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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hinsichtlich eines irakischen Staatsangehörigen; widersprüchliche und mangelhafte Auseinandersetzung mit der Rückkehrmöglichkeit in die Herkunftsregion bzw in andere als sicher erachtete Regionen sowie mit der Möglichkeit, dorthin zu gelangenSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 Asylgesetz 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.676,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger und moslemisch sunnitischer Religionszugehörigkeit, stellte am 31. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, auf Grund seiner Weigerung für die Baath-Partei zu kämpfen, von deren Mitgliedern verfolgt zu werden. Selbst nach seiner Flucht aus dem Heimatdorf nach Erbil sei er von diesen mit dem Tode bedroht worden. Im Heimatdorf seien Milizen an der Macht, weshalb er als ehemaliges Mitglied der Baath-Partei nicht dorthin zurückkönne.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 2. Februar 2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 31. Juli 2015 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß §46 FPG zulässig sei; gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20. August 2018 mit Erkenntnis vom 19. Oktober 2018 als unbegründet abgewiesen.
3.1. Zur Lage im Herkunftsstaat traf das Bundesverwaltungsgericht auszugsweise folgende Feststellungen:
"Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, den Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften, auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite um die Kontrolle der – im Zentrum des seit Sommer 2014 bestehenden Machtbereichs des IS gelegenen – Hauptstadt MOSSUL der Provinz NINAVA gekennzeichnet. Diesen Kämpfen ging die sukzessive Zurückdrängung des IS aus den zuvor ebenfalls von ihm kontrollierten Gebieten innerhalb der Provinzen ANBAR, DIYALA und SALAH AL-DIN im Zentral- und Südirak voraus. Die seit dem Jahr 2014 währenden kriegerischen Ereignisse im Irak brachten umfangreiche Flüchtlingsbewegungen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile, sowie umgekehrt Rückkehrbewegungen in befreite Landesteile mit sich. Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen unter der Ägide des UNHCR versorgen diese Binnenvertriebenen in Lagern und Durchgangszentren, mit Schwerpunkten in den drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, in sowie um Bagdad sowie im Umkreis von KIRKUK, im Hinblick auf ihre elementaren Lebensbedürfnisse sowie deren Dokumentation und Relokation, ein erheblicher Anteil der Vertriebenen sorgt für sich selbst in gemieteten Unterkünften und bei Verwandten und Bekannten. Seit dem Jahr 2014 wurden über drei Millionen Binnenvertriebene und über eine Million Binnenrückkehrer innerhalb des Irak registriert.
[…]
Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich DOHUK, ERBIL und SULEIMANIYA, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt KIRKUK betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.
Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz BASRA, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in ANBAR und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte.
Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die genannten Ereignisse. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des – als sunnitisch zu bezeichnenden – IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.
[…]
[…] Zur Lage Angehöriger der sunnitischen Glaubensgemeinschaft im Irak:
Es gibt keine Berichte dazu, dass der irakische Staat Muslime sunnitischer Glaubensrichtung systematisch verfolgen und/oder misshandeln würde. Dennoch kommt es vor, dass Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zu Zielen von Angriffen von schiitischen Milizen werden.
[…]
Die Sicherheitslage im Irak hat sich gegen Ende des Jahres 2017 und Anfang des Jahres 2018 stabilisiert, doch gibt ist es diesbezüglic[h] große Unterschiede zwischen den Regionen. So sind z.B. in ANBAR sehr wenige sicherheitsrelevante Zwischenfälle zu verzeichnen, wohingegen sich die Situation in KIRKUK verschärft darstellt. Die Provinzen DIYALA und SALAH AL-DIN befinden sich in sicherheitsrelevanter Hinsicht in der Mitte dieser Skala und die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle steigt und sinkt von Monat zu Monat. Erst im Februar 2018 sind Berichten zufolge die tragischen Nachwirkungen des Bürgerkrieges in Form von Massengräben zu Tage getreten, die meisten Toten waren in der Region NINEWA zu verzeichnen. Auch darüber hinaus waren nach Joel WING ('Musings on Iraq') eine Reihe von Opfe[r] zu verzeichne[n], so hat es insgesamt um die 245 relevante Vorfälle gegeben (in etwa je einen in BASRA, einen in DHI QAR und in SULAIMANIYYA, zwei in BABIL, 12 in ANBAR, 28 in [DIYALA] und 42 in NINEWA). Die Situation im Irak schwankt und kann nicht für alle Provinzen einheitlich beurteilt werden. DIYALA ist weiterhin eine der instabilsten Provinzen des Iraks. Im Gegensatz dazu stellt sich die Lage in SALAH AL-DIN entsprechend stabiler dar, die Gewalt ebbt vor allem im Zusammenhang mit dem IS gegen Ende des Jahre[s] 2017 erheblich ab.
[…]
[…] Zur innerstaatlichen Fluchtalternative für arabische Sunniten im Irak:
Laut UNHCR wurden in fast allen Teilen des Landes für Binnenflüchtlinge verschärfte Zugangs- und Aufenthaltsbeschränkungen implementiert. Zu den verschärften Maßnahmen gehören die Notwendigkeit des Vorweisens eines Bürgen, die Registrierung bei lokalen Behörden, sowie das Durchlaufen von Sicherheitsüberprüfungen durch mehrere verschiedene Sicherheitsbehörden, da die Regionen fürchten, dass sich IS-Kämpfer unter den Schutzsuchenden befinden.
Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen variieren von Provinz zu Provinz und beinhalten nicht nur Sicherheits-Screenings, sondern hängen Berichten zufolge auch vom persönlichen Profil der flüchtenden Personen und Familien ab, wie z.B. vom ethnisch-konfessionellen Hintergrund, dem Herkunftsort oder der Zusammensetzung der Familie der jeweiligen Person. Eine ID-Karte ist in fast allen Regionen von Nöten, doch besteht nicht in jeder Region die Notwendigkeit eines Bürgen.
[…]
Es ist möglich, ohne Bürgschaft in die AUTONOME REGION KURDISTAN einzureisen. Eine Einreise ist über den Internationalen Flughafen ERBIL als auch auf dem Landweg möglich. Laut Bericht der International Organisation for Immigration (IOM) würden irakische Bürger bei der Ankunft an einem Checkpoint einer Landgrenze zu KURDISTAN oder am Flughafen eine einwöchige Aufenthaltserlaubnis erhalten. Irakische Staatsbürger können sich z.B. in ERBIL frei bewegen und von dort aus in alle Provinzen [ein]reisen. Binnenflüchtlinge müssen sich bei der Einreise registrieren und können dann eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung beantragen. Ob eine Person ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bzw eine verlängerbare Aufenthaltsgenehmigung in der AUTONOMEN REGION KURDISTAN bekommt, hängt dabei oft vom ethischen, religiösen und persönlichen Profil ab. Die Notwendigkeit eines Bürgen zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung differiert von Provinz zu Provinz und wird zuweilen auch willkürlich gehandhabt. In manchen Provinzen kann ein Bürge notwendig werden, um sich dort niederzulassen oder dort zu arbeiten.
[…]
In BAGDAD gibt es mehrere sunnitisch mehrheitlich bewohnte Stadtviertel. Zur Einreise von sunnitischen Arabern in das Stadtgebiet BAGDADS müssen sich diese einem Sicherheitscheck unterziehen, vor allem, wenn sie aus vom IS dominierten Gebieten kommen. Darüber hinaus kann es notwendig werden, einen Bürgen vorzuweisen. Auch um BAGDAD herum gibt es Flüchtlingslager und Aufnahmestationen.
[…]
[…] Behandlung nach Rückkehr
Aus Österreich kehrten in der ersten Jahreshälfte 2017 in etwa 346 Iraker freiwillig in den Irak zurück – von diesen fast alle im Zuge einer sogenannten unterstützten Rückkehr […]. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort […].
[…]"
3.2. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis im Wesentlichen aus, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine Gefahr der Verfolgung durch die Baath-Partei bzw durch deren Mitglieder glaubhaft zu machen. Auch eine Verfolgungsgefahr wegen seiner Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensgemeinschaft habe nicht festgestellt werden können.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 seien ebenfalls nicht gegeben. Dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, habe weder im Rahmen des verwaltungsbehördlichen, noch im Rahmen des vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Ermittlungsverfahrens festgestellt werden können. Dazu führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes aus:
"Beim BF handelt es sich um einen arbeitsfähigen und gesunden jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann.
Er war in seinem Herkunftsort von 2004 bis 2013 jeweils 'vormittags' in einer Bäckerei [als] Aushilfskraft tätig. Nachmittags besuchte er die Schule. Seinen Pflichtschulabschluss holte er jedoch – nachweislich – in Österreich nach. Anfang des Jahres 2018 begann er eine Lehre als Steinmetz. Dafür wurde ihm eine bis April 2021 gültige Beschäftigungsbewilligung erteilt. Abgesehen von der genannten Erwerbstätigkeit, in deren Rahmen er ein Gehalt in Höhe von EUR 700,– bis EUR 800,– monatlich erzielt, geht der BF auch gemeinnützigen bzw ehrenamtlichen Tätigkeiten nach. In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG gab er selbst an, dass er seit Jänner bzw Februar 2018 keine unterstützenden staatlichen Leistungen mehr beziehe. Er ist, wie bereits aus seiner Aushilfstätigkeit vormittags neben seinem Schulbesuch nachmittags in seinem Herkunftsstaat und auch nunmehr aus seinem nach Pflichtschulabschluss im Jänner 2018 nachgegangener Steinmetz-Lehre ersichtlich, bemüht, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Neben der offensichtlichen Arbeitsfähigkeit des BF sind gegenwärtig auch Ansätze vorhanden, die (derzeit) für eine Arbeitswilligkeit des BF sprechen. Es kann daher nicht erkannt werden, dass der BF bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenz- oder lebensbedrohliche Situation gemäß Art3 EMRK geraten könnte. Zudem wird es ihm auf Grund der maßgeblichen Länderinformationen möglich sein, bei einer Rückkehr auf dem Luftweg über ERBIL problemlos in den Herkunftsstaat einzureisen, wo er – zumindest vorübergehend – auch bei seiner in DIYALA (einer südlich von BAGDAD gelegenen, mehrheitlich von Sunniten bewohnten Stadt) aufhältigen Tante mütterlicherseits wohnen kann.
Da weiter nicht hervorgekommen ist, dass der BF an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leiden könnte, kann nicht erkannt werden, weshalb er bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenz- oder lebensbedrohliche Situation iSv Art3 EMRK geraten sollte."
Darüber hinaus führt das Bundesverwaltungsgericht zum Bestehen einer Rückkehralternative im Rahmen der Prüfung der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten Folgendes aus:
"
Dem BF ist vor dem Hintergrund des bereits von der belangten Behörde zugrunde gelegten Länderberichtes des Auswärtigen Amtes von Februar 2017, wonach die Sicherheit von Rückkehrern von einer Vielzahl von Faktoren – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort, abhängig sei, eine innerstaatliche Fluchtalternative in seinem Herkunftsstaat zudem jedenfalls zumutbar, hat er doch seinen Angaben in der vor dem BVwG stattgehabten mündlichen Verhandlung zufolge eine Tante mütterlicherseits in Diyala[,] einer mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinz, bei der er sich jedenfalls mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – zumindest anfangs und vorübergehend – niederlassen kann. Es steht ihm aber auch frei, sich im Norden seines Heimatbezirkes, der Provinz Babel, wo sich nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung der landwirtschaftliche Besitz seiner Mutter (samt Haus) befinden soll, niederzulassen. Darüber hinaus steht es ihm frei, sich auch in den sunnitisch besiedelten Stadtteilen BAGDADS niederzulassen. Auch wenn es in einer aktuellen Reisewarnung des deutschen Auswärtigen Amtes heißt, dass es derzeit im Norden der Provinz BABEL 'besonders gefährlich' sei, stehen ihm Fluchtalternativen im Herkunftsstaat offen."
4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des BVG BGBl 390/1973) geltend gemacht wird und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Das Bundesverwaltungsgericht stelle fälschlich fest, dass der Beschwerdeführer erst im Jahr 2018 in das Bundesgebiet eingereist sei. Es stelle einerseits fest, dass eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion nur auf dem Landweg möglich sei, führe andererseits aber aus, dass eine Einreise sowohl über den internationalen Flughafen Erbil als auch auf dem Landweg möglich sei und zitiere unterschiedliche Quellen. Weiters sei ein Textbaustein aus einem anderen Erkenntnis in die Feststellungen zum Herkunftsstaat eingefügt worden. Die Provinz Diyala werde als Fluchtalternative genannt, gleichzeitig werde aber festgestellt, dass die Sicherheitssituation sehr instabil sei. Darüber hinaus werde Diyala fälschlich als eine im Süden von Bagdad gelegene Stadt bezeichnet, während es sich dabei um eine nordöstlich von Bagdad gelegene Provinz handle. Es sei nicht geprüft worden, ob eine ungefährdete Reise von Erbil nach Diyala möglich wäre. Ermittlungsergebnisse aus dem Oktober 2018 seien nicht mehr zur Kenntnis gebracht worden. Die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel nach §55 AsylG 2005 seien nicht geprüft worden. Es könne selbst bei Falschunterstellung der Fluchtgründe nicht von Asylmissbrauch gesprochen werden, weil die Gewährung subsidiären Schutzes angesichts der Bürgerkriegssituation möglich wäre. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer eine Lehre mit Matura (Steinmetz und Fliesenleger) in Österreich absolviere, die zweite Klasse der Berufsschule mit gutem Erfolg abgeschlossen habe und Anschluss an die Familie seiner Vermieter habe, womit er maßgebliche Integrationsbemühungen gezeigt habe.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung jedoch Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet:
2.1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2.2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
Das Bundesverwaltungsgericht trifft pauschale Aussagen zum Bestehen von Fluchtalternativen, die sich vor dem Hintergrund der im angefochtenen Erkenntnis selbst dargestellten Berichtslage und widersprüchlichen Feststellungen als unzureichend erweisen, weil sie Feststellungen vermissen lassen, ob dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in jene Region, aus der er stammt, möglich ist bzw ob eine konkrete innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die ihm eine Einreise und einen Aufenthalt in einer Weise, die den Anforderungen des Art3 EMRK Rechnung trägt, ermöglicht.
Eine Auseinandersetzung mit der Sicherheits- und Versorgungslage in der als Fluchtalternative genannten Provinz Diyala und der Situation, in der sich der Beschwerdeführer dort wiederfinden würde, lässt das Erkenntnis vermissen. Eine solche wäre jedoch angezeigt, zumal zuvor im Rahmen der Feststellungen festgehalten wird, dass Diyala "weiterhin eine der instabilsten Provinzen" im Irak ist. Mit den Möglichkeiten des Beschwerdeführers, in diese Provinz zu gelangen, setzt sich das Bundesverwaltungsgericht nicht auseinander. Vielmehr stellt es im Widerspruch zur zuvor getroffenen Feststellung, wonach eine "Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion […] aktuell nur auf dem Landweg möglich" sei, darauf ab, dass der Beschwerdeführer "problemlos" über den Luftweg nach Erbil gelangen könne.
Die Erwägungen zur Möglichkeit der Rückkehr in den Heimatbezirk des Beschwerdeführers, die Provinz Babel, erschöpfen sich im Verweis auf den dort befindlichen landwirtschaftlichen Besitz der Familie. Erwägungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in diesem Gebiet und der Situation, in der sich der Beschwerdeführer in der Herkunftsprovinz konkret wiederfinden würde, fehlen. Im Gegensatz dazu stellt das Bundesverwaltungsgericht vielmehr fest, dass es aktuellen Reisewarnungen zufolge in dieser Provinz "besonders gefährlich" sei.
Zur Fluchtalternative Bagdad beschränken sich die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes auf den schlichten Hinweis, es stünde dem Beschwerdeführer frei, sich in den sunnitisch besiedelten Stadtteilen Bagdads niederzulassen. Eine nähere Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen, die eine Person wie der Beschwerdeführer dort vorfinden würde, lässt das Erkenntnis vermissen. Dies obwohl in den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses die Tatsache Erwähnung findet, dass es für eine Niederlassungsbewilligung, von der auch die Möglichkeit Arbeit zu finden abhängig ist, notwendig sein kann, einen Bürgen vorzuweisen.
2.3. Dadurch, dass es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen hat, sich widerspruchsfrei mit der aktuellen Lage in den genannten Regionen auseinanderzusetzen und diese in der Begründung des Erkenntnisses mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Beziehung zu setzen, hat das Bundesverwaltungsgericht Willkür geübt (zu diesen Anforderungen in den Irak betreffenden Fällen vgl VfSlg 20.140/2017, 20.141/2017; VfGH 9.6.2017, E566/2017; 11.6.2018, E2776/2017 und E4317/2017).
2.4. Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Zulässigerklärung der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise bezieht, ist es somit mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.
3. Im Übrigen (soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Asylstatus richtet) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Asylstatus richtet, abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 AsylG 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, in dem durch das BVG BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 406,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Fremdenrecht, Rückkehrentscheidung, Entscheidungsbegründung, ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2019:E4766.2018Zuletzt aktualisiert am
03.05.2019