TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/20 W127 2205200-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.03.2019
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Entscheidungsdatum

20.03.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W127 2205200-1/9E

W127 2205203-1/10E

W127 2205197-1/8E

W127 2205205-1/8E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 21.02.2019 MÜNDLICH VERKÜNDETEN

ERKENNTNISSES:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Fischer-Szilagyi über die Beschwerden von 1.) XXXX , StA. Afghanistan 2.) XXXX , StA. Afghanistan 3.) XXXX , StA. Afghanistan und 4.) XXXX , StA. Afghanistan, alle vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Mag. BLUM, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 04.05.2017, Zlen. 16-1112012503-160557905, 16-1112095702-160557875, 16-1112011800-160558087 und 16-1112011909-160558028, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 im Zusammenhang mit §34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 im Zusammenhang mit §34 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

IV. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 im Zusammenhang mit §34 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Zweitbeschwerdeführer und seine Ehefrau, die Erstbeschwerdeführerin, sind mit ihrer minderjährigen Tochter, der Drittbeschwerdeführerin, und ihrem minderjährigen Sohn, dem Viertbeschwerdeführer, sowie einer weiteren minderjährigen, mittlerweile volljährigen Tochter und der Mutter des Erstbeschwerdeführers in die Republik Österreich eingereist und haben am 19.04.2016 für sich und ihre Kinder internationalen Schutz beantragt.

Bei der Erstbefragung am 19.04.2016 gaben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass die Familie einer Minderheit (Sikh) angehörige und von Islamisten verfolgt werde. Sie seien verspottet und sei die Tochter belästigt worden. Der Vater des Zweitbeschwerdeführers sei gestorben, da er der Tochter im Zuge einer Belästigung zur Hilfe gekommen sei. Er fürchte in Afghanistan um die Sicherheit seiner Familie.

2. Im Rahmen der Einvernahme am 05.12.2016 wurden die beschwerdeführenden Parteien insbesondere darüber in Kenntnis gesetzt, dass ein Konsultationsverfahren mit Malta geführt werde.

3. In einem Befund zu den Sprachkompetenzen und den Landeskenntnissen vom 25.11.2017 wurde "gutachterlich" festgestellt, dass die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer mit hoher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan teilsozialisiert wurden. Sie dürften Afghanistan schon vor wesentlich längerer Zeit verlassen haben, als von ihnen angegeben worden sei. Der Umstand, dass sie möglicherweise die indische Staatsangehörigkeit besitzen, sei durchaus mit der Annahme einer Teilsozialisierung in Afghanistan vereinbar.

4. Im Rahmen der Einvernahmen am 18.04.2018 wurden die beschwerdeführenden Parteien zu ihren Personalien, ihren Fluchtgründen und ihrem Aufenthalt in Österreich befragt.

5. Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt III.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).

6. Hiegegen wurden Rechtsmittel erhoben und die Bescheide zur Gänze angefochten.

7. Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 07.09.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 21.02.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt nicht teilnahm. Die Erst- und Drittbeschwerdeführerin wurden im Beisein des Vertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Punjabi zu ihren Fluchtgründen und zur Situation in Österreich befragt. Der Zweitbeschwerdeführer verzichtete auf die Erörterung seiner Fluchtgründe. Den beschwerdeführenden Parteien wurde Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen.

Im Anschluss wurde das Erkenntnis samt wesentlichen Entscheidungsgründen verkündet und die Rechtsmittelbelehrung erteilt.

9. Mit Schreiben vom 27.02.2009 beantragte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine schriftliche Ausfertigung der am 21.02.2019 verkündeten Erkenntnissen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Verfahrensgegenständlich war über die Beschwerden der Erst- bis Viertbeschwerdeführer - Vater, Mutter, minderjährige Tochter, minderjähriger Sohn - zu entscheiden. Die Verfahren betreffend die mittlerweile volljährige Tochter sowie die Mutter des Zweitbeschwerdeführers sind bei anderen Gerichtsabteilungen des Bundesverwaltungsgerichts anhängig.

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt, in den hg. Akt sowie insbesondere in folgende Länderberichte:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29.06.2018; EASO Country Guidance Afghanistan Juni 2018; UNHCR-Richtlinien 30.08.2018.

1.1. Zu den Personen der beschwerdeführenden Parteien:

Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige von Afghanistan und der Glaubensgemeinschaft der Sikh zugehörig.

Sie sind gemeinsam in Österreich illegal eingereist und leben in Österreich im gemeinsamen Haushalt. Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer besuchen in Österreich die Schule.

Die beschwerdeführenden Parteien sind nicht straffällig im Sinne des Asylgesetzes.

Bei der Drittbeschwerdeführerin handelt es sich um eine auf Eigenständigkeit bedachte, moderne und aufgeklärte junge Frau, die in ihrer Wertehaltung und ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie lebt nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition und ihre Ablehnung der traditionellen Lebensweise von Frauen in Afghanistan hat sich durch ihren Aufenthalt in Österreich verstärkt.

Sie führt in Österreich das Leben einer typischen österreichischen Jugendlichen. Sie spricht Deutsch, bewegt sich in Österreich alleine im öffentlichen Raum, besucht die Schule und verbringt Zeit mit ihren Freundinnen. Sie würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden, weshalb sie in Afghanistan physischer und/oder Gewalt ausgesetzt wäre. Die von der Drittbeschwerdeführerin in Österreich angenommene westliche Lebensweise ist zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden. Es kann von ihr daher nicht erwartet werden, diese Lebensweise in Afghanistan zu unterdrücken oder überhaupt abzulegen, um dort nicht physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein.

1.2. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33,3 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge sind 40 % Pashtunen, rund 30 % Tadschiken, ca. 10 % Hazara, 9 % Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen können allerdings weiterhin in Konflikten und Tötungen resultierten.

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus.

Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden.

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten. Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001.

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin und Geburtshilfe an.

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben. Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung.

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19 %. Rund 64 % der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus-)Bildung. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von Drohungen und Misshandlungen.

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt sind weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90 % innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord. Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt. Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70 %. In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst. Darüber hinaus kommt es immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, vergewaltigt werden oder von zu Hause weglaufen.

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden.

Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer wie etwa Witwen sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Erwerbsmöglichkeiten, sind sie kaum in der Lage zu überleben.

Die Situation der Kinder in Afghanistan hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult - etwa 40 % davon sind Mädchen. Öffentliche Schulen und Kindergärten sind bis zum Universitätslevel kostenlos, private Bildungseinrichtungen und Universitäten müssen allerdings bezahlt werden. Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert, Kinderarbeit ist daher offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC 51,8 % der Kinder auf die eine oder andere Weise gearbeitet, da viele Familien auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen sind. Viele Kinder in Afghanistan sind unterernährt - insbesondere Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt.

Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018:

"7. Frauen mit bestimmten Profilen oder unter bestimmten Bedingungen lebende Frauen

Die Regierung hat seit 2001 einige wichtige Schritte zur Verbesserung der Situation der Frauen im Land unternommen, darunter die Aufnahme internationaler Standards zum Schutz der Rechte der Frauen in die nationale Gesetzgebung, insbesondere durch Verabschiedung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz), den Erlass von Maßnahmen zur Stärkung der politischen Teilhabe von Frauen und die Einrichtung eines Ministeriums für Frauenangelegenheiten.

Die Verbesserungen der Situation von Frauen und Mädchen blieben jedoch Berichten zufolge marginal und Afghanistan wird weiterhin als ‚sehr gefährliches' Land für Frauen und Mädchen betrachtet. Fortschritte, die in der Vergangenheit in Hinblick auf die Menschenrechte von Frauen erzielt wurden, wurden teilweise durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in einigen Teilen des Landes zunichte gemacht. Die tief verwurzelte Diskriminierung von Frauen bleibt endemisch. Berichten zufolge ist Gewalt gegen Frauen und Mädchen nach wie vor weit verbreitet und nimmt weiter zu. Es wird berichtet, dass derartige Gewaltakte üblicherweise straflos bleiben. Für Frauen ist die vollständige Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Trotz einiger Fortschritte sind Frauen überproportional von Armut, Analphabetismus und schlechter Gesundheitsversorgung betroffen.

Beobachter berichten, dass Gesetze zum Schutz von Frauenrechten weiterhin nur langsam umgesetzt werden, dies betrifft insbesondere die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz). Das im August 2009 verabschiedete Gesetz stellt 22 gegen Frauen gerichtete gewalttätige Handlungen und schädliche traditionelle Bräuche, einschließlich Kinderheirat, Zwangsheirat sowie Vergewaltigung und häusliche Gewalt, unter Strafe und legt die Bestrafung der Täter fest. Den Behörden fehlt Berichten zufolge der politische Wille, das Gesetz umzusetzen. Dementsprechend wird es Berichten zufolge nicht vollständig durchgesetzt, insbesondere nicht in ländlichen Gebieten. Die überwiegende Mehrheit der Fälle der gegen Frauen gerichteten Gewaltakte, einschließlich schwerer Straftaten gegen Frauen, wird immer noch nach traditionellen Streitbeilegungsmechanismen statt wie vom Gesetz vorgesehen strafrechtlich verfolgt. UNAMA berichtet, dass sowohl die afghanische nationale Polizei (ANP) als auch die Staatsanwaltschaften zahlreiche Fälle, einschließlich schwerwiegender Straftaten, an jirgas und shuras zum Zweck der Beratung oder Entscheidung weiterleiten und dadurch die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz) unterminieren und die Praktizierung schädlicher traditioneller Bräuche fördern. Durch Entscheidungen gemäß diesen Mechanismen sind Frauen und Mädchen der Gefahr weiterer Schikanierung und Ausgrenzung ausgesetzt.

Das schiitische Personenstandsgesetz, das Familienangelegenheiten wie Heirat, Scheidung und Erbrecht für Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft regelt, enthält mehrere diskriminierende Bestimmungen für Frauen, insbesondere in Bezug auf Vormundschaft, Erbschaft, Ehen von Minderjährigen und Beschränkungen der Bewegungsfreiheit außerhalb des Hauses.

Während die in diesem Abschnitt beschriebenen Menschenrechtsprobleme Frauen und Mädchen im gesamten Land betreffen, gibt die Situation in Gebieten, die tatsächlich von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden, Anlass zu besonderer Sorge.

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge in diesen Gebieten die Rechte von Mädchen und Frauen in schwerwiegender Weise beschnitten, darunter ihr Recht auf Bewegungsfreiheit und politische Partizipation. Außerdem besteht in von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrollierten Gebieten eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass Frauen besonderen Schwierigkeiten beim Zugang zur Justiz ausgesetzt sind und ihnen keine wirksamen Rechtsmittel gegen die Verletzung ihrer Rechte zur Verfügung stehen. Die von den regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) in den von ihnen kontrollierten Gebieten betriebene Paralleljustiz verletzt Berichten zufolge tatsächlich regelmäßig die Rechte von Frauen.

[...]

8. Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen

Trotz Bemühungen der Regierung, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, sind Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer wie etwa Witwen sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Erwerbsmöglichkeiten, sind sie kaum in der Lage zu überleben. Inhaftierungen aufgrund von Verletzungen des afghanischen Gewohnheitsrechts oder der Scharia betreffen Berichten zufolge in überproportionaler Weise Frauen und Mädchen, einschließlich Inhaftierung aufgrund ‚moralischer Vergehen' wie beispielsweise dem Erscheinen ohne angemessene Begleitung, Ablehnung einer Heirat, außereheliche sexuelle Beziehungen (die als Ehebruch angesehen werden) und ‚Weglaufen von zu Hause' (einschließlich in Situationen von häuslicher Gewalt). Mehr als der Hälfte der in Afghanistan inhaftierten Mädchen und Frauen wurden ‚moralische Vergehen' zur Last gelegt. Da Anklagen aufgrund von Ehebruch und anderen ‚moralischen Vergehen' Anlass zu Ehrenmorden geben können, versuchen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen, die Inhaftierung von Frauen als Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen.

[...]

In Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, besteht für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, das Risiko, über die parallelen Justizstrukturen dieser regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) zu harten Strafen, einschließlich zu Auspeitschung und zum Tod, verurteilt zu werden."

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Personen der beschwerdeführenden Parteien:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und religiösen Zugehörigkeit der beschwerdeführenden Parteien beruhen auf den plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben der beschwerdeführenden Parteien im Laufe des Asylverfahrens und wurden auch von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen.

Die Feststellungen zur Einreise, Antragstellung und dem Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes und dem damit in Einklang stehenden Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien.

Die Unbescholtenheit der beschwerdeführenden Parteien ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

Die Feststellungen zur Lebenseinstellung und Lebensweise der Drittbeschwerdeführerin beruhen auf ihrem schlüssigen Vorbringen und dem Erscheinungsbild im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht.

Die Drittbeschwerdeführerin war in der Verhandlung nicht nur "westlich" gekleidet, sondern hat auch einen selbstbewussten Eindruck hinterlassen. Nach der Art ihres Auftretens und ihres Kommunizierens handelt es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine junge Frau, die sich der sozio-kulturellen Problematik der Stellung der Frau in Afghanistan bewusst ist. Dies zeigte sich insbesondere, als die Drittbeschwerdeführerin ausführte, dass sie sich in Österreich frei fühlt und ohne Begleitung bewegen kann. Sie kann eine Schule besuchen und einen Beruf erlernen. Bei der Drittbeschwerdeführerin war zu erkennen, dass sie das streng konservativ-afghanische Frauenbild und die konservativ-afghanische Tradition ablehnt und abgelegt hat und demgegenüber bereits stark "westliche" Werte verinnerlicht hat und auch danach lebt. Dieses Verständnis der Drittbeschwerdeführerin steht im eklatanten Widerspruch zur gesellschaftlichen Situation von Frauen in Afghanistan.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten Lebensweise in Afghanistan physische und/oder psychische Gewalt droht, folgt aus den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten.

2.2. Die Länderfeststellungen beruhen auf den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet. Ergänzend wurden insbesondere hinsichtlich der Feststellungen zur Situation der Frauen in Afghanistan die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 herangezogen.

Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Die Lage in Afghanistan stellt sich seit Jahren diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einschau in aktuelle Berichte bzw. Folgeberichte des deutschen Auswärtigen Amtes, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, des European Asylum Support Office und des U.S. Department of State) versichert hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 sind Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen.

Die beschwerdeführenden Parteien sind Familienangehörige im Sinne des Asylgesetzes. Ihre Verfahren sind daher unter einem zu führen und unter den Voraussetzungen von § 34 Abs. 2, 3 und 6 erhalten sie den gleichen Schutzumfang.

3.2. Zu Spruchpunkt A)

3.2.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn 1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder 2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt ist es der Drittbeschwerdeführerin gelungen glaubhaft zu machen, dass sie eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte junge Frau ist, deren selbstbestimmter Lebensstil bereits wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist. Sie hat damit eine maßgebliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus einem der in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe aufgezeigt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die auf Grund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen (s. VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301; 22.03.2017, Ra 2016/18/0388).

Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte und deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301; 06.07.2011, 2008/19/0994).

Aus den vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Afghanistan ergeben sich zwar keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass alle afghanischen Frauen bzw. Mädchen gleichermaßen allein auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter sowie individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von den in den Länderberichten aufgezeigten Einschränkungen und Diskriminierungen kann jedoch bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, insbesondere einer diesen - traditionellen und durch eine konservativ-religiöse Einstellung geprägten - gesellschaftlichen Zwängen nach außen hin offen widerstrebenden Wertehaltung einer Frau, ein asylrelevantes Ausmaß erreichen.

Den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 ist zu entnehmen, dass sich die afghanische Regierung zwar bemüht, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, jedoch Frauen auf Grund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt sind und gerade Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, gesellschaftlich stigmatisiert werden und hinsichtlich ihre Sicherheit gefährdet sind (zur Indizwirkung solcher Länderberichte siehe VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182). Frauen sind daher besonders gefährdet, in Afghanistan Opfer von Misshandlungen zu werden, wenn ihr Verhalten - wie z.B. die freie Fortbewegung oder eine ausgeübte Erwerbstätigkeit - als nicht mit den von der Gesellschaft, von der Tradition oder sogar vom Rechtssystem auferlegten Geschlechterrollen vereinbar angesehen wird.

Für die Drittbeschwerdeführerin wirkt sich die derzeitige Situation in Afghanistan so aus, dass sie im Falle einer Rückkehr einem Klima ständig latenter Bedrohung, struktureller Gewalt sowie unmittelbaren Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation der Gefahr einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre. Die Drittbeschwerdeführerin unterliegt einer diesbezüglich erhöhten Gefährdung, weil sie zum einen der Religionsgemeinschaft der Sikh angehört, und dadurch schon einem höheren Diskriminierungsrisiko (vgl. hiezu auch UNHCR-Richtlinien 30.08.2018, Pkt. III.A.5.a) ausgesetzt ist, und zum anderen auf Grund ihrer Wertehaltung und Lebensweise bei einer Rückkehr gegenwärtig in Afghanistan als eine Frau wahrgenommen würde, die sich als nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, die Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benimmt; sie ist insofern einem besonderen Misshandlungsrisiko ausgesetzt (vgl. hiezu auch EGMR 20.07.2010, 23.505/09, N. gegen Schweden, ebenfalls unter Hinweis auf UNHCR).

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Drittbeschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan bei Fortsetzung ihrer in Österreich angenommenen Lebensweise mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen würde.

Diese Verfolgungsgefahr findet auch ihre Deckung in den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen, zumal die Drittbeschwerdeführerin einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich jener der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen, zugehörig ist bzw. ihr Verhalten in Afghanistan einer eingenommenen oppositionellen Einstellung zu den herrschenden politischen und/oder religiösen Normen gleichgesetzt würde (vgl. dazu VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017, mwN). Es kann von der Drittbeschwerdeführerin nicht erwartet werden, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen (vgl. VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388).

Es ist nach Lage des gegenständlichen Falles davon auszugehen, dass die Drittbeschwerdeführerin vor diesen Bedrohungen in Afghanistan nicht ausreichend geschützt werden kann. Zwar stellen die angeführten Bedrohungen keine Eingriffe von staatlicher Seite dar, es ist der Zentralregierung jedoch nicht möglich, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten der afghanischen Frauen bzw. Mädchen Sorge zu tragen; gegenwärtig besteht in Afghanistan dahingehend kein funktionierender Polizei- und Justizapparat. Darüber hinaus ist vor dem Hintergrund der aktuellen Länderfeststellungen nicht davon auszugehen, dass im Wirkungsbereich einzelner lokaler Machthaber effektive Mechanismen zur Verhinderung von Übergriffen und Einschränkungen gegenüber Frauen bestünden; ganz im Gegenteil liegt ein derartiges Vorgehen gegenüber Frauen teilweise ganz im Sinne der lokalen Machthaber. Für die Drittbeschwerdeführerin ist damit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie angesichts des sie als westlich orientierte Frau betreffenden Risikos, Opfer von Misshandlungen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt vor diesem Hintergrund nicht in Betracht.

Die Drittbeschwerdeführerin konnte somit glaubhaft machen, dass ihr im Herkunftsstaat im Zusammenhang mit ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bzw. aufgrund einer (ihnen unterstellten) oppositionellen Einstellung zu herrschenden politischen und/oder religiösen Normen mit hoher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Da auch kein Asylausschlussgrund im Sinne von § 6 AsylG 2005 vorliegt, ist der Beschwerdeführerin jeweils gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

Den Eltern (Erst- und Zweitbeschwerdeführer) sowie dem minderjährigen Bruder (Viertbeschwerdeführer) ist aufgrund des Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG 2005 ebenfalls Asyl zu gewähren, zumal sich nicht ergeben hat, dass das zwischen den beschwerdeführenden Parteien bestehende Familienleben in einem anderen Staat fortgesetzt werden könnte.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war festzustellen, dass den beschwerdeführenden Parteien von Gesetzes wegen die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W127.2205200.1.00

Zuletzt aktualisiert am

30.04.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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