TE OGH 2019/3/20 7Ob28/19x

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Veröffentlicht am 20.03.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** M*****, vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Dieter Brandstätter, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 9.796,50 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 30. März 2018, GZ 2 R 198/17g-89, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 26. Juli 2017, GZ 12 C 1296/12i-83, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Streitteilen besteht ein Kasko-Versicherungsvertrag für das gegenständliche Fahrzeug, dem unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Bonus-Kaskoversicherung mit Fixstufen (in Hinkunft: ABBKF) 2010 zugrunde liegen.

Diese lauten auszugsweise:

Artikel 1

Was kann versichert werden?

[…]

2.1.

Bei allen Fahrzeugarten

Schäden

[…]

- durch Brand oder Explosion und jene, die durch Kurzschlüsse und Verschmoren an Kabeln entstehen;

[...]

Am 5. 4. 2012 vergaß der Fahrer des Klägers nach Fertigstellung von Kranarbeiten, den Kranarm des Fahrzeugs abzusenken. Es kam zu einer Berührung des Kranarms mit einer Hochspannungsleitung. Durch diese Berührung entstand eine Überspannung/ein Lichtbogen. Die Überspannung breitete sich als potenzielle Zündquelle (durch enorm schnellen Temperaturanstieg) an verschiedenen Bauteilen wie Reifen, Felgen, Gelenkwelle und Bremssteuergerät aus, wodurch es an diesen Bauteilen zu kurzzeitigen (ca 10 bis 15 Sekunden dauernden) „Brandereignissen“ (als Folge eines Spannungsüberschlags) kam. Als der Strom unterbrochen wurde, war die Zündquelle weg und der „Brand“ erlosch sofort wieder von selbst. Die beschädigten Bauteile konnten ohne Stromzufuhr durch die Oberleitung nicht aus Eigenregie weiterbrennen. Ein Kurzschluss bzw ein Verschmoren von Kabeln lag nicht vor.

Der Kläger begehrt – nach Berücksichtigung eines Selbstbehalts – die Zahlung von 9.796,50 EUR sA. Die Schäden seien durch Brand oder Explosion, einen Kurzschluss oder ein Verschmoren im versicherungsrechtlichen Sinn verursacht worden.

Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung. Die Schäden seien nicht durch einen Brand im versicherungsrechtlichen Sinn entstanden, sondern durch eine Überspannung, weshalb sie nicht versichert seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Wesentliches Kriterium für einen Brand im Sinn der Versicherungsbedingungen sei, dass sich der Brandvorgang über den Ort der ersten Entstehung hinaus ausbreiten könne. Dies sei hier nicht der Fall, da das Brandereignis nur sehr kurzfristig gewesen und nach Unterbrechen der Stromzufuhr von alleine wieder erloschen sei. Es liege daher kein Brand im Sinne der Versicherungsbedingungen vor.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Für einen „Brand“ bedürfe es der Selbsterhaltung (Eigenregie) oder einer Ausbreitung über den Ort seiner Entstehung hinaus. Da die durch Überspannung beschädigten Bauteile nicht aus Eigenregie weitergebrannt hätten, sondern der „Brand“ sofort nach Trennung der Stromzufuhr erloschen sei und sich der kurzzeitige „Brand“ von den beschädigten Bauteilen nicht aus eigener Kraft auf andere Bauteile ausgeweitet habe, liege kein versichertes Brandgeschehen vor.

Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich zugelassen, weil keine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage vorliege, ob die zu anderen Versicherungssparten entwickelten Kriterien, wann von einem Brandgeschehen auszugehen sei, auch im Kfz-Kaskobereich Anwendung fänden.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS-Justiz RS0050063 [T71], RS0112256 [T10], RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0008901 [insbesondere T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS-Justiz RS0050063 [T3]).

2.1 Der Oberste Gerichtshof hatte bereits einschlägige Versicherungsbedingungen für die Feuerversicherung zu beurteilen, denen eine eigene Definition des Begriffs „Brand“ zugrunde lag. Als Brand gilt danach ein Feuer, das ohne einen bestimmungsmäßigen Herd entsteht oder ihn verlässt und sich aus eigener Kraft auszubreiten vermag (7 Ob 55/04w, 7 Ob 274/03z zu den AFB 1984).

Auch in Deutschland wird in den AFB vergleichbaren Bedingungen – unter anderem auch zur Kaskoversicherung – dieser versicherungsrechtliche Brandbegriff verwendet (Kirscher in Langheid/Wandt MüKo VVG2 Kap 420 Rn 14, Schneider in Höra MAH Versicherungsrecht4 § 5 Rn 20 f, Johannsen in Bruck/Möller Versicherungsvertragsgesetz9 Vor § 142 Rn 9; Stiefel/Maier/Stadler AKB 2015, Rn 74; Koch in Bruck/Möller Versicherungsvertragsgesetz9 A.2 AKB 2015 Rn 73; Martin, Sachversicherungsrecht3 C I Rn 2).

2.2 Diese allgemeine Definition in den unterschiedlichen Versicherungsbedingungen entspricht im Wesentlichen dem schon früher von Lehre und Rechtsprechung herausgearbeiteten Begriffsverständnis des Tatbestandsmerkmals „Brand“ (vgl Saria in Fenyves/Schauer, VersVG § 82 Rz 3 f mwN; Reisinger in Kainz/Michtner/Reisinger, Die Kfz-Versicherung, 119; Dörner/Staudinger in Honsell, Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz § 82 Rn 4).

2.3 Daraus folgt, dass auch der in Art 1.2.1 ABBKF enthaltene Begriff „Brand“ dahin auszulegen ist, dass es sich um ein Feuer handeln muss, das ohne einen bestimmungsgemäßen Herd entsteht oder ihn verlässt und sich aus eigener Kraft auszubreiten vermag.

2.3.1 Ein Brand setzt demnach ein Feuer voraus. Als Feuer wird jeder Verbrennungsvorgang mit Lichterscheinung verstanden (vgl Saria aaO Rz 4; Schneider aaO Rn 21; Johannsen aaO Rn 10; Dörner/Staudinger aaO Rn 5). Die Lichterscheinung kann in Flammen, Funken oder in einem Glimmen bestehen (Saria aaO Rz 4 mwN). Sehen die Bedingungen – wie hier – keine Flammenbildung vor, so ist für das Vorliegen eines Feuers das Entstehen von Flammen nicht erforderlich, sodass selbst flammenlose Verbrennungsvorgänge umfasst werden (vgl Saria aaO Rz 4; 7 Ob 55/04w).

2.3.2 Ferner ist wesentlich, dass es sich um ein Feuer handelt, das ohne bestimmungsgemäßen Herd entstanden sein oder ihn verlassen haben muss. Bestimmungsgemäß ist ein Herd, der nach objektiven Kriterien von seiner Anlage oder Beschaffenheit her dazu dient, Feuer zu erzeugen, zu nähren oder einzuhegen (7 Ob 274/03z; RIS-Justiz RS0118379; Saria aaO Rz 6, 7; Dörner/Staudinger aaO Rn 7; Johannsen aaO Rn 13; Schneider aaO Rn 22 f).

2.3.3 Zum Brandbegriff gehört weiters, dass sich das Feuer aus eigener Kraft auszubreiten vermag. Selbständige Ausbreitungsfähigkeit des Feuers setzt voraus, dass es im konkreten Fall – wenn auch nur unter den dann vorliegenden besonderen atmosphärischen Bedingungen – die Fähigkeit zum zündenden Weitergreifen auf andere Stoffe aufweist. Das Feuer muss daher die von ihm für eine wenigstens geringfügige, über seine Ausgangsstelle hinausgehende Ausdehnung im Raum benötigte Energie als Reaktionsenergie selbst ausreichend bereitstellen (Saria aaO Rz 9 mwN). Dementsprechend setzt die Annahme selbständiger Ausbreitungsfähigkeit voraus, dass sich das Feuer aus eigener Kraft über einen Ort der ersten Entstehung hinaus (7 Ob 55/04w) auszubreiten vermag. Selbständige Ausbreitungsfähigkeit wurde bereits bejaht, wenn das unkontrollierbare Ausbreiten der Glut eines unmittelbar beim Schweißen aufgetretenen Glimmbrands inmitten einer 10 cm dicken Sägemehlschicht nur durch Einsatz eines Feuerlöschers eingedämmt werden konnte und sich der Glimmbrand nach der Lebenserfahrung jederzeit erneut unkontrolliert auszubreiten vermag (7 Ob 184/98d), oder wenn Flammen aus einem ausschließlich nach dem Prinzip der Lufterhitzung und nicht der Feuerung durch Flammung funktionierenden stromgesteuerten und ölbeheizten Backofen schlagen (7 Ob 274/03z). Schlagen dagegen Flammen aus einem mittels Flammung betriebenen Holzkessel oder Kamin, so muss das Feuer für das Vorliegen selbständiger Ausbreitungsfähigkeit überdies in der Nähe befindliche brennbare Gegenstände erfassen (vgl Saria aaO Rz 9 mzN).

3. Im vorliegenden Fall kam es dadurch, dass der Kranausleger die Hochspannungsleitung berührte, zu einer Überspannung (zu einem Lichtbogen) in das Fahrzeug, die sich als potenzielle Zündquelle an verschiedenen Bauteilen ausbreitete, wodurch es zu kurzzeitigen „Brandereignissen“ kam, die ohne Eigenregie zu entwickeln sofort nach Abreißen der Stromzufuhr erloschen.

4.1 Zunächst ist zu klären, ob der Lichtbogen bereits als Feuer zu qualifizieren ist. Martin (aaO Rn 21) vertritt – ohne weitere Begründung –, dass auch der elektrische Lichtbogen zwischen zwei sich nicht berührenden Elektroden begrifflich Feuer sei. Demgegenüber hat der Oberste Gerichtshof auf die chemisch/naturwissenschaftlich-
technische Definition des Feuers abgestellt (7 Ob 55/04w), sodass ein Verbrennungsvorgang zu fordern ist. Die Ionisierung bei einer Überspannung/einem Lichtbogen stellt keinen Verbrennungsvorgang und damit kein Feuer dar.

4.2 Jetzt ist nur mehr zu prüfen, ob die an bestimmten Fahrzeugteilen festgestellten „Brandereignisse“ als solche im versicherungsrechtlichen Sinn „Brand“ sind. Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen fehlt es aber ausgehend vom hier konkret festgestellten Sachverhalt, wonach die „Brandereignisse“ keine Eigenregie entwickelten, das heißt sich nicht aus eigener Kraft aufrechterhalten konnten, und sofort nach Abreißen der Stromzufuhr wieder erloschen, an der selbständigen Ausbreitungsfähigkeit, worauf bereits die Vorinstanzen zutreffend hinwiesen.

5. Der Revision war der Erfolg zu versagen, die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E124812

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00028.19X.0320.000

Im RIS seit

30.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

28.04.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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