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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten und Erlassung von Rückkehrentscheidungen auf Grund fehlender Berücksichtigung der Minderjährigkeit des Zweitbeschwerdeführers hinsichtlich der Beurteilung der Sicherheitslage in NigeriaSpruch
I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei sowie die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz, BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird in diesem Umfang aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.877,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Nigerias, sie sind christlichen Glaubens und Angehörige der Volksgruppe der Yoruba.
2. Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 21. Juni 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, zu ihren Fluchtgründen machte sie unterschiedliche Angaben. Zuerst gab sie an, aus Furcht vor einer Genitalverstümmelung aus Nigeria geflohen zu sein. In einer späteren Stellungnahme brachte sie vor, Opfer von Menschenhandel bzw Frauenhandel zu sein.
3. Der Zweitbeschwerdeführer wurde am 14. Juli 2016 in Österreich geboren. Die Erstbeschwerdeführerin stellte als gesetzliche Vertreterin des Zweitbeschwerdeführers am 20. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie führte dazu für den Zweitbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe an, sondern stellte einen Antrag gemäß §34 AsylG 2005.
4. Mit Bescheiden vom 28. Februar 2018 wies das BFA die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Den Beschwerdeführern wurden keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.) erteilt. Das BFA erließ gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß §52 Abs2 Z2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß §52 Abs9 FPG fest, dass ihre Abschiebung gemäß §46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Zudem wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
5. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. August 2018, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, abgewiesen.
5.1. In seiner Entscheidung führt das Bundesverwaltungsgericht unter anderem aus, dass nicht festgestellt werden könne, dass den Beschwerdeführern in Nigeria eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung drohe. Auch seien die Angaben und Schilderungen der Erstbeschwerdeführerin, Opfer von Menschenhandel zu sein, als unglaubwürdig einzuschätzen und es sei der Erstbeschwerdeführerin nicht gelungen, ihre Fluchtgeschichte glaubhaft zu machen. Für den Zweitbeschwerdeführer seien keine weiteren Fluchtgründe vorgebracht worden.
Zudem führte das Bundesverwaltungsgericht beweiswürdigend aus, dass die Erstbeschwerdeführerin eine erwachsene und gesunde Frau sei und dementsprechend auch einer Erwerbstätigkeit in ihrem Heimatstaat nachgehen könne. Auch hätten die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr familiäre Unterstützung durch die Eltern und Geschwister der Erstbeschwerdeführerin zu erwarten.
5.2. In der Begründung der Entscheidung zur Frage der Zuerkennung des subsidiären Schutzes führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 nicht gegeben seien. Unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in Nigeria herangezogenen Erkenntnisquellen hätten sich keine konkreten Anhaltspunkte ergeben, wonach sich für die Erstbeschwerdeführerin – im Falle einer Rückführung nach Nigeria – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben, die einen außergewöhnlichen Umstand iSd Art3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung nach Nigeria entgegenstehen würden.
5.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Voraussetzungen gemäß §57 AsylG 2005 hiefür nicht gegeben seien.
5.4. Betreffend die Erlassung der Rückkehrentscheidung würden keine Aspekte außerordentlicher sozialer oder wirtschaftlicher Integration vorliegen. Der Zweitbeschwerdeführer wurde zwar in Österreich geboren, befinde sich aber in einem anpassungsfähigen Alter, weshalb ihm gemeinsam mit der Erstbeschwerdeführerin die Ausreise aus dem Bundesgebiet zugemutet werden könne. Die Rückkehrentscheidung stelle daher keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben dar.
6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet sowie die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift bzw Äußerung abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.863/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur, VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander. Deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichts, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fall ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:
3.1. Die im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderberichte enthalten u.a. überblicksartige Abschnitte zur Sicherheitslage in Nigeria, zur Menschenrechtssituation, zu Menschenhandel, zu ethnischen und religiösen Minderheiten, zur medizinischen Versorgung, zur Situation von (alleinstehenden) Frauen in Nigeria sowie zur Behandlung von Rückkehrern und ihrer Lebenssituation. Nicht enthalten sind jedoch kinderspezifische Ausführungen.
3.2. Bei der Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern in Zusammenhang mit Artikel 1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt hervorgehoben, welche Bedeutung die Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige haben (vgl zB VfGH 11.10.2017, E1803/2017 ua; 9.6.2017, E484/2017 ua mwN).
3.3. Das Bundesverwaltungsgericht geht im angefochtenen Erkenntnis auf die Minderjährigkeit des Zweitbeschwerdeführers nicht ausreichend ein. Weder trifft es Feststellungen zur allgemeinen Versorgungs- und Gefährdungslage für Minderjährige in Nigeria noch erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Tatsache der Minderjährigkeit des Zweitbeschwerdeführers in der Beweiswürdigung oder der rechtlichen Begründung. Damit unterbleibt auch eine Klärung der Frage, ob der Zweitbeschwerdeführer durch die Rückkehrentscheidung in seinen gemäß Art2 und 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten bedroht ist (vgl zB VfGH 11.10.2017, E1734/2017 ua; 21.9.2017, E2130/2017 ua).
3.4. Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter an den Zweitbeschwerdeführer und – daran anknüpfend – auf die Rückkehrentscheidung bzw auf die Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Nigeria unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise bezieht, ist es mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend die Erstbeschwerdeführerin durch (VfSlg 19.855/2014; VfGH 24.11.2016, E1085/2016 ua) und belastet auch diese mit objektiver Willkür (VfSlg 19.401/2011 mwN). Daher ist das Erkenntnis auch betreffend die Erstbeschwerdeführerin – im selben Umfang wie hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers – aufzuheben.
4. Im Übrigen (hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
4.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
4.2. Die Beschwerde rügt die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz, BGBl 390/1973) sowie auf Art3 und Art8 EMRK. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz, BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird von einer Behandlung der Beschwerde abgesehen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, war der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen Streitgenossenzuschlag von 10 vH des Pauschalsatzes, zuzusprechen (s zB VfSlg 18.836/2009). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 479,60 enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Fremdenrecht, Kinder, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2019:E3837.2018Zuletzt aktualisiert am
03.05.2019