TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/11 W168 2179944-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.02.2019
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Entscheidungsdatum

11.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W168 2179944-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX alias XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.10.2017, Zahl 1074810601/150723617, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.10.2018, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 23.06.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF.

2. Am 24.06.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt, bei der dieser zu seinem Fluchtgrund befragt vorbrachte, dass er seine Heimat aufgrund des Krieges und der damit verbundenen schlechten Sicherheitslage verlassen habe. Zudem sei er Vollwaise. Er sei sunnitischer Paschtune und habe vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat als Hilfsarbeiter gearbeitet.

3. Am 20.06.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA"), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zunächst aus, dass er gesund sei und sich nicht in ärztlicher Behandlung befinde. Er habe im Herkunftsstaat in seinem Elternhaus mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern in der Provinz Parwan gelebt, sei im Alter von 15 Jahren in den Iran gegangen und habe dort insgesamt zwei Jahre lang gelebt. Sein Vater sei bereits verstorben, die restliche Familie lebe nunmehr im Iran, wo seine Mutter als Schneiderin tätig sei. Zudem lebe ein Onkel mütterlicherseits im Iran. Zu Angehörigen im Herkunftsstaat befragt, erklärte der BF, dass er keine familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan habe und vor Ausreise seinen Lebensunterhalt durch die Mieteinkünfte seines Vaters bestritten habe.

Weiters führte der BF befragt zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit aus, dass er sunnitischer Paschtune sei. Identitätsbezeugenden Dokumente könnten nicht in Vorlage gebracht werden. Zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, führte der BF aus, dass er dort nie die Schule besucht habe, keine Strafrechtsdelikte begangen habe und gegen ihn kein Haftbefehl bestehe. Er hätte am 30.04.2013 Afghanistan in Richtung des Iran verlassen. Er sei mithilfe finanzieller Unterstützung seines Onkels schlepperunterstützt ausgereist.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, brachte der BF vor, dass er nach dem Tod seines Vaters von den Taliban bedroht und mitgenommen worden sei, weswegen er ausgereist sei. Auf zweimalige Aufforderung, zu schildern, weshalb er Afghanistan verlassen habe, wiederholte der BF dieserart Ausführungen. Er sei von den Taliban zu einem Ort namens " XXXX " gebracht worden und sei erst nach Intervention seiner Mutter bei den Dorfbewohnern freigekommen. Die Dorfbewohner hätten sich mit dem Mullah an die Taliban gewandt und diese gebeten, den BF gehen zu lassen, da ihn seine Familie brauchen würde. Befragt, wieso die Taliban den BF überhaupt zu dem als " XXXX " benannten Ort gebracht hätten, erwiderte der BF, dass sie ihn für den Jihad einsetzen hätten wollen. Insgesamt habe er sich jedoch nur einige Stunden bei den Taliban aufgehalten. Zur Frage, wie er gewusst habe, dass es sich bei den Männern um Taliban-Mitglieder handle, entgegnete der BF, dass diese ihr Gesicht verdeckt gehabt hätten und Turbane getragen hätten und dies wäre für die Taliban typisch. Der BF habe die Personen aber nicht gekannt und zuvor auch nie gesehen. Da seine Mutter besorgt gewesen wäre, dass die Taliban ihn erneut entführen könnten, habe sich der BF zur Ausreise entschlossen. Die Fragen, ob er von staatlicher Seite bedroht worden sei und ob er aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Religionszugehörigkeit Probleme gehabt habe, wurden vom BF verneint. Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat hätte er Angst und sein Leben. Auch hätte er dort keine sozialen Anknüpfungspunkte mehr. Da die Taliban im gesamten Land aktiv wären, wären den BF innerhalb Afghanistans keine Ausweichmöglichkeiten innerhalb Afghanistans zur Verfügung gestanden.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, führte der BF aus, dass er im Bundesgebiet keine familiären Anknüpfungspunkte habe und seinen Lebensunterhalt von der Grundversorgung bestreite. Er besuche einen Deutschkurs und spiele gerne Fußball, Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation wäre er jedoch nicht.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom Beschwerdeführer zwei Teilnahmebestätigungen über die Absolvierung eines Deutschkurses vom 03.05.2017 sowie vom 30.05.2017 und ein handschriftliches Empfehlungsschreiben zur Vorlage gebracht.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass die vom BF behauptete Bedrohung durch die Taliban unglaubwürdig sei. Im Rahmen der Erstbefragung sei der BF explizit nach seinen Fluchtgründen befragt worden und habe die schlechte Sicherheitslage im Land als Fluchtgrund genannt. Auch habe er angegeben, Vollwaise zu sein. Weshalb der BF seine eigenen Fluchtgründe bei dieser Gelegenheit nicht hätte anführen sollen, sei nicht nachvollziehbar, zumal ihm bei diese zum damaligen Zeitpunkt weitaus präsenter gewesen sein habe müssen, als bei der zeitlich später erfolgten, niederschriftlichen Einvernahme und er zudem unvorbereitet in das Gespräch gegangen sei. Die Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens ergebe sich auch aus der Darstellung des behaupteten Bedrohungsszenarios bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 20.06.2017. So habe er, gefragt nach dem Datum seiner Ausreise aus Afghanistan, zunächst konkret angegeben, sein Heimatland am 30.04.2013 verlassen zu haben und habe die konkrete Datumsangabe damit erklärt, dass an diesem Tag auch sein Vater verstorben sei. Dieser sei nicht mehr von der Moschee nach Hause zurückgekehrt, weshalb der BF vermute, dass ihm auf dem Weg etwas zugestoßen sei. Zu einem späteren Zeitpunkt selbiger Einvernahme habe er dann erklärt, dass er nach dem Tod seines Vaters von den Taliban entführt und festgehalten worden sei. Erst auf Ersuchen der Dorfbewohner und des Mullahs hätten ihn die Taliban freiwillig freigelassen, da er sich als einzige männliche Bezugsperson um seine Familie habe kümmern müssen. Aufgrund der Besorgnis seiner Mutter habe er Afghanistan dann trotz des Verständnisses der Taliban für seine Situation verlassen. Zu der behaupteten Entführung habe der BF, trotz mehrfacher Aufforderung durch die Einvernahmeleiterin, von sich aus nur äußerst vage Angaben getätigt und Details überhaupt nur auf konkrete Nachfrage genannt. So habe er zur Dauer seiner Entführung angegeben, nur einen Tag lang mitgenommen worden zu sein, dann eine Nacht entführt worden zu sein und auf konkrete Nachfrage erklärt, vom Abend bis zum letzten Gebet, also ein paar Stunden, bei den Taliban verbracht zu haben. Auch zum genannten Gespräch zwischen den Taliban und den Dorfbewohnern habe der BF nur knappe Angaben gemacht, obwohl er behauptet habe, diesem persönlich beigewohnt zu haben. Weshalb man ihn als Gefangenen bei solch einer Unterredung hätte anwesend sein lassen sollen, sei dabei ebenfalls fragwürdig. Aufgrund seiner Ausführungen sowie der Tatsache, dass er die behauptete Bedrohung im Zuge seiner polizeilichen Erstbefragung nicht genannt habe, sich jedoch minderjährig und zudem als Vollwaise dargestellt habe, müsse davon ausgegangen werden, dass er durch Falschangaben versuche, seine Chancen im Asylverfahren zu erhöhen. Da ihm keine Verfolgung in Afghanistan drohe und er zudem ortskundig sei, würde er als gesunder und arbeitsfähiger junger Mann in seinem Heimatland nicht in eine existenzielle Notlage geraten. Er habe selbst angegeben, dass seine Mutter, zwei Schwestern und ein Onkel mütterlicherseits, zu denen der BF nach wie vor in regelmäßigen Kontakt stehe, im Iran leben würden. Betreffend finanzielle Unterstützung für den Fall der Rückkehr nach Afghanistan stehe ihm die Möglichkeit offen, sich an diese zu wenden. Er selbst habe den Großteil seines Lebens in Afghanistan verbracht und verfüge daher in seinem Heimatort über soziale Anknüpfungspunkte. Aus den vom BFA herangezogenen Erkenntnisquellen, aber auch aus den Gutachten des länderkundigen Sachverständigen Dr. Rasuly gehe hervor, dass die Städte Kabul, Mazar-e Sharif und Herat derzeit zu relativ sicheren Städten Afghanistans gezählt werden können. Kabul, Mazar-e Sharif und Herat würden-im Vergleich zu anderen Provinzen-nicht als derart unsicher qualifiziert werden können, dass es einem Asylwerber von vornherein verunmöglicht sei, dorthin zurück zu gelangen. Aufgrund seines tadellosen Gesundheitszustandes, seiner Arbeitsfähigkeit und seiner gesammelten Berufserfahrung sei es ihm daher möglich und zumutbar, seinen Lebensmittelpunkt erneut in Afghanistan zu setzen. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan in einer derartigen Notlage befinden würde, die mit einer massiven Bedrohung der Lebensgrundlage gleichzusetzen wäre. Es würden sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass der BF nicht in der Lage wäre, seine Grundbedürfnisse-erforderlichenfalls unter Inanspruchnahme von humanitärer Hilfe und der Unterstützung von Verwandten oder Freunden-zu decken. Mit seiner Familie im Iran stehe der BF in regelmäßigem Kontakt und könnte sich betreffend finanzieller Unterstützung an diese wenden, zudem verfüge er über soziale Anknüpfungspunkte in seinem Heimatdorf. Der BF befinde sich erst seit Juni 2015 in Österreich. Aufgrund seiner privaten und vorangehend beschriebenen Situation und seiner relativ kurzen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet könne von einer Bindung zu Österreich oder einer fortgeschrittenen Integration, die über einem geordneten Fremdenwesen stehen würde, nicht ausgegangen und ein ungerechtfertigter Eingriff in sein Privatleben ausgeschlossen werden. Aufgrund dieser Gesamtabwägung der Interessen und unter Beachtung aller bekannten Umstände ergebe sich, dass seine Rückkehrentscheidung gerechtfertigt sei. Bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen hätten keine Hinweise gefunden werden können, welche den Schluss zugelassen hätten, dass durch ihre Rückkehrentscheidung auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 EMRK in ihr Recht auf Schutz des Familien-und Privatlebens eingegriffen würde.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 02.11.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE-Rechtsberatung-Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

6. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die im Wege seiner Rechtsvertretung am 04.12.2017 erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wird u.a. ausgeführt, dass die Behörde es verabsäumt habe, sich mit dem Thema "Rückkehr nach Afghanistan" auseinanderzusetzen. Bezüglich der prekären Lage von RückkehrerInnen wurde auf einen Artikel von Friederike Stahlmann verwiesen. Aus den Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Inneren vom Dezember 2016 ergebe sich die deutliche Verschlechterung der Sicherheitslage in ganz Afghanistan einschließlich Kabul, sodass ganz Afghanistan von einem innerstaatlichen Konflikt betroffen sei und dass trotz formaler Kontrolle der Regierung über Kabul in Bezug auf Afghanistan keine Unterstützung in sichere Gebiete vorgenommen werden dürfe; weiters werde die prekäre Ausnahmesituation für RückererInnen nach Kabul aufgrund des immensen Anstieges der Anzahl von intern Vertriebenen bzw. RückkehrerInnen nach Kabul in Verbindung mit der schlechten Wirtschaftsentwicklung bestätigt; für den Fall des BF sei auch relevant, dass nach UNHCR bzw. des Europäischen Gerichtshofs die Beurteilung der Frage einer drohenden Art. 3 EMRK-Verletzung in Kabul mit Bezugnahme auf die individuellen Merkmale des Antragstellers zu erfolgen habe. Die Behörde habe es weiters verabsäumt, sich ausreichend mit der Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des afghanischen Staates auseinanderzusetzen. Die Behörde gehe davon aus, der BF könne nach Kabul oder in seine Heimatprovinz Parwan zurückkehren. Auch hier habe es die Behörde verabsäumt, sich mit den einschlägigen, ihr zugänglichen Länderberichten auseinanderzusetzen. Konkret hätte sie zu beachten gehabt, dass es laut UNHCR keine Unterteilung in sichere und unsichere Gebiete in Afghanistan gebe und sich die Sicherheitslage in ganz Afghanistan zuletzt nochmals rapide verschlechtert habe; Kabul oder eine andere Großstadt könne daher nicht per se als sicher angesehen werden. Vielmehr sei eine Einzelfallprüfung hinsichtlich der Frage der Relokation vorzunehmen. Schließlich sei auch die Beweiswürdigung hinsichtlich der von der Behörde angenommenen internen Fluchtalternative in Kabul, grob mangelhaft. Insbesondere würden die Länderfeststellungen keine Länderberichte enthalten, die sich konkret mit der Gefahr der Zwangsrekrutierung von Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen in der Herkunftsregion des BF befassen würden. Der VwGH verlange eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens des BF unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des BF und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten. Eine solche Würdigung sei im gegenständlichen Bescheid unterblieben. Die Erstbefragung des BF habe im Zuge der großen Fluchtbewegung im Jahr 2015 stattgefunden. Es sei allgemein bekannt, dass die Exekutive in dieser Zeit überfordert gewesen sei und die Erstbefragungen noch weniger Qualität gehabt hätten, als zuvor. Weiters werde hierzu ausgeführt, dass dem BF das Erstbefragungsprotokoll nicht rückübersetzt worden sei. Somit habe er in der Erstbefragung keine Gelegenheit bekommen, Fehler auszubessern und habe auch keine Möglichkeit gehabt, sein Fluchtvorbringen zu konkretisieren, da er dieses zudem kurzhalten habe müssen. Das mangelhafte Ermittlungsverfahren und die mangelhafte Beweiswürdigung der belangten Behörde hätten zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung des Fluchtvorbringens des BF. Hätte die belangte Behörde ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt erhoben, dann hätte sie feststellen können, dass eine mit Vernunft begabte Person in der Situation des BF ebenfalls wohlbegründete Furcht vor asylrelevanter Verfolgung hätte, insbesondere aufgrund einer (unterstellten) politischen feindlichen Gesinnung, welche durch die Weigerung, für sie zu kämpfen, sowie schlussendlich durch die Flucht aus Afghanistan als letzten Ausweg zum Ausdruck komme. Aufgrund der Kumulation mehrerer Faktoren werde der BF in Afghanistan aufgrund politischer bzw. religiöser Gründe verfolgt. Da die Taliban in ganz Afghanistan, einschließlich an Orten, die formal unter Regierungskontrolle seien, vernetzt seien, bestehe für den BF in ganz Afghanistan die Gefahr der Verfolgung durch die Taliban und damit keine relevante interne Fluchtalternative. Die afghanischen Sicherheitskräfte seien wie die angeführten Länderberichte belegen würden, auch nicht in der Lage, den BF gegen diese Verfolgungsgefahren zu schützen. Zumal der BF keinen Kontakt zu seiner Familie habe und er selbst in dem Fall, dass der Kontakt wiederhergestellt werden könnte, keine effiziente Unterstützung durch seine Familie erwarten könne, wäre der BF daher im Fall der Rückkehr nach Afghanistan vorerst auf sich alleine gestellt. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der BF noch nie in Kabul oder sonstigen für eine innerstaatliche Fluchtalternative in Frage kommenden Landesteilen bzw. Städten Afghanistans gelebt habe und daher mit den dortigen Gegebenheiten keineswegs vertraut sei. Die belangte Behörde habe in ihrer Entscheidung unberücksichtigt gelassen, dass der BF seinen Lebensmittelpunkt seit zwei Jahren in Österreich habe. Der BF weise weiters vorbildliche Integrationsbemühungen auf, da er bemüht sei, die deutsche Sprache zu erlernen. Weiters besuche er die Übergangsstufe zur Bundeshandelsakademie XXXX , engagiere sich in seiner Gemeinde und gehe einer gemeinnützigen Tätigkeit nach.

7. In einer Stellungnahme vom 26.09.2018, beim BVwG am 27.09.2018 eingelangt, wurde vom bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers auf ein Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018 verwiesen und ausgeführt, dass aus diesem hervorgehe, dass die Gefahr, alleine aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden, im gesamten Staatsgebiet bestehe. Zudem wurde bezüglich der prekären Lage in Afghanistan auf eine Entscheidung des französischen Asylberufungsgerichtes sowie eine Präsentation der stellvertretenden Leiterin des UNHCR-Büro in Kabul verwiesen. Es wurde angeführt, dass für den BF neben der schlechten Sicherheitslage in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine zumutbare interne Fluchtalternative bestehe, da die Aufnahmeressourcen der Städte erschöpft seien und der BF infolge besonderer Vulnerabilitäten keinen Zugang zu grundlegender Infrastruktur wie Wohnraum, Erwerbsmöglichkeit oder medizinischer Versorgung hätte. Der BF wäre im Falle der Rückkehr nach Kabul von unzumutbaren Härten betroffen: Er hätte keinen Zugang zu grundlegender Infrastruktur, bedingt durch das Fehlen jeglichen sozialen Netzes in diesen Städten. Er verfüge über keine Schulbildung und habe lediglich als Kind in Afghanistan Hilfsarbeitertätigkeiten ausgeführt. Der BF würde nach kürzester Zeit in eine existenzbedrohende Lage geraten und wäre im Fall der Neuansiedelung in genannten Städten von unzumutbaren Härten betroffen. Der BF könnte nicht auf eine interne Fluchtalternative in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif verwiesen werden, da die dortige Sicherheits-und Versorgungslage unzureichend und eine interne Fluchtalternative im Ergebnis mangels Zumutbarkeit nicht bestehe.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.10.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Umständen und seinen Fluchtgründen befragt wurde. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hat an der Verhandlung nicht teilgenommen; die Verhandlungsschrift wurde der Erstbehörde übermittelt. Mit dem Beschwerdeführer wurden die Situation aufgrund der vorliegenden Länderfeststellungen besprochen und ihm ausführlich Gelegenheit eingeräumt, hierzu Stellung zu nehmen.

Zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, führte der BF hierbei aus, dass er in der Provinz Parwan gelebt habe und 2013 seine Heimat in den Iran verlassen habe. Seine übrigen Familienmitglieder seien nachträglich ebenfalls in den Iran ausgewandert. Der letzte Kontakt mit diesen habe zuletzt vor acht Monaten bestanden, da die Internet- und Telefonverbindung am Aufenthaltsort seiner Familie nicht funktionieren würden. In Afghanistan habe der BF seinen Lebensunterhalt durch die Vermietung eines Geschäftes verdient und zudem habe seine Familie Ländereien besessen.

Zum Fluchtgrund befragt, brachte der BF vor, dass sein Leben in Gefahr gewesen sei, da er von den Taliban Mitgliedern bedroht und anschließend verschleppt worden sei, da diese ihn zu einer Zusammenarbeit zwingen hätten wollen. Seine Mutter habe sich jedoch in einer Moschee an den Mullah des Dorfes gewandt sowie die Ältesten versammelt und erklärt, dass ein männliches Familienoberhaupt für die Obsorge fehle. Der Mullah habe daraufhin die Taliban darüber informiert, dass die Familie des BF ohne Schutz eines Mannes leben müsste, woraufhin sie den BF freigelassen hätten. Ein Talib habe ihn jedoch zuvor mit der Drohung eingeschüchtert, dass er bei einer neuerlichen Entführung getötet werden könnte. In weiterer Folge habe ihm seine Mutter jedoch zur Ausreise geraten, da sie Angst vor einer erneuten Entführung ihres Sohnes gehabt habe, weshalb der BF in den Iran gereist sei. Auf Vorhalt, dass er die neuerliche Bedrohung im Zuge des Verfahrens vor der ersten Instanz nicht erwähnt habe, erwiderte der BF, dass er zwar freigelassen worden sei, er jedoch nicht gewusst habe, was ihm bei einer erneuten Begegnung mit den Taliban drohen würde. Bei der Befragung im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens sei der BF eingeschüchtert gewesen und habe Angst gehabt, weshalb er nur kurze Angaben getätigt habe. Auf weiteren Vorhalt, dass er auch in der Beschwerde diesbezüglich nichts erwähnt habe, entgegnete der BF, dass die Taliban seine Mutter sogar nach seiner Flucht eingeschüchtert hätten, weswegen sie in den Iran ausgereist sei. Befragt, ob er besondere Fähigkeiten habe, die für die Taliban von Relevanz wären, erklärte der BF, dass sie lediglich Leute brauchen würden, die eine Waffe halten könnten. Der BF sei eines Nachmittags jedoch alleine verschleppt worden und bis 22:00 bei den Taliban festgehalten worden. Im Zuge seiner Freilassung habe ihn ein Talib erklärt, dass er das nächste Mal nicht so leicht davonkomme. Zur Frage, wieso er freigelassen werden sollte, um ihm gleichzeitig eine erneute Entführung anzudrohen, erwiderte der BF, dass der Mullah zwar gute Verbindungen zu den Taliban habe, seine Mutter jedoch der Meinung sei, dass sie sich dennoch rächen könnten. Zum Vorhalt, dass es nicht logisch nachvollziehbar sei, dass er wegen dem Mullah freigelassen worden sei und anschließend dennoch erneut entführt werden sollte, entgegnete der BF, dass die anwesenden Männer vor dem Mullah Respekt gehabt hätten, jedoch nicht alle Taliban gleich seien und einige davon den BF dennoch rekrutieren hätten wollen. Einen weiteren Vorfall nach seiner Entführung habe es jedoch nicht gegeben, der BF befürchte jedoch einen weiteren Zwischenfall mit den Taliban, da man negative Meinungen nicht einfach ablege. Auf die Frage, weshalb er nicht in andere Städte ausgewichen sei, erklärte der BF, dass Kabul zwar als sicherste Stadt gelte, es dort jedoch tagtäglich zu Selbstmordanschlägen komme und die Taliban überall aktiv seien. Seine gesamte Ortschaft werde von den Taliban kontrolliert und man benötige keine besonderen Fähigkeiten, um von ihnen benutzt zu werden. Seine Mutter habe die Ausreise durch die Mieteinnahmen eines Geschäftes und Einnahmen durch die Ernte ihrer Felder ermöglicht. Zum Vorhalt, dass es für ihn möglich sei, mit seinen finanziellen Mitteln in einer anderen Stadt Afghanistans zu leben, erwiderte der BF, dass die Taliban in jeder Stadt aktiv und auf der Suche nach Mitgliedern seien. Bei einer Niederlassung in einer anderen Region habe er daher Angst, ebenfalls verfolgt zu werden. Da er Analphabet sei, befürchte der BF, von den Taliban eine Gehirnwäsche zu bekommen. Zum Vorhalt, dass er in Zukunft in Gebieten leben könnte, die unter Regierungskontrolle seien, erwiderte der BF, dass er sich zur Flucht entschieden habe, da sein Leben gefährdet sei. Auch in größeren Städten Afghanistans würden interne Kriegsszenarien zwischen Volksgruppen vorherrschen. Es sei schwierig, als Analphabet unter Zeitdruck legal einen Reisepass zu erhalten. Da die Lebensumstände in Serbien schwierig gewesen seien und er in Ungarn geschlagen worden sei, habe er sich entscheiden, nach Österreich weiterzureisen.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, erklärte der BF, dass er zwar vom Staat unterstützt werde, jedoch Hilfsarbeiten auf einem Friedhof erledigt habe. Er besuche einen Deutschkurs und spiele in der Freizeit Fußball. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom BF eine Bestätigung des Lehrgangs "Übergangsstufe an BMHS für Jugendlichen mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch" mit der Fachpraxis Computerpraktikum vom 15.06.2018, eine Bestätigung über die Durchführung von Flurreinigungen im Rahmen einer gemeinnützigen Tätigkeit vom 09.10.2017, der Nachweis über eine ehrenamtliche Mitarbeit im Bereich der Fahrradreparatur vom 02.10.2018, eine Unterstützungserklärung vom 02.10.2018, eine Teilnahmebestätigung über einen Deutschkurs auf dem Niveau A2, Kursteilnahmebestätigung "Deutschkurse für Asylwerber" vom 30.05.2017, sowie drei Empfehlungsschreiben vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in Parwan geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Religionszugehörigkeit der Sunniten und der Volksgruppe der Paschtunen an. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprachen Paschtu und Dari. Er ist Analphabet und bestritt seinen Lebensunterhalt vor seiner Ausreise durch die Vermietung von Ländereien und Grundstücken. Die Familie des Beschwerdeführers lebt derzeit im Iran. Der Beschwerdeführer hat mit seiner Familie seinen Angaben zu Folge gegenwärtig keinen Kontakt.

Der unbescholtene Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung im Juni 2015 durchgehend ausschließlich nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts in seinem Asylverfahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Der Beschwerdeführer besuchte eine Übergangsstufe an einer Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule, verrichtete gemeinnützige Flurreinigungsarbeiten für eine Gemeinde und war in einem Fahrrad-Workshop tätig, bezieht jedoch Leistungen aus der Grundversorgung. Des Weiteren hat der Beschwerdeführer im Bundesgebiet Deutschkurse auf dem Niveau A 1 und A2 absolviert.

Der Beschwerdeführer lebt in Österreich zum überwiegenden Teil aus den Mitteln der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer leidet gegenwärtig nicht unter akut lebensbedrohlich schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen und befindet sich nicht in einer durchgehenden stationären Behandlung.

Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen jungen gesunden Mann im arbeitsfähigen Alter, dem eine grundsätzliche Teilnahme am Erwerbsleben zuzumuten ist.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine Verwandte und keine sonstigen engen sozialen oder familienähnlichen Bindungen.

Das Vorliegen einer insgesamt besonders berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich kann in casu nicht festgestellt werden.

Das Vorliegen eines besonders zu berücksichtigenden Nahe - bzw. Abhängigkeitsverhältnisses zu Personen im Bundesgebiet, bzw. das Bestehen von besonderen Gründen, die für ein Verbleiben des BF im Bundesgebiet sprechen, sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen.

1.2 Zu den vorgebrachten Fluchtgründen:

Es kann nicht festgestellt werden und der Beschwerdeführer hat insgesamt glaubhaft nicht dargetan, dass dieser seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor einer ihm treffenden konkreten individuellen Verfolgung aus asylrelevanten Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat.

Es kann weiters nicht festgestellt werden und es ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung außerhalb seiner Heimatprovinz, insbesondere in den Städten Herat und Mazar-e Sharif die über internationale Flughäfen zu erreichen sind mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer ihn konkret betreffenden asylrelevanten Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sein würde, bzw. in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.

Das BFA hat ein insgesamt mängelfreies Verfahren durchgeführt. Die belangte Behörde ist im gegenständlichen Verfahren ihrer Ermittlungspflicht durch die Vornahme einer detaillierten Befragung nachgekommen und dem angefochtenen Bescheid ist ein im vorliegenden Verwaltungsakt dokumentiert umfassendes Ermittlungsverfahren vorangegangen. Der Sachverhalt wurde bereits unter schlüssiger Beweiswürdigung des Bundesamtes festgestellt und rechtlich korrekt durch das BFA gewürdigt.

In der Beschwerde, als auch in der Verhandlung vor dem BVwG und in der Stellungnahme konnten glaubhaft keine wesentlichen, bzw. verfahrensrelevant neuen Sachverhaltselemente glaubhaft bzw. substantiiert begründet dargelegt werden, welche geeignet wären, die von der belangten Behörde getroffenen Entscheidungen grundlegend in Frage zu stellen.

1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Anschläge in Nangarhar 11.9.2018

Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demostration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheligenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018). Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 11.9.2018).

Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018

Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).

Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor u.a. mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird (Tolonews 10.9.2018b; vgl. FAZ 10.9.2018). Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht (FAZ 10.9.2018). Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i- Khumri in Baghlan (LWJ 10.9.2018; vgl. LWJ 30.8.2018). Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LWJ 10.9.2018).

IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).

IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018

Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o.D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017). Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch

"Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018). Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb- e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017). Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018). Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.). Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017). Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF- Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017). Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018). Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US- amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens- Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander. Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018). Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018). Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen. Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani- Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik u

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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