TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/15 W245 1433522-5

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Veröffentlicht am 15.03.2019
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Entscheidungsdatum

15.03.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W245 1433522-5/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard SCHILDBERGER, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 22.02.2019, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz "BF"), ein Staatsbürger von Afghanistan, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 20.09.2012 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Als Fluchtgrund gab er bei der Erstbefragung am 20.09.2012 an, in seiner Heimat seit sechs Monaten als Boxtrainer gearbeitet zu haben. Vor ca. vier Monaten seien die Taliban zu ihm gekommen, hätten ihn gezwungen, mit ihnen mitzugehen und ihm gedroht, seinen linken Arm abzuhacken. Die Taliban hätten den BF zehn Tage lang in einer ca. 20 bis 30 Meter tiefen Grube festgehalten. Er habe sich schließlich selbstständig befreien können und sei geflüchtet. Der BF habe Angst, von den Taliban getötet zu werden.

I.3. In der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 31.01.2013 führte der BF aus, dass er in Kunduz geboren sei. Als er begonnen habe, zur Schule zu gehen, sei er mit seiner Familie nach Kabul gezogen. Seine Familie besitze ein großes Haus in Kabul. Sein Vater sei bereits gestorben, die Mutter und die beiden Brüder würden nach wie vor in diesem Haus in Kabul leben, zumal nach dem Tod des Vaters das Eigentum am Haus auf sie und seine Brüder aufgeteilt worden sei. Als Fluchtgrund führte der BF aus, dass er sechs Monate lang in der Provinz Kunduz als Boxlehrer gearbeitet habe. Aus diesem Grund sei er von den Taliban bedroht und entführt worden. Boxen sei eine Tat der Ungläubigen und dürfe nicht von Moslems ausgeübt werden. Die Taliban hätten den BF in einen 15 bis 20 Meter tiefen Brunnen geworfen, es sei ihm aber von dort die Flucht gelungen. In der Folge sei er von Kunduz nach Kabul gegangen, wo er bei Freunden und Verwandten gewohnt habe. Eines Tages sei ein Drohbrief der Taliban vor der Tür des Hauses seiner Familie gelegen. Sie hätten ihn beschuldigt, ein Spitzel zu sein.

Näher nachgefragt, gab er an, dass im neunten Monat 1390 (= November 2011) sein Boxklub in Brand gesetzt worden sei und dass man ihm seine Hand habe abhacken wollen. Zu diesem Zeitpunkt sei er auch entführt worden. Näher zu dieser Entführung befragt, gab er an, dass er eines Abends, als er gerade den Boxklub verlassen habe, von vier bis fünf Personen in ein Auto gezerrt worden sei. Diese Personen hätten ihn zu ihrem Führer gebracht, von welchem er schließlich in einen Brunnen gesteckt worden sei. Der BF sei 15 Tage lang in der Gewalt dieser Personen gewesen. Am ersten Tag habe man ihm die Hand abhacken wollen. Die Taliban hätten ihm einen Schnitt mit dem Messer zugefügt. In der Folge sei der BF jeden Abend geschlagen worden. Er habe schließlich auf den Koran geschworen, dass er nie mehr boxen werde, dennoch sei er nicht freigelassen worden. Befragt, wie ihm die Flucht aus dem Brunnen gelungen sei, gab er an, dass sich in dem Brunnen Treppen befunden hätten. Er sei die Treppen hinaufgegangen und als er gesehen habe, dass die Wache nicht da sei, sei er geflüchtet. In der Folge habe er seine Sachen aus seiner Wohnung in Kunduz geholt und sei nach Kabul gegangen, wo er sich in der Folge noch ca. einen Monat lang aufgehalten habe, bevor er Afghanistan verlassen habe. Der BF sei in Kabul von den Taliban mit Drohanrufen belästigt worden und zuletzt habe er den Drohbrief gefunden. Befragt, warum die Taliban ihn weiterhin bedrohen hätten sollen, obwohl er nicht mehr in Kunduz geboxt habe, gab er an, dass er bei der Sicherheitspolizei Anzeige erstattet habe. Die Polizei habe auch Erhebungen durchgeführt. Die Taliban hätten somit erfahren, dass er deren Versteck verraten habe. Die Taliban würden den BF umbringen.

I.4. Das - zum damaligen Zeitpunkt zuständige - Bundesasylamt wies den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 22.02.2013 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde der BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III.)

I.5. Das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge "BVwG") wies die gegen den oben genannten Bescheid erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 31.01.2014, W145 1433522-1/6E hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. rechtskräftig als unbegründet ab, weil dem Vorbringen zu den Fluchtgründen die Glaubhaftigkeit abgesprochen wurde. Hinsichtlich Spruchpunkt III. verwies das BVwG das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz "BFA") zurück.

Bereits damals lag eine rechtskräftige Verurteilung des BF vom 13.05.2013, Zl 6 Hv 57/13a, wegen § 50 Abs. 1 Z 1 WaffG, § 87 Abs. 1 StGB (Absichtliche schwere Körperverletzung) und § 91 Abs. 2 1. Fall StGB (Raufhandel) vor.

I.6. Nach am 16.05.2014 erfolgter Einvernahme erteilte das BFA dem BF mit Bescheid vom 13.06.2014 keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG ihm gegenüber eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Weiters sprach das BFA aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

I.7. Mit rechtskräftiger Entscheidung vom 11.12.2014, W163 1433522-2/4E wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 als unbegründet ab (Spruchpunkt I.). Weiters behob es den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück (Spruchpunkt II.).

In seiner Begründung zu Spruchpunkt II. führte das BVwG unter Verweis auf die §§ 46 und 50 FPG aus, dass auf Grund des völligen Fehlens von Länderfeststellungen, welche die Prüfung der (Un)Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zu tragen vermögen, es sich von selbst ergebe, dass das BFA von einer ungenügenden Sachverhaltsgrundlage ausgegangen sei und die notwendige Ermittlung des Sachverhalts unterlassen habe. Im fortgesetzten Ermittlungsverfahren werde die belangte Behörde daher aktuelle Berichte über die Situation in Afghanistan einholen müssen.

I.8. Am 16.09.2016 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA. Dabei gab er an, keine Familienangehörigen oder sonstigen sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich zu haben. Er gehe in Österreich keiner Beschäftigung nach und lebe von der Grundversorgung. Er habe einen zweimonatigen Deutschkurs besucht. In Afghanistan sei er Boxtrainer gewesen, in Österreich habe er in einem Boxklub trainiert und Kindern in einem Gymnasium zwei Wochen lang in der Sporthalle der Schule Boxen beigebracht.

Zum Fluchtgrund gab er erneut an, dass sein Leben durch die Taliban bedroht sei, diese hätten 2014 seinen älteren Bruder ermordet, sein jüngerer Bruder sei vor acht Monaten geflüchtet. Der BF wisse nicht, in welchem Lande er sich aufhalte. Die Informationen habe er von seiner Mutter in Kunduz erhalten. Auf Nachfrage räumte er ein, dass die Informationen von einem Freund stammen würden, dem die Mutter das mitgeteilt habe. Er könne den Namen des Freundes nicht sagen, da dieser eigentlich kein Freund sei. Hingewiesen darauf, dass er bei der Einvernahme am 16.05.2014 gesagt habe, die Mutter sei in Kabul im Haus des verstorbenen Vaters, führte er aus, die Mutter sei bis vor acht Monaten in Kunduz aufhältig gewesen, die Taliban hätten das Haus in Kunduz weggenommen. Wo sie jetzt sei, wisse er nicht, vielleicht in Amerika. Später führte der BF aus, auch diese Informationen habe er von der oben angeführten Person, die ihm die Nachrichten von seiner Mutter habe zukommen lassen. Am Schluss der Einvernahme gab er auf die Frage, wann er das letzte Mal Kontakt mit seinen Verwandten gehabt habe, an, dass er vor acht Monaten mit seiner Mutter telefoniert habe, vor zehn Monaten mit seinem Bruder. Er wisse nicht, von welchem Land aus sein Bruder angerufen habe. Davor gab er an, dass sein Bruder nach Deutschland oder in die Schweiz gegangen sei.

I.9. Mit Bescheid vom 27.09.2016 erteilte das BFA dem BF gemäß § 57 AsylG 2005 abermals keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt I). Weiters sprach das BFA aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt II.).

In seiner Begründung hielt das BFA im Wesentlichen fest, dass im Fall des BF kein Eingriff in ein durch Art 8 EMRK geschütztes Privat- und Familienleben vorliege. Der BF sei im September 2012 illegal nach Österreich eingereist und daher erst für einen kurzen Zeitraum hier aufhältig. Er habe während des ca. vierjährigen Aufenthalts nur zwei Monate lang einen Deutschkurs besucht und gehe keiner Beschäftigung nach, sondern trainiere in einem Boxklub. Weiters habe er keine privaten oder familiären Anknüpfungspunkte im österreichischen Bundesgebiet. Schließlich sei er während seines Aufenthalts bereits drei Mal strafrechtlich wegen Körperverletzungsdelikten zu Freiheitsstrafen verurteilt worden.

I.10. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 28.09.2016 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem BVwG zur Seite gestellt.

I.11. Der BF erhob gegen den oben angeführten Bescheid des BFA vom 27.09.2016 fristgerecht Beschwerde. Diese führt unter Hinweis auf verschiedene Länderberichte und Judikatur zunächst aus, das BFA habe keine Ermittlungen und Feststellungen zur konkreten Lage des BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan getroffen. Dabei hätte insbesondere berücksichtigt werden müssen, dass er seit mehreren Monaten über keinen Kontakt mehr zu seinen Familienangehörigen in Afghanistan verfüge. Zudem hätte ermittelt werden müssen, ob er überhaupt in der Lage wäre, sich bei einer Rückkehr alleine eine Existenz aufzubauen. Schließlich hielt die Beschwerde fest, dass die belangte Behörde keine Ermittlungen zur psychischen Erkrankung des BF und zur Frage, ob diese in Afghanistan behandelbar sei, getroffen habe.

Weiters legt die Beschwerde dar, dass die Interessenabwägung nach Art 8 EMRK eindeutig zu Gunsten des BF ausgehen hätte müssen. Er spreche immer besser Deutsch und wäre im Fall eines Aufenthaltstitels selbsterhaltungsfähig. Zudem verfüge er über soziale Kontakte, mit denen auch regelmäßiger Austausch bestehe. Hinsichtlich der strafgerichtlichen Verurteilungen des BF sei festzuhalten, dass er seine Taten bereue und bestrebt sei, eine Drogentherapie zu beginnen, um ein geordnetes Leben führen zu können.

I.12. Mit Schreiben vom 14.04.2017 nahm der BF im Wege seiner Rechtsvertreterin zu den vom BVwG mit Schreiben vom 10.03.2017 übermittelten Länderfeststellungen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, in der sich insbesondere aktuelle Ausführung zu Kabul und Kunduz befanden) Stellung.

Dabei führt der BF unter Verweis auf diverse Länderberichte im Wesentlichen aus, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan generell verschlechtert habe und auch in der Herkunftsprovinz Kunduz sowie in Kabul als unstabil zu bezeichnen sei, was auf Grund verschiedener Anschläge gerade in jüngster Vergangenheit offenkundig sei. Da der BF über keine familiären oder sonstigen Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfüge und mittlerweile jahrelang nicht mehr dort aufhältig gewesen sei, würde er bei einer Rückkehr jedenfalls in eine ausweglose Situation geraten.

I.13. Mit Erkenntnis des BVwG vom 14.04.2017, W246 1433522-3/11E wurde die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 9 FPG iVm § 50 sowie § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

Das BVwG führte in der Entscheidung eine weitere Verurteilung des BF vom 13.10.2016 hinsichtlich einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr und sechs Monaten wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung, falscher Beweisaussage, gefährlicher Drohung, schwerer Körperverletzung und Verleumdung (§§ 83 Abs. 1, 125, 288 Abs. 1 und 4, 107 Abs. 1, 84 Abs. 4, 297 Abs. 1, 2. Fall) an.

Das BVwG stellte mit näherer Begründung fest, dass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan in die Stadt Kabul nicht Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw existenzbedrohende Situation zu geraten.

I.14. Am 28.06.2017 stellte der BF aus der Strafhaft (errechneter Entlassungszeitpunkt 17.07.2020) einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, den er bei seiner Erstbefragung am 05.07.2017 damit begründete, dass er dieselben Fluchtgründe habe wie 2012, er diese Probleme diesmal aber genauer schildern wolle. 2014 sei seine Familie nach Kunduz zurückgekehrt. Die Taliban hätten seinen Bruder entführt und getötet. Sein jüngerer Bruder sei wegen der Probleme nach Europa und seine Mutter nach Amerika geflüchtet. Sein Vater sei gestorben und sein älterer Bruder getötet worden. Er habe deshalb keine Familie mehr in Afghanistan zu der er zurückkehren könne. Sein Leben sei bedroht. Der BF habe einen Boxklub in Kunduz gehabt, der von den Taliban niedergebrannt worden sei, die gesagt hätten, dieser Sport sei ungläubig. Die Taliban hätten ihn zwei Wochen misshandelt, bis ihm die Flucht gelungen sei. Die Taliban hätten in Kunduz das Haus weggenommen. Er sei in Gefahr und könne auch in anderen Städten gefunden werden.

I.15. Am 19.09.2017 fand eine Einvernahme durch das BFA statt. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, er sei ledig und habe keine Kinder. Einen Deutschkurs A1 habe er im Boxverein absolviert. Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, er habe 2015 beim letzten Kontakt mit seiner Mutter erfahren, dass 2014 sein Bruder getötet worden sei. Das sei nach dem Verfahren gewesen. Die Taliban hätten diesen wegen dem BF getötet. Er habe den Boxklub geschlossen, weil sie gesagt hätten, dass dies Arbeit von Ungläubigen sei. Seinen kleinen Bruder hätten sie auch umbringen wollen, deshalb sei dieser nach Europa geflüchtet. Er habe sonst keine Probleme, aber ganz Kunduz sei voll mit Taliban.

I.16. Mit Bescheid vom 02.10.2017 wies das BFA den Folgeantrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (in der Folge "AVG"), BGBl. Nr. 51/1991 idgF. wegen entschiedener Sache zurück. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge "FPG") idgF, erlassen und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt III.). Ferner wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG, auf die Dauer von sieben Jahren ein befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.). Schließlich wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Absatz 1 Ziffer 2 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. Nr. 87/2012, (in der Folge "BFA-VG") idgF, die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Rechtlich führte die belangte Behörde zusammengefasst zu Spruchpunkt I. aus, die Sache sei mit Erkenntnis des BVwG vom 31.01.2014 bereits entschieden worden, die Sach- und Rechtslage habe sich nicht entscheidend geändert.

Zu Spruchpunkt II. wurde im Wesentlichen angeführt, dass der BF kein geschütztes Familien- und Privatleben iSd Art 8 EMRK habe sowie auf die festgestellte Faktenlage im Erkenntnis des BVwG vom 14.04.2017, die verhältnismäßige gute Sicherheitslage in Kabul (zu der sich auch Feststellungen im Bescheid finden) und das Nichtbestehen eines realen Risikos einer Verletzung des Art 3 EMRK im Falle einer Rückführung verwiesen.

Zu Spruchpunkt III. wurde § 55a Abs. 1 FPG zitiert und darauf hingewiesen, dass im Falle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG keine Frist für eine freiwillige Ausreise zu setzen sei.

Zu Spruchpunkt IV. kam die belangte Behörde im Kern aufgrund der Gefahrenprognose, die sich aus den vier Verurteilungen wegen schwerer Körperverletzungen ergab, zur Feststellung, dass die Verhängung eines Einreiseverbotes in der genannten Höhe gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG im öffentlichen Interesse gerechtfertigt sei und dem Interesse des BF aufgrund der festgestellten Lebensumstände überwiege.

Zu Spruchpunkt V. wurde schließlich argumentiert, dass gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG schwerwiegende Gründe vorlägen, die die Annahme rechtfertigen, dass der BF eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle.

I.17. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 03.10.2017 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem BVwG zur Seite gestellt. Am 19.10.2017 erteilte der BF der ARGE eine Vollmacht zur Vertretung im Beschwerdeverfahren, welche ausdrücklich auch eine Zustellvollmacht inkludiert.

I.18. Mit Schriftsatz vom 24.10.2017 wurde von der bevollmächtigten Rechtsvertreterin gegen den am 06.10.2017 zugestellten Bescheid Beschwerde in vollem Umfang erhoben.

Zusammengefasst wurde die Beschwerde mit mangelhaften Länderfeststellungen (so sei zu Kunduz im Bescheid keinerlei Information zu finden und das herangezogene Gutachten des Sachverständigen völlig untauglich) und einem nicht mehr tragfähigen sozialen Netz des BF in der Heimat begründet.

Zu Spruchpunkt I. wurde näher ausgeführt, es könne nicht von Identität der Sache gesprochen werden, weil der BF einen neuen Fluchtgrund vorgebracht und sich die Sicherheitslage verschlechtert habe.

Zu Spruchpunkt II. sei nicht nachvollziehbar, warum der BF nach Algerien abgeschoben werden sollte. Weiters habe er im Heimatland keine Verwandten mehr oder sonstige soziale Anknüpfungspunkte.

Zu Spruchpunkt IV. sei das Einreiseverbot unrechtmäßig und unverhältnismäßig, da es einen Eingriff ins Privatleben darstelle. Aus den Verurteilungen könne man nicht ableiten, dass die Gefahr bestehe der BF würde weitere Straftaten begehen, dieser habe sich reuig gezeigt.

Zu Spruchpunkt V. liege eine reale Gefahr einer Verletzung des Art 2 und Art 3 EMRK oder der Zusatzprotokolle Nr. 6 und Nr. 13 vor.

Schließlich wurde u.a. die Durchführung einer Verhandlung durch das BVwG beantragt.

I.19. Mit Erkenntnis des BVwG vom 08.11.2017, W208 1433522-4/3E wurde die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., III. und IV. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wurde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der letzte Satz des Spruchpunktes II. zu lauten hat: "Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach AFGHANISTAN zulässig ist.". Schließlich wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunktes V. zu lauten hat: "Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz kommt gemäß § 16 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung nicht zu."

I.20. Am 26.01.2019 stellte der BF neuerlich einen Folgeantrag. Bei der Einvernahme durch das XXXX führte der BF zu seinen Fluchtgründen befragt aus, dass sich seine Fluchtgründe seit seiner letzten Asylantragstellung nicht geändert hätten. Bei einer Rückkehr sei sein Leben in Gefahr; er habe Angst, dass er getötet werde. Zudem sei sein jüngerer Bruder 2016 von den Taliban verfolgt worden, dieser habe aber Afghanistan verlassen können. Seitdem habe er von seinem jüngeren Bruder nichts mehr gehört. Ein weiterer Bruder sei im Jahr 2014 in Kunduz umgebracht worden. Dazu führte der BF abschließend aus, dass dasselbe auch ihm passieren könne, wenn er nach Afghanistan zurückkehre.

I.21. Bei der Einvernahme durch das BFA am 07.02.2019 gab der BF neuerlich an, dass er keine neuen Fluchtgründe habe. Er habe seine Fluchtgründe bereits einmal im Jahr 2017 ausführlich geschildert und es gebe nichts Neues. Er habe zwei negative Asylbescheide erhalten, dies sei zweimal zu Unrecht geschehen. Entweder habe er sich nicht richtig verständigen können oder der Dolmetscher bzw. die Dolmetscherin habe nicht alles richtig verstanden. Auf jeden Fall habe man in seiner Sache nicht richtig entschieden; er hätte mit Sicherheit Asyl erhalten müssen. Auch die XXXX sei schuld: Alle Unterlagen seien bei der XXXX geblieben. Sie hätten die Unterlagen nicht an die Asylbehörde geschickt. Auf Nachfrage sei dem BF von der XXXX mitgeteilt worden, dass sie die Unterlagen in den Müll geworfen hätten. Auf Nachfrage erklärte der BF, dass seine bisher im Asylverfahren getätigten Angaben stimmen würden.

I.22. Bei einer weiteren Einvernahme durch das BFA am 19.02.2019 bestätigte der BF seine Angaben bei der Einvernahme am 07.02.2019 (siehe vorhin, Punkt I.21).

Ergänzend gab der Vertreter bei dieser Einvernahme an, dass der BF in Afghanistan von den Taliban verfolgt werde, weil er ein unislamisches Verhalten an den Tag gelegt habe, indem er seinen Boxsport ausgeübt habe. Er sei deshalb von den Taliban bedroht worden und sein Leben sei in Afghanistan in Gefahr. Der BF habe keine innerstaatliche Fluchtalternative, deshalb sei ihm internationaler Schutz zu gewähren. In Österreich habe er 17 Monate lang im Gefängnis gearbeitet. Zudem habe er eine Einstellungszusage als Kellner in Vollbeschäftigung und eine Unterkunft, was ebenfalls berücksichtigt werden müsse, wenn es um die Frage einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot gehe. Aufgrund der positiven Entwicklung im Gefängnis und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der BF im Vorhinein Arbeit gesucht habe, sei für den BF eine positive Gefährdungsprognose auszulegen.

I.23. Mit Bescheid vom 22.02.2019 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 26.01.2019 hinsichtlich eines Status eines Asylberechtigten sowie hinsichtlich eines Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück.

Rechtlich führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, weil weder in der maßgeblichen Sachlage - und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des BF gelegen sei, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen sei - noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen einen Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, stehe die Rechtskraft des ergangenen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.01.2014, W145 1433522-1/6E, seinem neuen Antrag sowohl hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten iSd § 3 AsylG als auch hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG entgegen. Schließlich führte die belangte Behörde unter Verweis auf die Rechtsprechung des VwGH (vgl. VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082 und 13.02.2018, Ra 2017/18/0332) aus, dass aufgrund einer vorliegenden Rückkehrentscheidung (siehe Punkt I.16) eine neuerliche Rückkehrentscheidung nicht zu erlassen war.

I.24. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 07.03.2019 fristgerecht erhobene Beschwerde.

I.25. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem BVwG am 08.03.2019 vom BFA vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des gegenständlich erhobenen Folgeantrages auf internationalen Schutz, den im Verfahrensgang angeführten Aussagen des BF in den Einvernahmen durch das BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verwaltungsakte (inklusive der Vorakte und die diesbezüglichen Erkenntnisse des BVwG), werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

II.1.1. Zum Verfahrensgang:

Der Ablauf des Verfahrensganges wird, wie er unter Punkt I. wiedergegeben ist, festgestellt.

II.1.2. Zum sozialen Hintergrund des BF:

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und leidet an keiner ernsthaften Krankheit; er ist nicht in ärztlicher Behandlung.

Der BF wurde in der Provinz Kunduz geboren. Der BF ist mit seiner Familie im Kindesalter von Kunduz nach Kabul gezogen, wo er zwölf Jahre lang die Schule besucht und diese abgeschlossen hat. Dort hat er auch eine Ausbildung zum Boxtrainer gemacht und kehrte danach in seine Heimatprovinz Kunduz zurück, wo er mehrere Monate als Boxtrainer in seinem eigenen Boxklub gearbeitet hat.

Die Familie des BF besitzt in Kabul ein großes Haus, an dem auch der BF nach dem Tod seines Vaters einen Anteil erhielt. Der BF hat Freunde und Verwandte in Kabul.

Vor seiner Ausreise aus Afghanistan im Sommer 2012 hat sich der BF neuerlich einen Monat in Kabul aufgehalten.

Der BF ist nicht verheiratet oder verlobt und hat auch keine Kinder. Die Mutter des BF sowie die beiden Brüder des BF lebten bis zumindest Mai 2014 im Haus in Kabul. Ob die Mutter danach wieder nach Kunduz zog, und sich dort bis zumindest Anfang 2016 aufhielt, steht nicht fest. Wo sich die Familienangehörigen derzeit aufhalten, kann nicht festgestellt werden; ebensowenig, ob der ältere Bruder des BF tatsächlich 2014 getötet worden ist und sein jüngerer Bruder nach Deutschland oder die Schweiz ausgewandert ist.

Der BF ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, war dort nie inhaftiert, war kein Mitglied einer politischen Partei oder einer sonstigen Gruppierung und hatte sich nicht politisch betätigt und keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden gehabt.

Der BF hat Afghanistan verlassen und ist über den Iran (mit einem mehrmonatigen Aufenthalt), die Türkei, Griechenland, und weiter über ihm unbekannte Länder bis nach Österreich gereist, wo er nach unrechtmäßiger Einreise am 20.09.2012 den ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte.

II.1.3. Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF begründete seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz im Wesentlichen damit, dass er in seiner Heimat von den Taliban verfolgt werde. Sie hätten ihn bedroht sowie entführt und rekrutieren wollen (siehe oben Punkt I.2). Bei seiner zweiten Einvernahme steigerte der BF sein Vorbringen im Wesentlichen dadurch, dass er angab, der Boxklub den er sechs Monate in Kunduz betrieben habe, sei von den Taliban in Brand gesetzt worden, weil Boxen eine Tat von Ungläubigen sei. Die Taliban hätten ihm mit einem Messer verletzt und geschlagen, er sei den Entführer entkommen und dann nach Kabul geflüchtet, wo Drohungen mit Anrufen und Briefen aber weitergegangen seien (siehe oben Punkt I.3).

Das Bundesamt und das BVwG erachteten dieses Vorbringen aufgrund der unterschiedlichen und widersprüchlichen Angaben als nicht glaubhaft und wiesen den Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig ab (siehe oben Punkt I.4 und I.5).

Im Folgeantrag, brachte der BF neuerlich diese Verfolgung durch die Taliban vor und ergänzte diese mit der Behauptung, in der Zwischenzeit (2014) sei sein älterer Bruder wegen ihm von den Taliban getötet worden und sein jüngerer Bruder nach Europa und seine Mutter nach Amerika geflüchtet (siehe oben Punkt I.14 und I.15).

Dieses Vorbringen ist, mit Ausnahme der nunmehr behaupteten Tötung des Bruders und der Behauptung seine Mutter und sein anderer Bruder seien deswegen geflüchtet, ident mit seinem Vorbringen aus 2013 und fehlt es dem neuen Vorbringen darüber hinaus an einem glaubhaften Kern.

Im verfahrensgegenständlichen Folgeantrag brachte der BF neuerlich die Verfolgung durch die Taliban vor und verwies auf die bisherigen Angaben im Verfahren (siehe oben Punkt I.21 und I.22).

Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass der BF einer konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.

II.1.4. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:

Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention.

Dem BF steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw Schutzalternative in den Städten Kabul, Masar-e Sharif und Herat zur Verfügung.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan in die Stadt Kabul, Masar-e Sharif oder Herat liefe der BF nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Kabul, Masar-e Sharif oder Herat ausschließen könnten, konnten nicht festgestellt werden.

Der BF ist arbeitsfähig, verfügt über eine Schul- und Berufsausbildung und kann als Paschtune, der jahrelang in Kabul gelebt hat, auf ein Netzwerk von Verwandten und Freunden dort zurückgreifen. Zudem hat er eine Wohnmöglichkeit im Falle einer Rückkehr.

II.1.5. Zum Leben in Österreich:

Der BF hält sich seit 20.09.2012 in Österreich auf. Er hat mit Ausnahme einer zweiwöchigen Tätigkeit als Boxtrainer im November 2015 und einem zweimonatigen Deutschkurs der XXXX keinerlei Integrationsbemühungen an den Tag gelegt. So leistete er keine gemeinnützigen Hilfstätigkeiten, ist kein Mitglied von Vereinen und politischen Parteien und war bisher auch sonst gesellschaftlich nicht aktiv.

Der BF ist nicht verheiratet, nicht verlobt, lebt nicht in einer Lebensgemeinschaft und hat keine Kinder. Er hat keine Familienangehörigen oder Verwandten im Bundesgebiet. Er lebt auch sonst mit keiner nahestehenden Person zusammen.

Der BF war bisher nicht erwerbstätig. Er lebt von der Grundversorgung und ist nicht zuletzt aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse und der kriminellen Vergangenheit nicht selbsterhaltungsfähig.

Der BF weist in Österreich folgende strafgerichtliche Verurteilungen auf und befindet sich noch bis voraussichtlich 17.07.2020 in Strafhaft in der Justizanstalt XXXX .

* Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 13.05.2013 hinsichtlich 24-monatiger Freiheitsstrafe wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung und Raufhandel (§§ 87 Abs. 1 und 91 Abs. 2, 1. Fall StGB),

* Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 02.07.2015 hinsichtlich 20-monatiger Freiheitsstrafe wegen Sachbeschädigung, versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung und Körperverletzung (§§ 125, 15 und 87 Abs. 1 sowie 83 Abs. 1 StGB),

* Urteil des Bezirksgerichtes Graz-West vom 11.02.2016 hinsichtlich 8-monatiger Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 StGB),

* Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 13.10.2016 hinsichtlich einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr und sechs Monaten wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung, falscher Beweisaussage, gefährlicher Drohung, schwerer Körperverletzung und Verleumdung (§§ 83 Abs. 1, 125, 288 Abs. 1 und 4, 107 Abs. 1, 84 Abs. 4, 297 Abs. 1, 2. Fall).

II.1.6. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

II.1.6.1. Kl vom 31.01.2019 (relevant für Punkt II.1.6.10)

Am Samstag dem 26.1.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern (DP 28.1.2019; vgl. NYT 28.1.2019, CNN 27.1.2019, Tolonews 28.1.2019). Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, FP 29.1.2019). Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019). Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden (NYT 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019). Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.1.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.-Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten (NYT 28.1.2019). Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, IM 28.1.2019). Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen (Internazionale 30.1.2019; vgl. WP 30.1.2019), fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte (DP 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019).

II.1.6.2. Kl vom 22.01.2019 (relevant für Punkt II.1.6.10)

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.-amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Katar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

II.1.6.3. Kl vom 08.01.2019 (relevant für Punkt II.1.6.10)

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach der Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).

II.1.6.4. KI vom 23.11.2018 (relevant für Punkt II.1.6.10)

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).

Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefägnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte

dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).

II.1.6.5. KI vom 29.10.2018 (relevant für Punkt II.1.6.10)

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:

Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Milionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Milionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).

Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilsten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018).

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).

Anmerkung: Weiterführende Informationen über den Wahlprozess in Afghanistan können der KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018 entnommen werden.

Zivile Opfer

Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED

[Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).

Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:

davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018).

Regierungfreundliche Gruppierungen waren für 1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).

II.1.6.6. KI vom 19.10.2018 (relevant für Punkt II.1.6.10)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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