TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/20 W261 2205099-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.03.2019
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Entscheidungsdatum

20.03.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs4b
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W261 2205099-1/9E

W261 2205083-1/11E

W261 2205087-1/9E

W261 2205089-1/7E

W261 2205085-1/7E

W261 2205092-1/7E

W261 2205096-1/7E

W261 2205094-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerden von

1. XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan

2. XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan,

3. XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan,

4. mj. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch seine Eltern, XXXX und XXXX , als gesetzlichen Vertreter, Staatsangehörigkeit Afghanistan,

5. mj. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch seine Eltern, XXXX und XXXX , als gesetzlichen Vertreter, Staatsangehörigkeit Afghanistan,

6. mj. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch seine Eltern, XXXX und XXXX , als gesetzlichen Vertreter, Staatsangehörigkeit Afghanistan,

7. mj. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch seine Eltern, XXXX und XXXX als gesetzlichen Vertreter, Staatsangehörigkeit Afghanistan,

8. mj. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch seine Eltern, XXXX und XXXX , als gesetzlichen Vertreter, Staatsangehörigkeit Afghanistan,

alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, jeweils gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten vom

1. 16.08.2018, Zl. XXXX

2. 16.08.2018, Zl. XXXX

3. 16.08.2018, Zl. XXXX

4. 16.08.2018, Zl. XXXX

5. 16.08.2018, Zl. XXXX

6. 16.08.2018, Zl. XXXX

7. 16.08.2018, Zl. XXXX

8. 16.08.2018, Zl. XXXX

nach Durchführung von mündlichen Beschwerdeverhandlungen am 30.01.2019 und am 15.03.2019 zu Recht:

A)

I. Den Beschwerden wird stattgegeben und den Beschwerdeführern wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 iVm § 3 Abs. 4b AsylG 2005 den Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 20.03.2021 erteilt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Gang des Verfahrens:

Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge BF1) und der Zweitbeschwerdeführer (in der Folge BF2), beide afghanischer Staatsbürger, reisten nach ihren Angaben am 13.06.2016 gemeinsam mit ihren sechs, zum damaligen Zeitpunkt allesamt minderjährigen, ehelichen Söhnen, den Dritt- bis Achtbeschwerdeführern (in der Folge BF3 bis BF8), in Österreich ein. Die Familie versuchte nach Deutschland weiter zu reisen, diesen wurde jedoch an der deutschen Grenze die Einreise verweigert. Die Familie wurde in weiterer Folge nach Österreich zurückverwiesen, wo diese am 17.06.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz stellten.

Die Erstbefragungen von BF1 und BF2 fanden am 18.06.2018 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien jeweils im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari statt. Dabei gab BF1 unter anderem an, dass zwei weitere eheliche Söhne in Deutschland leben würden. BF1 habe Afghanistan verlassen, weil ihr Ehemann von Kriminellen bedroht worden sei. Diese hätten mit der Entführung der Kinder gedroht, wenn er nicht Geld zahle. Außerdem sei ihr Ehemann von den Taliban bedroht worden, dies seien ihre einzigen Fluchtgründe. Auch BF2 gab bei seiner Erstbefragung sinngemäß das an, was BF1 ausgesagt hatte.

Am 19.04.2018 führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten (in der Folge belangte Behörde oder BFA) die Ersteinvernahmen von BF1 und BF2 je im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, jedoch ohne Anwesenheit deren Rechtsvertreters, durch. BF1 gab dabei an, dass ihr Mann in Afghanistan eine Firma gehabt habe. Die Taliban hätten gewollt, dass er mit diesen zusammenarbeite, ansonsten würden diese ihn töten. Die Taliban hätten einen Drohbrief ins Haus geworfen. Der Cousin ihres Ehemannes sei in einer Nacht von Männern getötet worden, die nach dem Ehemann der BF1 gesucht hätten. Sie sei in Afghanistan Hausfrau gewesen, und ihr Leben habe sich in Österreich insoweit verändert, als sie nicht mehr kochen müsse. Ihr Tagesablauf sei im Wesentlichen gleich jenem, wie sie in Afghanistan gelebt habe. Ihr Leben sei in Österreich leichter, weil sie hier in Sicherheit leben könne.

BF2 führte im Rahmen seiner Ersteinvernahme im Wesentlichen das aus, was BF1 bereits dargelegt hatte. Er wisse nicht, ob die Personen, die seinen Cousin getötet hätten, die Feinde seiner Familie gewesen seien. Es seien bereits davor zwei seiner Onkel väterlicherseits von diesen Feinden getötet worden. Er persönlich sei in Afghanistan nie konkret bedroht oder verfolgt worden. Die zum Zeitpunkt der Antragstellung mj. Söhne des BF2 und der BF1 hätten keine eigenen Fluchtgründe.

Die belangte Behörde räumte BF1 im Rahmen eines Parteiengehörs mit Schreiben vom 07.05.2018 die Möglichkeit ein, zu ihrem Geburtsdatum und jenem ihrer Kinder eine Stellungnahme abzugeben.

BF1 übermittelte in weitere Folge einen Befundbericht vom 23.04.2018 über ein Wirbelsäulensyndrom, Spannungskopfschmerz, Gastritis sowie Ein- und Durchschlafstörungen, die aufgrund der psychischen Belastung bestehen würden, die jedoch nicht lebensbedrohlich seien. Gleichzeitig gab BF1 eine Stellungnahme zu den Fragen der belangten Behörde ab und legte eine Kopie ihrer Tazkira vor. Die belangte Behörde korrigierte in weiterer Folge die Geburtsdaten der BF.

Mit Schreiben vom 03.07.2018 übermittelte die belangte Behörde BF1 die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan und räumte ihr die Möglichkeit ein, hierzu eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Mit Eingabe vom 08.07.2018 gab BF1 hierzu eine schriftliche Stellungnahme ab. Darin brachte sie vor, dass es in Afghanistan Entführungen von Kindern gäbe. Auch ihre Familie habe Angst davor gehabt, da sie eine große Familie mit vielen Kindern gewesen seien.

Am 25.07.2018 fand neuerlich eine Einvernahme des BF2 statt. Im Zuge dieser Einvernahme beschrieb dieser seine Tätigkeiten in Afghanistan. Er gab ergänzend zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er seine Heimat verlassen habe, da er von Kriminellen bedroht worden sei. Sie hätten mit der Entführung der Kinder gedroht. Zudem sei er von den Taliban bedroht worden, weil er als Unternehmer mit der afghanischen Regierung zusammengearbeitet habe. Es sei dem Sohn eines Bekannten des BF2 passiert, dass er entführt worden sei. Die Entführer hätten dem Kind den Finger abgeschnitten und hätten dieses dann getötet. BF2 legte Kopien von zwei Drohbriefen ebenso vor, wie Anzeigen, jeweils mit Übersetzungen ins Deutsche, und Integrationsunterlagen.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden jeweils vom 16.08.2018 wies die belangte Behörde die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde den BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und erließ gegen die BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde stellte fest, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass es den BF nicht gelungen sei, glaubhaft darzutun, dass die Familie der BF Afghanistan wegen einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung verlassen hätte. BF2 besitze in Kabul zwei Häuser und Verwandte, wie Eltern, Schwiegereltern, Geschwister, Schwager und Schwägerinnen, Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen. BF2 sei beruflich viel gereist, es sei ihm aufgrund seiner Arbeitserfahrung, seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit und der damit einhergehenden Arbeitserfahrung möglich, auch an anderen Orten die bisher ausgeübte Arbeit aufzunehmen. Es bestünde daher eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif und Herat. Bei BF1 sei eine Verwestlichung ihrer Person nicht feststellbar gewesen. Sie habe sich immer den Wünschen ihres Ehemannes gefügt und habe auch vor, dies in Zukunft zu tun. Eine Verinnerlichung einer Lebensweise, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde, sei nicht feststellbar gewesen. Den BF sei eine Rückkehr nach Afghanistan zumutbar.

Gegen die Bescheide vom 16.08.2018 brachten die BF, alle bevollmächtigt vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, mit Eingaben vom 28.08.2018 jeweils fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein und legten Vertretungsvollmachten vor. Darin brachten die BF vor, dass die belangte Behörde es unterlassen habe, sich hinreichend mit dem Vorbringen der BF auseinander zu setzen. Die belangte Behörde habe nicht ausreichende Länderinformationen zu Afghanistan im Zusammenhang mit der Situation der BF ins Verfahren eingebracht. Die belangte Behörde hätten den BF zumindest den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gehabt.

Es werde daher beantragt, den BF die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, in eventu den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen, darüber hinaus die Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung aufzuheben, in eventu, den Bescheid zur Gänze zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen und eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen.

Die belangte Behörde legte die Beschwerden der BF samt den Aktenvorgängen jeweils mit Schreiben vom 31.08.2018 dem BVwG zur Entscheidung vor, wo diese am 06.09.2018 einlangten.

Am 30.01.2019 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, zu der die BF gemeinsam mit ihrem Rechtsvertreter des Vereins Menschenrechte Österreich erschienen. Die belangte Behörde nahm an der mündlichen Verhandlung entschuldigt nicht teil. Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung führten die BF im Wesentlichen das aus, was sie bereits vor der belangten Behörde aussagten und legten eine Reihe von Integrationsunterlagen vor. Das BVwG legte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung Länderinformationen zu Afghanistan mit Stand 08.01.2019 vor und räumte den BF die Möglichkeit ein, hierzu Stellung zu nehmen. Der Rechtsvertreter führte in seiner Stellungnahme in der Verhandlung aus, dass BF1 in der Verhandlung ein Verhalten gezeigt habe, dass jenem einer westlich orientierten Frau gleichkomme, und eine Rückführung der BF aus diesem Grunde nicht möglich sei.

Laut den am 22.02.2019 vom BVwG eingeholten Speicherauszügen aus dem Betreuungsinformationssystem befinden sich alle BF laufend in der vorübergehenden Grundversorgung.

Das BVwG holte am 22.02.2019 Strafregisterauskünfte der BF ein, wonach BF1, BF2, BF3 und mj. BF4 strafrechtlich unbescholten sind. Der mj. BF5, der mj. BF6, der mj. BF7 und der mj. BF8 sind in Österreich nicht strafmündig.

Am 15.03.2019 fand neuerlich eine Verhandlung mit BF2 vor dem BVwG statt, im Zuge dessen erneut eine Einvernahme des BF2 erfolgte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu den Spruchpunkten A)

1. Feststellungen:

1.1 Zu den Beschwerdeführern

BF1 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX in der Provinz Parwan und ist Afghanische Staatsbürgerin. BF1 gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.

BF2 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in der Stadt Kabul und ist Afghanischer Staatsbürger. BF2 gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.

BF1 und BF2 heirateten traditionell im Jahr 1371 (das ist 1992/93) in der Stadt Kabul. BF1 und BF2 sind miteinander verwandt, BF1 ist die Cousine mütterlicherseits des BF2.

Der Ehe entstammen insgesamt acht Söhne. Es sind dies XXXX , er ist ca. 24 Jahre alt und lebt als Asylwerber in Deutschland, XXXX , er ist ca. 23 Jahre alt und lebt ebenfalls als Asylwerber in Deutschland. Die beiden älteren Söhne von BF1 und BF2 reisten bereits ca. vier bis fünf Monate vor deren Familie aus Afghanistan aus. BF2 schickt sie aufgrund der Sicherheitslage und der Anschläge, die in Kabul stattfanden, aus Afghanistan weg. BF3 bis mj. BF8 sind die weiteren sechs ehelichen Söhne von BF1 und BF2.

BF3 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in der Stadt Kabul und ist Afghanischer Staatsbürger. BF3 gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. BF3 ist ledig.

Der mj. BF4 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in der Stadt Kabul und ist Afghanischer Staatsbürger. Der mj. BF4 gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Mj. BF4 ist ledig.

Der mj. BF5 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in der Stadt Kabul und ist Afghanischer Staatsbürger. Der mj. BF5 gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.

Der mj. BF6 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in der Stadt Kabul und ist Afghanischer Staatsbürger. Der mj. BF6 gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.

Der mj. BF7 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in der Stadt Kabul und ist Afghanischer Staatsbürger. Der mj. BF7 gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.

Der mj. BF8 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in der Stadt Kabul und ist Afghanischer Staatsbürger. Der mj. BF4 gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.

Der Vater von BF1 arbeitete für die Regierung, weswegen deren Familie von der Provinz Parwan nach Kabul zog, wo BF1 bis zu ihrer Ausreise lebte. BF1 wuchs in einem sehr konservativen Haushalt mit einem strengen Vater auf, der es ihr nicht erlaubte, die Schule zu besuchen. BF1 ist Analphabetin. Nach ihrer Heirat mit BF2 lebte diese zurückgezogen als Hausfrau und Mutter mit ihren insgesamt acht Söhnen im Haus ihres Ehemannes.

Die Eltern der BF1 leben nach wie vor in Kabul. BF1 hat drei Brüder, wovon zwei in der Türkei leben, ein Bruder, der noch ledig ist, lebt bei ihren Eltern. BF1 hat noch drei Schwestern, wovon zwei im Iran verheiratet sind. Eine Schwester ist noch ledig und lebt bei den Eltern.

BF1 hat zwei Onkel väterlicherseits im Iran, einen Onkel, zwei Tanten mütterlicherseits und eine Tante väterlicherseits in der Provinz Parwan.

BF1 hat Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie.

BF1 besuchte einen Deutschkurs Niveau A1, ist jedoch der deutschen Sprache nicht mächtig. BF1 ist kein Mitglied eines Vereins. In ihrer Freizeit geht sie spazieren. Sie arbeitet ehrenamtlich bei Bedarf in der Gemeinde. BF1 ist gesund.

BF2 wuchs in Kabul auf. Er besuchte zehn Jahre lang die Schule. Er besaß ein Transportunternehmen " XXXX " mit ca. 15 Mitarbeitern. Der Hauptsitz dieser Firma war in Kabul, in XXXX . Die Firma hatte eine Filiale in Ghazni. Diese Firma transportierte Mehl, Holz, Reis und vieles mehr zwischen der Provinz Ghazni, wo BF2 ebenfalls einen Firmensitz hatte, und der Stadt Kabul und anderen Regionen Afghanistans. Sein ältester Sohn, Abdullah war auch in dieser Firma tätig, er war der Stellvertreter des BF2. BF2 kaufte und sanierte alte Häuser und verkaufte diese dann weiter. Er kaufte auch Autos, die er reparierte und ebenfalls weiterverkaufte. BF2 war beruflich sehr erfolgreich und für afghanische Verhältnisse wohlhabend.

BF2 ist Eigentümer von zwei Häusern in Kabul. In einem Haus lebte BF2 gemeinsam mit seiner Familie, seinem Onkel väterlicherseits und dessen Familie, bestehend aus seiner Frau, zwei Söhnen und einer Tochter. Dieses Haus befindet sich im Stadtteil XXXX in der Stadt Kabul. Der Onkel lebt nach wie vor mit seiner Frau und deren gemeinsamer Tochter in diesem Haus. Der Sohn dieses Onkels, XXXX , floh gemeinsam mit der Familie der BF nach Europa und lebt derzeit in Deutschland. Es kann nicht festgestellt werden, dass der zweite Sohn dieses Onkels, XXXX , tatsächlich von den Taliban getötet wurde.

Das zweite Haus des BF2 liegt in der Region XXXX in der Stadt Kabul. In diesem Haus leben die Eltern des BF2 mit einem Bruder des BF2 und dessen Familie. Der Vater von BF2 war freiberuflicher Metzger, er ist jedoch bereits in Pension. Das Geschäft ist verpachtet und die Eltern des BF2 leben von den Einnahmen aus dieser Pacht.

BF2 hat insgesamt sieben jüngere Brüder, wovon zwei Brüder in der Türkei aufhältig sind, ein Bruder lebt in Kabul gemeinsam mit den Eltern des BF2, zwei Brüder leben im Iran, ein Bruder lebt als Asylwerber in Deutschland, und der Aufenthaltsort eines Bruders ist unbekannt.

BF2 hat einen Onkel und drei Tanten mütterlicherseits, vier Onkel und zwei Tanten väterlicherseits, wovon ein Onkel im Iran und eine Tante in Amerika lebt.

BF2 hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Herkunftsfamilie.

BF2 besuchte in Österreich einen Deutschkurs Niveau A1, ist jedoch der deutschen Sprache kaum mächtig. BF2 ist kein Mitglied eines Vereins. In seiner Freizeit spielt er mit seinen Söhnen Fußball und geht mit seiner Frau spazieren. Er arbeitet ehrenamtlich bei Bedarf in der Gemeinde und bei archäologischen Ausgrabungen. BF2 ist gesund.

BF3 besuchte sechs Jahre lang die Schule ein Kabul. Er ist ledig und kinderlos. Er hat keine Berufserfahrung. BF3 lebte und lebt mit seinen Eltern und Brüdern in einem gemeinsamen Haushalt. Er besucht in Österreich als außerordentlicher Schüler die XXXX in XXXX . Er ist aktive Mitglied in einem Fußballverein. BF3 hilft bei Bedarf in der Gemeinde aus. BF3 ist gesund. BF3 war zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich im Jahr 2016 noch minderjährig.

Der mj. BF4 besuchte in Kabul vier Jahre lang die Schule. Er hat keine Berufserfahrung. Der mj. BF4 besucht aktuell in Österreich die polytechnische Schule in XXXX als ordentlicher Schüler. Der mj. BF4 ist gesund.

Der mj. BF5 besuchte in Kabul keine Schule. Aktuell ist er in Österreich ordentlicher Schüler der dritten Klasse der Volksschule in XXXX . Der mj. BF5 ist gesund.

Der mj. BF6 besuchte in Kabul keine Schule. Aktuell ist er in Österreich ordentlicher Schüler der zweiten Klasse der Volksschule in XXXX . Der mj. BF6 leidet seit Geburt daran, dass er eine flache Nase und damit Problem beim Atmen hat. In den nächsten Wochen wird entschieden werden, ob er sich einer Operation an der Nase unterziehen lassen muss.

Der mj. BF7 besuchte in Kabul keine Schule. Aktuell ist er in Österreich ordentlicher Schüler der ersten Klasse der Volksschule in XXXX . Der mj. BF7 ist gesund.

Der mj. BF8 besuchte in Kabul keine Schule. Aktuell besucht er in Österreich den Pfarrkindergarten in XXXX . Der mj. BF8 ist gesund.

Die BF sind allesamt Zivilisten.

Die BF stellten am 17.06.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

BF1, BF2, BF3 und der mj. BF4 sind in Österreich strafrechtlich unbescholten. Mj. BF5 bis mj. BF8 sind in Österreich noch nicht strafmündig. Alle BF beziehen laufend vorübergehende Grundversorgung.

1.2 Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer

Es ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die BF Afghanistan aus begründeter Furcht vor einer erpresserischen Entführung eines der sechs Söhne (BF3 bis mj. BF8) durch nichtstaatlichen Akteure verlassen haben. Die staatlichen Behörden können und/oder wollen die BF in der Stadt Kabul bzw. in Afghanistan nicht vor dieser Bedrohung schützen. Den BF steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in Afghanistan nicht zur Verfügung.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen ein Ausschluss der BF hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.3 Zur Situation im Herkunftsstaat

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 08.01.2019, in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 und den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.3.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung.

1.3.1.1 Provinz Parwan

Die Herkunftsprovinz der BF1, die Provinz Parwan, ist strategisch bedeutsam und liegt 64 km nördlich von Kabul. Die Provinz grenzt im Norden an Baghlan, im Osten an Panjshir und Kapisa, im Süden an Kabul und (Maidan) Wardak und im Westen an (Maidan) Wardak und Bamyan (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus folgenden Distrikten:

Bagram, Jabal Saraj/Jabalussaraj, Salang, Sayed Khel/Saydkhel, Shinwar/Shinwari, Shikh Ali/Shekhali, Shurk Parsha/Surkh-e-Parsa, Charikar, Koh-e-Safi und Syiah Gird/Seyagerd/Ghorband. Charikar ist die Provinzhauptstadt. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

687.243 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Quizilbasch, Kuchi und Hazara.

Parwan gehört zu den volatilen Provinzen Afghanistans, in der Talibanaufständische in einigen abgelegenen Distrikten aktiv sind. Aus unruhigen Distrikten in der Provinz Parwan wird von Straßenbomben, Selbstmordangriffen, gezielten Tötungen und anderen terroristischen Angriffen berichtet. Deshalb werden Anti-Terrorismus Operationen durchgeführt, um die Aufständischen zu verdrängen. Talibanaufständische führen in einigen Teilen der Provinz Angriffe auf die Sicherheitskräfte aus.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 63 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 77 zivile Opfer (20 getötete Zivilisten und 57 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Blindgänger/Landminen, gefolgt von gezielten Tötungen und Bodenoffensiven. Dies bedeutet einen Rückgang von 31% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

Militärische Operationen werden in der Provinz durchgeführt; dabei werden Talibankämpfer getötet und Waffen gefunden. Auch werden Luftangriffe durchgeführt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Taliban finden statt.

Talibanaufständische sind in abgelegenen Distrikten der Provinz Parwan aktiv. Die Distrikte Seyagerd/Ghorband und Shinwari zählten im November 2017 zu den umkämpften Distrikten der Provinz.

Im Zeitraum 01.011.2017 - 15.07.2017 wurden in der Provinz Parwan IS-bezogene Vorfälle (Gefechte) an der Grenze zu Kabul registriert; zwischen 16.07.2017 - 31.01.2018 wurden in der Provinz hingegen keine sicherheitsrelevanten Ereignisse bzgl. des IS gemeldet.

Die Provinz Parwan zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass die Antragstellerin ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass sie aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist.

1.3.1.2 Die Provinz Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt, die Herkunftsprovinz der BF. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa. im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami. Chaharasyab/Char Asiab. Dehsabz/Deh sabz. Estalef/Istalif. Farza. Guldara. Kabul Stadt. Kalakan. Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar. Mirbachakot/Mir Bacha Kot. Musayi/Mussahi. Paghman. Qarabagh. Shakardara. Surobi/Sorubi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt.

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt.

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. In den letzten Jahren kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte.

Im Zeitraum 01.01.2017- 30.04.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich. Für den Zeitraum 01.01.2017 - 31.01.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte).

UNHCR stellt fest, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen.

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden.

Die Provinz Kabul zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass der BF ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist.

1.3.2 Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist generell festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. In der Zeit von 2012 bis 2017 sind 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei der Großteil der Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran kommen. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück.

In der ursprünglichen Herkunftsprovinz der BF1, der Provinz Parwan, werden Programme des Afghan Rural Enterprise Development Program (AREDP) zur Förderung der ländlichen Bevölkerung implementiert; zahlreiche Frauen profitieren von diesen Maßnahmen. Parwan gehört zu den Opium-freien Provinzen Afghanistans.

In die Stadt Kabul, der Herkunftsstadt der BF, ziehen zahlreiche Menschen aus unsicheren Provinzen auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen. In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen.

1.3.3 Kinder

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern. Einer Befragung in drei Städten zufolge (Jalalabad, Kabul und Torkham), berichteten Kinder von physischer Gewalt - auch der Großteil der befragten Eltern gab an, physische Gewalt als Disziplinierungsmethode anzuwenden. Eltern mit höherem Bildungsabschluss und qualifizierterem Beruf wendeten weniger Gewalt an, um ihre Kinder zu disziplinieren.

Kinder, vor allem Buben, sind als Bacha Bazi, auch Tanzjungen genannt, sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt. In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Mit Inkrafttreten des neuen afghanischen Strafgesetzbuches im Jahr 2018, wurde die Praxis des Bacha Bazi kriminalisiert. Den Tätern drohen bis zu sieben Jahre Haft. Jene, die mehrere Buben unter zwölf Jahren halten, müssen mit lebenslanger Haft rechnen. Das neue afghanische Strafgesetzbuch kriminalisiert nicht nur die Praxis von Bacha Bazi, sondern auch die Teilnahme an solchen Tanzveranstaltungen. Der Artikel 660 des fünften Kapitels beschreibt, dass Beamte der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF), die in die Praxis von Bacha Bazi involviert sind, mit durchschnittlich bis zu fünf Jahren Haft rechnen müssen. Üblicherweise sind die Jungen zwischen zehn und 18 Jahre alt; viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben. Viele der Jungen wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft. Manchmal sind die Betroffenen Waisenkinder und in manchen Fällen entschließen sich Jungen, Bacha Bazi zu werden, um ihre Familien zu versorgen. Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt.

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest; es erlaubt Jugendlichen ab 14 Jahren als Lehrlinge zu arbeiten und solchen über 15 Jahren "einfache Arbeiten" zu verrichten. 16- und 17-Jährige dürfen bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Kinder unter 14 Jahren dürfen unter keinen Umständen arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert; dazu zählen: Arbeit im Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen sowie in großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg. Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Kinderarbeit bleibt daher ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigert Schätzungen zur Zahl der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründet dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkt die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge werden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. Oft sind Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt.

Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt. Nachdem im Jahr 2016 die Zahl getöteter oder verletzter Kinder gegenüber dem Vorjahr um 24% gestiegen war (923 Todesfälle, 2.589 Verletzte), sank sie 2017 um 10% (861 Todesfälle, 2.318 Verletzte). 2017 machten Kinder 30% aller zivilen Opfer aus. Die Hauptursachen sind Kollateralschäden bei Kämpfen am Boden (45%), Sprengfallen (17%) und zurückgelassene Kampfmittel (16%) (AA 5.2018).

Im Februar 2016 trat das Gesetz über das Verbot der Rekrutierung von Kindern im Militär in Kraft. Berichten zufolge rekrutieren die ANDSF und andere regierungsfreundliche Milizen in limitierten Fällen Kinder; die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen benutzen Kinder regelmäßig für militärische Zwecke. Im Rahmen eines Regierungsprogramms werden Schulungen für ANP-Mitarbeiter zu Alterseinschätzung und Sensibilisierungskampagnen betreffend die Rekrutierung von Minderjährigen organisiert sowie Ermittlungen in angeblichen Kinderrekrutierungsfällen eingeleitet.

1.3.4 Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen

Unter der afghanischen Bevölkerung herrscht weiterhin Besorgnis über die weite Verbreitung von Korruption, Schutzgelderpressung und illegaler Besteuerung. Die afghanische lokale Polizei (ALP) hebt Berichten zufolge in vielen Gebieten illegale Steuern ein und wendet an polizeilichen Kontrollstellen Gewalt gegen Personen an, die diese Steuern nicht entrichtet haben. Auch von regierungsnahen bewaffneten Gruppen wird berichtet, dass sie der Zivilbevölkerung illegale Steuern auferlegen, und Zivilisten, die die von solchen Gruppen eingehobenen unrechtmäßigen Steuern nicht entrichten, schikaniert, bedroht, ja sogar umgebracht werden.

Von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) wird berichtet, dass sie illegale Kontrollstellen betreiben und Geld und Waren von Zivilisten erpressen. Die Taliban erzielen Berichten zufolge erhebliche Gewinne aus illegalen Aktivitäten, darunter Schutzgelderpressung und erpresserische Entführungen.

Auch vom Islamischen Staat heißt es, dass die Zivilbevölkerung von ihm durch Drohungen, Entführungen und Erpressung drangsaliert wird. Ferner sei es zu Zusammenstößen zwischen den Taliban und dem Islamischen Staat gekommen, da diese Gruppen zunehmend um "die Beschlagnahme von Bargeld und anderen Vermögenswerten von Zivilisten" konkurrieren.

2017 dokumentierte UNAMA 255 Vorkommnisse, bei denen 1 005 Zivilisten von regierungsfeindlichen Kräften entführt wurden, wobei 76 Personen ums Leben kamen und 17 verletzt wurden. Laut UNAMA "entführten die regierungsfeindlichen Gruppen Zivilisten, die sie verdächtigten, in Verbindung zur Regierung zu stehen oder für die Regierung zu arbeiten, aber auch um einen finanziellen Vorteil zu erzielen, indem die Freilassung von der Zahlung von Lösegeld in beträchtlicher Höhe abhängig gemacht wurde". UNAMA berichtet ferner, dass in den meisten Fällen die entführten Zivilisten über Vermittlung lokaler Ältester oder nach Zahlung von Lösegeld wieder freigelassen wurden. Auch Geschäftsleute und andere Personen, die tatsächlich oder vermeintlich wohlhabend sind, geraten zunehmend ins Visier von Entführerbanden.

1.3.5 Tadschiken und Sunniten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte; und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten:

In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten, wie es auch die BF sind.

2. Beweiswürdigung

2.1 Zu den Beschwerdeführern

Die Angaben der persönlichen Verhältnisse der BF ergeben sich aus dem Akt, insbesondere auch aus den persönlichen Einvernahmen von BF1, BF2 und BF3 vor dem BVwG am 30.01.2019 und vor der belangten Behörde. Das Vorbringen der BF hinsichtlich ihrer Lebensumstände sind für das erkennende Gericht über weite Strecken glaubhaft und nachvollziehbar und, insoweit es die Feststellungen zu deren Leben in Österreich betrifft, auch durch die von den BF im Laufe des Verfahrens vorgelegten Integrationsunterlagen belegt.

Demnach steht fest, dass BF2 in seinem Herkunftsstaat ein tüchtiger Unternehmer war, der es für afghanische Verhältnisse zu einem gewissen Wohlstand brachte. Er ist nach wie vor Eigentümer von zwei Häusern in der Stadt Kabul, in welchem nach wie vor Familienangehörige des BF2 leben. BF1 ging in Afghanistan ganz in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter von acht Söhnen auf, und hatte sich mit den dortigen Lebensumständen arrangiert. Die älteren Kinder (BF3 und mj. BF4) besuchten die Schule, die jüngeren Söhne waren daheim bei deren Mutter. BF2 schickte, wie er selbst bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 25.07.2018 anführte, seine beiden älteren Söhne einige Monate, bevor auch die Familie der BF das Land verließ, aus Afghanistan weg, weil er aufgrund der Sicherheitslage und den Anschlägen um deren Sicherheit fürchtete. (vgl. AS 255 Akt BF2). Bezeichnend ist, dass BF2 in diesem Zusammenhang anführte, dass "Man in Afghanistan Angst um seine Söhne hat."

Es leben zahlreiche Familienangehörige von BF1 und BF2 nach wie vor in der Stadt Kabul, bzw. in Afghanistan. BF1 und BF2 haben nach ihren eigenen Angaben laufend Kontakt zu ihren Herkunftsfamilien (vgl. NS BVwG vom 31.01.2019, S 10 und S 21).

Die Feststellungen zur Situation der BF in Österreich beruhen auf deren eigenen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG, bzw. sind diese durch die im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegten Integrationsunterlagen belegt (vgl. NS BVwG vom 31.01.2019, Beilagen 1 bis 15).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus deren diesbezüglich glaubhaften Angaben vor dem BVwG (vgl. NS BVwG vom 31.01.2019, S 5).

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Unbescholtenheit von BF1, BF2, BF3 und mj. BF4 bzw., dass die BF laufend vorübergehende Grundversorgung beziehen, beruhen auf die vom BVwG am 22.02.2019 eingeholten Auszüge aus dem Strafregister bzw. dem Betreuungsinformationssystem.

2.2 Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer

Sowohl BF1 als auch BF2 gaben selbst in der Beschwerdeverhandlung am 06.11.2018 an, in Afghanistan nie aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen gefährdet gewesen zu sein (vgl. NS BVwG vom 31.01.2019, S 17 und S 30).

Die BF brachten im Wesentlichen drei Gründe vor, weswegen Sie Afghanistan verlassen haben, und nicht dorthin zurückkehren können. Einerseits werde BF2 von den Taliban bedroht, anderseits sei BF1 eine westlich orientierte Frau. Ein weiterer Fluchtgrund sei, dass aufgrund des Umstandes, dass BF2 ein wohlhabender Geschäftsmann sei, die Familie Gefahr laufe, dass deren Söhne Opfer von erpresserischer Entführung durch Kriminelle werden könnten.

Während die jeweiligen Vorbringen im Zusammenhang mit der behaupteten Bedrohung durch die Taliban und die behauptete westliche Orientierung der BF2 sich nicht als stichhaltig erwiesen, diesbezüglich schließt sich das BVwG den Ausführungen der belangten Behörde an, war das Vorbringen der BF hinsichtlich der Bedrohung der Kinder des wohlhabenden BF2 als glaubhaft zu würdigen.

So gaben BF2, BF1 und BF3 durchgängig im gesamten Verfahren an, dass sie Angst davor gehabt hätten, dass die Kinder, wozu neben BF3 auch die mj. BF4 bis mj. BF8 zählen, von kriminellen nichtstaatlichen Akteuren entführt werden könnten, um Lösegeld zu erpressen. Wie schon oben ausgeführt, war BF2 in Afghanistan ein erfolgreicher Geschäftsmann, lebte in einem sehr guten Stadtteils Afghanistans und hatte es zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Es kann daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass die Kinder der BF1 und des BF2 Opfer derartiger Entführungen durch nichtstaatliche Akteure werden könnten.

Es ist durch verschiedene Länderberichte belegt, dass es in Afghanistan immer wieder durch nichtstaatliche Akteure zu Entführungen von Kindern von reichen bzw. vermeintlich reichen Personen kommt, dies mit dem Zweck, Lösegeld zu erpressen. Insbesondere führt dies auch die aktuelle UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018 aus, welche sogar ein eigenes Risikoprofil für Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen sowie deren Familienangehörige definiert (Risikoprofil Nr. 15. der UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018). Erst jüngst gab es einen aufsehenerregenden Fall der Entführung eines sechs Jahre alten Mädchens durch nichtstaatliche Akteure in der Stadt Kabul, für welches die Familie das Lösegeld nicht bezahlen konnte, und welches daraufhin von den Entführern getötet wurde. (vgl. https://www.nytimes.com/reuters/2019/03/13/world/asia/13reuters-afghanistan-kidnapping.html, abgerufen am 18.03.2019). Wie auch UNHCR bestätigt, sind die staatlichen Behörden in Afghanistan weder willens noch in der Lage, die BF vor erpresserischen Entführungen zu schützen, zumal diese selbst vielfach korrupt sind. Dies gilt nicht nur für die Stadt Kabul, sondern für ganz Afghanistan.

Das diesbezügliche Vorbringen der BF wird im Lichte der diesem Erkenntnis zugrundeliegenden Länderinformationen als glaubhaft, plausibel und nachvollziehbar gewürdigt, weswegen die entsprechende Feststellung getroffen wird.

Eine Rückkehr nach Kabul, der Herkunftsstadt der BF, ist daher nicht möglich, ohne dass die BF ernsthaft Gefahr laufen würden, Opfer derartiger erpresserischen Entführungen zu werden.

Theoretisch wäre es möglich, dass sich die Familie der BF in einer der beiden als weitgehend sicher geltenden Städte Mazar-e Sharif oder Herat neu ansiedeln könnte. Wie BF2 bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 15.03.2019 ausführte, kann jedoch auch in diesen Städten nicht ausgeschlossen werden, dass die Kinder der BF1 und des BF2 auch in dieser Stadt Opfer von erpresserischen Entführungen werden könnten. Zudem ist es der Großfamilie der BF nicht zumutbar, sich in einer dieser Städte neu anzusiedeln, zumal BF2 nicht in der Lage ist, für sich und seine große Familie in diesen Städten einen auch für seine minderjährigen Söhne, welche laut UNHCR und auch nach Art. 21 der Aufnahmerichtlinie (EU-Richtlinie 2013/33/EU) als besonders vulnerable Personen anzusehen sind, zu finden. BF2 war Geschäftsmann und hat derzeit keine finanziellen Mittel, um sich für sich und seine große Familie den Lebensunterhalt durch Aufbau eines neuen Geschäftes zu sichern. Mit Gelegenheitsarbeiten, die er ausführen könnte, wird es ihm jedoch nicht möglich sein, sich, seine Frau, die nicht erwerbstätig ist, und es auch nicht sein kann, weil sie sich um die minderjährigen Söhne kümmert, und die Kinder zu versorgen. Auch wenn die BF in Afghanistan noch Familie haben, kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit darauf vertraut werden, dass diese in der Lage und willens sind, die Großfamilie der BF finanziell zu unterstützen.

Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr in eine der Städte Mazar-e Sharif oder Herat in eine aussichtlose bzw. existenzbedrohende Situation geraten werden. Bei einer dortigen Ansiedlung liefen die BF Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können. Daher wird die Feststellung getroffen, dass eine innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative nicht zur Verfügung steht.

Im gesamten Verfahren sind keine Hinweise auf einen Asylausschlussgrund hervorgekommen, weswegen die entsprechende Feststellung zu treffen war.

2.3 Zur Situation im Herkunftsstaat

Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt wurden, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung von anderen dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichten aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Die Berichte wurden den BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung zur Verfügung gestellt; es wurde den BF die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Keine der Parteien des Verfahrens gab eine schriftliche Stellungnahme ab.

3. Rechtliche Beurteilung

Einleitend wird festgehalten, dass das BVwG die gegenständlichen Verfahren gemäß § 39 Abs. 2 AVG aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat.

3.1 Zu Spruchteil A)

3.1.1. Zur Zuerkennung des Status von Asylberechtigten an BF3, mj. BF4, mj. BF5, mj. BF6, mj. BF7 und mj. BF8

Die maßgeblichen Bestimmungen zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten lauten wie folgt:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht be

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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