Entscheidungsdatum
21.02.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W240 2184955-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.12.2017, Zl. 1112995200-160599646, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.02.2019, zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG
2005 idgF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsbürgerin von Somalia, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte am 27.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 28.04.2016 wurde sie einer Erstbefragung unterzogen. Sie gab an im Wesentlichen an, sie gehöre dem Clan der Ashraaf an und stamme aus XXXX . Ihr Ehemann lebe seit drei Jahren in Österreich. Als Fluchtgrund gab sie insbesondere an:
"VP: Mein Vater wollte, dass ich 2010 (mit 13 Jahren) einen 60-jährigen reichen Mann heirate, der bereits mit zwei Frauen verheiratet war. Ich und meine Mutter waren dagegen, darum haben meine Mutter und mein Vater gestritten. Daraufhin brachte mich meine Mutter zu meinen Verwandten nach Äthiopien. Dort lebte ich mit meiner Tante bis 2016. Dort habe ich meinen Ehemann kennengelernt und habe 2015 geheiratet. Die Tante ist dann nach Kanada gereist. Da ich jetzt dort niemanden mehr habe, habe ich entschlossen, dass ich zu meinem Mann nach Österreich fahr."
Am 29.09.2016 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Insbesondere Fragen zum Dublinverfahren). Die Beschwerdeführerin wurde insbesondere zu Ihrer Reiseroute befragt und führte an, dass Sie die Zulassung des Asylverfahrens in Österreich beantrage, weil Ihr Ehemann hier lebe.
Nach Zulassung des Verfahrens wurde die Beschwerdeführerin am 11.12.2017 vom BFA einvernommen und gab im Wesentlichen folgende entscheidungswesentlichen Angaben:
"(...)
LA: Nennen Sie bitte nochmals Ihren Namen, Ihr Geburtsdatum und Ihre Staatsangehörigkeit.
VP: Ich heiße XXXX und ich wurde am XXXX geboren. Ich wurde in Lower Shabelle, XXXX geboren.
Befragt zur nächstgelegenen Stadt von meinem Geburtsort gebe ich an, dass ich mit 13 Jahren Somalia verlassen habe. Ich kann dazu nichts sagen. Ich war klein, als ich Somalia verlassen habe. Ich wohnte im Bezirk XXXX .
(...)
LA: Welche Schulbildung haben Sie?
VP: In XXXX war ich in einer Koranschule. Ich habe dort Arabisch gelernt und auch normale Sachen. Ich habe sieben Jahre die Schule in Somalia besucht. Die Schule besuchte ich im Bezirk XXXX .
LA: Welcher Volks- und Glaubensgruppe gehören Sie an?
VP: Ich gehöre den Ashraaf an und ich bin Sunnitin.
(...)
LA: Wie ist Ihr Familienstand?
VP: Ich bin verheiratet.
LA: Wie erfolgte die Eheschließung? (traditionell, standesamtlich; falls traditionell - wurde sie beim Amt registriert?)
VP: Wir haben in Äthiopien geheiratet. Wir wurden traditionell von einem Sheik verheiratet, aber ich bin dann zur somalischen Botschaft und habe das dann registrieren lassen. Die Botschaft selbst konnte das nicht machen.
Befragt, wann die Eheschließung erfolgte, gebe ich an, dass wir am XXXX .2015 heirateten.
LA: Geben Sie bitte die Personendaten Ihres Ehemannes bekannt.
VP: Er heißt XXXX .
Befragt zu dem anderslautenden Vornamen in der Heiratsurkunde gebe ich an, dass das "l" vergessen wurde.
LA: Ihnen wird hiermit zur Kenntnis gebracht, dass in Ihrem Fall kein Familienverfahren zur Anwendung gelangt, erfolgte Ihre Eheschließung erst nach der Einreise des Herrn XXXX in Österreich.
(...)
LA: Mit wem haben Sie in XXXX zusammen in einem Haushalt gewohnt?
VP: Mit meinen Eltern und mit meinen sechs Brüdern und mit meiner Schwester.
LA: Bis wann waren Sie an der Adresse in XXXX aufhältig?
VP: Bis zu meinem 13. Lebensjahr.
Befragt zu einem genauen Datum gebe ich an, dass es 2010 war. Genauer kann ich es nicht sagen.
Nachgefragt gebe ich an, dass es ca. Mitte des Jahres war.
LA: Wann haben Sie Ihr Heimatland verlassen?
VP: Ich kann nur sagen, dass es 2010 war.
LA: Sie sind in der Lage sehr genau anzugeben, dass Sie eine Woche vor Ihrer Ausreise in Mogadischu waren. Alle restlichen Zeitangaben sind sehr vage. Wie kommt es dazu?
VP: Der Grund, warum ich das so genau weiß, ist, dass ich an einem Freitag in Mogadischu angekommen bin und an einem Freitag abgefahren bin.
LA: Mit wem gemeinsam verließen Sie Ihr Heimatland?
VP: Mit meiner Mutter.
LA: Wie war es Ihnen möglich als Angehörige einer Minderheit Ihr Land zu verlassen? Es bedarf eines enormen finanziellen Aufwandes. Wie ist Ihnen das gelungen?
VP: Meiner Mutter hat das alles erledigt und ich weiß nicht, wie sie das machte.
LA: Hat Ihre Familie irgendwelche Besitztümer in Ihrem Heimatland, z. B. Häuser, Grundstücke etc.?
VP: Wir haben nichts außer dem Haus und einem Grundstück.
(...)
LA: Sie haben nunmehr die Möglichkeit, Ihre Beweggründe für das Verlassen Ihrer Heimat ausführlich darzulegen. Bitte schildern Sie möglichst lebensnahe, also konkret und mit sämtlichen Details, sodass auch unbeteiligte Personen Ihre Darstellung nachvollziehen können, aus welchem Grund Sie Ihr Heimatland verließen.
VP: Ich wollte einen Beruf erlernen und eine gute Zukunft haben. Es gab einen älteren Mann, der bekannt in der Stadt war und der sehr vermögend war. Er hatte zwei Ehefrauen. Dieser Mann kam zu meinem Vater, bot ihm Geld, dass ich ihn heirate. Mein Vater hat die männlichen Verwandten informiert und die waren einverstanden. Meine Mutter war dagegen. Es kam zu einem Streit zwischen meiner Mutter und meinem Vater. Meine Mutter wollte meine Zukunft nicht gefährden und dass ich meine Zukunft mit einem älteren Mann vergeude.
Eines Tages sagte sie, dass wenn ich den Mann heiraten möchte, ich ihr es sagen soll und wenn nicht, soll ich ihr das auch sagen.
Ich sagte, dass ich etwas lernen und nicht gleich heiraten will. Sie brachte mich nach Äthiopien zu einer Frau. Diese wartete auf ein Visum aus Canada. Meine Mutter sagte, dass ich bei ihr bleiben soll, solange sie da ist. Die Mutter musste nach Somalia zurück, da sie noch kleine Kinder hatte. Die Mutter erkundigte sich telefonisch, wie es mir geht. Die Frau erzählte mir, dass meine Eltern sich scheiden gelassen haben. Ich sprach dann selbst mit ihr und sagte ihr, dass es egal ist, dass er wieder neu geheiratet hat. Meine Mutter soll sich dann um die anderen Kinder kümmern. Ich begann in einem kleinen Café zu arbeiten. So verdiente ich meinen Lebensunterhalt bis eines Tages das Visum für Canada kam und die Frau ist dann nach Canada, gemeinsam mit den Kindern abgereist. Ich musste ausziehen. In der Nacht schlief ich in der Moschee und am Tag arbeitete ich.
Ich lernte dann meinen Mann kennen. Im Internet, am 18.12.2012. Ich erzählte ihm, dass ich keine Bleibe habe und da ich illegal in Äthiopien war, hat man mich verhaftet. Ich war auch nicht bei der UNO registriert.
Bevor die Frau nach Canada gefahren ist, rief sie bei meiner Mutter an, dass sie mich abholen soll. Meine Mutter ist aber nicht gekommen. Ich versuchte zweimal meine Mutter zu erreichen. Habe dann aber meinen Bruder erreicht. Mein Bruder sagte, dass ich Schande über die Familie gebracht habe und ich dem Mann versprochen war. Mein Bruder sagte, dass er mich töten würde, wenn ich nach Hause zurückkehre. Ich bin aus Angst nicht zurückgekehrt.
Befragt gebe ich an, dass ich im Falle einer etwaigen Rückkehr konkret befürchte, dass ich gezwungen werden könnte, einen anderen zu heiraten. Sie sind mit meinem Mann und dem Kind nicht einverstanden. Als ich das erste Mal gesagt habe, dass ich diesen Mann nicht heiraten werde, wurde ich von meinem Bruder mit einer Stange geschlagen. Die Schmerzen habe ich noch immer.
LA: Schildern Sie mit sämtlichen Details, um wen es sich bei jenem Mann gehandelt hat, den Sie heiraten hätten sollen.
VP: Es war ein älterer Mann mit zwei Ehefrauen. Er hat Kinder, die älter sind als ich. Warum soll ich einen Mann heiraten, dessen Kinder älter sind als ich. Er war auch ein Mann der Al Shabaab. Er hat seine Frauen misshandelt.
Befragt zu seinem Namen gebe ich an, dass er XXXX geheißen hat.
Befragt zu seinem Alter gebe ich an, dass er vielleicht 60 Jahre alt war.
Befragt zu seinem Beruf gebe ich an, dass er ein wohlhabender Geschäftsmann war.
Befragt zu den Geschäften gebe ich an, dass er viele Geschäfte hatte. Für Nahrungsmittel, für Bekleidung.
Befragt zu seiner Funktion bei Al Shabaab gebe ich an, dass er Al Shabaab finanziell unterstützt hat.
Befragt zu seiner Volksgruppe gebe ich an, dass er der Volksgruppe der Darod angehörte.
LA: Warum wollte dieser Mann, ausgerechnet Sie zur Frau haben?
VP: Das weiß ich nicht. Männer suchen sich aus, wen sie wollen.
(...)
LA: Dieser Mann muss sehr geduldig sein, hatte er doch bereits Geld für die Eheschließung bezahlt. Wollte er während der 8 Monate nicht sein Geld zurück?
VP: Es wurde mehrmals versucht, dass es zur Hochzeit kam. Einmal ist mein Großvater gestorben und einmal hat sich mein Bruder die linke Hand verletzt. Man hat zweimal die Heirat verschoben.
LA: Aber Sie hatten der Heirat noch nicht zugestimmt.
VP: Es ist egal, was ich sagte. Mein Vater hat schon das Geld genommen.
LA: Wann ließen sich Ihre Eltern scheiden?
VP: Das war 2013. Ich glaube, es war April.
LA: Wann hat Ihre Mutter nach der Scheidung das Haus verlassen?
VP: Nicht sie, er hat das Haus verlassen, da sie Kinder hatte.
LA: Wie kam es dazu, dass Sie mit Ihrem Bruder telefonierten?
VP: Ich wollte mit meiner Mutter telefonieren. Ich hatte weder Kontakt zu meinem Vater noch zu ihm. Meine Mutter hatte keine Macht im Haus. Mein Vater und mein Bruder bestimmten. Mein Vater hat die Mutter herumkommandiert.
LA: Aber sie muss schon stark gewesen sein, ließ sie sich doch scheiden.
VP: Ja, später.
LA: War es dann nicht riskant bei Ihrer Mutter anzurufen?
VP: Die Familie wusste nicht genau, wo ich mich befinde.
LA: Glauben Sie nicht, dass die männlichen Verwandten versucht hätten, Ihre Mutter unter Druck zu setzten.
VP: Ja, aber sie hat nichts gesagt.
LA: Wann wurden Sie von Ihrem Bruder mit dem Umbringen telefonisch bedroht?
VP: Im Jänner 2013.
LA: Warum sollten Sie von Ihrem Bruder noch verfolgt werden? Das Geld für Ihre Heirat hatte er bekommen. Er hätte nur XXXX mit dem Vater verlassen müssen.
VP: Weil, wie gesagt, ich die Ehre verletzt habe. Die Ehre wiederherzustellen, ist nicht so leicht.
LA: Wie war es Ihrer Mutter möglich, die Ehre der Familie wiederherzustellen. Sie hat sich wegen Ihnen gegen den Ehemann gestellt und Ihnen zur Flucht verholfen.
VP: Deshalb hat er sich scheiden lassen. Er hat sich scheiden lassen, weil sie gegen ihn gesprochen hat.
(...)"
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.12.2017,
Zl. 1112995200-160599646, wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchteil II. jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und unter Spruchteil III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.12.2018 erteilt.
In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und Feststellungen zu Somalia getroffen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin einer individuell gegen ihre Person gerichtete Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, etc. zu befürchten gehabt hätte oder habe. Es hätte keine asylrelevante Gefährdung für die Person der Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr nach Somalia festgestellt werden können. Es hätte jedoch ein Abschiebungshindernis festgestellt werden können. Eine Gefährdung der Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr nach Somalia sei anzunehmen. Der Beschwerdeführerin sei derzeit die Rückkehr in die Heimat nicht zumutbar.
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller fristgerecht gegen den (abweisenden) Spruchpunkt I. Beschwerde. Zusammengefasst wurde darin ausgeführt, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft wäre, die Länderfeststellungen seien unvollständig und das BFA habe sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt. Es sei insbesondere zur Situation von Frauen in Somalia weitere Feststellungen erforderlich. Es seien Feststellungen zu somalischen Frauen und deren Gefährdungslage in IDP-Zentren nötig. Es werde lediglich das Fluchtvorbringen als unglaubwürdig erachtet, die Beweiswürdigung sei jedoch aktenwidrig und unschlüssig. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin sei auf Nachfragen und nach Vorhalt von Widersprüchen substantiiert. Die Beschwerdeführerin gehöre einem Minderheitenclan an und gehöre der sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen an, denen sexuelle Übergriffe oder Zwangsverheiratung drohen, weil kein effizienter Schutz im Herkunftsland zu erwarten sei.
4. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für den 01.02.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung an, in der die Beschwerdeführerin, vertreten durch eine Vertreterin der ARGE, einvernommen wurde.
Ergänzend zu dem bereits übermittelten Länderinformationsblatt wurde dem Beschwerdevorbringen entsprechend Dokumente zu Minderheitenclans und zu Zwangsverheiratung zur Kenntnis gebracht.
Die Beschwerdeführerin gab im Rahmen der Beschwerdeverhandlung insbesondere an, sie gehöre dem Clan der Ashraaf - XXXX an und sie sei, als sie XXXX verlassen hatte, sieben Tag in Mogadishu gewesen, bevor sie nach Äthiopien gelangt sei. In Somalia habe ihre Familie von den Tätigkeiten des Vaters und des älteren Bruders in der Landwirtschaft den Lebensunterhalt bestritten. Sie habe 2010 mithilfe ihrer Mutter ausreisen können aus Somalia. Seit 2013 habe sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie. Ihr Vater soll sich von ihrer Mutter scheiden gelassen haben, habe sie gehört. Sie wisse lediglich, dass ein Onkel väterlicherseits in XXXX lebe, zu diesem bestehe kein Kontakt.
5. Am 15.02.2019 langte eine mit 14.02.2019 datierte Stellungnahme zu den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten ein. Es wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin als Angehörige des Minderheitenclans der Ashraf im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausführlich und lebensnah geschildert habe, wie sie in ihrer Heimat gezwungen hätte werden sollen, einen älteren Mann zu heiraten. Um sich der Zwangsverheiratung zu widersetzen habe die Beschwerdeführerin flüchten müssen. Den Kontakt zu ihrer Familie habe die Beschwerdeführerin verloren. Nach ihrer Flucht habe sie ohne Zustimmung ihrer Familie bzw. ihren männlichen Familienangehörigen geheiratet. Mit ihrem in Österreich asylberechtigten Ehemann XXXX habe sie einen gemeinsamen Sohn. In Somalia fürchte die Beschwerdeführerin, die sich einer Zwangsheirat entzogen habe und im Ausland entgegen der in ihrem Clan herrschenden Traditionen ohne Zustimmung ihres männlichen Vormundes eine Familie gegründet habe, Verfolgung durch nicht-staatliche Akteure, insbesondere ihre männlichen Familienangehörigen. Sie fürchte einerseits für ihr Verhalten bestraft zu werden, andererseits neuerlich entgegen ihren Willen zwangsverheiratet zu werden. Zudem fürchte sie als alleinstehende Frau und Angehörige eines Minderheitenclans, Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden. Ein staatlicher Schutz vor dieser Verfolgung sei in Somalia nicht zu erwarten. Die Länderberichte würden die generell untragbare Situation von (insbesondere alleinstehenden) Frauen in Somalia sowie den fehlenden staatlichen Schutz hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt belegen. Die Beschwerdeführerin sei eine alleinstehende Frau ohne familiären bzw. Clanschutz und sei die Lage von Frauen in Somalia prekär, was auch durch das Länderinformationsblatt belegt werde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin ist somalische Staatsbürgerin, sie gehört dem Clan der Ashraaf - XXXX an und lebte bis zur Ausreise in XXXX , ihre Ausreise aus Somalia im Jahr 2010 erfolgte über Mogadishu nach Äthiopien, wo sie bis 2016 lebte. Der im Spruch angeführte Namen wird als der Name der Beschwerdeführerin festgestellt. In Somalia hat ihre Familie von den Tätigkeiten des Vaters und des älteren Bruders in der Landwirtschaft den Lebensunterhalt bestritten. Seit 2013 hat die Beschwerdeführerin keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie, sie habe einzig erfahren, dass sich ihr Vater von ihrer Mutter scheiden ließ.
Die Beschwerdeführerin hat im XXXX in Äthiopien geheiratet, dieser verfügt in Österreich seit 16.10.2013 über einen Asylstatus. Dem am XXXX .2017 geborene gemeinsame Sohn der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes wurde im Familienverfahren im Bezug zum Vater am 20.03.2017 in Österreich der Asylstatus zuerkannt.
Es wird nicht festgestellt, dass die Beschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr eine Zwangsheirat droht, vor welcher sie im Jahr 2010 aus Somalia geflüchtet sei laut eigenen Angaben.
Festgestellt wird, dass der beschwerdeführenden Partei als alleinstehende Frau, die über keine familiären und sozialen Anknüpfungspunkte in Somalia verfügt und welche keinem Mehrheitsclan angehört, in Somalia eine reale geschlechtsspezifische Gefährdung droht. Der Ehemann der Beschwerdeführerin ist ein somalischer Staatsangehöriger, dem eine Rückkehr nach Somalia nicht möglich ist, insbesondere verfügt er über einen Asylstatus in Österreich. Im Detail wäre die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr somit als eine alleinstehende Frau anzusehen. Sie hat keinen Kontakt zu Familienangehörigen in Somalia und hat keine Kenntnis darüber, ob ihre Familienangehörigen noch in Somalia leben, weshalb sie zu diesen nicht zurückkehren kann. Für die Beschwerdeführerin besteht ein ernstzunehmendes Risiko, sich im Falle einer Rückkehr in einem IDP-Lager wiederzufinden.
Festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin keinerlei familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte hat in Somalia und geschlechtsspezifischer Verfolgung im Falle einer Rückkehr ausgesetzt wäre. Auch könnte die Beschwerdeführerin keinen Clanschutz in Anspruch nehmen, weil sie keinem Mehrheitsclan angehört und das patriarchalische Clansystem Frauen wie der Beschwerdeführerin keinen Schutz bietet. Die Lösung bei Vergewaltigungen besteht entweder in einer Ehe zwischen Opfer und Täter oder in einer Kompensationszahlung an den Clan der Frau. Bei einer Anzeige haben Frauen auch mit möglichen Repressalien rechnen.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr nach Somalia die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung sowie geschlechtsspezifische Verfolgung droht. Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt der Beschwerdeführerin als alleinstehende Frau eines Minderheitenclans ohne familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte in Somalia nicht zu. Sie hätte im Falle einer Rückkehr die bereits erwähnten frauenspezifischen Verfolgungshandlungen zu befürchten.
Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Zu Somalia wird Folgendes verfahrensbezogen festgestellt:
Relevanter Auszug aus dem Dokument Focus Somalia: Clans und Minderheiten vom 31.05.2017:
In Somalia gilt ferner das System von " hosts and guests." Demnach sind Personen, die sich ausserhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. In Mogadischu gelten etwa Angehörige der Isaaq, Rahanweyn und Darod als " Gäste", die mit den dominanten Hawiye/Abgaal eine Vereinbarung treffen müssen. Eine Quelle der Fact-Finding Mission gab dazu an: " You lose your privileges when you are not in your area. A Habr Gedir is weak in Kismayo." Dies gilt auch für Binnenvertriebene. Sie unterhalten in ihren Lagern zwar eigene Führungsstrukturen, diese sind aber schwächer als die Clanstrukturen. Es gibt jeweils einen großen Anteil Frauen und Minderheiten-Angehörige. Beide Gruppen sind besonders verletzlich, Clan-Schutz ist für sie schwer zugänglich. Binnenvertriebene werden darum häufiger Opfer von Vergewaltigungen, Erpressung und Zwangsarbeit.
Quelle: Gundel, Joakim, Nairobi. Clans in Somalia. Report on a Lecture by Joakim Gundel. Dezember 2009. S. 23.
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1261130976_accord-report-clans-in-somalia-revised-edition-20091215.pdf (18.05.2017).
18. Relevante Bevölkerungsgruppen
18.1. Frauen
Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe - insbesondere in IDP-Lagern - ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.1.2017).
Die somalische Regierung hat 2014 einen Aktionsplan zur Bekämpfung sexueller Übergriffe verabschiedet. Die Implementierung geschieht jedoch sehr langsam (ÖB 9.2016). Außerdem wurde im Mai 2016 ein Nationaler Gender Policy Plan verabschiedet. Dieser Plan wurde von der Somali Islamic Scholars Union verurteilt; der Somali Religious Council hat die vorgesehene 30%-Quote für Abgeordnete im somalischen Parlament als gefährlich bezeichnet (USDOS 3.3.2017).
Auch wenn Gewalt gegen Frauen in der Verfassung verboten ist (USDOS 3.3.2017), bleiben häusliche (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 1.1.2017, ÖB 9.2016) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem (UNSC 5.9.2017). Generell grassiert sexuelle Gewalt ungebremst. Im Zeitraum September 2016 bis März 2017 wurden von UNSOM alleine in den von der Dürre betroffenen Gebieten 3.200 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert (UNHRC 6.9.2017). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, UNSC 5.9.2017). Im Jahr 2015 waren 75% der Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt IDPs (ÖB 9.2016). Die IDP-Lager bieten kaum physischen oder Polizeischutz (UNSC 5.9.2017). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (USDOS 3.3.2017). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten und Milizionäre (HRW 12.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, ÖB 9.2016). Im ersten Trimester 2017 wurden 28 Fälle von konfliktbezogener sexueller Gewalt dokumentiert, im letzten Trimester 2016 waren es 13. Dieser Anstieg kann vermutlich mit der wachsenden Zahl an Dürre-bedingten IDPs erklärt werden (UNSC 9.5.2017). Von staatlichem Schutz kann - zumindest für die am meisten vulnerablen Fälle - nicht ausgegangen werden (HRW 12.1.2017; vgl. ÖB 9.2016).
Vergewaltigung ist zwar gesetzlich verboten (AA 1.1.2017), die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 3.3.2017). Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia dennoch rar (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016, USDOS 3.3.2017). Generell herrscht Straflosigkeit, bei der Armee wurden aber einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 3.3.2017). Manchmal verlangt die Polizei von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen. Frauen fürchten sich davor, Vergewaltigungen anzuzeigen, da sie mit möglichen Repressalien rechnen (USDOS 3.3.2017).
Al Shabaab hat Vergewaltiger zum Tode verurteilt (USDOS 3.3.2017). Andererseits gibt es Berichte die nahelegen, dass sexualisierte Gewalt von der al Shabaab gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 1.1.2017).
Auch traditionelle bzw. informelle Streitschlichtungsverfahren können das schwache Durchgreifen des Staates nicht ersetzen, da sie dazu neigen, Frauen zu diskriminieren und Täter nicht zu bestrafen (ÖB 9.2016). Dabei werden Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe meist vor traditionellen Gerichten abgehandelt, welche entweder eine Kompensationszahlung vereinbaren oder aber eine Ehe zwischen Opfer und Täter erzwingen (USDOS 3.3.2017; vgl. UNHRC 6.9.2017). Auch Gruppenvergewaltigungen werden hauptsächlich zwischen Ältesten verhandelt. Die Opfer erhalten keine direkte Entschädigung, diese geht an die Familie (UNHRC 6.9.2017). Das patriarchalische Clansystem und xeer an sich bieten Frauen keinen Schutz. Wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß xeer gesühnt, dann wird zwar die Familie des Opfers finanziell kompensiert, der Täter aber nicht bestraft (SEM 31.5.2017).
In Puntland wurde im Jahr 2015 ein Gesetz gegen Vergewaltigung in Kraft gesetzt. Mit diesem Gesetz wurde die formelle Justiz als relevanter Apparat zur Prozessführung bei Vergewaltigungen eingesetzt. Die Frage darüber, ob ein Verfahren geführt wird, entscheidet der Generalstaatsanwalt, nicht das Opfer. Traditionelle Älteste werden von allen Schritten des Verfahrens ausgeschlossen. Damit ist die Anwendung informeller oder traditioneller Konfliktlösungsmechanismen bei Vergewaltigung oder Sexualverbrechen verboten. Allerdings bedarf es zur effektiven Umsetzung noch Ausbildungsmaßnahmen für die nunmehr verantwortlichen Richter. Trotzdem ist diese neue Gesetzeslage in Somalia einzigartig und zukunftsweisend (UNHRC 6.9.2017). Laut einer vom puntländischen Generalstaatsanwalt veröffentlichten Statistik über Vergewaltigungsfälle in Puntland im Jahr 2016 wurden dort 123 Prozesse gegen Vergewaltiger geführt (A 2.2017).
Auch unter der neuen Verfassung gilt in Somalia weiterhin das islamische Scharia-Recht, auf dessen Grundlage auch die Eheschließung erfolgt. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 9.2016). Laut Übergangsverfassung sollen beide Ehepartner das "age of maturity" erreicht haben; als Kinder werden Personen unter 18 Jahren definiert. Außerdem sieht die Verfassung vor, dass beide Ehepartner einer Eheschließung freiwillig zustimmen müssen. Trotzdem ist die Kinderehe verbreitet. In ländlichen Gebieten verheiraten Eltern ihre Töchter manchmal schon im Alter von zwölf Jahren. Insgesamt wurden 45% der Frauen im Alter von 20-24 Jahren bereits mit 18 Jahren, 8% bereits im Alter von 15 Jahren verheiratet (USDOS 3.3.2017).
Zu von der al Shabaab herbeigeführten Zwangsehen kommt es auch weiterhin (SEMG 8.11.2017), allerdings nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten (DIS 3.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Das Ausmaß ist unklar. Manchmal werden die Eltern der Braut bedroht. Zwangsehen der al Shabaab in städtischen Zentren sind nicht bekannt (DIS 3.2017). Die Gruppe nutzt zusätzlich das System der Madrassen (Religionsschulen), um potentielle Bräute für die eigenen Kämpfer zu identifizieren (SEMG 8.11.2017). Immer mehr junge Frauen werden radikalisiert und davon angezogen, eine "Jihadi-Braut" werden zu können (SEMG 8.11.2017; vgl. BFA 8.2017).
Al Shabaab setzt Frauen - manchmal auch Mädchen - zunehmend operativ ein, etwa für den Waffentransport in und aus Operationsgebieten; für die Aufklärung und zur Überwachung (SEMG 8.11.2017); oder als Selbstmordattentäterinnen (DIS 3.2017).
Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden (USDOS 3.3.2017). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivilrechts und Strafrechts, die Frauen tendenziell benachteiligen bzw. einem (übersteigerten) paternalistischen Ansatz folgen. Für Frauen gelten entsprechend andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer. So erhalten beispielsweise Frauen nur 50% der männlichen Erbquote. Bei der Tötung einer Frau ist im Vergleich zur Tötung eines Mannes nur die Hälfte des an die Familie des Opfers zu zahlenden "Blutgeldes" vorgesehen (AA 1.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 1.1.2017). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts gelten auch in Puntland und Somaliland. Gleichwohl gibt es politische Ansätze, die mittel- bis langfristig eine Annäherung des Status von Mann und Frau anstreben. In den von der al Shabaab kontrollierten Gebieten werden die Regeln der Scharia in extremer Weise angewandt - mit der entsprechenden weitergehenden Diskriminierung von Frauen als Folge (AA 1.1.2017).
Eigentlich wären für das Parlament 30% Sitze für Frauen vorgesehen. Bis zur Neuwahl des Parlaments stellten diese aber nur 14% von 275 Abgeordneten (USDOS 3.3.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Im neuen Unterhaus und im Oberhaus des Parlaments stellen Frauen nunmehr 24% der Abgeordneten. 23% der Mitglieder des Ministerkabinetts sind Frauen (UNSC 9.5.2017; vgl. UNHRC 6.9.2017). 13 von 54 Abgeordneten im Oberhaus sind Frauen (NLMBZ 11.2017). Im Ältestenrat von Puntland war noch nie eine Frau vertreten, im 66sitzigen Repräsentantenhaus sind es zwei, es gibt auch zwei Ministerinnen (USDOS 3.3.2017).
Generell haben Frauen nicht die gleichen Rechte, wie Männer, und sie werden systematisch benachteiligt (USDOS 3.3.2017). Frauen leiden unter schwerer Ausgrenzung und Ungleichheit in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Beschäftigungsmöglichkeiten (ÖB 9.2016), und unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung und Unterbringung. Laut einem Bericht einer somaliländischen Frauenorganisation aus dem Jahr 2010 besaßen dort nur 25% der Frauen Vieh, Land oder anderes Eigentum. Allerdings werden Frauen beim Besitz und beim Führen von Unternehmen nicht diskriminiert - außer in den Gebieten der al Shabaab (USDOS 3.3.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
-
A - Sicherheitsanalyseabteilung (2.2017): Sicherheitsbericht im Februar 2017
-
BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
-
DIS - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (3.2017):
South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016,
https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/57D4CD96-E97D-4003-A42A-C119BE069792/0/South_and_Central_Somalia_Report_March_2017.pdf, Zugriff 21.11.2017
-
HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/334750/476503_de.html, Zugriff 14.9.2017
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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):
Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018
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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
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SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017
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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,
https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017
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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017
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UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017
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UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Somalia: IFA Mogadischu, Frauen vom 09.01.2014
1. Inwieweit hat man als volljährige Frau, ohne Familienbezug in der Hauptstadt Mogadishu, die Möglichkeit, sich selbstständig eine Existenz aufzubauen?
Quellenlage/Quellenbewertung
Es liegen mehrere Quellen zur Bewertung der Frage vor, ob Personen ohne Anknüpfungspunkte (Clan, Familie o.Ä.) nach Mogadischu zurückkehren können bzw. ob und für wen Mogadischu eine IFA darstellen kann.
UNHCR vertritt die eigenen Konventionen, Guidelines und Regelwerke.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte veröffentlichte ein Urteil. Dieses wurde von den Richtern im Senat mit 5:2 gefällt.
Der Bericht des UN-Generalsekretärs erscheint periodisch und befasst sich mit der Situation in Somalia im Berichtszeitraum.
Die Quellen im Bericht von DIS/Landinfo sind teils anonymisiert, es kann jedoch aufgrund der Standards der beiden Institutionen davon ausgegangen werden, dass die Quellen gewissenhaft und nach internationalen Maßstäben ausgewählt worden sind.
Die OGN stellen eine Policy der britischen Asylbehörde dar. Das darin zitierte Urteil der britischen Berufungsbehörde ist ein sog. "Benchmark-Urteil".
Zusammenfassung
Grundsätzlich rangiert laut UN und britischer Behörde Somalia an zweiter Stelle der schlimmsten Staaten für Frauen. Die somalische Gesellschaft ist auf eine Diskriminierung der Frauen ausgerichtet, Gewalt gegen Frauen in der Kultur verankert. Trotzdem gibt es zahlreiche Haushalte, in welchen die Frau den Unterhalt für die Familie verdient - etwa als Kleinhändler im städtischen Bereich. Laut UN-Generalsekretär bleiben die Anstrengungen der Regierung, um die Gewalt gegen Frauen und Mädchen einzudämmen, gering.
Der EGMR unterstreicht, dass es den Vertragsstaaten vorbehalten ist, eine Interne Fluchtalternative (IFA) festzustellen. Allerdings müssen dafür einige Dinge gegeben sein: Die Person muss das fragliche Gebiet erreichen können; sie muss im fraglichen Gebiet aufgenommen werden; sie muss sich dort niederlassen können.
Die britischen OGN beinhalten Auszüge aus einem Benchmark-Urteil der britischen Berufungsinstanz, in welchem darauf hingewiesen wird, dass Frauen v.a. im städtischen Bereich bei Vorhandensein von Clan- und Familienunterstützung eine IFA finden können. Allerdings gibt es einige Frauen, die von einer IFA unverhältnismäßig hart getroffen würden. Die - u.a. humanitären - Umstände vor Ort sind zu berücksichtigen.
Der UNHCR erklärt, dass eine IFA für Mogadischu nur dann als annehmbar erachtet werden kann, wenn die fragliche Person ausreichend Unterstützung durch die Kern- oder die erweiterte Familie in Anspruch nehmen kann und wenn gleichzeitig Clanschutz im Ort der Rückführung gegeben ist. UNHCR erachtet bei einer Absenz ausreichender Unterstützung durch die Kern- oder erweiterte Familie bei gleichzeitigem Clanschutz eine IFA in Mogadischu für folgende Personengruppen nicht als gegeben:
* Unbegleitete Minderjährige oder Jugendliche mit dem Risiko einer Zwangsrekrutierung und anderer schwerer Verstöße;
* Junge Männer mit dem Risiko, als Sympathisanten der al Shabaab erachtet und dementsprechend durch Sicherheitskräfte der Regierung drangsaliert zu werden;
* Ältere Menschen;
* Menschen mit physischen oder psychischen Behinderungen;
* Alleinstehende oder alleinerziehende Frauen ohne männlichen Schutz, vor allem Angehörige von Minderheitenclans.
Angehörige der Diaspora können ungehindert nach Mogadischu zurückkehren und tun dies auch. Es gibt diesbezüglich keine Diskriminierung. Die Rückkehrer aus der Diaspora verfügen meist über ausreichend Ressourcen. UNHCR ergänzt, dass aber einige dieser "Rückkehrer" Somalia auch schon wieder verlassen haben.
Auch aus den direkten Nachbarländern kehren Flüchtlinge nach Somalia zurück. Ähnliche Bewegungen gibt es innerhalb des Landes, wo IDPs in ihre Heimat zurückkehren.
Quellen im Bericht von DIS/Landinfo erklären, dass eine Person, die nach Mogadischu zurückkehrt, auf Kontaktpersonen oder Familienverbindungen bzw. ein Netz in Mogadischu angewiesen ist. Quellen im Bericht von DIS/Landinfo erklären, dass eine Person, die nach Mogadischu zurückkehrt, auf Kontaktpersonen oder Familienverbindungen angewiesen ist. UNHCR erläutert, dass jeder Rückkehrer auf ein Netzwerk angewiesen ist, um in der Stadt überleben zu können. Dies betrifft jedenfalls unbegleitete Minderjährige oder Jugendliche mit dem Risiko einer Zwangsrekrutierung und anderer schwerer Verstöße; junge Männer mit dem Risiko, als Sympathisanten der al Shabaab erachtet und dementsprechend durch Sicherheitskräfte der Regierung drangsaliert zu werden; ältere Menschen; Menschen mit physischen oder psychischen Behinderungen; alleinstehende oder alleinerziehende Frauen ohne männlichen Schutz, vor allem Angehörige von Minderheitenclans.
UNHCR erklärt weiter, dass Neuankömmlinge in der Stadt, die weder über Clan- noch über Familienbeziehungen verfügen, schnell in das Visier der Sicherheitskräfte kommen können.
Der UNHCR stellt fest, dass die Rückkehrer in ein städtisches Gebiet, sofern kein vordefinierter Zugang zu Unterkunft oder Broterwerb vorliegt, und wo die Person über keine ausreichenden Unterstützungsnetzwerke verfügt, sich diese Person in jener Situation wiederfinden wird, in der sich die IDPs befinden. Daher muss die bereits vorhandene Anzahl an IDPs (in Mogadischu 336.000-360.000) und deren Situation berücksichtigt werden, wenn eine Rückführung nach Mogadischu angedacht wird. Es mangelt bereits jetzt an grundlegenden Ressourcen (u.a. Land und Trinkwasser). Der UNHCR berichtet hinsichtlich der IDPs in Mogadischu von:
körperlicher Gewalt; Einschränkung der Bewegungsfreiheit;
Einschränkung des Zugangs zu Nahrung und Unterkunft;
Diskriminierung. Zusätzlich leiden die IDPs gemäß UN-Generalsekretär und UNHCR unter unvorbereiteten Delogierungen und damit einhergehend oftmals Entzug der Lebensgrundlage. Unter den Zwangsdelogierten befinden sich laut UN-Generalsekretär auch Waisenkinder, alleinerziehende Mütter, und Behinderte.
Mehrere Quellen bei DIS/Landinfo teilen die Ansicht, wonach die IDPs in Mogadischu eine gefährdete Gruppe sind.
Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sind in Mogadischu laut UNHCR weit verbreitet. Folglich können viele Menschen ihre Grundbedürfnisse nicht abdecken.
Laut UN-Generalsekretär bleiben die humanitären Bedürfnisse trotz einiger Verbesserungen enorm, das Erreichte fragil. Die Zahl der Personen in Krisen- oder Notsituation sank ca. 870.000. Weitere 2,3 Millionen Menschen ringen damit, auch nur minimale Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Die Unterernährungsraten bleiben hoch: 206.000 Kinder unter fünf Jahren sind akut unterernährt.
Humanitäre Kräfte helfen den Familien, ihre Grundbedürfnisse zu stillen. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf dem Broterwerb, auf der Vieh- und Landwirtschaft. Die FAO, UNICEF und das WFP haben Infrastruktur wieder hergestellt (z.B. Bewässerungssysteme). In den ersten neun Monaten des Jahres 2013 profitierten 35.000 Haushalte von einem Geld-für-Arbeit-Programm. Im Berichtszeitraum half das WFP ca. 853.000 Menschen pro Monat [u.a. mit Nahrungsmittelhilfe].
Mehrere Quellen im Bericht von DIS/Landinfo gehen davon aus, dass Clanschutz in Mogadischu nicht mehr von hoher Relevanz ist. Vor allem aber die IDP-Frauen von Minderheiten leiden unter sexueller Gewalt und Vergewaltigung [Anm.: Anzunehmen ist, dass alle in Mogadischu nicht stark vertretenen Clans als - lokale - Minderheiten zu erachten sind]. Die sexuelle Gewalt grassiert selbst in von der Regierung geführten IDP-Lagern.
Andere Quellen im gleichen Bericht widersprechen und erklären, dass der Clanschutz immer noch eine gewichtige Rolle spielt. Auch der UNHCR geht davon aus, dass gerade hinsichtlich des Schutzes einer Person der Clan in Mogadischu nach wie vor von großer Relevanz ist.
Dem EGMR ist bewusst, dass die Menschenrechts- und Sicherheitslage in Mogadischu gegenwärtig ernst, fragil und oftmals unberechenbar ist. Allerdings übt al Shabaab keine Kontrolle mehr über die Stadt aus; gibt es keine Frontkämpfe und keinen Artilleriebeschuss mehr;
ging die Zahl ziviler Opfer zurück;
Folglich erkennt der EGMR, dass die gegenwärtige Situation in Mogadischu keine solche ist, in welcher jede Person in der Stadt einer ernsten Gefahr gemäß Artikel 3 der Konvention ausgesetzt wäre.
Einzelquellen
Der EGMR unterstreicht, dass es den Vertragsstaaten vorbehalten ist, eine Interne Fluchtalternative festzustellen. Allerdings müssen dafür einige Dinge gegeben sein: Die Person muss das fragliche Gebiet erreichen können; sie muss im fraglichen Gebiet aufgenommen werden; sie muss sich dort niederlassen können.
Dem EGMR ist bewusst, dass die Menschenrechts- und Sicherheitslage in Mogadischu gegenwärtig ernst, fragil und oftmals unberechenbar ist. Allerdings übt al Shabaab keine Kontrolle mehr über die Stadt aus; gibt es keine Frontkämpfe und keinen Artilleriebeschuss mehr;
ging die Zahl ziviler Opfer zurück;
Folglich erkennt der EGMR, dass die gegenwärtige Situation in Mogadischu keine solche ist, in welcher jede Person in der Stadt einer ernsten Gefahr gemäß Artikel 3 der Konvention ausgesetzt wäre.
Die Sicherheitslage in Mogadischu bleibt relativ instabil. AMISOM und somalische Sicherheitskräfte müssen fast täglich in und außerhalb von Mogadischu mit Attacken rechnen.
Es kommt weiterhin zu Zwangsdelogierungen von IDPs in Mogadischu. Die Vertriebenen werden ohne vorherige Planung in andere Lager gebracht. Damit erhöht sich ihre Gefährdung bezgl.
Menschenrechtsverletzungen - auch hinsichtlich sexueller Gewalt.
Unter den Zwangsdelogierten befinden sich auch Waisenkinder, alleinerziehende Mütter, und Behinderte.
Die Anstrengungen der Regierung, um die Gewalt gegen Frauen und Mädchen einzudämmen blieben gering. Aus dem ganzen Land gibt es zahlreiche Berichte zu Vergewaltigungen. 30-50 Prozent der Opfer sind Kinder.
Trotz einiger Verbesserungen bleiben die humanitären Bedürfnisse enorm, das Erreichte fragil. Zum ersten Mal seit fünf Jahren sank die Zahl der Personen, die sich direkt in Krisen- oder Notsituationen befinden auf unter eine Million auf ca. 870.000. Weitere 2,3 Millionen Menschen ringen damit, auch nur minimale Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Die Unterernährungsraten bleiben hoch: 206.000 Kinder unter fünf Jahren sind akut unterernährt.
Humanitäre Kräfte helfen den Familien, ihre Grundbedürfnisse zu stillen und gegen Schocks widerstandfähiger zu werden. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf dem Broterwerb, auf der Vieh- und Landwirtschaft. Die FAO, UNICEF und das WFP haben Infrastruktur wieder hergestellt (z.B. Bewässerungssysteme). In den ersten neun Monaten des Jahres 2013 profitierten 35.000 Haushalte von einem Geld-für-Arbeit-Programm. 4,4 Millionen US-Dollar wurden so in die am meisten gefährdeten Regionen gepumpt. Im Berichtszeitraum half das WFP ca. 853.000 Menschen pro Monat [u.a. mit Nahrungsmittelhilfe].
Hinsichtlich einer IFA für Somalis, vor Verfolgung durch al Shabaab geflüchtet sind oder von der Gruppe ernsten Schaden fürchten, ist in Mogadischu kein ausreichender Schutz durch den Staat gewährleistet. Dies betrifft a) Somalis, die möglicherweise auf der Abschussliste der al Shabaab stehen; und b) jene, die nach Mogadischu flüchten wollen, um den Menschenrechtsverletzungen in Gebieten unter Kontrolle der al Shabaab zu entkommen.
Die Gruppe a) umfasst jene Personen, die einem hohen Risiko einer gezielten Tötung ausgesetzt sind: Politiker, Journalisten;
Wirtschaftstreibende; Clanälteste;
Die Gruppe b) umfasst jene Menschen, die aus ihren unter al Shabaab-Kontrolle liegenden Heimatgebieten geflohen sind und in Mogadischu meist als IDPs leben. In der Hauptstadt angekommen sind diese Menschen besonders gefährdet, Opfer von Menschenrechtsvergehen zu werden (etwa körperliche Gewalt; Einschränkung der Bewegungsfreiheit; Einschränkung des Zugangs zu Nahrung und Unterkunft; Diskriminierung). Die Täter sind möglicherweise auch in den Reihen der Regierungskräfte bzw. alliierter Milizen zu finden.
Informationen über Neuankömmlinge in Mogadischu können die Aufmerksamkeit möglicher Verfolger erwecken - gerade dann, wenn er oder sie nicht zu den im Aufnahmebezirk vertretenen Clans oder Familien gehört, oder wenn die Person aus einem Gebiet kommt, das gegenwärtig oder in der Vergangenheit von Rebellen kontrolliert wird oder wurde. Selbst jene Personen, die zwar aus Mogadischu stammen, jedoch bereits vor langer Zeit die Stadt verlassen haben, können als Neuankömmlinge erachtet werden - sofern sie den Kontakt zum Clan verloren haben.
In Bezug auf Mogadischu muss ein besonderes Augenmerk auf folgende Punkte gelegt werden:
* die Verfügbarkeit traditioneller Schutzmechanismen und Unterstützungsmöglichkeiten durch die Familie oder den Clan;
* die Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur und den Zugang zu lebenswichtigen Diensten;