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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Erlassung einer Rückkehrentscheidung betreffende eine schwangere nigerianische Staatsangehörige auf Grund widersprüchlicher Begründung und mangelhafter Auseinandersetzung mit der Situation alleinstehender Frauen (mit Kind)Spruch
I. 1. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 Asylgesetz 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozess-kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin ist nigerianische Staatsangehörige und stellte am 7. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie bringt unter anderem vor, dass ihre Familie in Nigeria bei einem Brand ums Leben gekommen sei. In Österreich lebe sie in einer Beziehung und erwarte ein Kind. Am 21. September 2017 legte die Beschwerdeführerin eine ärztliche Bestätigung ihrer Schwangerschaft beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vor.
Mit Bescheid des BFA vom 24. Oktober 2017 wurde der Antrag gemäß §3 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung von Asyl sowie gemäß §8 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung von subsidiärem Schutz in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria gemäß §46 FPG zulässig sei; gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG betrage die Frist für die frei-willige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
2. Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht ohne Durch-führung einer mündlichen Verhandlung am 2. Jänner 2018 abgewiesen.
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass die Familie der Beschwerdeführerin verstorben sei. Aufgrund ihrer bisherigen Arbeitserfahrung in Nigeria habe die Beschwerdeführerin jedoch die Chance, auch künftig am nigerianischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Zur Lage im Herkunftsstaat, insbesondere zur Situation von alleinstehenden Frauen, werden u.a. folgende Feststellungen getroffen:
"Es besteht kein spezielles Unterstützungsprogramm für allein zurückkehrende Frauen und Mütter. Organisationen, die Unterstützungsprogramme betreiben, konzentrieren sich hauptsächlich auf Opfer des Menschenhandels (I0M 8.2013). Nigeria verfügt hier über eine Anzahl staatlicher und halbstaatlicher Einrichtungen, insbesondere die National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP), die sich um die Rehabilitierung und psychologische Betreuung rückgeführter Frauen annehmen und in jeder der sechs geopolitischen Zonen Regionalbüros unterhalten. NAPTIP kann als durchaus effektive nigerianisches Institution angesehen werden und kooperiert mit mehreren EUMS bei der Reintegration. NAPTIP ist Rückführungspartner für Drittstaaten und leistet u.a. Integrationshilfe (ÖBA 9.2016).
Hinsichtlich Menschenhandels ist ein ausgeklügeltes und effektives rechtliches und institutionelles Netz aktiv. Die wichtigste Institution ist NAPTIP. Sie ist für die Untersuchung und Anklage von Fällen des Menschenhandels verantwortlich, für Kooperation und Koordination, für die Unterstützung von Opfern und für die Vorbeugung. Das nigerianische Modell wird als eines der besten existierenden Modelle erachtet (OHCHR 14.3.2014). NAPTIP hat nach eigenen Angaben seit ihrer Gründung bis 2011 über 4.000 Opfer des organisierten Menschenhandels befreit und seit 2008 die Verurteilung von mindestens 120 Menschenhändlern erreicht (AA 21.11.2016).
Es gibt viele Frauengruppen, die die Interessen der Frauen vertreten, praktische Hilfe und Zuflucht anbieten (UKHO 8.2016b). In Nigeria sind neben den UN-Teilorganisationen 40.000 NGOs registriert, welche auch im Frauenrechtsbereich tätig sind. Die Gattinnen der 36 Provinzgouverneure sind in von ihnen finanzierten 'pet projects' gerade im Frauenbildungs- und Hilfsbereich sehr aktiv und betreuen Frauenhäuser, Bildungseinrichtungen für junge Mädchen, rückgeführte Prostituierte und minderjährige Mütter sowie Kliniken und Gesundheitszentren für Behinderte, HIV-Erkrankte und Pensionisten neben zahlreichen Aufklärungskampagnen für Brustkrebsfrühuntersuchungen, gegen Zwangsbeschneidung und häusliche Gewalt. Für unterprivilegierte Frauen bestehen in großen Städten Beschäftigungsprogramme, u.a. bei der Straßenreinigung (ÖBA 9.2016).
Auch Diskriminierung im Arbeitsleben ist für viele Frauen Alltag. Alleinstehende Frauen begegnen dabei besonderen Schwierigkeiten: Im traditionell konservativen Norden, aber auch in anderen Landesteilen, sind sie oft erheblichem Druck der Familie ausgesetzt und können diesem häufig nur durch Umzug in eine Stadt entgehen, in der weder Familienangehörige noch Freunde der Familie leben. Im liberaleren Südwesten des Landes – und dort vor allem in den Städten – werden alleinstehende oder allein lebende Frauen eher akzeptiert (AA 21.11.2016).
Die Verfassung und Gesetze sehen für interne Bewegungsfreiheit vor und Berichten zufolge treten Frauen aus dem ganzen Land kurze oder lange Reisen alleine an. Die Bewegungsfreiheit der Frauen aus muslimischen Gemeinden in den nördlichen Regionen ist jedoch stärker eingeschränkt. Im Allgemeinen ist eine interne Relokation für insbesondere alleinstehende und kinderlose Frauen nicht übermäßig hart, im Falle der Flucht vor einer lokalen Bedrohung, die von ihrer Familie oder nicht-staatlichen Akteuren ausgeht (UKHO 8.2016b)."
2.2. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass keine Anhaltspunkte für eine Entziehung der notdürftigsten Lebensgrundlage im Fall der Rückkehr nach Nigeria ersichtlich seien: Die Beschwerdeführerin sei volljährig, gesund und somit arbeitsfähig. Den Länderinformationen sei zu entnehmen, dass alleinstehenden Frauen in Nigeria Unterstützung zukomme. Die Schwangerschaft der Beschwerdeführerin stünde einem Fortkommen in Nigeria nicht im Wege. Eine "besondere Vulnerabilität" liege nicht vor, zumal die Beschwerdeführerin auch von ihrem Lebensgefährten, der nach den Angaben der Beschwerdeführerin auch der Kindesvater sei, Hilfe erwarten könne.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 BVG gegen rassische Diskriminierung, auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK sowie auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art47 GRC behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
Die Beschwerde ist zulässig.
1. Soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutz-berechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 AsylG 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie gegen die Fest-stellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise richtet, ist sie auch begründet.
Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Recht-sprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zu-lässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Überein-kommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2. Das Bundesverwaltungsgericht verneint die besondere Vulnerabilität der schwangeren Beschwerdeführerin und führt aus, dass die Beschwerdeführerin im Fall der Rückkehr erwarten könne, durch ihren Lebensgefährten unterstützt zu werden. Es trifft jedoch weder Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, noch zum Aufenthaltstitel, noch zu den sonstigen Lebensumständen des Lebensgefährten. In Widerspruch zur Annahme, er werde die Beschwerdeführerin unterstützen, führt das Bundesverwaltungsgericht bei der Interessenabwägung nach Art8 EMRK aus, dass keine Informationen über den Lebensgefährten vorlägen und auch nicht festgestellt werden könne, dass es sich um den Kindesvater handle. Die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin könne sie im Fall der Rückkehr in Nigeria unterstützen, ist daher spekulativ. In diesem Zusammenhang wird das Bundesverwaltungsgericht allenfalls auch klären müssen, inwiefern die Beschwerdeführerin noch andere Familienmitglieder in Nigeria hat.
3. Vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen zu alleinstehenden Frauen in Nigeria hätte sich das Bundesverwaltungsgericht ausführlich mit den Folgen einer alleinigen Rückkehr der (im Entscheidungszeitpunkt schwangeren) Beschwerdeführerin befassen müssen. Insofern ist die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet (VfGH 25.9.2018, E3172/2017).
4. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Fluchtgründe glaubhaft sind, nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet, abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 AsylG 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird von einer Behandlung der Beschwerde abgesehen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Entscheidungsbegründung, ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2019:E428.2018Zuletzt aktualisiert am
06.05.2019