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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags eines afghanischen Staatsangehörigen auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Grund mangelhafter Auseinandersetzung mit der Zwangsrekrutierung durch die Taliban und der innerstaatlichen FluchtalternativeSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des internationalen Abkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 17. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Erstbefragung sowie der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) gab der Beschwerdeführer übereinstimmend als Fluchtgrund an, aus Angst vor den Taliban geflohen zu sein. Er sei seit seinem 13. Lebensjahr mehrmals gemeinsam mit anderen Jugendlichen von den Taliban entführt und in Trainingscamps gebracht worden, um dort Waffentraining zu erhalten. Sowohl sein bereits verstorbener Vater als auch sein Onkel seien von den Taliban bedroht und geschlagen worden, als sie sich weigerten, den Beschwerdeführer an sie auszuliefern.
2. Mit Bescheid des BFA vom 24. November 2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge: FPG) erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß §46 FPG nach Afghanistan zulässig ist. Ferner wurde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG festgelegt.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23. Juli 2018 mit Erkenntnis vom 28. August 2018 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht stellte im Hinblick auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers fest, dass der Beschwerdeführer kein konkretes, ihn betreffendes Geschehen vorgebracht habe, das geeignet sei, davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer von der Rebellenorganisation Taliban oder anderen Privatpersonen verfolgt werden würde. Dem Beschwerdeführer sei eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat möglich und zumutbar.
4. Gegen diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des internationalen Abkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, auf Leben gemäß Art2 EMRK sowie dem Recht darauf, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden (Art3 EMRK bzw Art4 GRC), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht das auf die Zwangsrekrutierung durch die Taliban Bezug nehmende Fluchtvorbringen zwar für glaubhaft halte und seinen Feststellungen zugrunde lege. Allerdings nehme es in weiterer Folge eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat an, ohne dies nachvollziehbar zu begründen oder auf entsprechende Feststellungen und Ermittlungsergebnisse zu stützen.
5. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichts- und die Verwaltungsakten der belangten Behörde im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt auf Grundlage der Akten und der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung fest, dass die vom Beschwerdeführer im Rahmen des Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibend geschilderten Sachverhaltselemente einer Zwangsrekrutierung und Ausbildung in einem Lager der Taliban der Entscheidung als hinlänglich gesicherter Sachverhalt zugrunde zu legen seien.
3.2. Im Rahmen der Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht dagegen aus, dass der Beschwerdeführer insgesamt kein konkretes, ihn persönlich betreffendes Geschehen vorgebracht habe, das geeignet sei, davon auszugehen, dass er von einer Rebellenorganisation, den Taliban oder anderen Privatpersonen verfolgt werden würde. Ein diesbezügliches Verfolgungsrisiko könne nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit für die Orte der sogenannten inländischen Fluchtalternative erkannt werden. Im Zuge der rechtlichen Beurteilung kommt das Bundesverwaltungsgericht daher zum Ergebnis, dass den Länderfeststellungen zu entnehmen sei, dass dem Beschwerdeführer in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat Schutz gewährleistet werden könne und ihm eine Rückkehr dahin zumutbar sei. Folglich seien die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl bzw die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben.
3.3. Es ist für den Verfassungsgerichtshof nicht erkennbar, warum sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem – von ihm selbst als gesicherten Sachverhalt festgestellten – Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zwangsrekrutierung und Ausbildung in einem Lager der Taliban im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung nicht auseinandergesetzt hat. Gemäß ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 28.1.2015, Ra 2014/18/0090; 13.10.2015, Ra 2015/01/0089; 15.3.2016, Ra 2015/01/0069; 15.3.2016, Ra 2015/01/0069; 19.4.2016, Ra 2015/01/0079) ist für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entscheidend, mit welchen Reaktionen der Taliban der Beschwerdeführer auf Grund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen muss und ob in seinem Verhalten eine – wenn auch nur unterstellte – politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (VfGH 13.12.2017, E2497/2016 ua). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen in seinem aktuellen Bericht darauf hinweist, dass jungen Männern in Afghanistan im Fall eines Widerstands gegen eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban Gewalt drohen und dies als Verfolgung auf Grund der politischen Überzeugung qualifiziert werden kann (European Asylum Support Office, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018, S 46), hätte sich das Bundesverwaltungsgericht im Zuge seiner rechtlichen Beurteilung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Zwangsrekrutierung durch die Taliban auseinandersetzen müssen.
3.4. Aus diesem Grund entbehrt das angefochtene Erkenntnis einer schlüssigen Begründung, warum dem Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat drohe und eine Rückkehr dorthin sicher und zumutbar sei. Folglich ist das Erkenntnis mit Willkür belastet.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des internationalen Abkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2019:E4032.2018Zuletzt aktualisiert am
06.05.2019