TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/27 G314 2209718-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.11.2018
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Entscheidungsdatum

27.11.2018

Norm

BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §70 Abs3

Spruch

G314 2209718-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, rumänischer Staatsangehöriger, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 09.10.2017 (gemeint offenbar 2018), Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

ersatzlos behoben.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, XXXX, zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Den unbedingten Strafteil verbüßt er derzeit in der Justizanstalt XXXX.

Mit Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18.06.2018 wurde der BF aufgefordert, zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots Stellung zu nehmen. Er erstattete eine entsprechende Stellungnahme. Dem per E-Mail am 03.07.2018 erteilten Verbesserungsauftrag des BFA leistete er trotz Fristverlängerung keine Folge.

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde dagegen gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit seiner strafgerichtlichen Verurteilung wegen eines an seiner eigenen Tochter begangenen Sexualdelikts begründet. Der BF halte sich nach einem Aufenthalt im Bundesgebiet bis 2007 nunmehr wieder seit 2012 in Österreich auf. Er sei hier erwerbstätig und sozialversichert und habe auch ein Familienleben mit seiner Lebensgefährtin; der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in sein Privat- und Familienleben sei aber gerechtfertigt. Der BF habe seine Unterhaltspflichten verletzt. Sein weiterer Aufenthalt sei eine aktuelle, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit und beeinträchtige Grundinteressen der Gesellschaft. Es könne keine positive Zukunftsprognose erstellt werden, zumal mit einer Fortsetzung des vorsätzlichen unrechtmäßigen Verhaltens zu rechnen sei. Die sofortige Ausreise des BF sei im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich, sodass ihm kein Durchsetzungsaufschub zu erteilen und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen sei. In dem Bescheid werden keine konkreten Feststellungen zu dem der Verurteilung des BF zugrunde liegenden Fehlverhalten getroffen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und auf Aufhebung des angefochtenen Bescheids. Hilfsweise werden die Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbots und die Erteilung eines Durchsetzungsaufschubs beantragt. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass die Behörde es verabsäumt habe, seine Lebensgefährtin zum gemeinsamen Familienleben zu befragen. Der Eingriff in sein Privat- und Familienleben durch das fünfjährige Aufenthaltsverbot sei unverhältnismäßig. Er nehme während des Strafvollzugs an einer deliktorientierten und störungsbezogenen Psychotherapie teil, was zeige, dass er sich bemühe, sein Verhalten zu ändern.

Das BFA legte die Beschwerde und die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 19.11.2018 einlangten, erstattete eine Gegenäußerung zur Beschwerde und beantragt, diese als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Der XXXX-jährige BF ist rumänischer Staatsangehöriger. Er hält sich zumindest seit Mai XXXX kontinuierlich in Österreich auf.

Der BF ist ledig. Seiner (inzwischen beendeten) Beziehung mit der Österreicherin XXXX entstammen die am XXXX in XXXX geborene XXXX und der am XXXX ebenfalls in XXXX geborene XXXX. Der BF leistet derzeit keine Unterhaltszahlungen für diese beiden Kinder; es bestehen erhebliche Unterhaltsrückstände.

Seit XXXX 2012 lebt der BF in XXXX in einem gemeinsamen Haushalt mit der Österreicherin XXXX. Der Lebensgemeinschaft entstammt der am 23.11.2017 geborene XXXX. Alle drei Kinder des BF sind österreichische Staatsbürger.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er war seit Mai XXXX in Österreich immer wieder - zumeist kurzfristig - als Arbeiter erwerbstätig. Dazwischen bezog er - ebenfalls mit Unterbrechungen - Arbeitslosen- oder Krankengeld bzw. Notstandshilfe. Zwischen Oktober XXXX und April XXXX sowie zwischen März und Juli XXXX erhielt er wiederholt Beihilfen zur Berufsausbildung gemäß §§ 19, 20 AMFG in der damals geltenden Fassung. Zuletzt war der BF von XXXX.2015 bis XXXX.2018 als Angestellter (Verkäufer bei XXXX) erwerbstätig. Diese Tätigkeit musste er aufgeben, weil er den unbedingten Teil der zuletzt über ihn verhängten Freiheitsstrafe antreten musste. Er hat vor, diese Arbeitsstelle nach dem Strafvollzug wieder aufzunehmen.

Der BF wurde im Bundesgebiet acht Mal strafgerichtlich verurteilt, wobei zwei Mal eine Zusatzstrafe gemäß §§ 31, 40 StGB verhängt wurde, sodass sechs Vorstrafen vorliegen. Vom Landesgericht XXXX wurde mit Urteil vom XXXX, XXXX, wegen Jugendstraftaten (§§ 142 Abs 1, 15, 105 Abs 1, 127, 129 Z 3 StGB) eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten verhängt. Den sechsmonatigen, unbedingten Strafteil verbüßte der BF (unter Anrechnung der Vorhaft) zwischen XXXX und XXXX in der Justizanstalt XXXX. Der bedingte Strafteil wurde nach einer Probezeitverlängerung XXXX endgültig nachgesehen. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, XXXX, wurde wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (begangen als junger Erwachsener unter 21) eine sechsmonatige, bedingt nachgesehene Zusatzstrafe dazu verhängt, die nach Verlängerung der Probezeit XXXX endgültig nachgesehen wurde.

Mit dem Urteil des Landesgerichts Salzburg vom XXXX, XXXX, wurde der BF wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zu einer viermonatigen, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt, die XXXX endgültig nachgesehen wurde.

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, XXXX, wurde wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB eine zweimonatige, bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe verhängt, die XXXX endgültig nachgesehen wurde. Mit Urteil vom XXXX, XXXX, folgte eine einmonatige, bedingt nachgesehene Zusatzstrafe dazu wegen der Vergehen der Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB), der gefährlichen Drohung (§ 107 Abs 1 StGB) und der öffentlichen geschlechtlichen Handlungen (§ 218 Abs 2 StGB), die XXXX endgültig nachgesehen wurde.

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX wurde der BF wegen der Vergehen der Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB) und der Veruntreuung (§ 133 Abs 1 StGB) sowie des Verbrechens der Verleumdung (§ 297 Abs 1 zweiter Fall StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Davon wurden sechs Monate zunächst bedingt und XXXX endgültig nachgesehen. Den einmonatigen unbedingten Strafteil hatte der BF bereits in der Justizanstalt XXXX verbüßt (Vollzugsdatum XXXX).

Vom Bezirksgericht XXXX wurde der BF mit dem Urteil vom XXXX, XXXX, (Datum der letzten Tat: XXXX) zu einer Geldstrafe (30 Tagessätze á EUR 2) wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§ 27 Abs 1 SMG) verurteilt. Nach dieser Verurteilung folgte eine zehnjährige Periode des Wohlverhaltens, in der er nicht mehr straffällig wurde.

Zuletzt wurde der BF mit dem eingangs genannten Urteil wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (ausgehend von einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe) zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe sowie zur Zahlung eines Teilschmerzengeldbetrags von EUR 1.500 an sein Opfer verurteilt. Ein Strafteil von 16 Monaten wurde für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen. Dieser Verurteilung liegt zugrunde, dass er zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen Mai und Juni XXXX, am XXXX. oder XXXX und in der Nacht zum XXXX mit seiner damals zwölfjährigen leiblichen Tochter XXXX eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornahm, indem er sie mit einem Finge am Scheideneingang intensiv betastete und zumindest zur vaginalen Penetration ansetzte. Bei der Strafzumessung wurden das reumütige Geständnis und das lange Wohlverhalten als mildernd gewertet. Erschwerend wirkten die einschlägigen Vorstrafen sowie das Zusammentreffen von drei Verbrechen und drei Vergehen.

Nachdem dem BF auf seinen Antrag hin ein Strafaufschub bis XXXX.2018 gewährt worden war, fand er sich am XXXX.2018 zum Strafantritt in der Justizanstalt Salzburg ein. Er wurde zunächst einige Tage dort angehalten und verbüßt den unbedingten Strafteil seit XXXX.2018 in der Justizanstalt XXXX, wo er im Normalvollzug angehalten wird und mehrmals an Einheiten einer deliktorientierten und störungsbezogenen Psychotherapie teilnahm. Das urteilsmäßige Strafende ist am XXXX. Die bedingte Entlassung des BF ist frühestens am XXXX möglich.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG im Zusammenhang mit dem Vorbringen des BF in seiner Stellungnahme und in der Beschwerde sowie den von ihm vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellungen zur Identität des BF und zu seinen persönlichen Verhältnissen beruhen auf den entsprechenden Angaben im Bescheid, denen er nicht entgegentritt, sowie auf den entsprechenden Angaben im Strafurteil vom XXXX und in der Vollzugsinformation.

Der BF war laut dem Zentralen Melderegister (ZMR) lediglich zu den folgenden Zeiten nach dem MeldeG gemeldet: von XXXX bis XXXX (Hauptwohnsitz XXXX), von XXXX bis XXXX (Nebenwohnsitz Justizanstalt XXXX), von XXXX bis XXXX (Hauptwohnsitz XXXX), XXXX bis XXXX (obdachlos, Hauptwohnsitzbestätigung gemäß § 19a MeldeG, Kontaktstelle XXXX), XXXX bis XXXX (Hauptwohnsitz Justizanstalt XXXX), XXXX bis XXXX (obdachlos, Hauptwohnsitzbestätigung gemäß § 19a MeldeG, Kontaktstelle XXXX), XXXX bis XXXX (Hauptwohnsitz XXXX), seit XXXX (Hauptwohnsitz XXXX), XXXX bis XXXX (Nebenwohnsitz Justizanstalt XXXX) sowie seit XXXX (Nebenwohnsitz Justizanstalt XXXX). Aus dem Versicherungsdatenauszug gehen zwischen XXXX und XXXX folgende Versicherungszeiten - in chronologischer Darstellung - hervor:

22.08.2006 - 15.01.2007 Arbeiter

22.02.2007 - 16.04.2007 Notstandshilfe

07.05.2007 - 14.08.2007 Arbeiter

03.10.2007 - 31.10.2007 Arbeitslosengeld

01.11.2007 - 21.05.2008 Arbeiter

19.06.2008 - 22.06.2008 Arbeitslosengeld

23.06.2008 - 01.07.2008 Arbeiter

14.07.2008 - 17.08.2008 Arbeitslosengeld

20.08.2008 Arbeiter

29.08.2008 - 04.09.2008 Arbeitslosengeld

05.09.2008 Arbeiter

29.09.2008 - 01.10.2008 Arbeiter

04.10.2008 - 06.11.2008 Arbeitslosengeld

07.11.2008 Arbeiter

08.11.2008 - 06.01.2009 Arbeitslosengeld

07.01.2009 - 05.07.2009 Notstandshilfe

06.07.2009 - 06.08.2009 Arbeitslosengeld

08.08.2009 - 28.08.2009 Arbeitslosengeld

29.08.2009 - 11.10.2009 Notstandshilfe

12.10.2009 - 04.02.2010 Arbeitslosengeld

06.02.2010 - 09.02.2010 Arbeitslosengeld

11.02.2010 - 11.02.2010 Arbeitslosengeld

13.02.2010 - 16.02.2010 Arbeitslosengeld

18.02.2010 Arbeitslosengeld

20.02.2010 - 26.02.2010 Arbeitslosengeld

27.02.2010 - 07.03.2010 Notstandshilfe

08.03.2010 Arbeiter

09.03.2010 - 13.06.2010 Notstandshilfe

14.06.2010 - 16.07.2010 Arbeitslosengeld

17.07.2010 - 18.07.2010 Notstandshilfe

19.07.2010 - 04.08.2010 Arbeitslosengeld

06.08.2010 - 17.12.2010 Arbeitslosengeld

18.12.2010 - 02.08.2011 Notstandshilfe

03.08.2011 - 20.08.2011 Arbeiter

18.09.2011 - 18.10.2011 Notstandshilfe

11.11.2011 Arbeiter

14.11.2011 - 26.02.2012 Notstandshilfe

28.02.2012 - 31.05.2012 Notstandshilfe

09.04.2012 - 04.06.2012 geringfügig beschäftiger Arbeiter

05.06.2012 - 20.08.2012 Arbeiter

Da der Versicherungsverlauf nur relativ kurze Lücken aufweist, ist davon auszugehen, dass der BF 2007 nicht - wie vom BFA angenommen - nach Rumänien zurückkehrte, sondern sich weiterhin im Bundesgebiet befand, obwohl er die mit dem behördlichen Verbesserungsauftrag geforderten Nachweise dafür nicht vorlegte, zumal während eines langfristigen Auslandsaufenthalts idR weder Arbeitslosengeld noch Notstandshilfe bezogen werden kann. Da das BFA die Annahme, der BF habe sich zwischen XXXX und XXXX nicht im Bundesgebiet aufgehalten, nur auf die Auszüge aus dem ZMR stützt, und dem BF dazu im Verbesserungsauftrag ausdrücklich nur die Vorlage von Meldebestätigungen auftrug, misst es diesen fälschlich eine über deren bloßen Indizcharakter hinausgehende Bedeutung zu (vgl VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0129).

Der Familienstand des BF ergibt sich aus der Vollzugsinformation und aus dem ZMR. Anhaltspunkte für eine Eheschließung bestehen nicht.

Die Vaterschaft des BF zu XXXX, XXXX und XXXX ergibt sich schlüssig aus seiner Stellungnahme, in Bezug auf XXXX untermauert durch das Strafurteil. Die österreichische Staatsbürgerschaft der Kinder ergibt sich aus dem ZMR und daraus, dass ihre Mutter jeweils Österreicherin ist. Die Unterhaltsrückstände in Bezug auf XXXX und XXXX wurden im angefochtenen Bescheid aufgrund einer entsprechenden Auskunft des Kinder- und Jugendhilfeträgers festgestellt; der BF tritt dem in der Beschwerde nicht entgegen und legte auch die im behördlichen Verbesserungsauftrag geforderten Nachweise für Unterhaltszahlungen nicht vor.

Der gemeinsame Haushalt des BF mit XXXX und seinem jüngsten Sohn wird aufgrund des Beschwerdevorbringens festgestellt, das insofern im Einklang mit übereinstimmenden Hauptwohnsitzmeldungen steht.

Die Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit und zum Gesundheitszustand des BF beruhen darauf, dass er bis zum Strafantritt erwerbstätig war und die Beschäftigung nach dem Strafvollzug wieder aufnehmen möchte. Es sind keine Hinweise auf gesundheitliche Probleme hervorgekommen. Zeiten der Erwerbstätigkeit und anderweitiger Sozialversicherung im Bundesgebiet gehen aus dem Versicherungsdatenauszug hervor. Die Beendigung der zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit vor dem Strafantritt und die Absicht, diese wieder aufzunehmen, ergeben sich aus dem Vorbringen des BF und seinen Angaben im Antrag auf Strafaufschub.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF werden anhand des Strafregisters festgestellt, aus dem auch die festgestellten Probezeitverlängerungen, endgültigen Strafnachsichten und Vollzugsdaten hervorgehen. Der Vollzug unbedingter Freiheitsstrafen wird zusätzlich durch entsprechende Meldungen in Justizanstalten laut ZMR belegt.

Die Feststellungen zu den vom BF zuletzt begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung und zu den Erschwerungs- und Milderungsgründen basieren auf dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, XXXX. Die Rechtskraft der Verurteilungen wird auch durch das Strafregister belegt. Es gibt keine Indizien für weitere strafrechtliche Verurteilungen des BF.

Der Antrag auf und die Bewilligung des Strafaufschubs sowie die Teilnahme an Psychotherapieeinheiten in der Justizanstalt ergeben sich aus den vom BF vorgelegten Unterlagen. Die Feststellungen zum Strafvollzug basieren auch auf der Vollzugsinformation.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG nunmehr auch ausdrücklich angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag der BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann (ua) bei EWR-Bürgern die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist. Die Aberkennung bedarf - insbesondere angesichts der weitreichenden damit verbundenen Konsequenzen - einer entsprechend sorgfältigen, einzelfallbezogenen Begründung. Sie darf nicht ausschließlich darauf gestützt werden, dass die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots erfüllt sind. Die Behörde muss vielmehr nachvollziehbar darlegen, warum darüber hinaus die sofortige Ausreise des BF geboten ist.

Das BFA begründete die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung hier nicht fallspezifisch, sondern begnügte sich mit allgemein gehaltenen Textbausteinen, ohne auf den vorliegenden Einzelfall Bezug zu nehmen, sodass die aufschiebende Wirkung zu Unrecht aberkannt wurde. Dies wirkte sich hier (noch) nicht zum Nachteil des BF aus, zumal das Aufenthaltsverbot gemäß § 70 Abs 1 letzter Satz FPG erst nach dem Strafvollzug durchsetzbar ist.

Zu Spruchteil B):

Als Staatsangehöriger von Rumänien ist der BF EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa, wenn der EWR-Bürger zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Gemäß Art 28 Abs 3 lit a Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs 4 Z 18 FPG) darf gegen Unionsbürger, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat hatten, eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden. Nach dem Erwägungsgrund 24 dieser Richtlinie sollte gegen Unionsbürger, die sich viele Jahre im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten haben, nur unter außergewöhnlichen Umständen aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit eine Ausweisung verfügt werden.

Der Ausdruck "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" setzt das Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit voraus, die einen besonders hohen Schweregrad aufweist. Darunter kann z.B. die Bekämpfung der mit dem bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln verbundenen Kriminalität fallen (EuGH 23.11.2010, C-145/09, Land Baden-Württemberg gegen Panagiotis Tsakouridis).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Da sich der BF schon weit über zehn Jahre lang kontinuierlich in Österreich aufhält, ist der qualifizierte Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG (Art 28 Abs 3 lit a Freizügigkeitsrichtlinie) heranzuziehen. Der Vollzug des achtmonatigen unbedingten Strafteils lässt die hier geknüpften Integrationsbande nicht abreißen, sodass der durchgehende Aufenthalt dadurch nicht unterbrochen wird (vgl EuGH 17.04.2018, C-316/16, C-424/16).

Es ist dem BFA zwar dahin zuzustimmen, dass das Fehlverhalten des BF (wiederholter schwerer sexueller Missbrauch der eigenen, unmündigen Tochter) - auch unter Berücksichtigung seines belasteten Vorlebens - eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG ("nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich") ist jedoch trotz der Schwere der Straftaten - auch bei Bedachtnahme auf den besonders hohen sozialen Störwert von Sexualstraftaten gegen Kinder und der massiven Verletzung der sexuellen Integrität einer damals 12-jährigen durch ihren Vater - nicht erfüllt.

Bei der vorzunehmenden Gefährdungsprognose ist auch zu berücksichtigen, dass der BF zwar mehrere strafgerichtliche Verurteilungen aufweist, aber bislang sämtliche Probezeiten bestanden hat, dass er sich nach seiner Verurteilung 2007 bis 2017 nichts zuschulden kommen ließ und dass die Intensität seiner Kriminalität zwischen 2002 und 2007 sukzessive abnahm (wie die Verhängung zunehmend milderer Sanktionen zeigt). Abgesehen von einer - nicht sonderlich gravierenden - Verurteilung wegen öffentlicher geschlechtlicher Handlungen 2005 lagen ihm vor den 2017 gesetzten Straftaten auch noch keine strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung zur Last. Da der BF seit 2012 in einer Lebensgemeinschaft lebt und seit 2015 bis zum Strafantritt durchgehend in einem Beschäftigungsverhältnis stand, ist davon auszugehen, dass sich sein (zuvor von Delinquenz sowie von Arbeits- und zeitweiliger Obdachlosigkeit geprägtes) Leben weitgehend stabilisiert hatte, bevor er seine Tochter sexuell missbrauchte.

Obwohl der BF mehrmals wegen verschiedener Straftaten verurteilt wurde und sich durch die gegen ihn erlassenen Sanktionen (Geldstrafe, bedingt oder teilbedingt nachgesehene Freiheitsstrafen) nicht nachhaltig von weiterer Kriminalität abhalten ließ und obwohl seine zuletzt abgeurteilten, äußerst schwerwiegenden Straftaten noch nicht lange zurückliegen, sodass er (trotz der Therapie während des Strafvollzugs) einen Gesinnungswandel hin zu einem rechtstreuen Verhalten noch nicht in Freiheit unter Beweis stellte (vgl VwGH 25.01.2018, Ra 2018/21/0004), erreicht seine Delinquenz noch nicht den in § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG festgelegten Schweregrad.

Der Umstand, dass dem BF keine Anmeldebescheinigung ausgestellt wurde, kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, zumal er sowohl am 01.01.2006 (In-Kraft-Treten des NAG) als auch am 01.01.2007 (EU-Beitritt Rumäniens) über eine aufrechte Meldung nach dem MeldeG verfügte (vgl § 81 Abs 4 und 6 NAG).

Überdies ist gemäß § 9 BFA-VG angesichts des jahrelangen Inlandsaufenthalts des BF und seiner Beziehung zu seiner langjährigen österreichischen Lebensgefährtin und zu seinem Ende 2017 geborenen Sohn (die nicht durch moderne Kommunikationsmittel aufrecht erhalten werden kann, vgl VwGH 17.04.2013, 2013/22/0088) von einem unverhältnismäßigen Eingriff in sein Privat- und Familienleben iSd Art 8 EMRK durch das Aufenthaltsverbot auszugehen.

Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF somit nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in Stattgebung der Beschwerde aufzuheben.

Sollte der BF in Zukunft wieder strafgerichtlich verurteilt werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein, insbesondere bei einem Rückfall in Bezug auf strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung.

Eine Beschwerdeverhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil C):

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, EU-Bürger, Privat- und Familienleben,
strafrechtliche Verurteilung, unverhältnismäßiger Eingriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2209718.1.00

Zuletzt aktualisiert am

03.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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