TE Bvwg Beschluss 2018/12/20 L507 2203621-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.12.2018
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Entscheidungsdatum

20.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs3 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §6 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §66 Abs2
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

L507 2203621-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. staatenlos, vertreten durch RA Mag. Muna Duzdar, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2018, Zl. XXXX, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein staatenloser Palästinenser aus dem Libanon, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 03.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30.11.2015 und bei den niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 12.04.2016, 12.04.2017 und 29.09.2017 brachte der Beschwerdeführer zusammenfassend vor, dass er staatenloser Palästinenser aus dem Libanon sei und dort im Flüchtlingslager Ain al-Hilweh gelebt habe. Der Beschwerdeführer bzw. die Familie des Beschwerdeführers sei bei UNRWA registriert. Die Ehegatten und die beiden Söhne des Beschwerdeführers sowie dessen Mutter und ein Bruder würden nach wie vor in Ain al-Hilweh leben. Der Beschwerdeführer habe für die palästinensischen Flüchtlingsbehörden als Fahrer eines Ambulanzwagens gearbeitet. Den Libanon habe der Beschwerdeführer am 08.10.2015 in Richtung Syrien verlassen, weil er von fundamentalistischen Gruppierungen bedroht worden sei. Am 22 oder 23.08.2015 habe es in Flüchtlingslagern Gefechte zwischen Jund Alscham und der palästinensischen Fatah gegeben. Die libanesischen Sicherheitsbehörden hätten infolgedessen Krankenwagen und Sanitäter nicht mehr ins Lager gelassen und Spitäler seien angewiesen worden, keine verletzten Personen zu behandeln. Dem Beschwerdeführer seien an diesem Tag die Autoschlüssel abgenommen worden. Von Seiten der Jund Alscham sei jemand gesucht worden, der verletzte Personen ins Krankenhaus bringen solle. Da der Verletzte nicht ins Krankenhaus gebracht worden sei, sei er verstorben, weshalb das medizinische Personal und die Fahrer der Krankenwagen von Mitgliedern der Jund Alscham bedroht worden seien. Am 28.08.2015 sei ein Kollege des Beschwerdeführers aus der Verwaltung der palästinensischen Sicherheitsbehörde getötet worden. Aufgrund dieser Vorfälle habe der Beschwerdeführer das Flüchtlingslager Ain al-Hilweh und in der Folge den Libanon verlassen.

Zum Beweis seines Vorbringens brachte der Beschwerdeführer ein Konvolut von verschiedenen Schriftstücken in arabischer Sprache in Vorlage (AS 59 bis 75 und AS 81 bis 103).

Eine Anordnung betreffend eine Übersetzung der vom Beschwerdeführer in arabischer Sprache vorgelegten Schreiben bzw. Übersetzungen dieser Schreiben in die deutsche Sprache finden sich im Akt des BFA nicht.

2. Mit Bescheid des BFA vom 18.07.2018, Zl. XXXX, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 und § 6 Abs. 1 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Im angefochtenen Bescheid wurden unter anderem folgende vom Beschwerdeführer in Vorlage gebrachte Beweismittel aufgezählt:

-

ihre niederschriftliche Erstbefragung vom 30.11.2015

-

ihre niederschriftlichen Einvernahmen vom 12.04.2016, 12.04.2017 und 29.09.2017

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gesamter Inhalt ihres Asylaktes IFA XXXX

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aktuelle Länderfeststellungen des BFA zum Libanon

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Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Libanon: Rückkehr für staatenlose Palästinenser vom 05.06.2018

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ZMR-Auskunft

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GVS-Auskunft

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EKIS- Auszug

Dazu traf die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid unter anderem die Feststellung, dass die vom Beschwerdeführer angegebenen Gründe, wonach er den Libanon aus Furcht vor Verfolgung durch eine terroristische Gruppe, namens Jund al-Sham, verlassen habe, für nicht wahr erachtet werden.

Dem Beschwerdeführer drohe aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Palästinenser im Libanon keine konkret gegen ihn gerichtete psychische bzw. physische Gewalt. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung im Libanon ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche zukünftig zu befürchten habe.

Beweiswürdigend wurde von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid unter anderem folgendes wörtlich ausgeführt (Wortwiederholungen und grammatikalische Fehler wie im Original):

"[...]

Sie behaupteten in der niederschriftlichen Einvernahme Furcht vor Verfolgung durch vor Verfolgung durch eine terroristische Gruppe, namens Jund al-Sham im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Rettungsfahrer für die Fatah.

Im Fokus ihres Vorbringens steht eine Verfolgung durch eine terroristische Gruppe mit den Namen Jund al- Sham. Diese Verfolgung soll ihren Ursprung in der angeblichen Tätigkeit als Rettungsfahrer für die Fatah stehen. Sie legten auch im Zuge der Einvernahme legten sie auch etliche Beweismittel vor.

Bezüglich ihres Vorbringens muss gesondert differenziert werden, dabei gilt zu berücksichtigen, dass ihre Arbeitstätigkeit als Rettungsfahrer anhand ihrer Angaben in der Einvernahme nicht plausibel bzw. glaubhaft erscheint. Dabei wird ausgeführt, dass es zu erwarten gewesen wäre, dass sie detailreich und objektiv nachvollziehbar darlegen können, welche Aufgabenbereiche die Tätigkeit eines Rettungsfahrer konkret umfasst, hierbei bleiben sie während der Schilderung ihres Fluchtvorbringens äußerst vage und unkonkret, sodass auch nach mehrmaligen Vorhalt, nicht glaubhaft war, dass sie tatsächlich einer Arbeitsfähigkeit als Rettungsfahrer nachgegangen wären. So dass die weitere Schilderung der Ereignisse fußend auf der Arbeitstätigkeit als Rettungsfahrer ebenso wenig glaubhaft erscheint. Zu dem konnten sie auch nicht ansatzweise erklären von welchem Personenkreis sie bedroht worden wären. Es ist nicht nachvollziehbar, dass ausgerechnet sie, dass sie unter der hypothetischen Annahme tatsächliche Angehöriger der Fatah zu sein, das Land verlassen und nicht einmal konkret zu schildern, von welchem Personenkreises, diene Verfolgung ausgehen soll. Diesbezüglich wurde ihnen mehrere zusammenhängende Frage in der Einvernahme gestellt, welche sie nicht nachvollziehbar erklären konnten, sodass ausgehend von ihrer angeblichen Arbeitstätigkeit und der Zugehörigkeit zur Fatah, zu erwarten gewesen wäre, dass sie zu dem Personenkreis, welcher sie konkret bedrohen würde auch dementsprechend konkrete und genauere Angaben machen können.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass sie sich bei der Tante versteckt haben und auch das Land in weitere Folge verlassen haben ohne überhaupt konkret zu wissen, wer sie verfolgen würde bzw. weshalb ausgerechnet sie als Rettungsfahrer verfolgt werden würden. Schließlich betraf das von ihnen geschilderte Fahrverbot für Rettungsfahrer und es ist nicht ersichtlich, dass es zu Verfolgungshandlung gegen ihre Person kommen könnte. Noch dazu erscheint es für die Behörde nicht nachvollziehbar, warum andere angebliche Rettungsfahrer, wie der von ihnen genannte [] noch unbehelligt ihrer Arbeitstätigkeit nachgehen können. Ihre Behauptungen, dass [] verschont wird, weil er auch Arzt ist, sind nicht nachvollziehbar, dass es den vermeintlichen Bedrohern eigentlich egal sein sollte, welche Arbeitstätigkeit diese Person ausübt. Noch dazu bekamen sie nach eigenen Angaben die Weisung von [] dem Chef des Spitals, eigentlich müssen in logischer Konsequenz die Verfolger an ihm und nicht an sie wenden.

Dennoch wird besonders hervorgehoben, dass ihre Arbeitstätigkeit als Rettungsfahrer aufgrund ihrer Angaben nicht als glaubhaft bewertet wird. Daher wird eine auf diesen Umständen fußenden Gefahrensituation als nicht ausreichend bewertet.

[...]

Zusammenfassend konnten sie eine direkte, gegen ihre Person gerichtete Verfolgung bzw. Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft machen. Es lässt sich erkennen, dass sie dazu tendieren ihre bisherigen persönlichen Erfahrungen im Herkunftsstaat aus verfahrenstaktischen Gründen nicht den Tatsachen entsprechend bzw. verfälscht oder übersteigert negativ darzustellen, um dadurch einen Aufenthaltstitel über das Asylverfahren zu erlangen. Aufgrund dessen ist davon auszugehen, dass ihr Vorbringen beim BFA eine gedankliche Konstruktion darstellt!

Es ist nicht davon auszugehen, dass sie in ihrem Herkunftsland asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt waren, bzw., dass sie eine solche Verfolgung künftig zu befürchten hätten.

Aufgrund dessen ist davon auszugehen, dass ihr Vorbringen beim BFA eine gedankliche Konstruktion darstellt!

[...]"

3. Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 24.07.2018 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid wurde am 06.08.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben und die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung beantragt.

Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass mit keinem Wort die Urkunden erwähnt, angeführt noch gewürdigt worden seien noch die vom Beschwerdeführer vorgelegte Bestätigung der palästinensischen Sicherheitsbehörde, dass der Beschwerdeführer mit dem Leben bedroht worden sei, sowie weiters die Bestätigung vom palästinensischen Volkskomitee, dass der Beschwerdeführer in Lebensgefahr sei.

Zwei Bescheinigungen der im Lager fungierenden palästinensischen Institutionen würden dem BFA vorliegen, wonach der Beschwerdeführer mit seinem Leben bedroht worden sei.

Zudem liege der Behörde ebenfalls ein Video vor, in welchem Anhänger der terroristischen Gruppierung, die der Beschwerdeführer mehrfach genannt habe - Jund al-Sham - im Video erklären würden, den Beschwerdeführer töten zu wollen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A):

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

Gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen relevanter behördlicher Sachverhaltsermittlungen. Hinsichtlich dieser Voraussetzung gleicht die Bestimmung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG jener des § 66 Abs. 2 AVG, der als - eine - Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung gleichfalls Mängel der Sachverhaltsfeststellung normiert, sodass insofern - auch wenn § 66 Abs. 2 AVG im Gegensatz zu § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG als weitere Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraussetzt - auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückgegriffen werden kann.

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

3. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Der Beschwerdeführer stützte sein Vorbringen insbesondere darauf, dass er aufgrund seiner Tätigkeit als Rettungsfahrer von einer terroristischen Gruppierung im Libanon bedroht worden sei.

Vom Beschwerdeführer wurde zu Beweiszwecken bzw. zur Untermauerung seines Vorbringens ein Konvolut von Schreiben in arabischer Sprache in Vorlage gebracht.

Ohne jedoch eine Übersetzung dieser Schreiben in die deutsche Sprache zu veranlassen und sich im Ermittlungsverfahren mit diesen in Vorlage gebrachten Beweismittel auseinander zu setzen bzw. im Rahmen einer Einvernahme dem Beschwerdeführer eine Möglichkeit einzuräumen, sich zu den in Vorlage gebrachten Beweismittel zu äußern, traf die belangte Behörde sogleich eine Sachentscheidung und kam im angefochtenen Bescheid in den beweiswürdigenden Ausführungen zu dem Ergebnis, dass die gesamten Angaben des Beschwerdeführers nicht glaubhaft seien.

Da es die belangte Behörde unterlassen hat, die vom Beschwerdeführer in arabischer Sprache in Vorlage gebrachten und für die Beurteilung der Rechtssache relevanten Bescheinigungsmittel in die deutsche Sprache übersetzen zu lassen, war jedoch jegliche inhaltliche Auseinandersetzung hiermit unmöglich.

Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln sowohl in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität als auch in Bezug auf die Frage des Vorliegens einer realen Gefahr, inwiefern eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak für den Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, und erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung des Beschwerdeführers unter dem Aspekt der Gewährung des Status des Asylberechtigten oder der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten als so mangelhaft, dass weitere notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.

Damit hat die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Ermittlungen teils gänzlich unterlassen, wobei diese Ermittlungen nunmehr durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden müssten.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen der belangten Behörde nicht feststeht und diese Ermittlungstätigkeit sowie die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (erstmals) durch das Bundesverwaltungsgericht selbst vorgenommen werden müsste, war gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde vorzugehen.

Die belangte Behörde wird sich daher im fortgesetzten Verfahren - nach erfolgter Übersetzung der in arabischer Sprache in Vorlage gebrachten Dokumente und Schriftstücke in die deutsche Sprache und einer neuerlichen Einvernahme des Beschwerdeführers - mit dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten Sachverhalt auseinander zu setzen haben.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (s. § 28 Abs. 3,

3. Satz VwGVG; vgl. auch z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG); durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc,

s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu § 28 VwGVG; vgl. auch 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass die belangte Behörde das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird.

4. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, zumal aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit dem Vorbringen in der Beschwerde feststeht, dass der angefochtene Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen war.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß

Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Abschiebung, Asylverfahren, Aufenthaltstitel, Behebung der
Entscheidung, berücksichtigungswürdige Gründe, Ermittlungsmangel,
Ermittlungspflicht, Glaubhaftmachung, Kassation, mangelhaftes
Ermittlungsverfahren, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
maßgebliche Wahrscheinlichkeit, Nachvollziehbarkeit,
Rückkehrentscheidung, subsidiärer Schutz, Übersetzung,
Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L507.2203621.1.00

Zuletzt aktualisiert am

02.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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