TE Vwgh Erkenntnis 1999/3/25 98/06/0141

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Veröffentlicht am 25.03.1999
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §21;
ABGB §865;
AVG §10 Abs1;
AVG §11;
AVG §9;
B-VG Art130 Abs2;
ZustG §25;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fischer, über die Beschwerde des F in I, vertreten durch D, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 30. Juni 1998, Zl. 1/02-36.672/5-1998, betreffend Anordnung der Ersatzvornahme und Auftrag zur Vorauszahlung der Kosten in einer Bauangelegenheit, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer T ist Eigentümer eines Grundstücks in der Gemeinde S. Er hat den Vornamen F J, sein Vater, der Rechtsvorgänger im Eigentum an dem Grundstück war, hatte den Vornamen J. Da der Beschwerdeführer nach einem im Akt erliegenden Grundbuchsauszug seit 1984 Eigentümer des in Rede stehenden Grundstücks war und im Hinblick darauf, dass jedenfalls die im beschwerdegegenständlichen Vollstreckungsverfahren ergangenen Bescheide eindeutig an den Beschwerdeführer gerichtet waren, wird in der Folge auf die sachverhaltsmäßige Problematik, dass die Bescheide teilweise an "J T" gerichtet wurden und möglicherweise ursprünglich an den Vater des Beschwerdeführer adressiert waren, nicht eingegangen. Es wird daher der leichteren Lesbarkeit wegen darauf verzichtet, für die vor dem Juni 1997 erlassenen Bescheide jeweils genau anzugeben, welcher Vorname in der Nennung des Bescheidadressaten angegeben wurde und unter welchem Namen die Zustellung des jeweiligen Bescheides erfolgte.

Mit dem angefochtenen Bescheid entschied die belangte Behörde über eine Berufung des Beschwerdeführers vom 26. September 1997 gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft S vom 9. September 1997. Die belangte Behörde weist in Spruchpunkt 1 gemäß § 10 Abs. 2 VVG die Berufung hinsichtlich der Anordnung der Ersatzvornahme als unbegründet ab und weist ferner in Spruchpunkt 2 gemäß § 66 Abs. 4 AVG die Berufung hinsichtlich des Auftrages zur Vorauszahlung der Kosten für die Ersatzvornahme als unbegründet ab.

Begründend verweist die belangte Behörde auf den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde S vom 22. Februar 1993, Zl. 5.1/131-1993. Mit diesem Bescheid wurde gemäß §§ 22 Abs. 1 lit. a und 20 Abs. 4 des Salzburger Baupolizeigesetzes 1973, in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 75/1988, hinsichtlich des auf dem oben genannten Grundstück in der Katastralgemeinde S bestehenden Wohnhauses der Abbruch des Objektes bis 1. September 1993 aufgetragen.

Da der Verpflichtete innerhalb der bescheidmäßig festgesetzten Frist dem Auftrag nicht nachgekommen ist, wurde von der Bezirkshauptmannschaft S über Ersuchen der Baubehörde erster Instanz vom 29. November 1993 das Vollstreckungsverfahren eingeleitet. Zunächst sollte gemäß § 4 VVG die Vorauszahlung näher bestimmter Kosten der Ersatzvornahme aufgetragen werden. Dieser Bescheid konnte nicht zugestellt werden. Mit einem weiteren Bescheid vom 15. Dezember 1994 wurde dem Beschwerdeführer ein Kostenerlag in der Höhe von S 204.000,-- aufgetragen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer persönlich im Amtshilfeweg am 26. Juli 1995 zugestellt. Auf Grund einer Berufung des Beschwerdeführers, vertreten durch den nunmehrigen Beschwerdevertreter, vom 3. August 1995 wurde der Kostenvorauszahlungsauftrag vom 15. Dezember 1994 im Rahmen einer Berufungsvorentscheidung gemäß § 64a Abs. 1 AVG ersatzlos behoben. Der Beschwerdeführer wies in diesem Schriftsatz darauf hin, dass er Eigentümer der beschwerdegegenständlichen Liegenschaft sei. Der Bescheid sei aber an "J T" gerichtet.

Mit Schreiben vom 11. Juni 1996 an den Beschwerdeführer zu Handen des Beschwerdevertreters wurde neuerlich die Ersatzvornahme angedroht. Mit Bescheid vom 9. September 1997 wurde die Durchführung der Ersatzvornahme angeordnet und dem Beschwerdeführer die Vorauszahlung der Kosten der Ersatzvornahme in der Höhe von S 224.400,-- aufgetragen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer im Amtshilfeweg persönlich zugestellt. An den Beschwerdevertreter wurde eine weitere Ausfertigung "zur Kenntnis" übermittelt. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer, vertreten durch den nunmehrigen Beschwerdevertreter, Berufung ein; in dieser Berufung wurde (vom Beschwerdevertreter) auch die Bestellung eines besonderen Sachwalters, eingeschränkt auf die in Rede stehenden baurechtlichen Angelegenheiten, angeregt. Der Beschwerdeführer sei offenbar aus gesundheitlichen Gründen an der Besorgung der notwendigen Geschäfte im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Objekt gehindert; es sei seit mehr als einem Jahr nicht möglich gewesen, einen inhaltlichen Kontakt zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Rechtsvertreter herzustellen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Begründend wird nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, dass "in formalrechtlicher Hinsicht festzuhalten" sei, dass in dem angefochtenen Bescheid vom 9. September 1997 als Bescheidadressat der Berufungswerber aufscheine und der Bescheid dem Rechtsvertreter offensichtlich nur "weiters" zur Kenntnis übermittelt worden sei, "insbesondere ohne Zustellnachweis zugestellt" worden sei. Die Vertretungsbefugnis eines beruflichen Parteienvertreters gemäß § 10 AVG in Verbindung mit dem Zustellgesetz umfasse selbstverständlich auch die Entgegennahme von Schriftstücken als Zustellungsbevollmächtigter. Solange der Behörde ein Widerruf der Vollmacht nicht bekanntgegeben sei, habe sie an den Bevollmächtigten zuzustellen. Im Falle einer aufrechten und nachgewiesenen Vertretung sei eine Zustellung an den Vertretenen unzulässig. Dem Rechtsvertreter sei aber im gegenständlichen Fall der angefochtene Bescheid nach seinen Angaben am 12. September 1997 (wobei an der Richtigkeit dieses Datums kein Anlass zu Zweifeln bestehe) tatsächlich zugekommen, sodass der unterlaufene "Zustellmangel gemäß § 9 Abs. 2 Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982, i.d.g.F., als geheilt" gelte.

Die Berufung sei somit rechtzeitig.

In inhaltlicher Hinsicht wird festgehalten, dass entscheidungswesentlich sei, dass gemäß § 4 VVG die zuvor schriftlich angedrohte Ersatzvornahme angeordnet worden sei und dem Verpflichteten die Vorauszahlung der Kosten für die Ersatzvornahme aufgetragen worden sei. In rechtlicher Hinsicht sei eine Differenzierung der mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochenen Aufträge insofern wesentlich, als es sich bei dem bescheidmäßigen Auftrag zur Vorauszahlung der Kosten gemäß § 4 Abs. 2 VVG um keine Vollstreckungsverfügung, sondern um einen durch die Vollstreckungsbehörde zu erlassenden Kostenbescheid handle. Bei Erlassung eines Vorauszahlungsauftrages gemäß § 4 Abs. 2 VVG sei die wirtschaftliche Lage des Verpflichteten nicht zu berücksichtigen. Eine solche Berücksichtigung habe erst bei der Vollstreckung des Auftrages zu erfolgen. Eine Unrichtigkeit des eingeholten Kostenvoranschlages oder die preisliche Unangemessenheit sei vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden, sodass die Berufung als unbegründet abzuweisen gewesen sei.

Soweit die Berufung gegen die Anordnung der Ersatzvornahme gerichtet sein solle, sei festzuhalten, dass die bescheidmäßige Anordnung der Ersatzvornahme gemäß § 4 Abs. 1 VVG eine Vollstreckungsverfügung darstelle, gegen die nur eine eingeschränkte Berufung im Rahmen des § 10 Abs. 2 VVG zulässig sei und eine Berufung aus anderen Gründen zurückzuweisen wäre.

Nach Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes des § 10 Abs. 2 VVG und des § 63 Abs. 3 AVG stellt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer nicht behauptet hätte, dass die Abtragung des Objektes im Wege der Ersatzvornahme auf Grundlage eines rechtskräftigen baubehördlichen Beseitigungsauftrages unverhältnismäßig sei. Die Ersatzvornahme stelle überdies das im VVG zur Erbringung vertretbarer Leistungen ausdrücklich vorgesehene Zwangsmittel dar. Gegen § 2 Abs. 1 VVG würde die Behörde nur dann verstoßen haben, wenn ihr mehrere zur Herstellung des bescheidmäßigen Zustandes taugliche Zwangsmittel zur Verfügung gestanden wären und sie ohne zwingenden Grund das den Verpflichteten schwerer belastende Zwangsmittel angewendet hätte. Die Berufung sei daher, soweit sie sich gegen die Anordnung der Ersatzvornahme richte, ebenfalls als unbegründet abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, unter Berufung auf die gemäß § 30 Abs. 2 ZPO erteilte Vollmacht eingebrachte Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem "Recht auf Handhabung der den Vollstreckungsbehörden zustehenden Zwangsbefugnisse nach dem Grundsatz, dass jeweils das gelindeste noch zum Ziel führende Zwangsmittel anzuwenden ist, sowie dass Geldleistungen nur insoweit zwangsweise eingebracht werden, als dadurch der notdürftige Unterhalt des Verpflichteten und der Person, für die er nach dem Gesetz zu sorgen hat, nicht gefährdet wird, gemäß § 2 VVG, sowie in seinem Recht auf Bestellung eines Sachwalters gemäß § 11 AVG in Verbindung mit § 4 VVG, da" ihm durch den angefochtenen Bescheid Pflichten auferlegt würden, denen er auf Grund seiner Handlungsunfähigkeit nicht nachkommen könne, verletzt.

Das Beschwerdevorbringen setzt sich vornehmlich mit der Problematik der Bestellung eines Sachwalters gemäß § 11 AVG auseinander. Die gegenständliche Verwaltungssache sei von derartiger Wichtigkeit, dass die belangte Behörde der Anregung auf Bestellung eines Sachwalters nachkommen hätte müssen.

2. Zur Zulässigkeit der Beschwerde:

Der Beschwerdevertreter ist im beschwerdegegenständlichen Verwaltungsverfahren (insbesondere bei Erhebung der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 9. September 1997) unter Berufung auf die erteilte Vollmacht eingeschritten. Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdevertreter zugestellt und somit - ungeachtet der unter 3. behandelten Frage seiner inhaltlichen Rechtmäßigkeit im Hinblick auf die Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers - wirksam auch dem Beschwerdeführer gegenüber erlassen.

3. Zur Frage der Handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers und der Bedeutung der Handlungsfähigkeit für die Erlassung der beschwerdegegenständlichen Aufträge nach dem VVG:

Der Beschwerdevertreter hat in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid betreffend die Anordnung der Ersatzvornahme und den Auftrag zur Kostenvorauszahlung darauf hingewiesen, dass auf Grund der sich ihm darstellenden Sachlage (Unmöglichkeit, mit dem Beschwerdeführer in Kontakt zu treten, offenbar schlechter Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, Versuch der Angehörigen des Beschwerdeführers, diesen mit der gegenständlichen Angelegenheit nicht zu befassen, da sie offenbar als belastend für den Beschwerdeführer gewertet wurde) die Bestellung eines Sachwalters gemäß § 11 AVG vorgenommen werden sollte.

Die belangte Behörde hat, ohne nähere Sachverhaltserhebungen durchzuführen, den angefochtenen Bescheid erlassen und dem Beschwerdevertreter zugestellt.

In der Gegenschrift vertritt die belangte Behörde die Auffassung, dass im Hinblick auf das aufrechte Vertretungsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und dem Beschwerdevertreter ein Vorgehen nach § 11 AVG nicht erforderlich gewesen sei. Da selbst durch Verlust der Handlungsfähigkeit des Machtgebers ein gültig zustandegekommenes Vollmachtsverhältnis nicht berührt werde, sei die Bestellung eines Sachwalters im Sinne des § 11 AVG nicht notwendig gewesen. Im Übrigen stamme der dem Vollstreckungsverfahren zugrundeliegende Titelbescheid aus dem Jahre 1993, sodass dem Beschwerdeführer spätestens seit Rechtskraft dieses Bescheides der notwendige Abbruch des Objektes bewusst sein hätte müssen.

Die belangte Behörde übersieht mit diesem Vorbringen, dass die Frage des Bestandes eines Vollmachtsverhältnisses mit einem gewillkürten Vertreter von der Frage der Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters gemäß § 11 AVG zu unterscheiden ist.

§ 11 AVG lautet:

"§ 11. Soll von Amts wegen oder auf Antrag gegen einen handlungsunfähigen Beteiligten, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, oder gegen eine Person, deren Aufenthalt unbekannt ist, eine Amtshandlung vorgenommen werden, so kann die Behörde, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, die Bestellung eines Sachwalters (Kurators) bei dem hiefür zuständigen Gericht (§ 109 JN) veranlassen."

§ 11 AVG regelt somit sowohl den Fall, dass von Amts wegen oder auf Antrag gegen einen handlungsunfähigen Beteiligten, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, vorzugehen ist, als auch den Fall, in dem gegen eine Person, deren Aufenthalt unbekannt ist, eine Amtshandlung vorgenommen werden soll.

Während im Falle der Bestellung eines Abwesenheitskurators der Behörde eine Wahlmöglichkeit verbleibt, gemäß § 11 AVG vorzugehen oder aber gemäß § 25 Zustellgesetz (vgl. bereits das hg. Erkenntnis vom 10. Mai 1949, Slg. Nr. 812/A, sowie Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 6. Auflage, Rz 148), kann für den Fall des Vorgehens gegen einen handlungsunfähigen Beteiligten nicht davon ausgegangen werden, dass § 11 AVG der Behörde ein Ermessen einräume. Muss die Behörde gegen einen handlungsunfähigen Beteiligten, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, eine Amtshandlung vornehmen, so hat sie einen Sachwalter bestellen zu lassen (vgl. Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, Anmerkung 8 zu § 11, und Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, 7. Auflage, Rz 148; vgl auch Zierl, Die Auswirkungen einer Entmündigung auf das Verwaltungsrecht, ÖJZ 1982, 533 und 566, hier: 570, und Maurer/Tschugguel, Das österreichische Sachwalterrecht in der Praxis2, 337). § 11 AVG konkretisiert so den in § 21 ABGB niedergelegten Grundsatz des besonderen Schutzes von Personen, die nicht imstande sind, ihre Angelegenheiten oder einzelne ihrer Angelegenheiten selbst gehörig zu besorgen (der aufgrund § 9 AVG auch im Verwaltungsverfahren maßgeblich wäre). Angesichts § 11 AVG, der für den Fall der Handlungsunfähigkeit eine ausdrückliche Vorschrift enthält, erübrigt sich eine Beantwortung der Frage, welche Anforderungen sich allein aus § 9 AVG iVm § 21 Abs. 1 ABGB im Falle des Vorgehens gegen handlungsunfähige Beteiligte ergeben würden (vgl. Zierl, a.a.O., 569). Da die Rechts- und Handlungsfähigkeit der Beteiligten gemäß § 9 AVG nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen ist, wäre bei der Feststellung, ob im Sinne des § 11 AVG ein Sachwalter zu bestellen gewesen wäre, nach den Vorschriften des ABGB (vgl. § 865 ABGB) zu beurteilen gewesen, ob die Handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers vorlag (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 1996, Zl. 95/11/0151, und Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, 7. Auflage, Rz 148). Dabei ist zu beachten, dass § 11 AVG auch im Falle einer beschränkten Handlungsunfähigkeit zur Anwendung kommt (Zierl, a.a.O., 570). Dies ergibt sich auch daraus, dass nach der neueren Rechtsprechung der Zivilgerichte auch die Unfähigkeit, die Tragweite eines bestimmten Rechtsgeschäftes einzusehen (sogenannte partielle Geschäftsunfähigkeit), als ausreichend angesehen wird, die Geschäftsunfähigkeit im Sinn des § 865 ABGB zu begründen (vgl. Rummel in Rummel ABGB, Band I2, Rz 3 zu § 865 und den hg. Beschluss vom 25. Jänner 1995, Zl. 92/12/0286).

Zu berücksichtigen ist bei der Auslegung des § 11 AVG - worauf der Sache nach der Beschwerdevertreter zutreffend hingewiesen hat -, dass mit der Begründung der im Bescheid auszusprechenden verwaltungsrechtlichen Verpflichtungen Verpflichtungen des Adressaten eines Bescheides entstehen. Wenn der Adressat eines Bescheides handlungsunfähig ist, so kann eine Erfüllung der Verpflichtungen nicht erfolgen. An dieser Tatsache ändert auch der Umstand nichts, dass der Bescheidadressat über einen gewillkürten Vertreter in einem Verwaltungsverfahren verfügt. Die Verpflichtung des Vertreters im Verwaltungsverfahren kann nicht so weit gehen, für den von ihm Vertretenen nach Rechtskraft des zu erlassenden Bescheides - etwa im Wege der Geschäftsführung ohne Auftrag - die sich aus dem Bescheid ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen bzw. die Erfüllung in die Wege zu leiten. Auch ein Rechtsanwalt als gewillkürter Vertreter ist - nach Maßgabe der erteilten Vollmacht - lediglich zur Vertretung vor allen Gerichten und Verwaltungsbehörden in allen gerichtlichen und außergerichtlichen Angelegenheiten befugt (§ 8 Abs. 1 RAO) und hat gemäß § 9 Abs. 1 RAO "die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten." Der Rechtsanwalt hat daher in gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren das "zur Vertretung seiner Partei ..." Dienliche vorzutragen und "ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen" (§ 9 Abs. 1 RAO). Gemäß § 11 Abs. 1 RAO hat der Rechtsanwalt "das ihm vertraute Geschäft, solange der Auftrag besteht, zu besorgen". Die Bestellung eines gewillkürten Vertreters für ein Verwaltungsverfahren (hier: für das Vollstreckungsverfahren hinsichtlich eines baupolizeilichen Auftrags) bedeutet jedenfalls für sich genommen noch nicht, dass der bestellte Rechtsanwalt verpflichtet oder berechtigt wäre, die Geschäfte des Vertretenen auch im Übrigen zu führen (also beispielsweise für die Erfüllung des baupolizeilichen Auftrags zu sorgen). Ob und inwieweit dies im Einzelfall aufgrund einer allfälligen Beauftragung durch den Vertretenen doch der Fall ist, kann sich nur aus einer privatrechtlichen Beauftragung des Vertreters auch hinsichtlich solcher weiterer Geschäfte ergeben. Auch eine solche Beauftragung setzt aber im Übrigen die Handlungsfähigkeit des Vertretenen voraus. Vor allem aber differenziert § 11 AVG nicht in der von der belangten Behörde angenommenen Weise, dass sich die Veranlassung der Bestellung eines Sachwalters erübrigte, wenn im Zeitpunkt, in dem das Einschreiten notwendig wird, der Handlungsunfähige einen gewillkürten Vertreter bestellt hat.

§ 11 AVG stellt vielmehr lediglich darauf ab, ob der handlungsunfähige Beteiligte eines gesetzlichen Vertreters entbehrt. § 11 AVG sieht als Voraussetzung, bei der sich eine solche Bestellung erübrigt, lediglich das Fehlen eines gesetzlichen Vertreters vor. Der Umstand, dass ein Vollmachtsverhältnis für ein Verwaltungsverfahren besteht, ändert somit nichts an der Erforderlichkeit der Bestellung eines Sachwalters, wenn der in Aussicht genommene Bescheidadressat handlungsunfähig ist.

Auch aus § 273 ABGB betreffend die Bestellung eines Sachwalters können keine Rückschlüsse auf die Handlungsfähigkeit gezogen werden. Wenn in der Zivilrechtslehre - vgl. Pichler in:

Rummel ABGB, I2, Rz 3 zu § 273 - zu § 273 ABGB die Auffassung vertreten wird, eine zivilrechtliche Bevollmächtigung im Einzelfall könne eine "andere Hilfe" im Sinn von § 273 Abs. 2 ABGB darstellen, wenn die Bevollmächtigung im Stadium der Geschäftsfähigkeit erteilt wurde, so bedeutet dies weder, dass aus § 273 Abs. 2 ABGB auf die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person geschlossen werden kann, noch, dass etwa im Beschwerdefall eine derartige zivilrechtliche Bevollmächtigung vorgelegen sei. Die belangte Behörde hat nämlich nicht festgestellt, dass der einschreitende Rechtsanwalt (der nunmehrige Beschwerdevertreter) vom Beschwerdeführer über die Führung des Verwaltungsverfahrens hinaus zur Führung der Geschäfte, insbesondere etwa hinsichtlich der Verwaltung des in Rede stehenden Gebäudes, bevollmächtigt worden sei. Im Gegenteil ergibt sich gerade aus der vom Beschwerdevertreter verfassten Berufung, dass sich dieser lediglich auf eine für das Verwaltungsverfahren erteilte Vollmacht berufen wollte. Es ist daher aus dem Gesichtspunkt des Beschwerdefalles nicht zu untersuchen, ob § 273 ABGB insoferne Fernwirkungen auf § 11 AVG entfaltet, als sich etwa die Antragstellung an das Gericht dann erübrigt, wenn die Person, gegen die vorzugehen ist, im Sinne der Ausführungen von Pichler wirksam durch Bestellung eines Vertreters für die in Rede stehenden Angelegenheiten vorgesorgt hat.

Im Beschwerdefall konnte die Behörde ohne weitere Sachverhaltsfeststellungen weder davon ausgehen, dass die Partei des Verfahrens handlungsfähig war, noch davon, dass der einschreitende Anwalt auch für die in Rede stehende Verwaltungsangelegenheit zur Geschäftsführung bevollmächtigt war.

Rechtsfolge des Vorgehens einer Behörde gegen eine Person, die nicht handlungsfähig ist, ist die Unwirksamkeit der gegen diese Person gesetzten Akte, insbesondere einer Zustellung (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7, Rz 130 und 135 und die dort zitierte Rechtsprechung). Das Fehlen der Prozessfähigkeit ist von der Behörde in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmen (vgl. die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, unter E 14 zu § 9 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Da der Beschwerdeführer im beschwerdegegenständlichen Verwaltungsverfahren (dem Verfahren zur Vollstreckung eines baupolizeilichen Auftrages) durch den Beschwerdevertreter vertreten war, stellt sich die Frage, ob diese Rechtsprechung auch in einem Fall wie dem vorliegenden dazu führt, dass ein etwaiger, entgegen § 11 AVG ohne Sachwalterbestellung ergangener Auftrag als nicht rechtswirksam erteilt anzusehen ist, oder aber, ob der Auftrag infolge Zustellung an den Rechtsvertreter wirksam, aber inhaltlich rechtswidrig ist (in letzterem Falle wäre die Frage der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an den Beschwerdevertreter näher zu untersuchen).

Da der Umstand, dass die handlungsunfähige Partei im Verwaltungsverfahren durch einen Bevollmächtigten vertreten ist, nicht dazu führen kann, dass damit die Handlungsfähigkeit gegeben wäre, spricht mehr dafür, auch im Fall der Vertretung eines Handlungsunfähigen durch einen Bevollmächtigten davon auszugehen, dass Akte, die entgegen § 11 AVG dem Handlungsunfähigen gegenüber gesetzt werden (mag der entsprechende Bescheid auch dem Bevollmächtigten zugestellt werden), unwirksam sind.

Die belangte Behörde konnte nun auf Grund der Anregung auf Bestellung eines Sachwalters in der Berufung (die auch mit sachverhaltsmäßigen Angaben konkretisiert wurde) nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer handlungsfähig gewesen sei bzw. dass sich auf Grund des aufrechten Vollmachtsverhältnisses die Untersuchung der Frage, ob der Beschwerdeführer handlungsfähig gewesen sei, erübrige. Insbesondere konnte sie nicht davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer dem Beschwerdevertreter auch Vollmacht zur Führung der für das vorliegende Verwaltungsverfahren maßgebenden Geschäfte (Verwaltung der in Rede stehenden Liegenschaft) erteilt gehabt hätte.

In prozessualer Hinsicht bedeutet dies im Beschwerdefall, dass die belangte Behörde gehalten gewesen wäre, die Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides zu prüfen. Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 8. Juli 1971, Zl. 487/71, Slg. 8057 A, festgestellt hat, ist eine Zustellung an eine beschränkt handlungsfähige Person unwirksam. Ein durch eine solche Zustellung zu erlassender Bescheid wird damit nicht erlassen.

Wie oben ausgeführt, kann auch die Zustellung an den Bevollmächtigten (die - wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat - grundsätzlich an den Bevollmächtigten zu erfolgen hätte) nicht zur wirksamen Erlassung des Bescheides führen. Es ist daher im Beschwerdefall nicht von ausschlaggebender Bedeutung, ob der erstinstanzliche Bescheid (auch) dem Beschwerdevertreter übermittelt worden ist.

Die belangte Behörde hätte daher festzustellen gehabt, ob der Adressat der gegenständlichen Aufträge zum Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides handlungsfähig war. Wäre diese Frage zu verneinen, wäre eine rechtswirksame Erlassung der gegenständlichen erstinstanzlichen Aufträge nur nach Bestellung eines Sachwalters nach § 11 AVG durch Zustellung an diesen Sachwalter möglich gewesen. Daran ändert auch nichts, dass - wie dem Verwaltungsgerichtshof zwischenzeitig mitgeteilt wurde -, für den Beschwerdeführer nunmehr vom Pflegschaftsgericht ein Sachwalter bestellt wurde. Diese Bestellung ist nicht konstitutiv in dem Sinne, dass für Zeiträume vor der Bestellung von der Prozessfähigkeit des Betroffenen auszugehen wäre (vgl. auch dazu die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, unter E 14 zu § 9 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Da die belangte Behörde - wie sich auch aus der Gegenschrift ergibt - aufgrund der falschen Rechtsansicht, dass eine Bestellung eines Sachwalters bei der gegebenen Sachlage nicht erforderlich wäre, ohne Feststellung des maßgebenden Sachverhalts, nämlich ob der Beschwerdeführer handlungsfähig war, den angefochtenen Bescheid erlassen hat und damit die beiden im Bescheid erster Instanz enthaltenen Aufträge aufrechterhalten hat, ohne festgestellt zu haben, ob diese Aufträge einem handlungsfähigen Beteiligten erteilt werden, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

4. Der angefochtene Bescheid war daher aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

6. Mit der Entscheidung in der Sache erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 25. März 1999

Schlagworte

Handlungsfähigkeit Prozeßfähigkeit Kurator Sachwalter gesetzlicher Vertreter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998060141.X00

Im RIS seit

24.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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