Auch das Vorliegen eines anderen besonderen Abhängigkeitsverhältnisses habe im Verfahren nicht festgestellt werden können. Der BF sei nicht erwerbstätig und auch nicht selbsterhaltungsfähig. Zuletzt habe er Anstalten gemacht, einer - mittlerweile nach knapp einem Monat wiederum beendeten - Beschäftigung nachzugehen. Die überwiegende Zeit habe er von Sozialhilfe gelebt. Weiters sei darauf zu verweisen, dass der BF nach einer erfolglosen Unternehmensgründung die angefallenen Sozialversicherungsbeiträge nicht bezahlt habe, wie dies aus der Information des Hauptverbandes der Sozialversicherungen zu entnehmen sei. Eine aktive Teilnahme am sozialen Leben außerhalb des Boxclubs habe der BF nicht ins Treffen geführt. Auch eine zu seinen Gunsten ausfallende Verhaltensprognose sei nicht möglich, da er derart stark in Wertvorstellungen verwurzelt sei, welche vorwiegend durch Intoleranz gegenüber anderen Lebensformen gezeichnet sei. Im Lichte dieses Umstandes sei davon auszugehen, dass diese Vorstellungen dem österreichischen Verfassungsrecht widersprechen und das ordentliche und sichere Zusammenleben der Gemeinschaft gefährden würden. Im Fall des BF liege eine Qualifikation vor, die dazu führe, dass ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen werden könne, da davon auszugehen sei, dass er ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung habe und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auch zu gewärtigenden Entwicklungen in deren Umfeld extremistische und terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können. Dieser Umstand stelle jedenfalls eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar.

Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes vom 02.11.2017 wurde dem BF eine Rechtsberatung zur Seite gestellt.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht Beschwerde. Der Bescheid wurde in seinem gesamten Inhalt und Umfang nach wegen Rechtswidrigkeit des beschwerdegegenständlichen Verfahrens infolge von Verletzung von Bestimmungen des formellen als auch Bestimmungen des materiellen Rechts angefochten. So stützte das BVT seine Einschätzung hinsichtlich des BF im Wesentlichen darauf, dass bekannt geworden sei, dass der BF XXXX worden sei. Diese Information sei nachweislich falsch, da der BF in seiner Einvernahme darlegen habe können, dass er niemals XXXX sei, XXXX . Das Bundesamt habe es jedoch unterlassen, nochmals mit dem BVT Kontakt aufzunehmen und abzuklären, woher diese offenbar unrichtige Information stamme. Der BF werde mit nebulosen Vermutungen konfrontiert und habe keine Möglichkeit, seine Rechte effektiv zu vertreten, da das gesamte Beweismaterial nicht offengelegt werde, sodass jedenfalls keine Waffengleichheit vorliege. Der BF habe XXXX stets zugegeben und erklärt, weshalb XXXX . XXXX habe der BF nicht XXXX , sodass sich schon daraus ergebe, dass er keinesfalls eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich sei. Das Bundesamt gehe im bekämpften Bescheid davon aus, dass XXXX sei, weshalb er eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellen würde. Diese Feststellung sei jedenfalls überschießend, zumal sich aus dem gesamten Akteninhalt keine diesbezüglichen Anhaltspunkte ergeben. Die vom Bundesamt vertretene Rechtsansicht würde dazu führen, dass jede Mutmaßung des BVT eine Aberkennung des bereits zuerkannten Status des Asylberechtigten zur Folge hätte. Der BF sei zudem in der Russischen Föderation massiv gefährdet. Sein Vater sei XXXX . Schon allein dadurch sei der BF wie sämtliche Familienangehörige des Vaters des BF massiv in Russland gefährdet. Faktum sei, dass der Vater des BF in Russland respektive in Tschetschenien XXXX . Dies bedeute für den BF, dass auch er einer Bestrafung durch den Staat Russland ausgesetzt werden könnte.

4. Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 15.05.2018 wurde Beweis aufgenommen durch Befragung des BF in Anwesenheit eines Vertreters der Behörde, des Vertreters des BF und einer Dolmetscherin der russischen Sprache sowie einer Befragung eines informierten Vertreters des BVT, weiters durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des Bundesamtes und in den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes.

In der Verhandlung brachte der BF im Wesentlichen wie bisher vor. Zu seinen persönlichen Verhältnissen gab er ergänzend an, dass seine Eltern sowie seine Schwester sich in Österreich aufhalten. Der BF wohne aber nicht mit ihnen zusammen. Sein Bruder habe sich in XXXX niedergelassen. Der BF sei seit drei Monaten (nach muslimischen Ritus) verheiratet. In Tschetschenien würden sich seine Großeltern sowie Onkeln und Tanten aufhalten. Er habe Kontakt zu diesen. Der BF habe in Österreich ein Gewerbe für Kleintransporte angemeldet und lebe davon. Zu einer Rückkehr in die Russische Föderation bzw. Tschetschenien gab er im Wesentlichen an, in Tschetschenien nicht leben zu können, weil er mit der Politik in Tschetschenien nicht einverstanden sei. In der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens würden Tschetschenen nicht in Ruhe gelassen werden.

Der informierten Vertreter des BVT bestätigte in der Verhandlung im Wesentlichen XXXX sowie den Umstand, dass dieser XXXX Seitens des Vertreters der Behörde wurde u.a. darauf hingewiesen, dass dem Vater des BF der Status des Asylberechtigten mit Bescheid des Bundesamtes vom 03.04.2018, Zl. 722567602 - 171154105 BMI-BFA BGLD RD, gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt wurde und der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt wurde. Dieser Bescheid wurde im Mai 2018 rechtskräftig. Dazu wurde der entsprechende Bescheid vorgelegt, dem u.a. zu entnehmen ist, dass aus den vorgelegten russischen Dokumenten hervorgeht, dass der Vater des BF sich XXXX nach Tschetschenien begeben habe, dort an einem gerichtlichen Scheidungsverfahren teilgenommen habe und sich XXXX einen russischen Reisepass ausstellen habe lassen. Weiters habe er einen 2002 ausgestellten russischen Reisepass bis 2016 verheimlicht. Er sei in Österreich unter einer falschen Identität aufgetreten und habe sich auch einen Konventionspass auf diese falsche Identität ausstellen lassen. Das Bundesamt ist in der Entscheidung zum Schluss gekommen, dass die Umstände, die zur Zuerkennung des Status geführt haben, nie vorgelegen seien bzw. sich analog der Länderfeststellungen jedenfalls zwischenzeitlich derart geändert haben, dass ihm keine Verfolgung mehr drohen könne und nicht drohen werde.

Dazu befragt, bestätigte der BF in der Verhandlung, dass es ihm bekannt sei, dass sich sein Vater einen russischen Reisepass ausstellen habe lassen.

Der Vater des BF ist trotz ausgewiesener Ladung als Zeuge zur Verhandlung nicht erschienen.

5. Einem dem Bundesverwaltungsgericht übermittelter Abschlussbericht des BVT an die Staatsanwaltschaft vom XXXX 2018 ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass nach eingehender Prüfung aller sichergestellten physischen und elektronischen Datenträger in Kombination mit Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten beim BF keine Anhaltspunkte, die auf eine radikal-islamistische Einstellung des BF schließen lassen, noch begründbare Erkenntnisse, die eine diesbezügliche Straftat belegen würden, gewonnen werden konnten. Dazu wurde u.a. ausgeführt, dass bei keinem der Beschuldigten (darunter der BF) "islamistisch-extremistische Tendenzen wahrgenommen" werden konnten.

6. In einer Stellungnahme des Bundesamtes vom 21.11.2018 wurde mitgeteilt, dass bekannt geworden sei, dass der BF mit XXXX 2018 amtlich von seiner Wohnadresse abgemeldet worden sei, wobei die zuständige Meldebehörde keinen Hinweis zum Verbleib des BF habe. Laut Auskunft des Vaters des BF vom 21.11.2018 dürfte der BF mit seiner Gattin nach Tschetschenien zurückgekehrt sein. Dazu wurde ein entsprechendes Einvernahmeprotokoll vom 21.11.2018 beigefügt. Weiters wurde ausgeführt, dass auch bislang unbestätigt hervorgekommen sei, dass der BF zu seinem Bruder nach XXXX verzogen sei und sich dort aufhalte. Es ergeht daher der Antrag, die Entscheidung des Bundesamtes jedenfalls mit der Maßgabe zu bestätigen, dass der Status nach den Bestimmungen des §§ 7 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 aberkannt werde, da der BF keinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet habe. Es werde davon ausgegangen, dass der der Vertreter des BF zum Verbleib des BF Auskunft geben könne, allenfalls wäre zu hinterfragen, ob die Vertretungsmacht noch aufrecht bestehe.

Das Schreiben vom 21.11.2018 wurde dem Vertreter des BF mit der Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt. In einer Stellungnahme vom 12.12.2018 gab der Vertreter des BF bekannt, dass ihm der derzeitige Aufenthaltsort des BF nicht bekannt sei, es sei ihm auch nicht möglich gewesen, diesen telefonisch zu kontaktieren. Formal sei das Vertretungsverhältnis jedoch aufrecht, da eine Kündigung nicht erfolgt sei. Es würden die Beschwerdeanträge ausdrücklich aufrechterhalten werden.

Mit einer Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 05.03.2019 wurden den Parteien aktuelle Feststellungen zur Russischen Föderation übermittelt und mitgeteilt, dass der BF laut Auskunft des Zentralen Melderegisters seit XXXX .2018 über keine Meldeadresse mehr im Bundesgebiet verfügt. Den Parteien wurde die Möglichkeit einer Stellungnahme binnen Frist von einer Woche ab Zustellung dieses Schreibens eingeräumt, von der kein Gebrauch gemacht wurde.

Laut Auskunft des Zentralen Melderegisters zum Stichtag verfügt der BF über keine aktuelle Meldeadresse im Bundesgebiet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig und Moslem. Der BF reiste mit seinen Eltern und Geschwistern im September 2002 im Alter von 16 Jahren illegal in das Bundesgebiet ein.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 13.02.2004, Zl. 234.482/0-VII/20/03, wurde dem BF gemäß § 11 AsylG 1997 durch Erstreckung (auf seinen Vater) Asyl gewährt.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 13.02.2004, Zl. 234.480/0-VII/20/03, wurde dem Vater des BF gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt und festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Mit rechtskräftigen Bescheid des Bundesamtes vom 03.04.2018, Zl. 722567602 - 171154105 BMI-BFA BGLD RD, wurde dem Vater des BF der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt. Es konnten auch weder das Vorliegen konventionsrelevanter Gründe noch ein reales Risiko für eine einer Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Gefahr oder einer dem

6. oder 13. Zusatzprotokoll zur EMRK widerstreitenden Behandlung im Herkunftsland festgestellt werden.

Der BF hat im Herkunftsland die Schule besucht, hat sich von 1997 bis 1999/2000 in XXXX und dann bis zur Ausreise in Tschetschenien aufgehalten.

Im Herkunftsland halten sich die Großeltern des BF sowie Onkel und Tanten auf, zu denen Kontakt besteht.

In Österreich halten sich die Eltern des BF sowie eine Schwester auf. Ein Bruder befindet sich in XXXX . Der BF ist nach muslimischen Ritus mit einer österreichischen Staatsbürgerin tschetschenischer Herkunft verheiratet. Der kinderlose BF verfügt seit XXXX 2018 über keinen Wohnsitz mehr im Bundesgebiet.

Der BF verfügt über einen Schulabschluss mit Matura. Er hat keine Berufsausbildung. Er ist gesund und arbeitsfähig. Er war zuletzt selbständig im Bereich von Kleintransporten erwerbstätig. Er ist unbescholten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF nach einer Rückkehr ins Herkunftsland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanten Übergriffe ausgesetzt ist. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass dieser konkret Gefahr liefe, in seinem Herkunftsstaat aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Es kann nicht festgestellt werden, ob der BF sich im Bundesgebiet aufhält.

Im Übrigen wird der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang den Feststellungen zugrunde gelegt.

1.5. Zur Situation im Herkunftsland wird von den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten Länderinformationen zur Russischen Föderation bzw. Tschetschenien ausgegangen:

1. Politische Lage im Allgemeinen

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017

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Kurier.at (13.7.2017): Nemzow-Mord: 20 Jahre Straflager für Mörder,

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RA - Russland Analysen (7.10.2016): Nr. 322, Bewegung in der russischen Politik?,

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Standard (29.7.2017): Alle Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldiggesprochen,

http://derstandard.at/2000060550142/Alle-Angeklagten-im-Mordfall-Nemzow-schuldig-gesprochen, Zugriff 30.6.2017

1.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

2. Sicherheitslage im Allgemeinen

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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