TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/21 W210 2193857-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.03.2019
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Entscheidungsdatum

21.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W210 2193857-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anke SEMBACHER über die Beschwerde die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.03.2018, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.02.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 11.01.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 13.01.2015 wurde der Beschwerdeführer von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines zugewiesenen Rechtsberaters zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinem Fluchtgrund befragt. Hierbei gab er an, Afghanistan als Kind mit seinen Eltern verlassen zu haben. Die Familie sei vor den Taliban nach Pakistan geflüchtet. Seit 2007 würde die Verfolgung von Hazara und Schiiten in Pakistan zunehmen, er sei aus Angst um sein Leben geflohen. In Pakistan würden noch seine Mutter und seine Geschwister leben.

3. Im Verfahren wurde sodann eine Altersfeststellung durchgeführt, nach dem erstatteten Gutachten der medizinischen Universität Wien vom 03.04.2015 ist das Geburtsdatum des Beschwerdeführers der XXXX und nicht so wie von ihm angegeben der XXXX . Dieses Ergebnis wurde dem Beschwerdeführer und seinem gesetzlichen Vertreter mit Verfahrensanordnung vom 02.03.2016 mitgeteilt.

4. Am 03.01.2017 wandte sich der Beschwerdeführer an die Volksanwaltschaft wegen seiner Verfahrensdauer.

5. Am 24.01.2017 wurde der Beschwerdeführer erstmals vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Befragt nach seinem Fluchtgrund gab er an, Pakistan wegen der sich immer weiter steigernden Verfolgung der Volksgruppe der Hazara verlassen zu haben. In Afghanistan werde er von Kuchi-Nomaden bedroht. Die Familie stamme aus XXXX . Der Beschwerdeführer sei als Säugling XXXX ausgereist und habe seither in Pakistan gelebt. Seine Eltern hätten Afghanistan aufgrund der Bedrohung durch die Taliban verlassen. Der Vater des Beschwerdeführers sei 2012 am Dengue-Fieber verstorben, seine Mutter und seine Geschwister würden noch in Afghanistan leben. Unter einem legte der Beschwerdeführer Empfehlungsschreiben von ihn betreuenden Personen, Schulbesuchsbestätigungen, Fotos sowie zwei Deutschkurs-zertifikate A2 und B1 vor.

6. In der fortgesetzten Einvernahme am 06.02.2017 gab der Beschwerdeführer an, sein Vater habe in Pakistan als Wachmann gearbeitet und dann ein Geschäft in XXXX aufgesperrt, wo er frische Säfte verkauft hätte. Nach dem Tod des Vaters hätten seine Mutter und er das Geschäft weiterbetrieben, seine Mutter habe ihm bei Bedarf im Geschäft geholfen. Der Beschwerdeführer habe das Geschäft im Februar 2014 verkauft, es sei jetzt im Besitz eines Pakistani. Seine Familie halte sich nach wie vor in Pakistan auf, er habe eine Woche zuvor mit seiner Schwester über das Internet Kontakt gehabt. Der Familie gehe es finanziell schlecht, auch habe sich die Sicherheitslage in XXXX verschlechtert. Der Beschwerdeführer habe im Jänner 2014 den Entschluss gefasst, Pakistan zu verlassen und sei im Mai oder Juni 2014 aus Pakistan ausgereist. Im Jänner 2015 sei er dann in Österreich eingereist. Auf seiner Flucht habe er vier Monate im Iran gearbeitet. Zur Kontaktaufnahme und zur Zahlung der Schlepper machte der Beschwerdeführer unterschiedliche Angaben. Zu seinem Schulbesuch in Pakistan gab er an, die Schule von 2004 bis 2012 besucht zu haben, Zeugnisse könne er keine vorlegen. Darüberhinaus machte der Beschwerdeführer Angaben zu seinem Familienleben in Pakistan und zu seinem Leben in Österreich. Die Familie habe Afghanistan verlassen. Der Grund sei gewesen, dass Dörfer "von Taliban von Kuchi" angegriffen wurden. In Pakistan sei das Geschäft seines Vaters, das eine Filiale der Kette namens " XXXX " gewesen sei, ebenso wie alle anderen Filialen bedroht worden, da alle Afghanen und alle Schiiten gehört hätten. Im Jänner 2014 habe es einen Anschlag auf eine Filiale gewesen, die Familie habe daraufhin die Filiale aufgegeben, der Beschwerdeführer sei nur zu Hause gesessen. Im Mai oder April 2014 sei der Beschwerdeführer auf einer Versammlung in einer Moschee gewesen und auf dem Nachhauseweg um halb vier Uhr in der Nacht von bewaffneten Männern angegriffen worden. Im Auto seien acht Personen gesessen, alle hätten aussteigen müssen, zwei von ihnen hätten Paschtu gesprochen, weshalb man die Gruppe für Usbeken gehalten und nicht als Hazara erkannt hätte und sie laufen gelassen hätte. Der Beschwerdeführer sei nach Hause gekommen und habe seiner Mutter alles erzählt, diese habe daraufhin entschieden, dass der Beschwerdeführer fliehen müsse. Er könne nicht mehr in Pakistan leben, in Afghanistan kenne er niemanden.

7. Mit Eingabe vom 24.05.2017 ersuchte das Arbeitsmarktservice um Bekanntgabe des Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers. In weiterer Folge wurde dem Beschwerdeführer eine Beschäftigungsbewilligung für eine Lehre als Restaurantfachmann vom 01.07.2017 bis 01.10.2020 erteilt.

8. Mit Eingabe der LPD XXXX vom 25.06.2017 wurde die belangten Behörde gemäß § 30 Abs. 2 BFA-VG informiert, dass der Beschwerdeführer auf frischer Tat betreten worden sei, vorgeworfen wurde eine versuchte Vergewaltigung. In weiterer Folge wurde die Untersuchungshaft über den Beschwerdeführer verhängt, der Beschluss über die Verhängung wurde der belangten Behörde übermittelt.

9. Mit Schreiben vom 26.06.2017 teilte die StA Wien mit, dass gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen § 15 StGB, § 201 StGB und § 202

(1) StGB erhoben wurde.

10. Mit Schreiben vom 05.07.2017 wurde um Überstellung des Beschwerdeführers zur Einvernahme im Asylverfahren ersucht, die JA

XXXX teilte mit, dass der Beschwerdeführer stationär im Krankenhaus behandelt würde.

11. Mit Verfahrensanordnung vom 30.06.2017 wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 13 AsylG der Verlust seines Aufenthaltsrechts wegen Verhängung der Untersuchungshaft mitgeteilt.

12. Am 06.07.2017 wurde der Beschwerdeführer erneut niederschriftlich einvernommen, wobei er angab, wegen eines Hungerstreiks im Krankenhaus gewesen zu sein. Er wiederholte seine Angaben aus dem bisherigen Verfahren zu seinem Leben in Pakistan, zu seiner Familie, gab jedoch an, dass die Mutter nun als Schneiderin arbeiten würde. Er habe in Österreich seit einem Jahr eine Freundin namens XXXX , sie wünsche aber nicht, dass die Bekanntschaft bekannt wird. Er sei schiitischer Moslem.

13. Mit Schreiben vom 31.07.2017 wurde ein Zeugnis über einen Pflichtschulabschluss übermittelt.

14. Am 08.08.2017 wurde der Beschwerdeführer unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen.

15. Am XXXX kam es zu ersten Hauptverhandlung am Landesgericht für Strafsachen Wien, das Urteil erwuchs nicht in Rechtskraft. Die Staatsanwaltschaft erhob Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung.

16. Auf Nachfrage teilte das Arbeitsmarktservice am 14.11.2017 mit, dass der Beschwerdeführer seine ursprüngliche Lehrstelle nicht angetreten hätte, aber seit 04.10.2017 eine andere Lehrstelle hätte.

17. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Weiter wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Zuletzt wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

In der Begründung des Bescheids führte die belangte Behörde unter Zugrundelegung von Länderberichten mit Stand 30.01.2018 aus, der Beschwerdeführer habe keine konkrete Verfolgungshandlung oder eine konkret seine Person betreffende Verfolgungsgefährdung in Afghanistan vorgebracht, das Fluchtvorbringen beziehe sich auf Pakistan. Unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen würden sich keine Hinweise für das Vorliegen eines asylrelevanten Sachverhaltes finden. Betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führt der angefochtene Bescheid aus, dass sich keine Hinweise darauf ergeben hätten, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan im Recht auf Leben gefährdet, Folter, unmenschlicher Behandlungen oder Strafen unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht sein könnte. Dem Beschwerdeführer sei es zumutbar, sich in einer sicheren Gegend wie Kabul niederzulassen, im Einzelfall des Beschwerdeführers auch ohne familiäres bzw. soziales Netzwerk. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz sei nicht zu erteilen, weil die Voraussetzungen nicht vorlägen. Ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK liege nicht vor. Weiters wurde auch das Privatleben des Beschwerdeführers ermittelt. Die belangte Behörde führte sodann eine Abwägung zwischen den bestehenden öffentlichen Interessen und jenen des Beschwerdeführers durch und kam dabei zum Schluss, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei. Im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG genannten Voraussetzungen sei seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig. Da im Falle des Beschwerdeführers keine Gründe haben festgestellt werden können, die dieser bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, betrage die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 FPG 14 Tage.

18. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch den ihm amtswegig beigegebenen Rechtsberater, die gegenständliche Beschwerde. Zu seinen Fluchtgründen bringt der Beschwerdeführer in der Beschwerde vor, dass seine Eltern Afghanistan wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Hazara und aufgrund einer Bedrohung durch die Taliban verlassen hätten, er habe keine Anknüpfungspunkte in Afghanistan, die Familie lebe in Pakistan. Der Beschwerdeführer könne nicht in die Heimatprovinz seiner Eltern zurückkehren, eine innerstaatliche Fluchtalternative sei ihm nicht zumutbar. Auch sei der Beschwerdeführer nicht streng religiös. Die Rückkehrentscheidung greife in seine Rechte nach Art. 8 EMRK ein, da der Beschwerdeführer sehr gut integriert sei.

19. Mit Datum vom 26.04.2018 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

20. Mit Schreiben vom 05.07.2018 brachte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ein und legte Empfehlungsschreiben, ein Zwischenzeugnis und ein Jahreszeugnis für das Jahr 2017/2018 vor ebenso wie mehrere Berichte.

21. Mit Ladungen vom 23.01.2019 wurden der Beschwerdeführer, die belangte Behörde sowie eine Dolmetscherin für die Sprache Dari zur Verhandlung geladen. Dem Beschwerdeführer wurden unter einem das Länderinformationsblatt zu Afghanistan vom 29.06.2018, Stand:

22.01.2019, die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, der EASO-Country Guidance vom Juni 2018 samt deutschen Teilübersetzungen, der ACCORD-Bericht zur Lage in Herat, Mazar-e Sharif und Kabul vom 07.12.2018 übermittelt.

22. Die belangte Behörde legte den Strafantrag der Staatsanwaltschaft, das Urteil vom XXXX zu XXXX sowie den Beschluss des OGH vom XXXX zu XXXX vor.

23. Die vorsitzende Richterin am Straflandesgericht teilte am 20.02.2019 mit, dass das Urteil vom XXXX wegen § 15 StGB iVm § 202 Abs. 1 StGB in zwei Fällen noch nicht rechtskräftig sei. Der Beschwerdeführer habe das Urteil angenommen, die Staatsanwaltschaft habe ein Rechtsmittel angemeldet. Das Urteil sei noch nicht ausgefertigt worden.

24. Mit Eingabe vom 20.02.2019 übermittelte die belangte Behörde den Bescheid vom 05.02.2019, mit welchem dem Beschwerdeführer mitgeteilt wurde, dass er das vorläufige Aufenthaltsrecht gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 und 3 AsylG 2005 ab dem 30.06.2017 verloren hat.

25. Am 21.02.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht die Verhandlung im Beisein einer Dolmetscherin, zweier Vertreter der belangten Behörde, des Beschwerdeführers, einer Vertrauensperson sowie zweier stellig gemachter Zeugen statt. Die mündlich erteilte Vollmacht des Beschwerdeführers an den erschienen Vertreter ad personam beschränkte sich auf die Vertretung in der Verhandlung und beinhaltete ausdrücklich keine Zustellvollmacht. Der Vertreter legte eine Stellungnahme zu den zuvor übermittelten Länderberichten samt schriftlicher Vollmacht vor. Der Antrag auf zeugenschaftliche Einvernahme der XXXX wurde vom BFV in der Verhandlung zurückgezogen.

26. Mit Eingabe vom 06.03.2019 teilte eine Unterstützerin der belangten Behörde die neue Meldeadresse des Beschwerdeführers in XXXX mit.

27. Auf Anfrage vom 18.03.2019 teilte die belangte Behörde mit, dass der Bescheid vom 05.02.2019 über den Verlust des vorläufigen Aufenthaltsrecht in Rechtskraft erwachsen ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA und den hiergerichtlichen Akt betreffend den Beschwerdeführer; insbesondere in die Befragungsprotokolle und in die durch das BFA in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 21.02.2019 und Einholung neuer Länderberichte, so das Länderinformationsblatt vom 29.06.2018, Stand 22.01.2019, die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, die EASO Country Guidance vom Juni 2018 samt Übersetzung in Teilen, die ACCORD-Bericht zur Lage in Herat, Mazar-e Sharif und Kabul vom 07.12.2018 und Einholung einer Stellungnahme zu diesen Berichten sowie die Berücksichtigung der dort zitierten Berichte und Judikate.

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Österreich:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Der Beschwerdeführer bezeichnet sich als "nicht streng religiös". Er ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wurde XXXX geboren, dies liegt im Distrikt XXXX , auch " XXXX ".Sein Geburtsdatum wurde mit XXXX festgestellt. Der Beschwerdeführer gab sein Geburtsdatum selbst mit XXXX an. Die Eltern des Beschwerdeführers stammen aus der afghanischen Provinz XXXX und verließen Afghanistan mit dem Beschwerdeführer im Jahr XXXX aufgrund der damals herrschenden Sicherheitslage in Afghanistan. Seitdem lebt die Familie in Pakistan. Der Beschwerdeführer war zuletzt in XXXX in der Ortschaft XXXX aufhältig. Der Vater des Beschwerdeführers starb 2012, die Mutter und die Geschwister des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Pakistan an der letzten Adresse des Beschwerdeführers dort. Die Mutter arbeitet als Schneiderin, der Beschwerdeführer schickt seiner Mutter alle zwei bis drei Monate Geld und hält Kontakt via WhatsApp und via Messenger. Zuletzt hatte er zwei Wochen vor der Verhandlung Kontakt mit seiner Mutter. Die älteste Schwester des Beschwerdeführers ist verheiratet und lebt in XXXX . Dem Beschwerdeführer ist nicht bekannt, ob er noch Verwandte in Afghanistan hat.

Der Beschwerdeführer hat in Pakistan von 2004 bis 2012 eine Schule besucht. Nach dem Tod des Vaters hat er dessen Geschäft, eine Saftbar der Kette " XXXX ", in XXXX , Stadtteil XXXX bewirtschaftet. Seine Mutter half ihm dabei, seit der Ausreise des Beschwerdeführers arbeitet sie als Schneiderin. Das Geschäft wurde vor seiner Ausreise aus Pakistan verkauft. Der Beschwerdeführer hat Pakistan im Mai oder Juni 2014 verlassen. Es konnte nicht festgestellt werden, weshalb der Beschwerdeführer Pakistan verlassen hat.

Der Beschwerdeführer spricht Dari, Farsi, Hazaragi, Urdu, Englisch und Deutsch.

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen Anfang 2015 in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 11.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Auf seinem Weg nach Österreich verbrachte er vier Monate im Iran, in denen er auf einer Baustelle arbeitete. Diese Arbeit fand er durch die Hilfe eines Schleppers. Mit dem daraus gewonnenen Einkommen finanzierte er seinen Aufenthalt im Iran und seine Weiterreise nach Europa.

Der Beschwerdeführer legte Deutschprüfungen bis zum Niveau B1, diese Prüfung erfolgte am 11.11.2016, ab und besuchte die Schule. Er holte den Pflichtschulabschluss in Österreich nach. Er macht seit 04.10.2017 eine Lehre zum Restaurantfachmann bei der XXXX . Der Beschwerdeführer trifft in seiner Freizeit Freunde und unternimmt Aktivitäten mit der Familie seiner Unterstützerin. Seit 05.03.2019 ist er an der Adresse seiner Unterstützerin in XXXX gemeldet.

Der Beschwerdeführer ist gesund und leidet an keiner Erkrankung.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich in Erscheinung getreten, wobei er von Polizeibeamten in Zivil im Rahmen des XXXX auf frischer Tat ertappt wurde und in weiterer Folge in Untersuchungshaft eingeliefert wurde. Aus dieser wurde er am 08.08.2017 gegen die Auflage eines gelinderen Mittels entlassen. Als gelinderes Mittel wurde die vorläufige Bewährungshilfe angeordnet, welche aufgrund des zur Last gelegten Deliktes zumindest ein Treffen alle zwei Wochen vorsieht.

Die Staatsanwaltschaft Wien erstattete zu diesem Vorfall zu XXXX Anklage, vorgeworfen wurde das Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung gemäß § 202 Abs. 1 StGB sowie das Verbrechen der Vergewaltigung gemäß §§ 15, 201 Abs. 1 StGB. Dieser Anklageschrift nach wurde dem Beschwerdeführer zum Vorwurf der geschlechtlichen Nötigung gemäß § 202 Abs. 1 StGB vorgeworfen, das Opfer am XXXX mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt zu haben, " XXXX " Zum Vorwurf der Vergewaltigung gemäß §§ 15, 201 Abs. 1 StGB hält die Anklageschrift fest, dass der Beschwerdeführer XXXX

".

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX , XXXX wurde der Beschwerdeführer der versuchten geschlechtlichen Nötigung gemäß §§ 15, 202 Abs. 1 StGB für schuldig befunden, da er das Opfer " XXXX ." Dafür wurde der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wobei 12 Monate unter einer Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurden. Vor Vorwurf der geschlechtlichen Nötigung gemäß § 202 Abs. 1 StGB aufgrund des XXXX wurde der Beschwerdeführer gemäß § 259 Ziffer 3 StPO freigesprochen.

Gegen dieses Urteil erhob die Staatsanwaltschaft Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung. Darüber entschied der Oberste Gerichtshof mit Entscheidung vom XXXX , XXXX . Der Nichtigkeitsbeschwerde wurde stattgegeben, das angefochtene Urteil zur Gänze ebenso wie der gemäß § 494 StPO gefasste Beschluss behoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Erstgericht zurückverwiesen. Der OGH kritisierte dabei zum ersten Anklagepunkt unter anderem die mangelnde Verwertung der Zeugenaussagen der einschreitenden Beamten als unmittelbare Tatzeugen, die eine Nötigung des Opfers zur Duldung körperlicher Kontakte, auch in Form geschlechtlicher Handlungen, mit Gewalt indizieren, wobei der OGH hier eine Subsumtion unter § 202 Abs. 1 StGB annimmt, aber jedenfalls zumindest eine Nötigung gemäß § 105 Abs. 1 StGB als gegeben ansieht. Ebenso sah der OGH eine mangelnde Beachtung der zugestandenen Tathandlungen des Beschwerdeführers und der mangelnden Verwertung der Aussage des Opfers dazu sowie weiterer Zeugen, die nach dem Urteil des OGH zu einer mangelnden Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer angewandten Gewalt geführt haben, damit wurden " XXXX " (Hervorhebung im Original). Zum zweiten Anklagepunkt rügt der OGH ebenso die unvollständige und demnach unrichtige Wiedergabe der Aussage eines einschreitenden Polizisten sowie die daraus folgende Schlussfolgerung, zudem wurde gerügt, dass die subjektive Einlassung des Beschwerdeführers deshalb nicht entsprechend gewürdigt wurde und dies zu unzutreffenden Negativfeststellungen geführt hat. Das Urteil wird auch zum diesem zweiten Anklagepunkt infolge zutreffender Mängelrüge als unvollständig eingeordnet, die in weiterer Folge angeführten Verfahrensergebnisse erachtete der OGH als geeignet, einen auf Geschlechtsverkehr ausgerichteten Vorsatz zu belegen. Im Übrigen wurde die Staatsanwaltschaft zu ihrer Berufung auf die Kassation des Strafausspruchs verwiesen.

Am XXXX fand nun eine erneute Hauptverhandlung statt, wobei der Beschwerdeführer nun wegen beider angeklagter Fakten verurteilt wurde, nämlich wegen versuchter geschlechtlicher Nötigung gemäß §§ 15, 202 Abs. 1 StGB in zwei Fällen. Es wurde eine Freiheitsstrafe von 21 Monaten Freiheitsstrafe, davon ein Teil bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von 3 Jahren, ausgesprochen. Weiters wurde die Absolvierung einer Therapie angeordnet. Der Beschwerdeführer hat das Urteil im Beisein seines Rechtsanwalts angenommen, die Staatsanwaltschaft hat erneut ein Rechtsmittel angemeldet.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, weder vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe noch aus Gründen seiner politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen). Insbesondere hatte der Beschwerdeführer weder durch seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara noch durch jene zur schiitischen Glaubensrichtung eine Verfolgung in Afghanistan zu fürchten.

Die Eltern des Beschwerdeführers haben Afghanistan 1998 wegen der damals herrschenden Sicherheitslage verlassen, es gab keine konkreten Verfolgungshandlungen. Dem Beschwerdeführer droht bei seiner Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung durch die Kuchi-Nomaden.

Dem Beschwerdeführer droht im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung aufgrund seines Aufenthaltes in Europa.

1.3. Zur Lage in Afghanistan:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 22.01.2019 - LIB 22.01.2019, S.46).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 22.01.2019, S.47).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 22.01.2019, S.49).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 22.01.2019, S.57).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 22.01.2019, S.51).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 23.11.2018, S. 46). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 22.01.2019, S.51 ff.).

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet. Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden. Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (LIB 22.01.2019, S. 34 f.).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv und zeichnete im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia, auf die Mawoud-Akademie in Dasht-e Barchi/Kabul am 15.08.2018, auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi am 05.09.2018 sowie auf eine Demonstration gegen die Übergriffe der Taliban in Ghazni und Uruzgan am 12.11.2018 und auf das Kabuler Gefängnis Pul-i-Charkhi am 31.10.2018 verantwortlich (LIB 22.01.2019, S. 16, 23, 32; vgl. dazu auch unten II.2.3). Der ISKP, auch IS, hat eine eingeschränkte territoriale Reichweite und diese Übergriffe stehen zumeist mit einer vorgeworfenen Solidarität mit dem Iran und der Bekämpfung des IS in Syrien in Zusammenhang (EASO Country Guidance Notes, Seite 61 und 62).

Zur Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers - Maidan Wardak:

Maidan Wardak ist eine der zentralen Provinzen Afghanistans. Maidan

Shahr ist die Provinzhauptstadt. Distrikte der Provinz Wardak sind:

Sayed Abad, Jaghto, Chak, Daimirdad, Jalrez, central Bihsud/Behsood und Hisa-i-Awal Bihsud. Die Provinz Maidan Wardak grenzt im Norden an die Provinz Parawan, im Osten an die Provinzen Kabul und Logar, im Süden an die Provinz Ghazni und im (Nord)Westen an die Provinz Bamyan (LIB 22.01.2019, S. 231 und 247, Flughafenkarte). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 615.992 geschätzt. In der Provinz leben hauptsächlich ethnische Paschtunen, Tadschiken und Hazara; auch Kuchis sind in der Vergangenheit insbesondere in den Distrikt Behsood gezogen, wobei es im Frühling immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstößen in Konflikten um Weideland kam (LIB 22.01.2019, S. 231 mit Verweis auf EASO, Bericht zur Sicherheitssituation in Afghanistan, Seite 112; zum Konflikt um Weideland: LIB 22.01.2019, Seite 308). Mit Stand November 2017 ist die Provinz Wardak zumindest seit dem Jahr 2006 komplett opiumfrei - im Jahr 2005 wurden in Daimirdad noch 106 Hektar Mohnanbauflächen verzeichnet (LIB 22.01.2019, S. 231). Die Hauptstadt Maidan-Shahr ist ein Ziel von Intern-Vertriebenen (EASO-Country Guidance, S. 91).

Maidan Wardak ist sowohl über den internationalen Flughafen Kabul als auch über die internationalen Flughäfen Herat oder Mazar-e Sharif (LIB LIB 22.01.2019, S. 247, Flughafenkarte) und sodann über die Hauptautobahn "Ring Road" (von Kabul aus Richtung Kandahar) zu erreichen. Die Ring Road führt durch die Provinz Maidan Wardak und verbindet Kabul insbesondere mit den vier bedeutendsten Provinzhauptstädten Herat, Kandahar City, Jalalabad und Mazar-e Sharif (LIB 22.01.2019, S. 231 und 240). Die Ring Road ist mittlerweile asphaltiert (LIB 22.01.2019, S. 240). Polizisten arbeiten hart daran, die Autobahn von Minen zu befreien, da der südliche Abschnitt der Kabul-Kandahar Autobahn neun Provinzen mit der Hauptstadt Kabul verbindet (LIB 22.01.2019, S. 231).

Wardak zählt seit einiger Zeit zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Regierungsfeindliche, bewaffnete Aufständische sind in unterschiedlichen Distrikten aktiv - speziell in den Distrikten nächst der Autobahn. Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 81 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert; im gesamten Jahr 2017 wurden 83 zivile Opfer (42 getötete Zivilisten und 41 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten/willkürlichen Tötungen und Luftangriffen. Dies deutet einen Rückgang von 35% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 22.01.2019, S. 231 f.).

In der Provinz Wardak werden groß angelegte militärische Operationen durchgeführt; Aufständische werden getötet und festgenommen. Bei diesen Operationen werden unter anderem auch Führer von regierungsfeindlichen Gruppierungen getötet. Luftangriffe werden ebenso durchgeführt; bei diesen werden auch Aufständische getötet. Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (LIB 22.01.2019, S. 232). Am 21.01.2019 griffen die Taliban einen Stützpunkt des afghanischen Sicherheitsdienstes in Maidan Wardak an, die Opfer waren Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, die Angabe der Opferzahlen schwanken zwischen 12 und 126 (LIB 22.01.2019, S. 12).

Regierungsfeindliche bewaffnete Aufständische sind in unterschiedlichen Distrikten aktiv; dazu zählen u. a. die Taliban (LIB 22.01.2019, S. 233; EASO Country Guidance Juni 2018, S. 91). Die Taliban zeigen in Maidan Wardak, Distrikt Jalrez, eine hohe Präsenz. Die Distrikte Jalrez und Sayed Abad (auch: Saydabad) sind von den meisten Konflikten betroffen (EASO Country Guidance Juni 2018, S. 91). Die beiden Beshud-Distrikte fallen dagegen in die Kategorie der geringsten Konflikthäufigkeit (EASO Country Guidance Notes, Juni 2018, Seite 91, basierend auf Sicherheitseinschätzungen von EASO vom Mai 2018). Quellen zufolge hat das Haqqani-Netzwerk in einem Teil der Provinz Wardak eine Zentrale gehabt. Das Haqqani-Netzwerk operiert großteils in Ostafghanistan und der Hauptstadt Kabul (LIB 22.01.2019, S. 233).

Für den Zeitraum 1.1.2017-31.1.2018 wurden keine IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet (LIB 22.01.2019, S. 233).

Zum Konflikt der Kuchi mit den Einwohnern von Maidan Wardak

Die Kuchi, auch Kutschi, sind die Nomaden Afghanistans. Sie sind Angehörige der paschtunischen Volksgruppe und verteilen sich im ganzen Land. Im Jahr 2004 wurde die Anzahl der "aktiv migrierenden" Nomaden in Afghanistan auf 1.5 Millionen geschätzt. Diese Zahl beinhaltetete sowohl alle nomadischen Haushalte als auch aktiv migrierende Mitglieder von teilweise niedergelassenen Haushalten. Dennoch wird angenommen, dass die Zahl der Nomaden heutzutage niedriger ist. Die Anzahl jener vollständig-nomadischer Haushalte, die noch in Zelten leben und kein fixes Heim haben, ist heute wahrscheinlich gering. Viele nomadische Gemeinschaften sind teilweise sesshaft. Manche Mitglieder leben in Häusern und migrieren auch saisonal nicht, während andere Mitglieder mit dem Viehbestand jährlich in grünere Regionen migrieren. Der Großteil der Nomaden migriert während des Sommers in Richtung der Weideflächen des Hazarajats. Die Beziehung zwischen Nomaden und Bauern ist komplex - noch vor dem Konflikt existierten zumindest einige symbiotische Elemente: so verkauften die Nomaden in abgelegenen Dörfern Waren, an die man dort nur schwer gelangen konnte. Nachdem sich das afghanische Straßennetz entwickelte, wurden diese Handelsaktivitäten für einen Großteil der ländlichen Gesellschaft überflüssig. Gleichzeitig kam es in bestimmten Gegenden zu Spannungen zwischen Nomaden und Bauern (LIB 22.01.2019, Seite 308 f.).

Die Wurzeln des Konfliktes zwischen Kutschi-Nomaden und Hazara in Zentralafghanistan reichen bis in das Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Seit 2007 hat sich der Konflikt um das Weideland in den Provinzen Wardak und Ghazni zunehmend verschärft und mündete immer wieder in gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Kutschi und Hazara. Trotz der Mediationsbemühungen von Seiten der afghanischen Regierung und der Vereinten Nationen ist der Konflikt bisher, sowohl rechtlich als auch politisch, ungelöst(LIB 22.01.2019, Seite 308 f.).

Die meisten Kutschi-Nomaden sind sehr arm, leben in einfachen Verhältnissen und sind als Hirten oder Händler tätig. Die Regierung verfügt mit dem unabhängigen Direktorium für die Angelegenheiten der Kutschi, über eine eigene Organisationseinheit, welche die Angelegenheiten der Kutschi behandelt. Der afghanischen Verfassung zufolge ist die Regierung verpflichtet, den Kutschi Land für die permanente Nutzung zur Verfügung zu stellen und ihre Integration in besiedelten Gebieten zu fördern (LIB 22.01.2019, Seite 308 f.).

Zur Provinz Balkh und der Hauptstadt Mazar-e Sharif:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan. Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan] und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 22.01.2019, S. 89). Die Infrastruktur ist noch unzureichend, da viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, in schlechtem Zustand und in den Wintermonaten unpassierbar sind (LIB 22.01.2019, S. 90). Mazar-e Sharif ist jedoch grundsätzlich auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 22.01.2019, S. 245). In Mazar-e Sharif gibt es zudem einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 22.01.2019, S. 90 und 247). Der Flughafen befindet sich 9 km östlich der Stadt (EASO Country Guidance, S. 102), die Verbindungsroute in die Stadt ist bei Tageslicht jedenfalls sicher (EASO Country Guidance, S. 29).

Die Provinz Balkh ist ethnisch heterogen, Tadschiken bilden die größte Gruppe, daneben leben auch Paschtunen, Usbeken, Hazara, Turkmenen und Araber in Balkh. Die Siedlungsgebiete sind entlang ethnischer Trennlinien angelegt (ACCORD, Afghanistan, Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018, 07.12.2018, S. 24).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 22.01.2019, S. 90). Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 22.01.2019, S. 90 f.). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan (LIB 22.01.2019, S. 22).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer (LIB 22.01.2019, S. 91).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachte Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 22.01.2019, S. 92).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Zur Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler, etwa 10 km außerhalb von Herat-Stadt (LIB 22.01.2019, S. 247 ff.), wobei die Verbindungsroute in die Stadt bei Tageslicht jedenfalls sicher ist (EASO Country Guidance, S. 29), und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB 22.01.2019, S. 126).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Es gibt interne Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 22.01.2019, S. 127).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 22.01.2019, S. 127).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 22.01.2019, S. 127 und 128).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 22.01.2019, S. 128).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien, 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Medizinische Versorgung:

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Eine begrenzte Zahl staatlich geförderter öffentlicher Krankenhäuser bieten kostenfreie medizinische Versorgung. Alle Staatsbürger haben Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden; privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (LIB 22.01.2019, S. 344 ff).

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten und Gesundheitsarbeiter bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren, allgemeine Gesundheitszentren und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten die Dienstleistungen der Gesundheitsposten und Gesundheitsarbeiter an. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan wird von nationalen und internationalen NGOs zur Verfügung gestellt. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB 22.01.2019, S. 346).

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos; dennoch ist eine Bestechung der Ärzte und Krankenschwestern üblich. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren (LIB 22.01.2019, S. 347 f.).

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig (LIB 22.01.2019, S. 340).

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 22.01.2019, S. 340). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 22.01.2019, S. 340 ff., UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, Seite 19 und 20).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus dem Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 22.01.2019, S. 353).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 22.01.2019, S. 354 f.)

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB 22.01.2019, S. 355 f.). Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 22.01.2019, S. 357). UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend und begleitet die Ankunft (LIB 22.01.2019, S. 356).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 22.01.2019, S. 357 f.).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 22.01.2019, S. 358).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 22.01.2019, S. 358).

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (LIB 22.01.2019, S. 291).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (LIB 22.01.2019, S. 291).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (LIB 22.01.2019, S. 292).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert; so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion. Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (LIB 22.01.2019, S. 292).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt. Die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit sinkt weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (LIB 22.01.2019, S. 293).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (LIB 22.01.2019, S. 293).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (LIB 22.01.2019, S. 294 f.).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit (LIB 22.01.2019, S. 294).

Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen; dennoch kommt es zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB 22.01.2019, S. 294 f.).

Angehörige der Schiiten sind in Afghanistan allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit keiner psychischen und physischen Gewalt ausgesetzt (EASO Country Guidance, Seite 62).

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (LIB 22.01.2019, S. 301).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB 22.01.2019, S. 301 f.).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 22.01.2019, S. 302).

Hazara

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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