TE Vfgh Erkenntnis 2019/3/13 E4081/2018

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Veröffentlicht am 13.03.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
StbG 1985 §10 Abs1, §20 Abs1, Abs2
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Widerruf der Zusicherung der Staatsbürgerschaft mangels Vorliegens schwerwiegender Gründe

Spruch

I. Die beschwerdeführenden Parteien sind durch das angefochtene Erkenntnis in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Salzburg ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Erstbeschwerdeführerin ist serbische Staatsangehörige. Seit dem 30. Dezember 2003 hält sie sich rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich auf, ist in der Hauskrankenpflege tätig und führt ein Transportunternehmen, in dem drei Fahrer beschäftigt sind. Sie ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers.

Mit Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 1. Juli 2015 wurde der Erstbeschwerdeführerin gemäß §20 iVm §10 Abs1 Staatsbürgerschasftsgesetz 1985 (StbG) die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, dass binnen zwei Jahren die vorgeschriebene Entlassung aus dem serbischen Staatsverband nachgewiesen wird. Gleichzeitig wurde die Zusicherung auf den Zweitbeschwerdeführer erstreckt. Aus einer Aktennotiz zu dieser Entscheidung geht hervor, dass die Erstbeschwerdeführerin zwischen 2010 und 2014 drei Verwaltungsübertretungen nach dem Kraftfahrgesetz 1967 (KFG) und eine Verwaltungsübertretung nach dem Salzburger Landessicherheitsgesetz begangen habe, die nach Art, Schwere und Häufigkeit aber kein Verleihungshindernis nach §10 Abs1 Z6 StbG darstellten.

Mit Entscheidung des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der Republik Serbien vom 24. August 2016 wurde die Erstbeschwerdeführerin aus dem serbischen Staatsverband entlassen.

2. Mit Bescheid vom 18. Jänner 2018 widerrief die Salzburger Landesregierung gemäß §20 Abs2 StbG die Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft und wies die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft bzw deren Erstreckung gemäß §39 StbG iVm §§10 Abs1 Z6 zweiter Fall, 17 Abs1 und 18 StbG ab. Sie begründet diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Erstbeschwerdeführerin auf Grund der Art und Häufigkeit der von ihr verwirklichten Verwaltungsübertretungen – zwischen 2010 und 2018 seien über die Erstbeschwerdeführerin insgesamt 16 Geldstrafen in der Höhe von € 40,– bis € 300,– wegen Verwaltungsübertretungen nach dem KFG, der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) und dem Salzburger Landessicherheitsgesetz verhängt worden – keine Gewähr dafür biete, dass sie keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle. In diese Beurteilung könne auch miteinbezogen werden, dass ein Strafverfahren gegen die Erstbeschwerdeführerin wegen des Verdachtes der Körperverletzung und der gefährlichen Drohung im Zuge eines Handgemenges in einem Nagelstudio nach einem außergerichtlichen Tatausgleich eingestellt worden sei. Sohin werde die in §10 Abs1 Z6 StbG normierte Voraussetzung für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht mehr erfüllt. Daher sei auch der Antrag des Zweitbeschwerdeführers auf Erstreckung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft abzuweisen.

3. Die gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde, in der insbesondere auf die jeweils nur geringen Geldstrafen und den Umstand verwiesen wurde, dass der Bescheid vom 1. Juli 2015 über die Zusicherung gemäß §20 StbG bereits im Wissen um einen Teil der Verwaltungsübertretungen erlassen worden sei, wies das Landesverwaltungsgericht Salzburg mit Erkenntnis vom 28. August 2018 als unbegründet ab:

Die Salzburger Landesregierung habe, nachdem die Erstbeschwerdeführerin ihr Ausscheiden aus dem serbischen Staatsverband nachgewiesen habe, das Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen neuerlich geprüft und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass die in §10 Abs1 Z6 StbG normierte Verleihungsvoraussetzung nicht mehr gegeben sei. Bei der Prüfung dieser Verleihungsvoraussetzung sei auf das Gesamtverhalten des Verleihungswerbers, insbesondere auf von ihm begangene Straftaten, Bedacht zu nehmen. Maßgebend sei, ob es sich dabei um Rechtsbrüche handle, die den Schluss rechtfertigten, der Verleihungswerber würde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften missachten. In der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße komme die Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung solcher Gefahren erlassenen Gesetzen zum Ausdruck. Bei der Beurteilung des Gesamtverhaltens sei es der Behörde nicht verwehrt, neben dem nach der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft gesetzten Fehlverhalten auch zuvor begangene Übertretungen und getilgte Vorstrafen heranzuziehen.

Im konkreten Fall sei entscheidungswesentlich, dass die Erstbeschwerdeführerin nach Erlassung des Zusicherungsbescheides insgesamt zwölf Verwaltungsübertretungen nach der StVO und dem KFG in kurzen Abständen verwirklicht habe. Die verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen habe die Erstbeschwerdeführerin damit zu rechtfertigen versucht, dass diese zu einem großen Teil von ihrem Ex-Ehemann begangen worden seien und sie die Strafen beglichen habe, damit keine offenen Forderungen bestünden. Ein Verfahren zur Verleihung der Staatsbürgerschaft biete jedoch keinen Raum dafür, ein rechtskräftig abgeschlossenes (Verwaltungs-)Strafverfahren neu aufzurollen. Die verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen seien im Verfahren bereits vor der Zusicherung thematisiert worden. Die Auswirkungen von Verwaltungsübertretungen im Verleihungsverfahren seien der Erstbeschwerdeführerin daher bewusst gewesen. Einzuräumen sei, dass ihr mit einer Ausnahme keine massiven Geschwindigkeitsüberschreitungen angelastet worden seien. Erschwerend wirke jedoch die kontinuierlich fortgesetzte Begehung im Wissen um das laufende Verfahren über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.

Im Hinblick auf das Gesamtverhalten sei auch zu berücksichtigen, dass gegen die Erstbeschwerdeführerin nach Zusicherung ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Drohung eingeleitet und dieses schließlich nach einer Konfliktregelung durch den Verein Neustart eingestellt worden sei.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne der Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgehe, dass die Erstbeschwerdeführerin keine Gewähr dafür biete, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darzustellen. Da somit die in §10 Abs1 Z6 StbG festgehaltene Erteilungsvoraussetzung nicht vorliege, komme eine Ermessensübung nach §11 StbG und in deren Rahmen die Auseinandersetzung mit der Integration der Erstbeschwerdeführerin nicht in Betracht.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der mit näherer Begründung die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) und auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 – StbG), BGBl 311/1985 (WV) idF BGBl I 16/2013 (§20) bzw BGBl I 136/2013 (§10) lauten wie folgt:

"ABSCHNITT II

ERWERB DER STAATSBÜRGERSCHAFT

[…]

Verleihung

§10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn

1. er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war;

2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrunde liegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl Nr 210/1958, entsprechendem Verfahren ergangen ist;

3. er nicht durch ein inländisches Gericht wegen eines Finanzvergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist;

4. gegen ihn nicht wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;

5. durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft die internationalen Beziehungen der Republik Österreich nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art8 Abs2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;

7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann und

8. er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen der Republik schädigen würde.

[…]

(2) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden nicht verliehen werden, wenn

[…]

2. er mehr als einmal wegen einer schwerwiegenden Verwaltungsübertretung mit besonderem Unrechtsgehalt, insbesondere wegen §99 Abs1 bis 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl Nr 159, wegen §37 Abs3 oder 4 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl I Nr 120/1997, §366 Abs1 Z1 i.V.m. Abs2 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl Nr 194, wegen §§81 bis 83 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG), BGBl Nr 566/1991, oder wegen einer schwerwiegenden Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes 2005, des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl I Nr 100/2005, des Grenzkontrollgesetzes (GrekoG), BGBl Nr 435/1996, oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBl Nr 218/1975, rechtskräftig bestraft worden ist; §55 Abs1 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG), BGBl Nr 52/1991, gilt;

[…]

§20. (1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist einem Fremden zunächst für den Fall zuzusichern, daß er binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates nachweist, wenn

[…]

3. ihm durch die Zusicherung das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ermöglicht wird oder erleichtert werden könnte.

(2) Die Zusicherung ist zu widerrufen, wenn der Fremde mit Ausnahme von §10 Abs1 Z7 auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.

(3) Die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, ist zu verleihen, sobald der Fremde

1. aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausgeschieden ist oder

2. nachweist, daß ihm die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen nicht möglich oder nicht zumutbar waren.

[…]

(5) Die Bestimmungen der Abs1 bis 4 gelten auch für die Erstreckung der Verleihung."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung unter anderem dann, wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001).

Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Salzburg unterlaufen.

3. Die Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß §20 Abs1 StbG setzt voraus, dass – abgesehen vom Ausscheiden aus dem bisherigen Staatsverband binnen zwei Jahren – beim Fremden alle Verleihungsvoraussetzungen vorliegen. Dementsprechend begründet sie einen nur durch den Nachweis des Ausscheidens aus dem bisherigen Staatsverband bedingten Anspruch auf Verleihung (siehe mwN zB VwGH 14.12.2011, 2009/01/0067; Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft II, 1990, 272). Allerdings ist die Zusicherung gemäß §20 Abs2 StbG zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderliche Voraussetzung – mit Ausnahme derjenigen des Erfordernisses des hinreichend gesicherten Lebensunterhaltes – nicht mehr erfüllt. Entfällt nach Erbringung des Nachweises über das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband eine dieser Verleihungsvoraussetzungen, so wird der Fremde mit dem Widerruf der Zusicherung der Staatenlosigkeit preisgegeben.

Der Verfassungsgerichtshof hat vor diesem Hintergrund in VfSlg 19.516/2011 den Widerruf der Zusicherung gemäß §20 Abs2 StbG nur soweit als einer sachlichen Rechtfertigung zugänglich erachtet, als dafür schwerwiegende Gründe vorliegen. Mit dieser Entscheidung wurde §20 Abs2 StbG idF BGBl I 37/2006, wonach die Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft nach §20 Abs1 StbG zu widerrufen war, "wenn der Fremde auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt", als verfassungswidrig aufgehoben. Der Verfassungsgerichtshof befand die Regelung für unsachlich, da sie "bei der Beseitigung des mit dem Zusicherungsbescheid bedingt erworbenen Rechtsanspruchs auf Verleihung der Staatsbürgerschaft etwa schwerwiegende Straftaten einerseits und unverschuldete Notsituationen andererseits gleich" behandle. Dem Gesetzgeber stehe es aber frei, "bei Vorliegen schwerwiegender Gründe einen Widerruf des Zusicherungsbescheides vorzusehen".

In dem Sinn bedarf es für die Annahme eines nachträglichen Wegfalles der hier einschlägigen Verleihungsvoraussetzung gemäß §10 Abs1 Z6 StbG, wonach der Fremde nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bieten muss, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art8 Abs2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet, auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besonders gewichtiger und neu hinzutretender Umstände (vgl zB VwGH 14.5.2002, 2000/01/0356; 24.6.2010, 2008/01/0230).

4. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg geht demgegenüber bei seiner Beurteilung davon aus, dass, nachdem die Erstbeschwerdeführerin ihr Ausscheiden aus dem serbischen Staatsverband nachgewiesen hat, "die belangte Behörde neuerlich das Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen geprüft" hat. In der Folge beurteilt das Landesverwaltungsgericht die Entscheidung der Behörde, mit der diese die Zusicherung widerruft, ausschließlich im Hinblick darauf, ob diese zu Recht angenommen habe, dass bezüglich der Erstbeschwerdeführerin die in §10 Abs1 Z6 StbG normierte Verleihungsvoraussetzung nicht gegeben sei. Dem in der vorliegenden Konstellation, wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.516/2011 ausgesprochen hat, verfassungsrechtlich maßgeblichen Aspekt, dass der Widerruf der Zusicherung gemäß §20 Abs2 StbG den aus der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß §20 Abs1 StbG folgenden, nur durch den Nachweis des Ausscheidens aus dem bisherigen Staatsverband bedingten Anspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft durchbricht und dafür eben schwerwiegende Gründe vorliegen müssen, schenkt das Landesverwaltungsgericht Salzburg keine Beachtung. Es stellt ausschließlich darauf ab, dass "verfahrensgegenständlich die in §10 Abs1 Z6 StbG festgehaltene Erteilungsvoraussetzung nicht vorliegt". Aus VfSlg 19.516/2011 folgt aber, dass für einen Widerruf der Zusicherung schwerwiegende Gründe vorliegen müssen, was bei der Auslegung des §20 Abs2 StbG zu berücksichtigen ist.

5. Indem das Landesverwaltungsgericht Salzburg die im Lichte von VfSlg 19.516/2011 verfassungsrechtlich maßgebliche Bedeutung einer Zusicherung gemäß §20 Abs1 StbG für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für einen Widerruf nach §20 Abs2 StbG verkannt hat, hat es §20 Abs2 iVm §10 Abs1 Z6 StbG einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt.

IV. Ergebnis

1. Die beschwerdeführenden Parteien sind somit durch das angefochtene Erkenntnis in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Staatsbürgerschaftsrecht, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E4081.2018

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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