TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/31 I409 1309578-5

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.01.2019
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Entscheidungsdatum

31.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z2
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I409 1309578-5/54E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Florian Schiffkorn als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, Staatsangehörigkeit Nigeria, vertreten durch Mag. Philipp Tschernitz, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Pfarrplatz 17, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. März 2012, Zl. 1007.036-BAG,

A)

1. zu Recht erkannt:

Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen;

2. den Beschluss gefasst:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang des Spruchpunktes III aufgehoben und die Angelegenheit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 Asylgesetz 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die belangte Behörde führt unter dem Punkt "A) Verfahrensgang" im angefochtenen Bescheid (u.a.) Folgendes aus:

"Sie sind am 16.6.2005 illegal in Österreich eingereist und stellten am selben Tag einen Asylantrag.

Sie gaben an den Namen O. C. zu führen, am XX.XX.XXXX in O., Nigeria geboren, nigerianischer Staatsbürger und Christ zu sein.

Am 22.6.2005 wurden Sie von einem Organwalter der EAST Ost einvernommen, und gaben zu ihrem Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an:

"Man bot mir Geld an, damit ich die Flagge und Transparente der Biafra Bewegung anbringe. Wir waren eine Gruppe. Wir teilten uns auf. Eine Hälfte hat in O. die Flaggen und Transparente verteilt, eine andere in M. Die Polizei hat die Gruppe in O. auf frischer Tat betreten. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und der Gruppe in O. Die Polizei begann zu schießen und die Leute zu

verhaften." ... "Die Polizei suchte nach uns und schließlich kamen

sie auch in unser Haus. Die Polizei fragte nach mir. Er sagte, dass er mich schon zwei Tage nicht mehr gesehen hat. Die Polizei nahm daraufhin meinen Vater fest. Sie sagten zu meiner Mutter, dass man das Haus niederbrennen wird, wenn man mich nicht innerhalb von sieben Tagen finden würde. Am siebenten Tag kam die Polizei und brannte das Haus nieder. Ich rannte davon und flüchtete nach Port Harcourt."

...

Am 4.5.2006 wurden Sie vom SPK S. wegen Verdacht des Raufhandels zur Anzeige gebracht.

Am 29.8.2006 wurden Sie von einem Organwalter des Bundesasylamtes XXXX einvernommen und gaben zum Fluchtgrund befragt, im Wesentlichen, Folgendes an:

"Ein Mann hat uns beauftragt eine Biafra Fahne mit der Aufschrift Biafra in A. an verschiedenen Orten aufzuhängen. Wir haben uns dann aufgeteilt und diese Fahnen bei der Strasse aufgehängt. Einige haben in O. gearbeitet. Meine Gruppe, mit der ich arbeitete hat woanders gearbeitet. Die Polizei hat dann die Leute in O. angegriffen.

Es kam dann zu Kämpfen und im Zuge der Kämpfe wurde ein Polizeibeamter getötet. Die Polizei begann zu schießen und die Leute rannen weg. Sie kamen zu uns, wo wir gearbeitet haben und erzählten uns was passiert ist. Wir sind dann alle weggerannt. Die Polizei hat einige festgenommen. lch bin dann nach Hause gelaufen und erzählte meinen Leuten, was passiert ist. Diese sagten, dass dies ein großes Problem ist und ich müsste weg. So ging ich nach Port Harcourt. Ich bin dann zu einer Kirche und habe mich dort mit einem Priester getroffen. Ich habe dann erfahren, dass diese Leute zu mir nach Hause gekommen sind, meinen Vater mitgenommen haben und mein Haus niedergebrannt wurde. ...

F: Hatten Sie jemals etwas mit der MASSOB zu tun?

A: Nein, ich war nie dabei, mein Vater wollte das nicht."

Am 16.1.2007 erging seitens des BAA Außenstelle XXXX ein negativer Bescheid gem. §§ 7, 8 und 8/2 AsylG. 1997.

Am 31.1.2007 legten Sie durch den Verein "Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, 1010 Wien, Berufung ein.

Am 19.3.2007 behob der UBAS den obgenannten Bescheid gem. § 66/2

AVG.

Am 2.5.2007 wurden Sie von dem entscheidenden Organwalter des BAA Aussenstelle XXXX einvernommen und gaben im Wesentlichen Folgendes an:

"F; Können Sie zumindest Ihre Heimatadresse, also die Adresse des Hauses Ihrer Eltern aufschreiben?

A: Ich lebte im Dorf O., das ist in der Nähe von O. in der Local Government Area von O. Im Dorf gibt es keine Strassen und auch keine Hausnummern. ...".

Am 3.5.2007 erging seitens BAA eine Anfrage an die österreichische Botschaft in Abuja mit dem Ersuchen um personenbezogene Recherche in Ihrem Heimatland.

Am 27.5.2007 wurden Sie vom SPK L. wegen gefährlicher Drohung in 2 Fällen zur Anzeige gebracht.

Am 12.6.2007 langte die Anfragebeantwortung der österreichischen Botschaft Abuja im BAA ein, wobei im Wesentlichen festgestellt wurde, dass der von Ihnen angegebene Familienname O. in dem von Ihnen genannten Gebiet ein gebräuchlicher Name ist. Es wurden 3 Familien mit diesem Namen festgestellt, doch keine Familie gab an, dass eines Ihrer Kinder außerhalb des Dorfes leben würde. Eine Familie bestätigte einen Sohn namens C. zu haben. Dieser war aber anwesend und wesentlich älter als der AW und hatte zuvor kaum das Dorf verlassen. Weiters wurden viele Dorfbewohner interviewt doch niemand wusste etwas über ein niedergebranntes Haus. Ihre Angaben wurden als nicht korrekt festgestellt.

Am 18.7.2007 wurden Sie vom BAA Aussenstelle XXXX, ergänzend zum Ergebnis der Botschaftsanfrage einvernommen. Im Wesentlichen gaben Sie Folgendes an:

...

F: Haben Sie das verstanden und was sagen Sie dazu?

A: Es sind nicht drei Dörfer sondern sechs. Ich lebte in "O.-O.", die anderen fünf Dörfer heissen I.-O., A.-O., A.-O., U.-O., O.-O. Das zerstörte Elternhaus stand in O.-O. ...

Am 23.7.2007 erging eine neuerliche Anfrage an die österreichische Botschaft in Abuja.

Am 24.8.2007 langte die Anfragebeantwortung der Botschaft im BAA ein.

Im Wesentlichen wurde festgehalten, dass die Dörfer O.-O. und O.-O. besucht wurden. Es gab dort aber niemanden der den AW oder seine Fluchtgründe gekannt hätte. Es konnte weder der Vorfall mit dem niedergebrannten Haus, noch die Namen der Nachbarn, noch Ihre Familie verifiziert werden. Zu Ihren Angaben bezüglich Ihrer Schwester F. wurde im Dorf O.-O. nachgefragt. Nach Ihren Angaben würde Ihre Schwester dort als Friseurin arbeiten. Es wurde jedoch festgestellt, dass es in diesem Dorf keinen Frisiersalon gibt. Ihre Angaben wurden somit als unwahr festgestellt.

Am 11.9.2007 wurden Sie nochmals vom BAA Außenstelle XXXX, zum Ergebnis der Botschaftsanfrage ergänzend einvernommen. Im Wesentlichen wurde Ihnen mitgeteilt, dass auf Grund der durchgeführten Erhebungen Ihrem Vorbringen kein Glauben geschenkt werden kann.

Am 10.10.2007 erging dazu ein negativer Bescheid gem. §§ 7, 8/1 und 8/2 AsylG.

Am 29.10.2007 brachten Sie durch Ihren Vertreter RA Mag.Dr. Martin Enthofer Berufung ein.

Am 16.4.2008 wurde Ihre Berufung seitens des unabhängigen Bundesasylsenates abgewiesen. Durch Zustellung des Berufungsbescheides am 18.4.2008 lag eine durchsetzbare Ausweisungsentscheidung vor.

Am 2.6.2008 hat der VwGH Ihnen die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Am 9.9.2008 wurde die Behandlung der Beschwerde vom VwGH abgelehnt.

Am 27.11.2008 wurden Sie im PAZ B. von einem Amtsarzt untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass Sie an keiner schweren körperlichen oder ansteckenden Erkrankung leiden. Sie waren psychisch unauffällig, insbesonders gab es keine Hinweise auf Traumatisierungsfolgen.

Am 27.11.2008 stellten Sie Ihren 2. Asylantrag. Zu den FIuchtgründen befragt wiederholten Sie dem PAZ B. gegenüber, am 28.11.2008, im Wesentlichen Ihre Angaben vom 16.5.2005. Zu Ihren Befürchtungen im Falle der Rückkehr befragt gaben Sie an:

"Meine Mutter und Geschwister hatten im August dieses Jahres mit dem Auto einen tödlichen Unfall. Mein Vater vermutet, dass der Unfall mit Absicht vom Onkel herbeigeführt wurde, da er unser Land will. Ich habe Angst dass dies auch passieren könnte. Mein Vater ist seit diesem Vorfall in psychiatrischer Behandlung."

Am 5.12.2008 wurden Sie von der EAST West einvernommen. Auf die Frage warum Sie einen neuerlichen Asylantrag gestellt hätten gaben Sie an:

"Ich kann nicht nach Nigeria zurück. Nach meiner negativen Entscheidung wollte ich tatsächlich nach Hause zurückkehren und habe die Caritas kontaktiert. Dann habe ich vom Tod meiner Mutter und meiner Geschwister, die bei einem Autounfall getötet worden sind erfahren. Ich habe niemanden mehr in Nigeria. Da mein Vater vor diesem Autounfall Probleme mit seinem Bruder - meinem Onkel - hatte, vermutet man, dass dieser Onkel schuld an diesem Unfall war. Es geht um ein Grundstück. Als ich noch in Nigeria war, gab es deswegen bereits Probleme. Jetzt wurde es ernst und mein Onkel meinen Vater umbringen, um das Land zu bekommen. Seit diesem Unfall hat mein Vater psychische Probleme und kam in die psychiatrische Abteilung des Krankenhauses in E. Jetzt habe ich Angst, nach Nigeria zurückzukehren."

Am 12.12.2008 wurden Sie neuerlich von einem Organwalter der EAST West einvernommen. Dabei wurde Ihnen mitgeteilt, dass das BAA beabsichtigt Ihren Asylantrag in entschiedener Sache zurückzuweisen. Die Frage ob Sie ergänzende Angaben machen möchten, beantworteten Sie mit:

"Es ist für mich sehr gefährlich nach Nigeria zurückzukehren. Mein Leben ist mir wichtig und das ist in Nigeria in Gefahr. Deswegen möchte ich nicht nach Nigeria zurückkehren."

Am 10.1.2009 teilte das SPK L. dem BAA mit, dass eine RSA Zustellung nicht möglich war, da Sie Ihre Meldeadresse in L., M-Weg XXX nicht mehr benutzen und laut Unterkunftsgeber vor ca. 2 Monaten dort ausgezogen wären.

...

Am 22.1.2009 wurden Sie auf Zuweisung des BAA von Dr. G. M., Ärztin für Allgemeinmedizin und für Psychotherapeutische Medizin begutachtet. Die Gutachterin kam zum Schluss, dass Sie an einer Anpassungsstörung mit depressiver Episode leiden. Die dokumentierte Suizidalität wäre demnach keine Folge einer psychischen Erkrankung, sondern wird im Zusammenhang mit der Abschiebung vorgebracht. Die Gutachterin sah keine reale Gefahr, dass Sie auf Grund dieser Erkrankung, im Falle einer Überstellung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder sich die Krankheit in lebensbedrohlichem Ausmaß verschlechtern würde.

Am 10.2.2009 wurden Sie neuerlich von einem Organwalter der EAST West im Beisein Ihres Rechtsberaters einvernommen. Wobei Ihnen die gutachtliche Stellungnahme von Dr. M. zur Kenntnis gebracht wurde.

Sie gaben dazu im Wesentlichen an:

"Die Tatsache, dass ich nach Nigeria zurückkehren müsste, machte die Sache sehr schwierig. Als ich die Tabletten nicht mehr gehabt habe, ging es mir sehr schlecht. Ich weiß nicht, wie ich diese Tabletten in Nigeria bekommen soll. Sollte ich sie tatsächlich bekommen, weiß ich nicht, wie viel sie kosten werden."

Am 12.2.2009 erging seitens der EAST West ein Bescheid gem. § 68/1 AVG und § 10/1 AsylG.

Am 15.2.2009 langte ein Bericht der Pl T. ein. Sie wurden einer Ordnungsstörung beschuldigt. Sie hätten am 15.2.2009 in Ihrer Unterkunft herumgeschrien und gegen mehrere Türen geschlagen und getreten.

Am 27.2.2009 erhob Ihr RA Mag. Susanne Singer Beschwerde gegen diesen Bescheid.

Am 18.3.2009 randalierten Sie in Ihrer Unterkunft, indem Sie mit einer Eisenstange drohend gestikulierten. Sie wurden daraufhin durch die Exekutive in die psychiatrische Abteilung des LKH V. verbracht.

Am 20.3.2009 wurde Ihnen seitens des AGH die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Am 6.5.2009 wurden Sie vom LPK 00, Pl V. zur Anzeige wegen des Verdachtes der schweren Nötigung gebracht. Sie hätten am 19.3.2009 2 Arzte und 2 Krankenpfleger mit dem Umbringen bedroht hätten, um aus der psychiatrischen Abteilung frei gelassen zu werden.

Am 10.6.2009 erging die abweisende Entscheidung des AGH hinsichtlich Ihrer Beschwerde. Die Ausweisungsentscheidung wurde durch Zustellung am 15.6.2009 durchsetzbar.

Am 10.8.2009 wurden Sie von der Pl St. G. festgenommen und der nigerianischen Botschaft vorgeführt.

Am 26.8.2009 wurden Sie vom Landesgericht S. gem. §§ 15 Abs. 1, 105 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten, bedingt auf 3 Jahre, verurteilt.

Am 22.9.2009 erging ein Beschluss des VfGH, dass die Behandlung Ihrer Beschwerde abgelehnt wird.

Am 9.8.2010 stellten Sie Ihren 3. Asylantrag.

Am 11.8.2010 wurden Sie von der Pl St. G. einvernommen und gaben zu Ihrer neuerlichen Asylantragsstellung befragt an:

"Weil sich mein gesundheitlicher Zustand verschlechtert hat und ich von Medikamenten abhängig bin. Nachdem ich dann keine Medikamente mehr einnahm, musste ich auf Grund meines gesundheitlichen Zustandes in ein Krankenhaus SMZ- Süd in Wien eingeliefert: werden. ...

F: Haben Sie neue Gründe?

A: Mein Vater - er litt unter gleichen Erkrankung wie ich - wurde in Nigeria von einer anderen Person gepflegt und nachdem mein Vater verstorben war, forderte diese Person Geld von mir, da er auch Geld für die Medikamente und Pflege verbrauchte, was ich ihm jedoch nicht bezahlen konnte, da ich selbst nicht über Bargeld verfüge, weshalb mich diese Person mit dem Umbringen bedrohte, wenn ich wieder nach Nigeria komme.

F: Gibt es konkrete Hinweise, dass Ihnen bei Ihrer Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen?

A: Ja - die Gruppe mit der ich in Nigeria gearbeitet habe, siehe erster Fluchtgrund, droht mir, weil ich mit ihnen die Gefängnisstrafe nicht abgesessen habe. Sie betrachten mich als Verräter und wollen Geld dafür haben.

F: Hätten Sie im Falle Ihrer Rückkehr in Ihren Heimatstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen?

A: Ja. Ich muss eine Gefängnisstrafe absitzen, habe ich aber bereits in meinem ersten Verfahren erwähnt. ...".

Am 18.8.2010 wurden Sie von einem Organwalter des Bundesasylamtes - Erstaufnahmestelle West einvernommen. Im Wesentlichen gaben Sie dazu Folgendes an:

"...

F: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, an der Einvernahme mitzuwirken?

A: Ja.

Feststellung: Sie wurden bereits im Zuge der Erstbefragung zu Ihren persönlichen Daten befragt.

F: Entsprechen diese Angaben den Tatsachen oder haben Sie etwas zu berichtigen? A; Die Angaben, die ich dort gemacht habe, sind richtig. Ich heiße O. C., bin am XX.XX.XXXX in O., Nigeria, geboren, bin Staatsangehöriger von Nigeria, gehöre zur Volksgruppe der Ibo, spreche englisch, ibo und ein wenig deutsch, bin nicht verheiratet und habe keine Kinder.

...

V: Sie haben am 16.06.2005 und 27.11.2008 Asylanträge gestellt, die rechtskräftig ab bzw. zurückgewiesen wurden.

F: Warum stellen Sie einen neuerlichen Antrag?

A: Ich habe Probleme, sonst hätte ich keinen neuen Asylantrag gestellt.

F: Welche Probleme haben Sie?

A: Mir geht es gesundheitlich nicht gut.

Anmerkung: Der Antragsteller legt mehrere Arztbriefe, Befunde und Schlussberichte vom Zeitraum zwischen 23.10.2009 und 06.08.2010 vor.

...

Der Antragsteller setzt fort: Ich bin krank und bin nach Wien gefahren. Ich habe jedoch meine Medikamente vergessen und kann mich an nichts mehr erinnern. Irgendwie bin ich in ein Krankenhaus gekommen.

F: Wann waren Sie zuletzt in stationärer Behandlung?

A: Ich war von 5. bis 6. August 2010 im Krankenhaus in V.

F: Warum waren Sie in Behandlung?

A: Ich habe psychische Probleme.

F: Haben Sie außer den geschilderten weitere Probleme?

A: Ja. Ich habe jenem Mann, der auf meinen Vater in Nigeria aufgepasst hat, versprochen, dass ich in bezahlen werde. Im Mai 2010 ist er dann verstorben. Das Problem, das ich jetzt habe, ist jenes, dass ich diesen Mann nicht bezahlen kann. Er wird mich deswegen umbringen. Außerdem gibt es die Gruppe MASSOB, der ich angehörte. Die Polizei hat viele Mitglieder festgenommen, die nun entlassen worden sind. Diese beschuldigen mich, dass ich kein Geld zur Unterstützung nach Nigeria geschickt habe. Diese Leute haben nun eine andere Gruppe gegründet, die Leute kidnappen. Diese haben gesagt, dass ich nach Nigeria kommen soll und mich ihnen anschließen soll, da ich viel Erfahrung in Europa gesammelt hätte. Deswegen will ich nicht nach Nigeria zurück. Ich will nicht zu dieser bösen Gruppe zurückkehren. Ich habe nur mehr einen Onkel in Nigeria, aber auch er ist sehr gefährlich. Er macht Voodoo.

...

F: Was hat dieser Mann genau zu Ihnen gesagt?

A: Er fragte mich, wo sein Geld wäre. Ich sagte, dass ich keines hätte. Daraufhin bedrohte er mich und sagte, dass er mich umbringen würde. Er würde zu einem Voodoo-Priester gehen. Er sagte auch, dass ich auch in Europa nicht geschützt wäre. Er könnte mich mit Hilfe dieses Voodoo-Priesters auch in Europa umbringen. Das hat er gesagt.

...

F: Warum haben Sie nicht sofort einen neuen Asylantrag gestellt, als Sie bedroht worden sind?

A: Ich habe gedacht, dass mein Asylverfahren noch läuft.

...

Ihnen wird nun mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, Ihren Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen und Ihre Ausweisung nach Nigeria zu veranlassen.

F: Möchten Sie dazu Stellung nehmen?

A: Es ist zu gefährlich für mich, nach Nigeria zurückzukehren. Ich brauche Sicherheit, ich möchte, dass mich Österreich hier schützt.

...

Nach Zulassung Ihres Verfahrens wurden Sie vom zur Entscheidung berufenen Organwalter im Bundesasylamt, Außenstelle Graz am 19.10.2010 einvernommen, und gaben Sie zu den hier wesentlichen Punkten an:

"...

Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage Angaben zu Ihrem Asylverfahren zu machen?

A: Ich fühle mich nicht so gut. Ich nehme Tabletten wodurch ich schwach werde.

F: Welche Tabletten müssen Sie zu sich nehmen?

Anm.: Der AW wird aufgefordert die Tabletten die er eingenommen hat auf den Tisch zu legen.

Der AW gibt an dass er die Tabletten nicht mitgenommen hat.

...

F: Wie heißt das Medikament?

A: Dominal. Ich habe es fürs Schlafen genommen. Ich habe Zyprexa in der Früh genommen.

...

Anm.: Der AW legt eine Überweisung vom 13.10.2010 von Dr.Wagner (allgemein Mediziner) vor zum Facharzt, mit Diagnose Schizophrenie.

...

F: Entsprechen Ihre bisherigen Angaben im Zuge der früheren Einvernahmen im Asylverfahren der Wahrheit?

A: Ja, ich habe die Wahrheit gesagt.

F: Sie sind bereits seit dem Jahre 2005 in Österreich, haben regelmäßigen Kontakt zu Ihrem Herkunftsland, welche Beweismittel zu Ihrer Identität haben Sie vorzulegen?

A: Ich habe nichts hier.

...

F: Sie haben bereits zwei rechtskräftig abgeschlossene Asylverfahren. Sie wurden zu Ihrem 3. Asylantrag bereits einvernommen. Haben Sie noch etwas zu ergänzen oder möchten Sie etwas korrigieren?

A: Meinen sie damit was ich in T. erzählt habe?

Anm.: Dem AW wird die gestellte Frage wiederholt.

Nein.

F: Haben Sie aktuelle medizinische Gutachten mitgebracht?

A: Ich habe nur einen Arztbrief vom 20.8.2010 und das aus K.

Anm.: Die Schreiben werden als Beweismittel dem Akt beigelegt.

F: Sind Sie derzeit in Behandlung? Bei wem?

A: Ja, ich kenne den Namen nicht. Ich bin beim Hausarzt.

F: Stehen Sie in psychiatrischer Behandlung?

A: Nein. Ich soll aber vom Hausarzt aus in das Krankenhaus gehen.

F: Die Überweisung ist aber bereits vom 13.10.2010, warum sind Sie noch nicht hingegangen?

A: Ich weiß nicht, es gibt dort keinen Termin. Vielleicht ist der Arzt auf Urlaub.

F: Welche Medikamente benötigen Sie?

A: Dominal und diese andere.

Anm.: Der AW zeigt auf sein Rezept. Dort wird aufgelistet: Zyprexa 10 mg, Dominal forte 80 mg, Pantoloc 40 mg, Tresleen 50 mg.

F: Müssen Sie diese Medikamente ständig einnehmen, oder nur im Anlassfall?

A: Ja, ich nehme jeden Tag.

F: Waren Sie in Ihrem Heimatland schon in Behandlung auf Grund dieser Erkrankung?

A: Nein.

F: Sie sind also erst in Österreich krank geworden?

A: Ja.

F: Wann wurden Sie krank? Wann genau?

A: Ich weiß nicht wann es angefangen hat.

F: Seit wann sind Sie in Behandlung?

A: 2 Jahre sind es jetzt.

F: Wollen Sie noch weitere Fluchtgründe geltend machen?

A: Nein, ich habe keine anderen Gründe.

F: Würde Ihnen im Falle der Rückkehr und Abschiebung in Ihre Heimat Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen?

A: Ich fürcht mich vor vielen Dingen. Ich habe vor ein paar Wochen im Fernsehen gesehen dass Menschen entführt wurden in Nigeria. Während meiner ersten Einvernahme habe ich davon erzählt. Als ich das gesehen habe, habe ich festgestellt dass es noch immer Entführungen gibt in Nigeria.

F: Warum sollte man gerade Sie entführen?

A: Einige dieser Männer kennen mich und sie haben verlangt dass ich mich dieser Bande anschliessen soll. Ich möchte aber nicht solche Dinge tun.

F: Sonst befürchten Sie nichts?

A: Dann gibt es eine Befürchtung. Ich habe Jemanden Geld geliehen und habe das Geld nicht bekommen.

F: Wie viel Geld haben Sie hergeliehen?

A: 1.8 Millionen Naira.

F: Woher haben Sie soviel Geld?

A: Nein, sie haben mich falsch verstanden. Ich schulde diesem Mann Geld und ich hatte kein Geld und der Mann hat mir gedroht.

F: Um solchen Problemen zu entgehen hätten Sie ja die Möglichkeit in einer anderen Region Nigerias zu leben zum Beispiel in Lagos?

Anm.: Der AW gibt keine Antwort.

A: Oh mein Gott wovon reden sie?

F: Wollen Sie noch irgendetwas ergänzen?

A: Nein.

F: Wollen Sie Gründe geltend machen, die gegen eine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet sprechen? Haben Sie besondere Bindungen zu Österreich?

A: Nein, ich habe hier niemanden. Es will niemand etwas mit mir zu tun haben.

F: Liegt eine anderweitige Integrationsverfestigung Ihrer Person vor bzw. inwieweit würde ihr Privat- und Familienleben durch eine Aufenthaltsbeendende Maßnahme beeinträchtigt werden. Zum Beispiel besuchen Sie einen Sprachkurs, arbeiten Sie?

A: Ich arbeite nicht. Ich kann ein wenig Deutsch.

Ihnen werden die aktuellen Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat und auch die Behandlungsmöglichkeiten bei psychischen Erkrankungen in Nigeria übersetzt und nachweislich zur Kenntnis gebracht. Wollen Sie dazu eine Stellungnahme abgeben?

A: Ich weiß nicht was ich sagen soll.

Nach vollständiger Rückübersetzung durch den Dolmetscher um 09:43 Uhr.

F: Möchten Sie etwas korrigieren oder ergänzen?

A: Ich möchte nur sagen, nach Nigeria zu gehen wäre gefährlich für mich.

F: Wurde alles richtig aufgenommen?

A: Ja, alles ist richtig.

V: Sie haben keine asylrelevanten Fluchtgründe glaubhaft gemacht. Der Grund Ihres neuerlichen Asylantrages ist Ihre Erkrankung. Diese Erkrankung ist aber auch in Ihrem Heimatland behandelbar. Es wurden Ihnen die aktuellen Länderfeststellungen zur Kenntnis gebracht, dabei wurde insbesondere auf die Behandlungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Ihrer Erkrankung eingegangen. Möchten Sie sich dazu äußern?

A: Ich habe auch in T. schon gesagt, dass es auch in Österreich nicht einfach ist für mich. Mein Leben ist für mich wichtig. Ok, ich bin 5 Jahre hier und arbeite nicht. Ich leide sehr aber ich bin sicher hier.

F: Wollen Sie noch etwas ausführen? Haben Sie alles vorgebracht?

A: Ich bin fertig.

F: Gibt es noch etwas, dass Ihnen wichtig erscheint, und Sie noch ausführen möchten?

A: Es ist wichtig für mich, diese Krankheit die ich habe. Das letzte Mal als ich nach Wien gefahren bin und hatte meine Tabletten nicht mit, hatte ich große Probleme. Jemand hat mich ins Krankenhaus gebracht. Jetzt habe ich eine Strafe bekommen. 32.- Euro weil ich im Krankenhaus in Wien war.

F; Hat es während der Einvernahme Verständigungsprobleme mit dem Dolmetsch gegeben?

A: Nein.

Am 30.9.2011 wurde Ihnen die Entscheidung seitens des Asylgerichtshofes zugestellt.

Der AGH behob den Bescheid gem. § 66/2 AVG.

Am 20.11.2011 wurden Sie vom SPK K. wegen Verdacht des versuchten Mordes zur Anzeige gebracht.

Am 6.2.2012 langte im BAA das psychiatrisch - neurologische Gutachten von Dr. W. W., FA für Psychiatrie und Neurologie ein. Dieses Gutachten wurde von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt in Auftrag gegeben.

Am 8.3.2012 langte im BAA eine Stellungnahme des Anstaltsarztes der JA K. zu Ihrer Grunderkrankung und ein Schreiben des Anstaltspsychiaters ein."

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. März 2012 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 9. August 2010 gemäß "§ 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" und gemäß "§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG" als unbegründet ab; zugleich verfügte die belangte Behörde gemäß "§ 10 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG" die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 13. April 2012 das Rechtsmittel der Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Entscheidung über die Beschwerde gegen den angefochtenen

Bescheid:

A) 1. Feststellungen:

A) 1.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der am 16. Juni 2005 in das Bundesgebiet eingereiste Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria, volljährig und Christ. Er ist psychisch und physisch krank, insbesondere leidet er unter einer Sarkoidose der Lunge und Leber. Er verfügt im Bundesgebiet über keine familiären Anknüpfungspunkte.

Feststellungen zu seiner Identität - vor allem zu seinem Namen und seinem Geburtsdatum - können nicht getroffen werden.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 26. August 2009 wurde der Beschwerdeführer der versuchten Nötigung nach § 15 Abs. 1 und § 105 Abs. 1 StGB für schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt, da er Ärzte und Krankenpfleger durch die Äußerung "kill", wobei er diese Äußerung mit der Geste, die Kehle durchzuschneiden, untermauerte, sohin durch gefährliche Drohung zu seiner Entlassung aus dem Krankenhaus zu nötigen versuchte.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 14. März 2012 wurde der Beschwerdeführer der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB für schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 27 Monaten, von denen 18 Monate bedingt nachgesehen wurden, verurteilt, da er eine Person durch Messerstiche absichtlich schwer am Körper verletzte.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 24. Juni 2016 wurde der Beschwerdeführer wegen des gewerbsmäßigen, unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten, von denen acht Monate bedingt nachgesehen wurden, verurteilt.

Feststellungen zu seiner Identität - vor allem zu seinem Namen und seinem Geburtsdatum - können allerdings nicht getroffen werden.

Entgegen seinem Fluchtvorbringen wird der Beschwerdeführer in Nigeria nicht verfolgt, weil er sich für die Unabhängigkeit Biafras einsetzt. Feststellungen zu den Gründen, die den Beschwerdeführer letztlich zur Ausreise aus Nigeria bewogen haben, können nicht getroffen werden. Es kann daher auch nicht festgestellt werden, dass er in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde.

Überdies droht dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit kein ernsthafter Schaden, der durch das Verhalten des Staates oder von Dritten (Akteuren) verursacht wird oder von einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt ausgeht.

A) 1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Zur aktuellen Lage in Nigeria werden folgende Feststellungen getroffen:

"Politische Lage

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten und einen Bundeshauptstadtbezirk sowie 774 Local Government Areas (LGA/Bezirke) untergliedert. Die Bundesstaaten werden von direkt gewählten Gouverneuren regiert (AA 21.11.2016; vgl. AA 4.2017a; vgl. GIZ 7.2017a). Die Bundesstaaten verfügen auch über direkt gewählte Parlamente (AA 4.2017a).

Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Verfassung vom 29.5.1999 enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog), und orientiert sich insgesamt am System der USA. Einem starken Präsidenten, der zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, und einem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber (AA 21.11.2016; vgl. AA 4.2017a). In der Verfassungswirklichkeit dominiert die Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und die direkt gewählten Gouverneure. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität und häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Polizei und Justiz werden ebenfalls vom Bund kontrolliert (AA 21.11.2016).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich bei den meisten der ca. 50 kleineren Parteien an Führungspersonen. Loyalitäten gegenüber der eigenen ethnischen Gruppe bzw. gegenüber Personen gehen anderen Loyalitäten vor; entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 21.11.2016).

Die Wahlen von Präsident und Nationalversammlung 2015 und die seitdem stattgefundenen

Wahlen der Gouverneur- und Landesparlamente in 31 von 36 Bundesstaaten haben die politische Landschaft in Nigeria grundlegend verändert. Die seit 2013 im All Progressives' Congress (APC) vereinigte Opposition gewann neben der Präsidentschaftswahl eine klare Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments und regiert nun auch in 23 der 36 Bundesstaaten. Die seit 1999 dominierende People-s Democratic Party (PDP) musste zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung stark geschwächt. Lediglich in den südöstlichen Bundesstaaten des ölreichen Niger-Deltas konnte sie sich als Regierungspartei behaupten (AA 21.11.2016).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 28.3.2015 besiegte der frühere Militärmachthaber und Kandidat der Opposition, Muhammadu Buhari, den bisherigen Amtsinhaber Goodluck Jonathan mit 54,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Bei diesen Wahlen, die von der internationalen Öffentlichkeit als beispielhaft für die Demokratie Afrikas gelobt wurden, kam es zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit Nigerias zu einem demokratischen Machtwechsel (GIZ 7.2017a). Der APC gewann die Gouverneurswahlen in 20 von 29 Bundesstaaten. Er stellt in den 36 Bundesstaaten derzeit 24 Gouverneure, die PDP 11 und All Progress Grand Alliance (APGA) einen Gouverneur. Unter den 36 Gouverneuren ist weiterhin keine Frau. Die Wahlen vom März/April 2015 wurden sowohl in Nigeria als auch von internationalen Wahlbeobachtern trotz organisatorischer Mängel als im Großen und Ganzen frei und fair bezeichnet. Die Spitzenkandidaten Jonathan und Buhari hatten sich in einer Vereinbarung (Abuja Accord) zur Gewaltlosigkeit verpflichtet. Dies und die Tatsache, dass Präsident Jonathan seine Wahlniederlage sofort anerkannte, dürfte größere gewalttätige Auseinandersetzungen verhindert haben. Die Minister der Regierung Buhari wurden nach einem längeren Sondierungsprozess am 11.11.2015 vereidigt (AA 4.2017a).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein (AA 4.2017a).

Fast im ganzen Norden Nigerias ist das System der LGA kollabiert. Große Teile kamen unter Kontrolle von Milizen und lokalen "Strongmen", die den politischen und sozio-ökonomischen Raum ausfüllen. Dies führte zur Vertiefung lokaler und regionaler Missstände (BS 2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Nigeria - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 6.7.2017

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Nigeria Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Nigeria.pdf, Zugriff 6.7.2017

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (7.2017a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 2.8.2017

Sicherheitslage

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete und keine Bürgerkriegsparteien (AA 21.11.2016). In drei Gebieten herrschen Unsicherheit und Spannungen: im Nordosten (islamistische Gruppe Boko Haram); im Middle Belt (v.a. im Bundesstaat Plateau); und im Nigerdelta (SBM 17.1.2017). Laut SBM Intel war Boko Haram im Jahr 2016 für 71 Vorfälle mit 1.240 Toten verantwortlich. Den Fulani-Hirten werden für das Jahr 2016 47 Vorfälle mit 1425 Toten zugeschrieben. Viehdiebstahl, welcher für viele Jahre an Bedeutung verloren hat, ist inzwischen für Hirten, die hauptsächlich von Fulani abstammen, ein Grund für Konflikte und Angriffe geworden. Bei zwölf Vorfällen von Viehdiebstahl sind 470 Menschen getötet worden. Die Ölkonflikte, die sich im Jahr 2016 im Nigerdelta zugetragen haben, haben sich auf die ölproduzierenden Bundesstaaten im Südwesten und Südosten verbreitet. Bei 32 Vorfällen wurden 97 Menschen getötet (SBM 17.1.2017).

Es besteht aufgrund wiederholter Angriffe und Sprengstoffanschläge militanter Gruppen (Boko Haram, Ansaru) derzeit ein sehr hohes Anschlagsrisiko insbesondere für Nord- und Nordostnigeria, einschließlich für die Hauptstadt Abuja. In mehreren Städten Nord- und Nordostnigerias finden immer wieder Gefechte zwischen Sicherheitskräften und militanten Gruppen statt. Angehörige der Sicherheitskräfte, Regierungsstellen, christliche Einrichtungen - aber auch Einrichtungen gemäßigter Moslems - sowie Märkte, Wohnviertel und internationale Organisationen sind Anschlagsziele der militanten Gruppen. Drohungen bestehen gegen moslemische Einrichtungen im Süden (BMEIA 24.7.2017).

Das deutsche Auswärtige Amt warnt vor Reisen in die nördlichen Bundesstaaten Borno, Yobe, Adamawa, Bauchi und Gombe. Darüber hinaus wird auch von nicht notwendigen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias abgeraten. Wegen des besonders hohen Entführungsrisikos wird außerdem von Reisen in die Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Imo (insb. Hauptstadt Owerri), Abia, Anambra, Ebonyi, Edo, Enugu, Delta, Kogi, den südlichen Teil von Cross Rivers, Ogun und Akwa Ibom abgeraten (AA 24.7.2017). Auch das österreichische Außenministerium warnt vor Reisen in die Bundesstaaten Borno, Yobe, Adamawa, Plateau sowie den südlichen Landesteil von Bauchi und Kano. Mit Gewaltausbrüchen in allen zwölf nördlichen Bundestaaten ist jederzeit zu rechnen (BMEIA 24.7.2017). Das britische Außenministerium warnt zusätzlich noch vor Reisen in die Flussgegenden der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom und Cross River States sowie an die Grenze zu Niger im Bundesstaat Zamfara (UKFCO 24.7.2017).

Das österreichische Außenministerium hat für folgende Bundesstaaten eine partielle Reisewarnung ausgesprochen: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bayelsa, Delta, Ebonyi, Edo, Ekiti, Enugu, Imo, Kaduna, Kano, Oyo, Ondo, Rivers, einschließlich Port Harcourt und die vorgelagerten Küstengewässer (BMEIA 24.7.2017). Das britische Außenministerium warnt vor unnötigen Reisen nach: Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia sowie an die Grenze zu Niger in Sokoto und Kebbi und die Trockengebiete von Delta, Bayelesa und Rivers (UKFCO 24.7.2017). In Nigeria können in allen Regionen meist kaum vorhersehbar lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe dafür sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Meist sind diese Auseinandersetzungen von kurzer Dauer (wenige Tage) und örtlich begrenzt (meist nur einzelne Orte, in größeren Städten nur einzelne Stadtteile) (AA 24.7.2017).

In Lagos kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Ethnien, politischen Gruppierungen aber auch zwischen Militär und Polizeikräften (BMEIA 24.7.2017) bzw. zu Problemen (u.a. Mobs, Plünderungen) durch die sogenannten "Area Boys". Der Einsatz von Schlägertruppen und privaten Milizen zur Erreichung politischer oder wirtschaftlicher Ziele ist weit verbreitet (AA 21.11.2016).

Gemäß den Zahlen des Council on Foreign Relations für die Zeitspanne Jänner 2016 bis Juni 2017 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.097), Benue (754), Rivers (360), Zamfara (308) und Adamawa (201). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer relativ niedrigen Zahl hervor: Jigawa (2), Gombe (3), Kebbi (7) und Sokoto (8) (CFR 2017). Laut OSAC besteht eine erhebliche terroristische Bedrohung vor allem in Nordnigeria. Boko Haram hat für die meisten terroristischen Aktivitäten die Verantwortung übernommen. In der gesamten Nigerdelta-Region greifen mehrere aufständische Gruppen gezielt die Infrastruktur und Mitarbeiter von internationalen Ölgesellschaften an. Viele Gebiete im südlichen Nigeria erleben aufgrund großer Armut, mangelnder Bildung, Jugendarbeitslosigkeit und bedeutender Inflation Unruhen verursacht durch Zivilisten (OSAC 4.7.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria

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AA - Auswärtiges Amt (24.7.2017): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/NigeriaSicherheit.html, Zugriff 24.7.2017

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BMEIA - Außenministerium (24.7.2017): Reiseinformationen - Nigeria,

http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/buergerservice/reiseinformation/a-z-laender/nigeria-de.html, Zugriff 24.7.2017

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CFR - Council on Foreign Relations (2017): Nigeria Security Tracker, http://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 25.7.2017

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OSAC - Overseas Security Advisory Council (4.7.2017): Nigeria 2017 Crime and Safety Report - Abuja, https://www.osac.gov/pages/ContentReportDetails.aspx?cid=21604, Zugriff 25.7.2017

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SBM - SBM Intel (7.1.2017): A Look at Nigeria's Security Situation,

http://sbmintel.com/wp-content/uploads/2016/03/201701_Security-report.pdf, Zugriff 24.7.2017

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UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (24.7.2017): Foreign Travel Advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 24.7.2017

Nigerdelta

Das Nigerdelta, welches die Bundesstaaten Ondo, Edo, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo, Abia, Akwa Ibom und Cross River umfasst, sorgt mit seinen Öl- und Gasreserven für 95 Prozent der Exporterlöse Nigerias (DACH 2.2013; vgl. OP 22.6.2017).

Die Lage im Nigerdelta hat sich seit November 2016 wieder beruhigt, ist aber noch nicht vollständig stabil und bleibt volatil; die Bedrohung der dort angesiedelten Öl- und Gasförderung durch militante Gruppen und Piraten bleibt ein Risiko, ebenso wie die Verschlechterung der ökologischen Grundlagen der Region (AA 4.2017c). Es gab eine Reihe von Angriffen auf die Ölinfrastrukturen, so zum Beispiel übernahm im Mai 2016 die aufständische Gruppe Niger Delta Avengers die Verantwortung für mehrere Angriffe auf die Ölgiganten Chevron, Shell und Nigerian National Petroleum Company (N24 29.5.2016). Ende August 2016 gaben die Niger Delta Avengers bekannt, dass die Gruppe die Feindseligkeiten einstellt und zum Dialog mit der Regierung bereit sei (NW 30.8.2016). Die Delta Avengers haben mit ihren Angriffen aufgehört, um den Friedensgesprächen eine Chance zu geben. Allerdings hat sich eine neue Gruppe, die sich die "New Delta Avengers" nennen, gebildet (Reuters 14.6.2017; vgl. NW 29.6.2017). Der Vizepräsident, Yemi Osinbajo, hat dem Nigerdelta bereits mehrere Besuche abgestattet und sich dabei mit traditionellen Führern und lokalen Politikern getroffen, um die Lage zu besprechen (FT 9.4.2017).

Entführungen sind besonders häufig im Nigerdelta und in den südöstlichen Bundesstaaten Abia, Imo und Anambra. Politiker, Reiche und Ausländer waren die häufigsten Opfer (FH 1.2017).

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt gegenüber der Regierung durchzusetzen (AA 21.11.2016).

2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar'Adua mit dem Amnestieangebot für die Militanten im Niger-Delta eine Beruhigung des Konflikts. Unter Buhari lief das Programm am 15.12.2015 aus. Damit begannen wieder die Angriffe auf die Ölinfrastruktur und die Produktion brach ein. Die Regierung scheint vornehmlich auf eine militärische Lösung zu setzen (AA 21.11.2016). Mit dem Amnestieprogramm gingen Kriminalität und Gewalt im Süden zunächst merklich zurück. Allerdings steigen Kriminalität und Gewalt in letzter Zeit wieder an. Deshalb hat die Regierung Buhari im Februar 2016 beschlossen, das Ende 2015 ausgelaufene Amnestieprogramm um weitere zwei Jahre bis 2017 zu verlängern (AA 4.2017a).

Bei den bewaffneten Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelt es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen und der Staatsgewalt, als auch um Rivalitäten zwischen den unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Interessen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen. Abgelegene Gebiete im Nigerdelta sind bis heute teils unter Kontrolle von separatistischen und kriminellen Gruppen. Teile des unzugänglichen Gebiets stellen weiterhin einen weitgehend rechtsfreien Raum dar, in dem die Einflussmöglichkeiten staatlicher Ordnungskräfte begrenzt sind (AA 21.11.2016). Das UK Home Office berichtet, dass laut DefenceWeb eine Joint Task Force (JTF) 2013 eingerichtet wurde, um den Terrorismus und andere Bedrohungen im Nigerdelta zu bekämpfen (UKHO 8.2016a). Die JTF, auch Operation Pulo Shield genannt, wurde im Juni 2016 umstrukturiert und mit der neuen Operation Delta Safe ersetzt, damit die derzeitigen Sicherheitsprobleme im Nigerdelta angegangen werden können (PT 22.6.2016; vgl. auch NT 9.7.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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