Entscheidungsdatum
20.03.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W177 2129279-1/25E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Volker NOWAK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 31.05.2016, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.03.2018 zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG
2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 16.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der Erstbefragung am 16.09.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass ihn die Taliban haben zwangsrekrutieren wollen. Er habe aber nicht für sie kämpfen wollen. Da er fürchte, dass ihn die Taliban in den Krieg ziehen lassen würden, sei der Beschwerdeführer aus Angst um sein Leben geflohen.
I.2. In Vollmachten vom 02.12.2015 und 23.02.02016 erteilte das Land Niederösterreichischen als Kinder- und Jugendhilfeträger gemäß § 10 Abs. 3 BFA-VG die Vollmacht, den Beschwerdeführer bis zum Erreichen der Volljährigkeit gesetzlich in asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren zu vertreten. Zuerst wurde der Caritas der Erzdiözese Wien die Vollmacht erteilt, ehe diese an den Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH überging.
I.3. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2016 führte der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund im Wesentlichen aus, dass er nicht aus wirtschaften Gründen, sondern wegen der Taliban geflohen sei. Diese hätten gewollt, dass er mit ihnen in den Jihad ziehe. Sie hätten den Beschwerdeführer sowohl bei der Moschee als auch zu Hause aufgesucht. Ein älterer Bruder habe deswegen bereits das Elternhaus verlassen, weshalb sich der Druck der Taliban nun erhöhte, zumal sich diese nun auf ihn konzentriert hätten. Die Familie sei auch bei der Polizei gewesen, aber dies hätte nichts geholfen, weil die Gegend von den Taliban kontrolliert werde. Mittlerweile sei sein Vater in Afghanistan von den Taliban entführt worden. Ein weiterer Bruder sei schon einige Jahre in Österreich und habe hier einen positiven Asylbescheid erhalten.
I.4. Mit Schreiben vom 28.04.2016 brachte die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers eine Stellungnahme ein. Neben den Asylgründen des Beschwerdeführers wurde auch thematisiert, dass ihm aufgrund seiner posttraumatischen Belastungsstörung zumindest der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren sei.
I.5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 31.05.2016, zugestellt am 02.06.2016, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.) und erkannte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 31.05.2017 zuerkannt (Spruchpunkt III.). Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers kein Mindestmaß an konkreten, plausiblen Aussagen zu einem eher einfach strukturierten Sachverhalt aufgewiesen habe.
I.6. Mit Verfahrensanordnung vom 31.05.2016 wurde dem Beschwerdeführer für ein etwaiges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Rechtsberatungsorganisation zur Seite gestellt.
I.7. Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2016 richtet sich die am 22.06.2016 eingelangte vollumfängliche Beschwerde.
I.8. Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 13.03.2018 eine mündliche Verhandlung durch, an der eine Dolmetscherin für die Sprache Paschtu, der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin und eine Vertrauensperson teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verzichtete auf die Teilnahme.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass ihn die Taliban bedroht hätten. Sie hätten gewollt, dass er mit ihnen zusammenarbeite, er sich jedoch diesbezüglich geweigert habe. Bei diesen Drohungen seien die Taliban immer bewaffnet und aggressiv vorgegangen. Einmal sei er nach dem Beten in der Nähe der Moschee von den Taliban angesprochen worden, das andere Mal seien die Taliban direkt zum Haus der Familie gekommen und hätten mit ihm alleine gesprochen. Beide Male hätten die Taliban wollen, dass er sich ihnen anschließe, damit er mit ihnen gegen Ungläubige vorgehen könne. Nach seiner Ausreise sei sein Vater nach dem Aufenthaltsort des Beschwerdeführers gefragt worden. Da er diesbezüglich angab, dass er den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers nicht kenne, sei er verschleppt worden und bis dato nicht mehr aufgetaucht. Abschließend berichtigte der Beschwerdeführer sein Vorbringen in der Niederschrift der belangten Behörde dahingehend, dass er wegen dieser Vorfälle nicht zur Polizei gegangen sei. Er hätte von dort keine Unterstützung erhalten können, zumal die Taliban diese Region kontrollieren würden.
I.9. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht den Verfahrenspartien im Jänner 2019 eine Frist bezüglich einer möglichen Stellungnahme zu den aktuellen Länderfeststellungen einräumte, brachte mit Schreiben vom 05.02.2019 die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers eine Selbige ein. Die belangte Behörde ließ die Frist ungenutzt verstreichen.
I.10. Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:
* Kursbesuchsbestätigung über die Teilnahme des Beschwerdeführers an Deutsch als Zweitsprache A1
* Befundberichte des Landesklinikum Mauer und des Universitätsklinikum St. Pölten bezüglich seiner posttraumatischen Belastungsstörung
* Konvolut an Unterlagen inklusive ärztlicher Stellungnahme des Psychosozialen Diensts über den Krankheitsverlauf des Beschwerdeführers
* Anmeldung zu Sozialversicherung aufgrund seiner Tätigkeit als Küchengehilfe
* Integrationserklärung
* Teilnahmebestätigung am Deutschkurs Niveau A1/2
* Kursbesuchsbestätigung über das 112-stündige Modul im Rahmen der Basisausbildung
* Bestätigung über eine Teilnahme an einem zweistündigen Workshop
* Bestätigung an der Teilnahme und Mithilfe an einer Veranstaltung des Vereins Fair Point
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren am XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu.
Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.
II.1.2. Zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer wurde im Distrikt XXXX , Provinz Kapisa, Afghanistan geboren, wo er bis zu seiner Ausreise dauernd aufhältig war.
Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat vier Jahre die Grundschule besucht.
In Afghanistan leben noch die Mutter, zwei Brüder und zwei Schwestern des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer hat beachtliche Integrationserfolge vorzuweisen. Er befindet sich aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung in Österreich ärztlicher Behandlung.
Einem Bruder des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.03.2013 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II.1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan Probleme mit den Taliban, die ihn zwangsrekrutieren wollten. Der Beschwerdeführer wurde diesbezüglich einmal bei der Moschee von den Taliban angesprochen und ein weiteres Mal von den Taliban zu Hause angesprochen.
Nach seiner Flucht haben die Taliban den Vater des Beschwerdeführers aufgesucht, um den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers in Erfahrung zu bringen. Da der Vater diesen nicht nennen konnte, ist er selbst entführt worden.
Ein Bruder, der unbekanntes Aufenthaltes ist, hat Afghanistan bereits ein paar Monate vor dem Beschwerdeführer verlassen. Einem in Österreich aufhältigen weiteren Bruder wurde bereits im Jahr 2013 aufgrund der versuchten Zwangsrekrutierung durch die Taliban der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Im Falle seiner Rückkehr würde für den Beschwerdeführer die Gefahr der Verfolgung durch die Taliban bis hin zur Tötung bestehen.
Dass die afghanischen Behörden dem Beschwerdeführer vor Angriffen der Taliban Schutz bieten können, ist nicht zu erwarten. Der Beschwerdeführer befürchtet, im Fall seiner Rückkehr aufgrund seiner Weigerung, für die Taliban tätig zu werden, und seiner dadurch zum Ausdruck kommenden (unterstellten) politischen Gesinnung, von diesen getötet zu werden.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wäre der Beschwerdeführer in Gefahr, aufgrund seiner (unterstellten) politischen Gesinnung verfolgt zu werden. Diese Bedrohung bezieht sich auf das gesamte Staatsgebiet.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Gründe, nach denen der Beschwerdeführer von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen ist, sind nicht hervorgekommen.
II.1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).
Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul.
Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018).
Zivilist/innen:
Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte); damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: Im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Von 1.1.2009 - 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registrierte die UNAMA
2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).
Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben; dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).
Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte) und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).
Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u.a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).
Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert, ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände ("explosive remnants of war") 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte), ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:
Das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).
Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, dies trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban Suchbegriff auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).
Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen die Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).
Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk, Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: Das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).
Taliban:
Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban ("governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Vorheriger Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO-Mission-Resolute-Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt werden, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte) zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht; es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).
Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld, insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).
Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig, Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren; dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).
II.2. Beweiswürdigung:
II.2.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und Lebensumstände ergeben sich aus seinen gleichbleibenden und glaubwürdigen Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Auch die belangte Behörde ging in ihrem Bescheid bereits von der Glaubwürdigkeit der diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers aus.
Die Feststellung zu den Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers fußt auf seinen Angaben in der Erstbefragung am 16.09.2015. Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstiger Bescheinigungsmittel konnte die weitere Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden. Soweit dieser namentlich genannt wird, legt das Gericht auf die Feststellung wert, dass dies lediglich der Identifizierung des Beschwerdeführers als Verfahrenspartei dient, nicht jedoch eine Feststellung der Identität im Sinne einer Vorfragebeurteilung iSd § 38 AVG bedeutet.
Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.
II.2.2. Zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers ergeben sich aus dessen gleichbleibenden und glaubwürdigen Angaben. Auch die belangte Behörde ging bereits von der Richtigkeit der diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers aus.
Zur Feststellung der Integrationserfolge des Beschwerdeführers ist auf die im Akt einliegenden Bestätigungen zu verweisen.
Die Feststellung der ärztlichen Behandlung seiner posttraumatischen Belastungsstörung ist dem vorgelegten Konvolut an Unterlagen diverser Ärzte und Spitäler zu entnehmen.
II.2.3. Zu den Fluchtgründen
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichts.
Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal der Beschwerdeführer diesbezüglich auch nichts Gegenteiliges substantiiert vorgebracht hat, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zu Grunde gelegt werden konnten.
Die Feststellungen hinsichtlich der Bedrohung durch die Taliban stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften, im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleichbleibenden und insbesondere in der mündlichen Verhandlung sehr detaillierten und lebensnahen Angaben des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer konnte durch seine Aussagen glaubhaft machen, dass er in seinem durch die Taliban beherrschten Heimatdorf einer auf die Teilnahme an Kampfhandlungen und die Verübung von Selbstmordattentaten gerichteten Zwangsrekrutierung unterzogen hätte werden sollen, sich dieser jedoch gegen eine Teilnahme an Kampfhandlungen auf Seiten der Taliban entschieden hat und er deshalb sein Heimatland verlassen habe. Wie der Beschwerdeführer glaubhaft dargestellt hat, wurde er zweimal von den Taliban aufgefordert sich an den Kampfhandlungen zu beteiligen. Einmal bei der örtlichen Moschee und ein weiteres Mal hätten ihn die Taliban zu Hause aufgesucht. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sehr detaillierte und lebensnahe Schilderung des Beschwerdeführers über diese Vorfälle kann weder als unplausibel noch als lebensfern gewertet werden. Vielmehr hat der Beschwerdeführer durch seine Angaben, die in den wesentlichen Elementen deckungsgleich mit seinem Vorbringen vor der belangten Behörde waren, in der Beschwerdeverhandlung den Eindruck erweckt, dass er die geschilderten Ereignisse tatsächlich erlebt hat.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich seiner Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner (unterstellten) politischen Einstellung in Opposition zu den Taliban war in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, gerade unter Berücksichtigung der diesbezüglich vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage in Afghanistan, insbesondere in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers, insgesamt als glaubhaft zu beurteilen. So war das Vorbringen des Beschwerdeführers zur möglichen Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan ausreichend substantiiert, umfassend, in sich schlüssig und im Hinblick auf die besonderen Umstände des Beschwerdeführers und die allgemeine Situation in Afghanistan plausibel.
Wesentlich bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers war auch der Umstand, dass sein Vorbringen in sich stimmig war und keine beachtlichen Widersprüche aufwies und zudem durch die vorliegenden Länderinformationen gestützt wird. Die vom BFA im bekämpften Bescheid aufgezeigten Unstimmigkeiten vermochte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zufriedenstellend zu erklären.
In einer Gesamtschau der Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verlauf des Verfahrens und aus den dargelegten Erwägungen erscheint das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Furcht vor Verfolgung in Afghanistan insgesamt als glaubhaft. Es ist daher davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus asylrelevanten Gründen drohen würde und die staatlichen Einrichtungen Afghanistans nicht in der Lage sein würden, dem Beschwerdeführer vor dieser Verfolgung im ausreichenden Maß Schutz zu bieten. Diese Bedrohung bezieht sich auf das gesamte Staatsgebiet. Auch wenn der Beschwerdeführer nur allgemeinen Anwerbungsversuchen der Taliban ausgesetzt war, so ist in gegenständlichem Fall noch in der Gesamtbetrachtung miteinzubeziehen, dass der Vater des Beschwerdeführers aufgrund der Flucht des Beschwerdeführers verschleppt wurde und sein Schicksal bis heute nicht geklärt werden konnte. Ebenso ungeklärt ist das Schicksal eines weiteren Bruders der ebenfalls vor den Taliban geflohen ist. Dass die Familie in Afghanistan eine exponierte Stellung besitzt und daher von einer landesweiten Verfolgung durch die Taliban ausgegangen werden kann, ist schließlich auch damit zu begründen, dass einem weiteren Bruder des Beschwerdeführers bereits mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.03.2013 aufgrund des Fluchtgrundes der Zwangsrekrutierung durch die Taliban in Österreich der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde. Aufgrund der jahrelangen Verfolgungshandlungen der Familie durch die Taliban, die auch nach der Flucht des Beschwerdeführers fortgesetzt wurden, ist daher nicht davon auszugehen, dass die Taliban die Flucht des Beschwerdeführers "hingenommen" haben.
Auch die Beachtung der in § 15 AsylG normierten Mitwirkungspflichten und die Mitwirkung des Beschwerdeführers im Verfahren ist gemäß § 18 Abs. 3 AsylG bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens zu berücksichtigen.
Der VwGH hat in ständiger Judikatur erkannt, dass es für die Glaubhaftmachung der Angaben erforderlich ist, dass der Beschwerdeführer die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert, und dass diese Gründe objektivierbar sind, wobei zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des "Glaubhaft-Seins" der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zukommt. Damit ist die Pflicht des Antragstellers verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen und für eine Asylgewährung spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern. Insoweit trifft den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH vom 11.11.1991, 91/12/0143, VwGH vom 13.04.1988, 86/01/0268). Der Antragsteller hat daher das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (u.a. VwGH vom 26.06.1997, 95/18/1291, VwGH vom 17.07.1997, 97/18/0336, VwGH vom 05.04.1995, 93/180289). Die Mitwirkungspflicht bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann.
Der Beschwerdeführer brachte im Kern gleichbleibend und stringent vor. So gab er bereits in seiner Erstbefragung am 16.09.2015 zum Fluchtgrund befragt an, dass er durch Taliban bedroht werde und er eine Zwangsrekrutierung befürchte. In seiner niederschriftlichen Einvernahme am 13.04.2016 konkretisierte der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen dahingehend, dass er einmal bei der Moschee und einmal zu Hause von den Taliban aufgesucht wurde und diese ihn beide Male für sich hätten rekrutieren wollen. Entgegen der Ausführungen der belangten Behörde sind die Schilderungen des Beschwerdeführers gleichbleibend, durchaus detailreich und lebensnah. Ebenso verhielt es sich mit den Angaben zu seinem Fluchtgrund bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Diese wurden bei der mündlichen Verhandlung nicht nur widerspruchsfrei zu Protokoll gegeben, sondern auch in freier Erzählung und ohne Nachfragen mit Detailwissen ergänzt. Daher konnte das Bundesverwaltungsgericht, aufgrund der lebhaften und glaubwürdigen Schilderungen des Beschwerdeführers im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 13.03.2018 und seines in diesem Zuge gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Beschwerdeführer, zu dem Schluss kommen, dass der Beschwerdeführer Ereignisse geschildert hat, die er tatsächlich erlebt hat.
Die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers wird auch dadurch gestützt, dass er im Wesentlichen relativ genaue und weitgehend übereinstimmende, konsistente und plausible Angaben zu seinen Lebensumständen gemacht hat und auf Fragen nach Details und näheren Umständen von behaupteten Vorfällen sowohl vor der belangten Behörde als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht ohne langes Zögern oder fragwürdiges Ausweichen regelmäßig unmittelbar und plausibel antworten konnte.
Die Asylbehörden haben in der Beweiswürdigung den realen Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen (VwGH vom 11.04.2018, Ra 2018/20/0040).
Auch vor dem Hintergrund der vorliegenden Länderinformationen erscheinen das Vorbringen zu einer versuchten Zwangsrekrutierung durch die Taliban durchaus plausibel. Es sind ebenso Fälle bekannt, wo Verwandte verschleppt bzw. hingerichtet worden sind, sind bekannt. Hierzu wird insbesondere im Landinfo Report Afghanistan:
Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne von 23. August 2017 von Dr. Antonio Giustozzi unter Punkt 4. Identifizierung von Zielpersonen zur Einschüchterung und Tötung berichtet:
"Überall, wo die Taliban vertreten sind, zielten sie von vorne herein insbesondere auf die Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte ab, die sich weigern, den Dienst zu quittieren. Sie übten Druck auf deren Familien aus, um deren Ausscheiden zu erzwingen und drohten Bestrafung an, wenn ihrer Forderung nicht Folge geleistet würde. In einigen Fällen sind sie sogar soweit gegangen, Verwandte hinzurichten. Zumeist waren diese Sicherheitskräfte und ihre Familien schließlich gezwungen, in sicherere, von der Regierung kontrollierte Gebiete umzusiedeln, obwohl die Taliban ihre Ziele teilweise auch dort heimsuchen. Andere, die es sich leisten können, scheiden aus und im Laufe der Jahre sind hunderte hingerichtet worden. Selbst diejenigen, die umsiedeln, laufen Gefahr, auf dem Weg an den Straßensperren der Taliban festgehalten zu werden."
Bestätigt wird diese Einschätzung im Wesentlichen auch von den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, (S. 47), die folgendes Risikoprofil definiert:
"k) Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen
Regierungsfeindliche Kräfte haben Berichten zufolge Familienangehörige von Personen mit den oben angeführten Profilen als Vergeltungsmaßnahme und gemäß dem Prinzip der Sippenhaft angegriffen. Insbesondere wurden Verwandte, darunter Frauen und Kinder, von Regierungsmitarbeitern und Mitgliedern der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte Opfer von Schikanen, Entführungen, Gewalt und Tötungen."
Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist den UNHCR-Richtlinien besondere Beachtung zu schenken ("Indizwirkung"; vgl. VwGH vom 22.11.2016, Ra 2016/20/0259 mit Hinweis auf das Erkenntnis vom 10.12.2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106, mwN). Hierzu ist auch anzumerken, dass in diesem Punkt eine maßgebliche Änderung der Situation den neuen UNHCR ELIGIBILITY GUIDELINES FOR ASSESSING THE
INTERNATIONAL PROTECTION NEEDS OF ASYLUM-SEEKERS FROM AFGHANISTAN
vom 30.08.2018 nicht entnommen werden können.
Zur Erläuterung der belangten Behörde, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nur vage dargelegt wurde und Bedrohung des Beschwerdeführers damit obsolet und unplausibel ist, ist auszuführen, dass diese beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde mit den Länderinformationen nicht in Einklang zu bringen sind. Aus diesen ergibt sich insbesondere, dass die Taliban in Gebieten, die sie kontrollieren, verschiedene Methoden nutzen, um auch Kinder und Jugendliche zu rekrutieren. Widersetzen sich diese einer möglichen Zwangsrekrutierung, dann laufen selbst die anderen Familienmitglieder - so wie es der Beschwerdeführer im Verfahren glaubwürdig dargelegt hat - Gefahr, bestraft oder getötet zu werden. Die entsprechenden Passagen in den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 zur Zwangsrekrutierung lauten (unter Punkt 2.2.3):
Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Rekrutierung Minderjähriger und von Zwangsrekrutierung
Berichten zufolge werden Fälle von Zwangsrekrutierung Minderjähriger zu einem großen Teil unzureichend erfasst. Jedoch geht aus Berichten hervor, dass die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch alle Konfliktparteien für Unterstützungs- und Kampfhandlungen im ganzen Landbeobachtet werden.
a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)
Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern,
einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.
Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren, wie berichtet wird, weiterhin Kinder - sowohl Jungen als auch Mädchen - um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen einzusetzen, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln und als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung zu dienen.
[...]
Interne Schutzalternative für Personen, die einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind
[...] Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine sinnvolle interne Schutzalternative. Es sei insbesondere darauf hingewiesen, dass die Taliban, das Haqqani-Netzwerk und die Hezb-i-Islami Hekmatyar, Gruppen, die nach eigenen Angaben mit ISIS verbunden sind, sowie andere bewaffnete Gruppierungen über die operativen Kapazitäten verfügen, Angriffe in allen Teilen des Landes auszuführen, darunter auch in solchen Gebieten, die nicht von diesen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden, wie anhand des Beispiels der steigenden Anzahl öffentlichkeitswirksamer Anschläge in urbanen Gebieten, die sich unter der Kontrolle regierungsnaher Kräfte befinden, ersichtlich wird. [...]
Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr an seinen Herkunftsort eine Verfolgung bis hin zur Tötung durch die Taliban droht, ergibt sich daraus, dass seinem älteren Bruder in Österreich aufgrund einer versuchten Zwangsrekrutierung durch die Taliban in Österreich Asyl gewährt wurde, ein weiteren Bruder ebenfalls geflohen und der Vater des Beschwerdeführers bereits als Feind der Taliban verschleppt wurde und die oben bereits zitierten Länderberichte von Bestrafungen von Familienangehörigen durch die Taliban berichten und davon, dass diese selbst zu Zielpersonen werden können. Auch hat der Beschwerdeführer, durch die zweimaligen Rekrutierungsversuche an seiner Person, einen eigenen Fluchtgrund gesetzt. Somit ist es offensichtlich, dass der Beschwerdeführer und dessen Familie nicht die Meinung der Taliban teilt und er selbst daher den Taliban nicht wohlgesonnen ist. Dies findet auch Bestätigung im EASO Country of Origin Information Report. Afghanistan. Individuals targeted by armed actors in the conflict von Dezember 2017 (siehe insbesondere S. 59 f.).
Zur Aktualität der Bedrohung ist auch auf die Ausführungen im Landinfo Report Afghanistan: Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne von 23. August 2017 von Dr. Antonio Giustozzi unter Punkt 5. Die Regeln der Taliban zu verweisen, wo auch die Konsequenz und Zielstrebigkeit, mit der die Taliban ihre Feinde als solche betrachten und Verfolgen, aufgezeigt wird. Im Wortlaut:
"Zumindest teilweise hat das Justizsystem der Taliban den Zweck, deutlich zu machen, dass ihre Bewegung einen Schattenstaat darstellt. Es liegt den Taliban daher viel daran, die Kontinuität zwischen der aktuellen Bewegung von Aufständischen und dem Taliban-Emirat von 1996-2001 zu betonen; tatsächlich bezeichnen sich die Taliban selbst immer noch als das Islamische Emirat Afghanistan. Daher gelten alle Urteil, die die Taliban für jegliches Verbrechen einmal gesprochen haben, immer noch weiter, einschließlich derer, die vor dem Fall des Emirates ergingen. Tatsächlich befinden sich, laut den Taliban-Quellen, auf der 15.000 Personen um fassenden schwarzen Liste, immer noch 3.000, die zu Zeiten des Emirats verurteilt wurden (die Gerichtsunterlagen wurden nach Pakistan geschafft, als das Emirat fiel). Es ist naheliegend, dass diejenigen, die den Urteilen der Taliban damals entgingen, sich im Ausland aufhielten, daher wurden recht viele dieser Personen (ca. 200) von den Taliban erst 2002-2016 gefasst.
Die Taliban beobachten alle Fremden, die in den Dörfern und Kleinstädten unter ihrer Kontrolle ankommen genau, genauso wie die Dorfbewohner, die in Gebiete unter Regierungskontrolle reisen. Sie fürchten offensichtlich, ausspioniert zu werden und versuchen, die Rekrutierung von Informanten durch die Regierung zu beschränken. Wer in die Taliban-Gebiete ein- oder ausreist sollte die Reise überzeugend begründen können, möglichst belegt mit Nachweisen über Geschäftsabschlüsse, medizinische Behandlung etc. Wenn die Taliban einen Schuldigen suchen, der für die Regierung spioniert haben soll, ist jeder, der verdächtigt wird, sich an die Behörden gewandt zu haben, in großer Gefahr."
Der Verwaltungsgerichtshof differenziert in ständiger Judikatur zwischen der per se nicht asylrelevanten Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei von der Verfolgung, die an die tatsächliche oder unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist daher, mit welcher Reaktion durch die Milizen aufgrund einer Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, gerechten werden muss und ob in ihrem Verhalten eine (unterstellte) politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (19.04.2016, VwGH Ra 2015/01/0079 mwN).
Zur Aktualität der Bedrohung ist auch auf Stahlmann, Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt. ZAR 2017, 189 von Juli 2017 zu verweisen, die zur Verfolgung von Gegnern insbesondere durch die Taliban ausführt (S. 195 ff.):
"3.3. Verfolgung von Gegnern
Die Strategie der gezielten Verfolgung deklarierter Feinde und das tödliche Risiko, das damit einhergeht, ist zumindest bezüglich der Taliban weitgehend anerkannt. In der Entscheidungspraxis des BAMF ist jedoch erkennbar, dass es in der Bewertung, wer von wem mit welchen Konsequenzen von Aufständischen zum Feind deklariert wird, große Unterschiede gibt.
Aussagen der jeweiligen Parteiführungen militanter Organisationen bieten hierfür keine hinreichende Orientierung, weil sie keine Garantien für das Verhalten der Kommandanten vor Ort bieten. Im Gegensatz zu manch anderen Aufständischen, wie dem IS oder LeJ, vertritt die Talibanführung zur Zeit die ofizielle Haltung, dass Schiiten nicht kollektiv verfolgt werden sollten, und es gibt sogar Taliban, die verkünden, dass NGOs nicht angegriffen werden sollten. Die Ermordung von Mitarbeitern des IKRK69 ist nur ein Beispiel unter vielen, dass derartige Forderungen keine Garantie bieten, dass Kommandanten vor Ort deshalb ihre jahrelange Praxis ändern. Ob die Talibanführung für derartige Taten im Nachhinein Verantwortung übernimmt oder der Täter zum ‚abtrünnigen Talib' ernannt wird, weil er zum IS übergelaufen ist, ist diplomatisch interessant, macht für die Ermordeten oder die Bedrohung ihrer Familien oder Kollegen jedoch keinen Unterschied.
Dass hierbei auch alte politische Konliktlinien wichtige Indikatoren für drohende Verfolgung darstellen, zeigt sich darin, dass bekanntermaßen selbst nach Jahrzehnten noch an ehemaligen Mujaheddin oder Kommunisten Rache geübt wird. In privaten Auseinandersetzungen stellt zeitlich unbefristete Vergeltung auch an Angehörigen des Täters eine sozial anerkannte Maßnahme der Konliktaustragung dar. Dass derartige Vergeltung jedoch auch die organisierte, institutionelle Verfolgung prägt, illustriert sowohl die Dauer dieser Kriege, als auch die langfristige zukünftige Bedrohung derer, die sich auf der ‚falschen Seite' wiederfinden.
Sich nicht auf einer gegnerischen Seite wiederzufinden und damit die Bedrohung durch Verfolgung zu vermeiden, ist im Alltag jedoch kaum möglich, da als Feinde kategorisch auch all jene verstanden werden, die nicht zur Kooperation bereit sind. Den Betroffenen lässt das zwei Möglichkeiten: zu Kollaborateuren bzw. Kombattanten zu werden oder zu Feinden - in beiden Fällen verlieren sie jedoch aus Sicht der konkurrierenden Kriegsparteien den Status als ‚Zivilist'. Soweit entspricht dies der klassischen Logik eines Bürgerkriegs, die der Bevölkerung ganz grundsätzlich keine Neutralität zugesteht und damit keine andere Wahl lässt, als sich zu einer Seite zu bekennen.
Die Praxis dieser Bedrohung durch die Taliban bedient sich jedoch nicht nur der klassischen Mittel des Bürger- oder Guerillakrieges, in der gezielt hochrangige Gegner ausgeschaltet werden, sondern auch denjenigen der Diktatur. So wird landesweit bis ins Detail überwacht und überprüft, wer nützlich sein könnte, wer sich oppositionell positioniert, kritisch äußert oder verdächtige Freunde hat. Die darauf folgende Aufforderung zum Beweis der Loyalität und Kooperation kommt häufig in Form eines Drohbriefes, manchmal wird sie aber auch am Telefon, per SMS, persönlich oder im Zuge einer Entführung gestellt. Genutzt werden auch Mittel der Erpressung, wie die Folter oder Verschleppung von Verwandten und Bekannten. Die Wahl, vor die die Betroffenen damit gestellt werden, ist somit, sich an Straftaten oder Kriegshandlungen zu beteiligen oder ganz generell die Taliban zu unterstützen, oder das eigene Leben und das von Angehörigen und Freunden zu riskieren. In beiden Fällen ist sie lebensgefährlich.
Diese Gefahr beschränkt sich nicht auf bestimmte Zielgruppen, sondern betrifft prinzipiell landesweit jeden. Ein Bauer kann genauso ins Visier der Taliban geraten wie ein Arzt oder Polizeikommandant. Rückkehrer aus Europa sind jedoch in besonderem Maße betroffen, da sie dem generellen Verdacht ausgesetzt sind, ihr Land und ihre religiöse Plicht verraten und sich dem Machtanspruch der Taliban entzogen zu haben, oder Spione westlicher Staaten oder sogar selbst Ausländer zu sein.
Die Entscheidung des einfachen Bauern, die Rekrutierung des Sohnes oder die geforderte Verheiratung seiner Tochter zu verweigern, zieht jedoch nicht nur lokal von Seiten der Taliban in der Regel die Ankündigung der Ermordung als deklarierter Feind nach sich. Auch der Versuch, sich dieser tödlichen Gefahr durch Flucht in einen anderen Landesteil zu entziehen, bringt kein Ende der Verfolgung. Die Möglichkeit zu einer landesweiten Verfolgung ist auch privaten Gewaltakteuren jederzeit möglich. Zusammenfassend beruht diese auf alltäglicher sozialer Kontrolle, mit der die Identität und biographischen Angaben eines Neuankömmlings durch bestehende soziale Netzwerke überprüft werden. Durch diese Überprüfung erhält der Herkunftsort und somit der Verfolger Auskunft über den derzeitigen Aufenthaltsort des Geflüchteten. Das landesweite Spitzelnetzwerk der Taliban würde Inlandsverfolgung auch ohne diese traditionelle Überwachung möglich machen, doch ist ein Flüchtling durch diese soziale Kontrolle in der zusätzlichen Gefahr, an dem Zielort seiner Flucht an die Taliban oder andere Verfolger verraten zu werden. Die generelle Bedrohung der Zivilbevölkerung, zwischen den Fronten militanter Kriegsparteien zu stehen, setzt sich somit landesweit in der persönlich adressierten Verfolgung aufgrund der Kollaboration mit einer der Parteien fort.
Da der Kontakt zu Journalisten, Vertretern der UN oder der Polizei schon ohne Vorgeschichte einer Verfolgung in den Augen der Taliban verdächtig ist, kann es zu dieser Art Gewalt und durch Verfolgung Ermordete keine verlässlichen Statistiken geben. Die vielen Taliban-Spitzel unter den Sicherheitskräften erhöhen jedoch das Risiko der Verfolgung, wenn der Versuch unternommen wird, die Gewalt anzuzeigen. Für die Betroffenen ist in der Beurteilung dieser Gefahr jedoch nicht die absolute Zahl der Toten relevant, sondern das Wissen um die Konsequenz der Überwachung und Verfolgung und somit der Potenz dieser diktatorischen Methoden der Kriegsführung.
Der Erfahrungswert, dass man sich den Taliban nicht widersetzen und entziehen kann - egal in welcher Rolle oder Funktion ohne sein eigenes Leben oder das seiner Angehörigen zu gefährden, hat sich längst als überlebenswichtiges Alltagswissen durchgesetzt. So Dr. Mostafa Danesch: "In Kabul kommt es häufig zu Fällen, in denen junge Männer getötet werden und Gerüchte wollen wissen, dass es sich um Racheakte der Taliban handle. Die Kabuler Kriminalpolizei bestätigt, dass in Kabul sehr häufig junge Männer ‚verschwinden'. Auf ihre Vermisstenanzeigen erhalten die Angehörigen bei der Polizei oft die Auskunft, dann seien sie vermutlich von den Taliban entführt worden. Häufig werden Leichen von Verschwundenen in der Umgebung von Kabul gefunden."
Zum Schutz des eigenen Lebens oder der eigenen Kinder zu kooperieren, ist verständlich, und je weniger Betroffene die Chance haben, sich durch Flucht in andere Länder aus dieser Zwangslage zu befreien, desto nachvollziehbarer und wahrscheinlicher wird die Entscheidung, sich dem Zwang zur Kollaboration zu beugen. Je länger zudem diese Macht der Taliban andauert, desto enger und auswegloser wird auch das Netz der lebensbedrohlichen Überwachung und Verfolgung. Zu wissen, dass die Gefahr der Bespitzelung und Verfolgung selbst aus dem Kreis der Familie oder von Freunden zu erwarten ist, begründet nicht nur eine subjektive Angst vor Verfolgung. Es beschreibt auch die Totalität dieser Gefahr."
Eine Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Taliban kann daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, sondern droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit.
Die Feststellungen zur fehlenden Schutzfähigkeit der afghanischen Behörden ergibt sich aus den herangezogenen Länderinformationen, die davon sprechen, dass die afghanischen Sicherheitskräfte im Allgemeinen unwirksam bei der Abschreckung von Straftaten und bei der Reaktion auf Notrufe und Alarme sind. Im EASO Country of Origin Information Report. Afghanistan. Security Situation. von Dezember 2017 in deutscher Übersetzung von Kristina Pröstler und Jonas Erkan wird dazu im Wortlaut ausgeführt (S. 21 f.):
"1.7 Die Fähigkeit des Staates zur Durchsetzung von Recht und Ordnung
Kriminalität, Entführungen und Raubüberfälle nehmen Berichten zufolge zu, insbesondere in allen größeren Städten. Angesichts der Zunahme von Entführungen und Erpressungen in Kabul äußerte AAN, dass dieses Phänomen "unterbewertet" und "unterschätzt" sei, weil es "die Sicherheit der Einwohner Kabuls wahrscheinlich genauso sehr untergrabe wie durch Terrorismus".
Die örtlichen Strafverfolgungsbehörden sind im Allgemeinen unwirksam bei der Abschreckung von Straftaten und bei der Reaktion auf Notrufe und Alarme. Darüber hinaus werden Bestechungszahlungen auf allen Ebenen der lokalen Strafverfolgungsbehörden offen eingefordert. In einigen Fällen führen die Beamten selbst Verbrechen aus, was zu einem Mangel an Vertrauen der Zivilbevölkerung in die lokalen Strafverfolgungsbehörden führt. Selbst dort, wo der Rechtsrahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung und Förderung aus. Die afghanische Regierungsführung und deren Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit werden als besonders schwach empfunden. Ländliche und instabile Gebiete leiden Berichten zufolge unter einem allgemein schwachen formellen Justizsystem, das nicht in der Lage ist, zivil- und strafrechtliche Streitigkeiten wirksam und zuverlässig zu verfolgen. Gesetzeshüter sind dabei selbst oft Opfer von Angriffen. Basierend auf einer Haushalts- und Expertenbefragung zur Messung der Rechtsstaatlichkeit in Alltagssituationen in Kabul, Kandahar und Herat, belegt Afghanistan Rang 111 auf einer Liste von 113 Ländern. (Hinweis: Näheres hierzu auf S. 48f.) [...]"
Diese Einschätzung wird auch vom bereits oben zitierten Artikel von Friederike Stahlmann von Juli 2017 (Stahlmann, Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt. ZAR 2017, 189) bestätigt (siehe insbesondere 4. Erfahrungen mit staatlichem "Schutz", S. 196 ff.).
Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung steht, ergibt sich daraus, dass die Taliban in ganz Afghanistan über nachrichtendienstliche Präsenzen verfügen (Vgl. dazu Karte 1 unter
2.2. des Landinfo Report Afghanistan: Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne von 23. August 2017 von Dr. Antonio Giustozzi,) die unter anderem mit der gezielten Tötung und Informationssammlung von als feindlich betrachteten Personen betraut ist. Weiter fußt die Feststellung zum Fehlen einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative auf den bereits oben wiedergegebenen Ausführungen ((Stahlmann, Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt. ZAR 2017, 189). Folglich wäre der Beschwerdeführer auch in Kabul oder einer anderen afghanischen Stadt noch einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt.
Auch belegen die herangezogenen Länderinformationen, dass die Taliban nach wie vor über starke Präsenzen in Afghanistan verfügen und gezielte Tötungen an Zivilisten durchführen. Dazu führt der EASO Country of Origin Information Report. Afghanistan. Security Situation. von Dezember 2017 in deutscher Übersetzung von Kristina Pröstler und Jonas Erkan wird dazu im Wortlaut aus (S. 15 ff.):
"1.5.2 Anti-Government Elements (AGEs)
[...] Taliban
Die Taliban werden immer noch als die bislang stärkste Kraft un