Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** G*****, vertreten durch Dr. Werner Poms, Rechtsanwalt in Wolfsberg, gegen die beklagte Partei *****versicherung auf Gegenseitigkeit, *****, vertreten durch Mag. Alexander Jelly, Rechtsanwalt in Villach, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 7. November 2018, GZ 4 R 292/18k-16 (berichtigt mit Beschluss vom 9. Jänner 2019, GZ 4 R 292/18k-19), womit das Urteil des Bezirksgerichts Wolfsberg vom 27. Juli 2018, GZ 4 C 156/18p-12, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 860,58 EUR (darin 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger hat beim Beklagten, einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, im Rahmen einer landwirtschaftlichen Bündelversicherung auch eine Haushalts- und Privathaftpflichtversicherung abgeschlossen.
Diesem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen und Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB 1993 und EHVB 1993) des Beklagten zugrunde. Die EHVB 1993 lauten auszugsweise wie folgt:
„Abschnitt B
…
15. Privathaftpflicht
Die Versicherung erstreckt sich nach Maßgabe des Deckungsumfanges der AHVB auf Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens mit Ausnahme der Gefahr einer betrieblichen, beruflichen oder gewerbsmäßigen Tätigkeit, insbesondere
…
1.4 aus der nicht berufsmäßigen Sportausübung, ausgenommen die Jagd.
…
Die Versicherung erstreckt sich auch auf gleichartige Schadenersatzverpflichtungen
...
3.2 der minderjährigen Kinder des Versicherungsnehmers, seines mitversicherten Ehegatten oder Lebensgefährten; diese Kinder bleiben darüber hinaus bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres mitversichert, soferne und solange sie über keinen eigenen Haushalt und kein eigenes regelmäßiges Einkommen verfügen.“
Die 18 ½ Jahre alte Tochter des Klägers erlitt, noch im gemeinsamen Haushalt mit dem Kläger wohnend, einen Schiunfall, aufgrund dessen sie vom Sozialversicherer der Unfallgegnerin auf den Ersatz von an diese erbrachten Leistungen im Umfang von 10.992,06 EUR klageweise in Anspruch genommen wird.
Zum Unfallszeitpunkt bezog der Kläger noch Familienbeihilfe für seine Tochter, die eine Lehre im letzten Lehrjahr absolvierte und eine Lehrlingsentschädigung von 860 EUR pro Monat bezog, wovon sie ihre Dienstkleidung anzuschaffen hatte.
Der Kläger begehrte die Feststellung der Deckungspflicht des Beklagten für den von der Sozialversicherung der Unfallgegnerin geltend gemachten Schadenersatzanspruch. Der Beklagte lehne die Deckung zu Unrecht ab; seine Tochter sei durch die Lehrlingsentschädigung nicht selbsterhaltungsfähig.
Der Beklagte erwiderte, die Tochter des Klägers beziehe ein regelmäßiges eigenes Einkommen, womit eine der Voraussetzungen für die Mitversicherung nach Volljährigkeit nicht vorliege.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Die AHVB 1993 und EHVB 1993 seien missverständlich und unklar formuliert, was sich schon daraus ergebe, dass der Beklagte sie 2015 geändert habe. In den AHVB 2015 und EHVB 2015, die der vom Kläger nach dem Unfall seiner Tochter abgeschlossenen (Folge-)Haftpflichtversicherung zugrundelägen, sei „klargestellt“, dass volljährige Kinder, die Schüler, Studenten oder Lehrlinge wären, auch wenn sie nicht im gemeinsamen Haushalt leben würden oder ein regelmäßiges Einkommen bezögen, mitversichert seien, solange die Eltern Familienbeihilfe erhielten (was hier der Fall sei).
Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Dem Versicherungsvertrag lägen nicht die späteren AHVB 2015 und EHVB 2015 zugrunde, sondern die AHVB 1993 und EHVB 1993. Demnach seien für eine Mitversicherung neben einem Alter unter 25 Jahren sowohl das Fehlen eines eigenen Haushalts als auch das Fehlen eines eigenen regelmäßigen Einkommens gefordert. An letzterer Voraussetzung fehle es hier, weil weder dem Wortlaut noch dem Zweck der Bedingungen zu entnehmen sei, dass das Einkommen eine bestimmte, insbesondere eine die Selbsterhaltungsfähigkeit begründende Höhe erreichen müsse. Zudem habe das Einkommen der Tochter ohnehin nahezu die Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes erreicht.
Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand als 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision zu, weil keine Rechtsprechung vorliege, ob für ein den „Ausschluss von der Mitversicherung“ in der Privathaftpflichtversicherung begründendes Einkommen eines volljährigen Kindes eine Untergrenze an- oder der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit vorauszusetzen wäre.
Die Revision des Klägers beantragt die Abänderung im klagsstattgebenden Sinn; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht bezeichneten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
Der Kläger führt ins Treffen, ihm sei von seinem Versicherungsvertreter suggeriert worden, „dass alles – und zwar auch der gegenständliche Fall – mitversichert“ sei. Nach den Auslegungsgrundsätzen für Allgemeine Versicherungsbedingungen habe der Kläger darauf vertrauen dürfen, dass auch der vorliegende Fall versichert sei. Zweck der Klausel mit der Verknüpfung von Haushalt und eigenen Einkünften sei es, Kindern, die noch nicht genug verdienen würden, um ein selbstständiges Leben mit eigenem Haushalt zu führen, Mitversicherung zu gewähren. Dies sei auch aus der Altersgrenze von 25 Jahren ersichtlich, bis zu der längstens Familienbeihilfe bezogen werden könne. Eine Lehrlingsentschädigung ermögliche nicht das Führen eines eigenen Haushalts. Nur wenn die Einkünfte das Existenzminimum erheblich übersteigen würden, liege ein eigenes regelmäßiges Einkommen vor, mit dem tatsächlich Schadenersatz geleistet werden könne. Die Klausel sei intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG.
Dazu wurde erwogen:
1.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS-Justiz RS0050063 [insbes T71]; RS0112256 [T10]). Es findet deshalb auch die Unklarheitenregelung des § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen daher zu Lasten der Partei, von der die diesbezüglichen Formulierungen stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS-Justiz RS0050063 [T3]). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RIS-Justiz RS0008901).
1.2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden (RIS-Justiz RS0080166 [insb T10], RS0080068).
2.1. Dass spätere Bedingungen die Deckung erweitert haben, ist unerheblich: Es ist unzulässig, neuere Fassungen von Versicherungsbedingungen zur Auslegung älterer AVB heranzuziehen (vgl RIS-Justiz RS0081002 [T1]).
Das Berufungsgericht hat daher zutreffend erkannt, dass die AHVB 2015 und EHVB 2015 für die Beurteilung des vorliegenden Falles unbeachtlich sind; maßgeblich sind die AHVB 1993 und EHVB 1993.
2.2. Pkt B.15.3.2 EHVB 1993 enthält keinen Ausschluss, sondern nach seinem klaren Wortlaut eine primäre Risikoumschreibung, indem der Kreis der versicherten Personen über den Versicherungsnehmer hinaus erweitert wird. Die Frage, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind, ist daher nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung und orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung zu beantworten.
3.1. In der Entscheidung 7 Ob 15/94 (= RIS-Justiz RS0081162, die zu einer fast wortgleichen Klausel in Allgemeinen Bedingungen für die Haushaltsversicherung ABH 1989 erging) hielt der Oberste Gerichtshof fest, dass die Mitversicherung von Kindern auch über die Zeit der Minderjährigkeit hinaus bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres unter bestimmten Voraussetzungen eine erhebliche Vergrößerung des versicherten Risikos bedeutet. Die Erfüllung weiterer Voraussetzungen für eine Mitversicherung auch volljähriger Kinder – eine zumindest in gewisser Weise fortbestehende Aufsicht der Eltern durch den gemeinsamen Haushalt, Mangel eines eigenen regelmäßigen Einkommens, das zum Ersatz eines etwa angerichteten Schadens herangezogen werden könnte – ist daher entsprechend deren Zweck sorgfältig zu prüfen. In diesem Sinne kam der Oberste Gerichtshof zum Schluss, dass regelmäßige Bezüge aus einem Dienstverhältnis (in Höhe von dort [1992] 10.500 ATS ?? 763 EUR) für die Dauer von zumindest einem Jahr bereits die Voraussetzung eines „eigenen regelmäßigen Einkommens“ erfüllen, womit eine Mitversicherung nicht in Frage kam.
3.2. In 7 Ob 107/04t (= RIS-Justiz
RS0119015) war eine Unfallversicherung zu beurteilen, nach der Kinder solange sie im Haushalt des Versicherungsnehmers leben und keine wie immer gearteten Einkünfte aus einer Berufsausübung oder Unternehmertätigkeit beziehen, mitversichert sein sollten. Eine Lehrlingsentschädigung stellt entsprechend ständiger unterhaltsrechtlicher Rechtsprechung und auch nach ganz allgemeiner Anschauung ein Einkommen des Lehrlings dar. Die Versicherungsbedingung stellt auch nicht darauf ab, dass die „wie immer gearteten“ Einkünfte noch im Haushalt des Versicherungsnehmers lebender Kinder eine bestimmte Höhe erreichen und namentlich die Selbsterhaltungsfähigkeit der versicherten Kinder bewirken müssen.
4.1. Dem Berufungsgericht ist dahin zuzustimmen, dass der klare Wortlaut der Bestimmung die Mitversicherung von volljährigen Kindern unter drei Bedingungen vorsieht, die kumulativ vorliegen müssen: Das Kind darf nicht älter als 25 Jahre alt sein, es darf keinen eigenen Haushalt führen, und es darf über kein eigenes regelmäßiges Einkommen verfügen. Liegt eine dieser Voraussetzungen nicht vor, so ist das Kind nicht mitversichert (vgl 7 Ob 15/94). Die Klausel kann daher entgegen der Revision auch nicht dahin verstanden werden, dass erst das Vorliegen eines eigenen Haushalts und eigenen Einkommens den Wegfall der Deckung mit sich brächte.
4.2. Dem Wortlaut der Bestimmung ist auch keine weitere Einschränkung in Bezug auf die Höhe des regelmäßigen Einkommens des Kindes zu entnehmen.
Ob eine Grenze vernachlässigbaren Einkommens generell in Höhe der sozialversicherungsrechtlichen Geringfügigkeitsgrenze zu ziehen oder andere Parameter heranzuziehen wären, kann hier dahingestellt bleiben, weil eine Lehrlingsentschädigung im vierten Lehrjahr von monatlich 860 EUR keinesfalls als vernachlässigbarer Betrag anzusehen ist (vgl 7 Ob 245/13z).
4.3. Dass eine Lehrlingsentschädigung „eigenes Einkommen“ iSd AHVB 1993 und EHVB 1993 ist, auch wenn es nicht eine Höhe erreichen sollte, die eine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gänzlich zum Erlöschen bringt, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass die Klauseln nicht auf eine unterhaltsrechtliche Selbsterhaltungsfähigkeit abstellen (vgl nochmals 7 Ob 107/04t).
4.4. Auch eine Verknüpfung von Einkommen und Familienbeihilfenbezug, wie ihn die Revision herstellen will, ist den geltenden AVB nicht zu entnehmen.
4.5. Weder in erster Instanz noch von der Revision wurde aufgezeigt, worin die Intransparenz der Klausel iSd § 6 Abs 3 KSchG liegen sollte; dies ist angesichts ihres Wortlauts auch nicht ersichtlich.
4.6. Der Oberste Gerichtshof ist keine Tatsacheninstanz (RIS-Justiz RS0042903 [insbes T5, T7, T10]).
Mit dem Hinweis auf seine Parteiaussage, wonach ihm ein Versicherungsvertreter eine andere Vorstellung von der Bedeutung des Versicherungsvertrags suggeriert habe, zeigt der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage des materiellen Rechts auf, weil seine Revision insofern nicht vom festgestellten Sachverhalt (bloß subjektive Vorstellung des Klägers) ausgeht. In der Berufungsbeantwortung nachgetragene Gründe für die subjektive Vorstellung sind als unzulässige Neuerungen nicht beachtlich. Unbeachtlich ist auch der Hinweis der Revision, dass sich die Tochter des Klägers nunmehr in Karenz befinde und geringere Einkünfte beziehe. Es kommt auf ihr Einkommen zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls an.
5.1. Zusammengefasst gilt:
Eine Klausel in den AHVB 1993 und EHVB 1993 betreffend eine Privathaftpflichtversicherung, wonach minderjährige Kinder mitversichert sind, volljährige Kinder bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres jedoch nur dann, soferne und solange sie über keinen eigenen Haushalt und kein eigenes regelmäßiges Einkommen verfügen, ist dahin auszulegen, dass diese drei Voraussetzungen (Alter nicht über 25 Jahre, kein eigener Haushalt und kein eigenes regelmäßiges Einkommen) kumulativ vorliegen müssen. Es kann dahingestellt bleiben, ob es eine Untergrenze der regelmäßigen Einkünfte gibt, welche der Mitversicherteneigenschaft nicht entgegenstehen, und in welcher Höhe diese anzusiedeln wäre, weil Einkünfte aus einer Lehrlingsentschädigung im letzten Lehrjahr (hier von 860 EUR pro Monat) jedenfalls als eigenes regelmäßiges Einkommen iSd AHVB 1993 und EHVB 1993 anzusehen sind.
5.2. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
6. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 41 ZPO.
Textnummer
E124850European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00039.19I.0320.000Im RIS seit
06.05.2019Zuletzt aktualisiert am
25.02.2021