TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/28 W108 2179953-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.01.2019
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Entscheidungsdatum

28.01.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W108 2179956-1/13E

W108 2179961-1/12E

W108 2179953-1/10E

W108 2179959-1/10E

W108 2179950-1/10E

W108 2179964-1/10E

W108 2179948-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. BRAUCHART über die Beschwerde von 1. XXXX, geb. XXXX, 2. XXXX, geb. XXXX, 3. XXXX, geb. XXXX, 4. XXXX, geb. XXXX, 5. XXXX, geb. XXXX, 6. XXXX, geb. XXXX, 7. XXXX, geb. XXXX, 3. bis 7. vertreten durch 1., alle vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, alle syrische Staatsangehörige, gegen jeweils Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 06.11.2017, 1. Zl. 1122564102-160983241, 2. Zl. 112564908-160983284, 3. Zl. 1122554008-160983497, 4. Zl. 1122553806-160983462, 5. Zl. 1122553403-160983390, 6. Zl. 1122566510-160983322, 7. Zl. 1147462308-170393298, jeweils wegen Nichtzuerkennung des Asylstatus nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.05.2018 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG sowie XXXX gemäß § 34 Abs. 1 AsylG iVm 34 Abs. 2 AsylG der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang, Sachverhalt und Vorbringen:

1. Die beschwerdeführenden Parteien sind Kurden aus Syrien. Sie stellten nach Einreise in Österreich am 13.07.2016 (bzw. der in Österreich geborene Siebendbeschwerdeführer am 24.03.2017) Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (im Folgenden: Antrag bzw. Asylantrag und AsylG).

Zu den Asylanträgen wurde folgendes Vorbringen erstattet:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin gaben an, sie seien seit dem Jahr XXXX verheiratet und die Eltern der fünf minderjährigen dritt- bis siebendbeschwerdeführenden Parteien. Sie seien Sunniten. Im Februar 2016 seien sie illegal aus Syrien ausgereist. Der Erstbeschwerdeführer habe 7 Brüder, sechs davon lebten außerhalb Syriens, sowie fünf Schwestern, welche verstorben seien bzw. nicht in Syrien lebten. Er habe in Syrien als XXXX gearbeitet. Zu den Fluchtgründen gab der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen an, ihre Feinde, die Kurdenfeinde, hätten ihre Stadt XXXX in der Provinz XXXX besetzt und es sei dort nicht mehr sicher gewesen. In Syrien herrsche Bürgerkrieg, bewaffnete Männer seien in ihren Stadtteil XXXX gekommen und hätten die Männer mitgenommen. Er habe das selbst nicht gesehen. Sie hätten es nur gehört und aus Angst um ihr Leben seien sie geflüchtet. Im Falle der Rückkehr hätten sie Angst um ihr Leben.

Vorgelegt wurden das Militärbuch des Erstbeschwerdeführers, eine Bestätigung über dessen geleisteten Militärdienst (Militärdienstabschlusszeugnis), ein Familienbuch und eine Wasserrechnung des Hauses der beschwerdeführenden Parteien in XXXX.

Aus dem Militärdienstabschlusszeugnis ergab sich, dass der Erstbeschwerdeführer in Syrien militärdienstpflichtig ist, er seinen Militärdienst in der syrischen Armee in den bewaffneten Einheiten eines Militärkrankenhauses in XXXX geleistet und am XXXX beendet hat und er der militärischen Reserve angehört (Übersetzung, AS 153f).

2. Mit den nunmehr vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheiden wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) die Anträge der beschwerdeführenden Parteien hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (jeweils Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieser Bescheide wurde den beschwerdeführenden Parteien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen unter Spruchpunkt III. dieser Bescheide gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Aus der Begründung der angefochtenen Bescheide geht hervor, dass die belangte Behörde die Angaben der beschwerdeführenden Parteien (zu ihrer Identität, ihren persönlichen Verhältnissen und ihren Fluchtgründen) als glaubwürdig zu Grunde legte, aber als nicht asylrelevant qualifizierte, da sie im "gesamten Vorbringen, nicht eine konkrete Verfolgungshandlung oder eine konkrete, [die beschwerdeführenden Parteien] treffende Verfolgungsgefährdung" vorgebracht hätten.

In dem den Erstbeschwerdeführer betreffenden Bescheid stellte die belangte Behörde unter anderem fest, er sei ein mobiler arbeitsfähiger Mann und strafrechtlich unbescholten. Ihm drohe in Syrien keine ihn treffende individuell-konkrete Verfolgung. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Erstbeschwerdeführer in Syrien zum Reservemilitärdienst eingezogen werden würde und dass er einen Einberufungsbefehl erhalten habe. Es stehe fest, dass der Erstbeschwerdeführer nicht politisch tätig, kein Mitglied einer politischen Partei gewesen sei, in Syrien weder vorbestraft noch inhaftiert gewesen sei und gegen ihn aktuell keine Fahndungsmaßen bestünden. Es hätte nicht festgestellt werden können, dass er in Syrien einer persönlichen Verfolgung durch die Behörden oder Dritte unterliege. Der Erstbeschwerdeführer habe Syrien illegal verlassen. Es bestünden Gründe für die Annahme, dass die Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung aufgrund der derzeitigen Lage in Syrien eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Erstbeschwerdeführers als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts mit sich bringe (weshalb dem Erstbeschwerdeführer und seinen Familienangehörigen der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde). Aufgrund der gemachten Aussagen stehe für die Behörde fest, dass es für den Erstbeschwerdeführer keine individuelle Verfolgungsgefahr gegeben habe und gebe. Die Feststellungen zur Nichteinziehung zum Reservemilitärdienst und zum Nichterhalt eines Einberufungsbefehls wurden im Bescheid nicht begründet.

3. Gegen Spruchpunkt I. der Bescheide (Versagung des Asylstatus) richtet sich die fristgerecht eingebrachte gemeinsame Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, in welcher im Wesentlichen Folgendes ausgeführt wird:

Die beschwerdeführenden Parteien hätten Syrien illegal verlassen, weshalb sie Gefahr liefen, von den syrischen Behörden wegen dieser Gesetzesverletzung bei der Rückkehr verfolgt zu werden. Sie wären verpflichtet gewesen, ihre Ausreise genehmigen zu lassen. Die illegale Ausreise während des staatlichen Ausnahmezustandes und ihre kurdische Volksgruppenzugehörigkeit erhöhe dieses Risiko. In ihren Stadtteil XXXX seien bewaffnete Männer eingetroffen und hätten die wehrfähigen Männer mitgenommen. Das hätte jederzeit auch den Erstbeschwerdeführer treffen können, er habe aber nicht abwarten wollen, bis er selbst abgeholt werde, sondern hätte aus Angst um sein Leben Syrien verlassen. Zwangsrekrutierungen in Syrien seien sowohl bei Regierungseinheiten, Pro-Regime-Milizen, bewaffneten oppositionellen Gruppierungen, terroristischen Organisationen als auch auf kurdischer Seite, insbesondere seitens der YPG, an der Tagesordnung. Im Fall einer Rückkehr sei zu befürchten, dass der Erstbeschwerdeführer und auch die Zweitbeschwerdeführerin Gefahr liefen, gegen ihren Willen an Kampfhandlungen teilnehmen zu müssen.

4. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerden samt den bezughabenden Akten der Verwaltungsverfahren dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

5. Am 17.05.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache der beschwerdeführenden Parteien eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher sich die beschwerdeführenden Parteien persönlich beteiligten.

Die Zweitbeschwerdeführerin sagte u.a. aus, die Befreiungsarmee habe ihren Mann bedroht. Männer der Befreiungsarmee seien in ihren Stadtteil mit einem Auto gekommen und hätten Männer ohne Grund mitgenommen. Sie seien losgefahren und hätten gesagt, sie würden wiederkommen und ihren Mann mitnehmen. Bevor die Befreiungsarmee wiedergekommen sei, seien in einen Ort geflüchtet, wo es keine Befreiungsarmee gegeben habe. Nur ihr Mann sei bedroht.

Der Erstbeschwerdeführer erstattete ein Vorbringen dahingehend, dass im Jahr 2013 Männer der Befreiungsarmee nach XXXX, in ihren Stadtteil/Bezirk XXXX, gekommen seien, weshalb er mit seiner Familie nach XXXX in der Provinz XXXX geflüchtet sei. Die Männer seien maskiert gewesen und hätten viele Männer in ihrem Auto mitgenommen und hätten ihm gesagt, dass sie wiederkommen würden, und er dann bereit sein müsse. Er sei persönlich von der Befreiungsarmee angesprochen worden. An diesem Tag hätte die Befreiungsarmee nicht alle Männer mitnehmen können. Manche Männer seien mit der Behauptung mitgenommen worden, sie seien Angehörige der Regierung, zB hätten sie seinen Bruder mitgenommen; später hätten sie erfahren, dass sie ihn freigelassen hätten. Davor sei er ständig an Kontrollposten von Angehörigen der Regierung belästigt und bedroht worden. XXXX sei unter der Kontrolle der Kurden gestanden. XXXX stehe noch immer unter der Kontrolle der Befreiungsarmee und der kurdischen Armee. Er sei ein Reservist der syrischen Armee. Er sei bei einer besonderen Einheit gewesen. Er habe eine militärische Ausbildung gehabt, habe aber wegen einer Operation an einem Bein einen Dienst als Wache in einem Krankenhaus versehen. Es seien nunmehr jüngere, aber auch ältere Männer eingezogen worden. Er sei 33 Jahre alt und gesund. Er müsse 100%ig den Reservedienst leisten, er sei jedoch nicht von der Regierung einberufen worden, da er nicht in Syrien sei und es in XXXX keine syrische Behörde gegeben habe. Der Bruder seines Freundes, mit dem er das letzte Mal vor einem Jahr Kontakt gehabt hätte, sei zum Militär eingezogen worden. Als der Vater dieses Freundes bei der Behörde nachgefragt habe, warum sein Sohn mitgenommen worden sei, sei diesem die Einberufung für seinen anderen Sohn, seinen Freund, übergeben worden. Dieser Freund habe damals mit ihm den Militärdienst geleistet. Wäre er jetzt in Syrien und hätte er Kontakt mit der syrischen Regierung, würde die Regierung in festnehmen und ihn umbringen. Als Kurde würde er als Feind der Regierung angesehen werden. Die Kurden seien eine Minderheit in Syrien, sie hätten seit 40 Jahren unter der Verfolgung durch die syrische Regierung zu leiden gehabt, jetzt seien sie besonders verfolgt, weil sie eine Autonomie der kurdischen Gebiete deklariert hätten. Längerfristig werde die Duldung durch die syrische Regierung nicht halten. Da er illegal aus Syrien ausgereist sei, werde er sofort inhaftiert. Es sei davon auszugehen, dass er zum Militär einberufen werden würde bzw. man ihn mitnehmen würde. Als Reservist hätte er seine Ausreise genehmigen lassen müssen, aber niemand bekomme eine Erlaubnis. Er wolle den Reservedienst nicht leisten. Die syrische Regierung würde dem Beschwerdeführer eine oppositionelle Gesinnung oder Gegnerschaft zur Regierung anlasten, weil er muslimischer Sunnite aus XXXX sei, der dem Militärdienst nicht gefolgt sei. Er sei ein Gegner der syrischen Regierung. Die kurdischen Einheiten hätten ihn in XXXX zwei- bis dreimal zwecks Rekrutierung befragt, aber danach habe er die Stadt verlassen. Seine Familienangehörigen hätten Syrien verlassen, weil sie Angst vor der Befreiungsarmee gehabt hätten, aber später auch vor der syrischen Regierung. Niemand seiner Brüder habe für die Befreiungsarmee oder die syrische Regierung kämpfen wollen. Nur sein älterer Bruder, der zwischen 60 und 70 Jahre alt sei, sei noch in XXXX. Die Regierung habe alle Söhne dieses Bruders zum Militärdienst einberufen, die der Einberufung nicht Folge geleistet hätten. Alle seien außerhalb von Syrien. Sein Bruder sei deshalb einmal vom syrischen Geheimdienst mitgenommen und misshandelt worden, als dieser in einem anderen Bezirk von XXXX unter Regierungskontrolle seinen Pensionsbezug abholen habe wollen. Er sei wegen seiner Söhne festgenommen worden, die nicht zum Militär gegangen seien. In XXXX seien noch immer die Befreiungsarmee und die Kurden und es gebe dort Kampfhandlungen. Für die syrische Regierung sei nicht evident, dass es den Beschwerdeführer überhaupt noch gebe, zumal auch sein Haus unbewohnt sei. Im Fall seiner Rückkehr würde jedoch eine zentrale Abfrage stattfinden und man würde feststellen, dass er den Militärdienst nicht geleistet habe. Die älteren Männer seien nach XXXX zurückgekehrt, aber die jüngeren nicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. hinsichtlich der Lage in Syrien:

Politische Lage

In der Praxis unterhält die syrische Regierung noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten. Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten. Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt. Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden. Informationen zahlreicher Aktivisten zufolge wurden bis zu zweihundert PKK-Kämpfer aus der Türkei und dem Irak sowie Waffen iranischer Provenienz nach Syrien geschmuggelt. Aus diesem Grundstock entwickelten sich die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel begann die PYD, die kurdische Bevölkerung davon abzuhalten, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin,? Ain al-Arab (Kobanî) und die Dschazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre. Im März 2016 wurde die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin steht zwar unter kurdischer Kontrolle, ist jedoch nicht mit dem Rest des kurdischen Gebietes verbunden. Das von der PYD in den kurdischen Gebieten etablierte System wird von der PYD als "demokratische Autonomie" bzw. "demokratischer Konföderalismus" bezeichnet. "Demokratischer Konföderalismus" strebt danach, die lokale Verwaltung durch Räte zu stärken, von Straßen- und Nachbarschaftsräten über Bezirks- und Dorfräte bis hin zu Stadt- und Regionalräten. "Demokratischer Konföderalismus" muss somit als Form der Selbstverwaltung verstanden werden, in der Autonomie organisiert wird. Die Realität sieht allerdings anders aus. Tatsächlich werden in "Rojava" Entscheidungen weder von den zahlreichen (lokalen) Räten getroffen, noch von Salih Muslim und Asya Abdullah in ihrer Funktion als Co-Vorsitzende der PYD, stattdessen liegt die Macht bei der militärischen Führung im Kandilgebirge, die regelmäßig hochrangige Parteikader nach Syrien entsendet. In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, wobei die Partei unter anderem die Bereitstellung von Leistungen nutzt, um ihre Macht zu legitimieren. Die Erbringung öffentlicher Leistungen variiert jedoch. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten in denen die PYD mehr Kontrolle besitzt, bleibt die Macht in der Hand der PYD zentralisiert, trotz den Behauptungen der PYD die Macht auf die lokale Ebene zu dezentralisieren.

Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten.

Die türkische Armee eroberte im Jahr 2018 zusammen mit ihr verbündeten Rebellengruppen, darunter die FSA, kurdische Gebiete im Nordwesten Syriens (insbesondere auch Afrin) gegen den erbitterten Widerstand der YPG, wobei der Großteil der kurdischen Bevölkerung floh. Die YPG droht mit Angriffen gegen die türkische Armee.

Wehrdienst/Rekrutierung

Für männliche Syrer und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten. Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Wehrdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen.

Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht.

In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden.

Regierungseinheiten, Pro-Regime-Milizen, bewaffnete oppositionelle Gruppen und terroristische Organisationen rekrutieren Kinder und nutzen sie als Soldaten, menschliche Schutzschilde, Selbstmordattentäter, Henker und auch in unterstützenden Funktionen.

Kinder werden als Zwangsarbeiter oder Informanten benutzt, wodurch sie dem Risiko von Vergeltungsakten oder extremen Bestrafungen ausgesetzt sind. Manche bewaffnete Gruppierungen, die auf der Seite der Regierung kämpfen, zwangsrekrutieren Kinder - manche nicht älter als 6 Jahre.

Die syrische Armee hat durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es werden Rekrutierungsschreiben verschickt, wenn Männer das wehrfähige Alter erreichen. Männer, die sich außer Landes oder in Gebieten, die nicht von der Regierung kontrolliert werden, befinden, erhalten ihre Rekrutierungsschreiben häufig nicht. Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, welche das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden.

Männer werden jedoch auch auf der Straße an Checkpoints oder an anderen Orten rekrutiert. Es gibt auch Massenverhaftungen und Tür-zu-Tür-Kampagnen, um Wehrdienstverweigerern habhaft zu werden.

Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein.

Wehrdienstpflichtige Männer werden bei Hausdurchsuchungen, Razzien, an Checkpoints oder an der Grenze verhaftet und in den Militärdienst eingezogen. Bei Behördengängen, wie zum Beispiel der Registrierung einer Heirat, soll es auch zu Verhaftungen kommen. Gemäß den vom Finnish Immigration Service befragten Quellen werden Männer auf der Straße, an Universitäten und an Checkpoints eingezogen. Busse werden angehalten, um Männer im wehrdienstpflichtigen Alter zu suchen. Im privaten Sektor werden Firmen unter Druck gesetzt, ihre Arbeiter in den Militärdienst zu schicken. Das US Department of State weist darauf hin, dass an den Checkpoints der Regierung Männer allein aufgrund ihres wehrdienstpflichtigen Alters verhaftet werden. Viele verschwinden nach den Verhaftungen an Checkpoints. Auch die Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu Syrien geht von zehntausenden Männern im wehrdienstpflichtigen Alter aus, die verschwunden sind.

Bei Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, verlangt das Regime, dass die jungen Männer der Region in die syrische Armee eintreten. Nach der Machtübernahme der Regierung in Aleppo fotografierte ein Reuters Mitarbeiter hunderte junge Männer, die zwangsrekrutiert wurden. Die Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu Syrien berichtet, dass die syrischen Sicherheitskräfte nach der Eroberung von Aleppo über 5000 Männer in den Wehrdienst einzogen. Auch während der Evakuierung von Zivilisten in der Region von Aleppo sollen im Dezember 2016 Pro-Assad-Gruppen Männer und Jugendliche ab 16 Jahren zwangsrekrutiert haben. Zudem werden Häftlinge unter Druck gesetzt, entweder in Haft zu bleiben oder in die Armee einzutreten.

Gemäß Berichten werden Anwohner unter Druck gesetzt, sich den lokalen Milizen anzuschließen, obwohl der Beitritt zu den Verteidigungsmilizen freiwillig ist. Im Februar 2016 wurde auf einer Webseite der Opposition berichtet, dass in Deir al-Zur, einer Stadt im Osten Syriens, welche vom sogenannten "Islamischen Staat" belagert wurde, der zuständige General die Schaffung einer Selbstverteidigungsmiliz verkündete, und dass die syrischen Sicherheitsdienste alle Männer zwischen 15 und 60 Jahren verhaftet und eingezogen haben.

Bestechung als Mittel, um den Wehrdienst zu vermeiden, ist mittlerweile schwieriger geworden - zumindest wenn jemand keine großen Geldsummen zur Verfügung hat. Es gibt auch Männer im wehrpflichtigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt. Nach der Massenwanderung von Syrern im Jahr 2015 wurde das Wehrdienstalter erhöht, und mehr Männer wurden an Checkpoints rekrutiert, auch solche, die ihren Militärdienst bereits beendet hatten. Für junge Männer im Alter von 16 und 17 Jahren ist es schwer, einen Reisepass zu erhalten, oder sie erhalten nur einen Pass, der zwei Jahre gültig ist.

Gemäß dem Danish Immigration Service können Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren freiwillig der Armee beitreten. Aktivisten berichten über Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen sowohl in die syrische Armee wie auch in die paramilitärischen Selbstverteidigungseinheiten. Gemäß der Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu Syrien rekrutieren die Volkskomittees und Milizen der National Defence Forces Minderjährige und schicken sie ohne militärisches Training in den Kampf.

Auch das US Department of State geht davon aus, dass Regierungsmilizen Kinder ab 13 Jahren rekrutieren und dass die syrische Regierung Kinder zwischen sechs und 13 Jahren als Informanten einsetzt. In den ersten Jahren des Krieges waren die meisten Kinder, die von bewaffneten Gruppen rekrutiert wurden, im Alter zwischen 15 und 17 Jahren. Seit 2014 rekrutieren alle Gruppen immer jüngere Kinder; einige sollen bereits mit sieben Jahren rekrutiert worden sein.

Das Höchstalter für den Militärdienst betrug zuvor 42 Jahre, wurde jedoch inzwischen erhöht, wobei es hierzu keine offizielle Regelung und daher auch kein offizielles Höchstalter mehr gibt. Sowohl der Danish Immigration Service wie auch der Finnish Immigration Service beschreiben, dass Männer, die älter als 42 Jahre sind, eingezogen werden: Kontaktpersonen des Danish Immigration Service gehen davon aus, dass vor allem technische Experten, die älter als 42 Jahre sind, eingezogen werden und dass Reservisten im Alter von 52 oder sogar 54 Jahren rekrutiert werden. Der Finnish Immigration Service wurde von einer Kontaktperson darüber informiert, dass Männer je nach Region und Umständen auch im Alter zwischen 50 und 60 Jahren Militärdienst leisten müssen. Ein syrischer Journalist sagte, dass auch Männer mit 47 oder 48 Jahren in den Militärdienst eingezogen werden.

Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Sie werden mittels Brief, den die Polizei persönlich zustellt, oder an Checkpoints rekrutiert. Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person, sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient wurde.

Die Regierung strebt eine Stärkung der Berichten zufolge angespannten personellen Kapazitäten ihrer Streitkräfte an und hat daher, wie aus Berichten hervorgeht, ihre Bemühungen um Einziehung und Mobilisierung von Reservisten in Gebieten unter ihrer Kontrolle intensiviert, einschließlich an mobilen und fest installierten Kontrollstellen, bei Angriffen und Durchsuchungen von Häusern und öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch Jungen im Teenageralter, die das Aussehen von 18-Jährigen hatten, wurden Berichten zufolge an Kontrollstellen festgenommen. Zahlreiche Männer im Wehrdienst- oder Reservistenalter vermeiden es Berichten zufolge, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, halten sich versteckt oder sind aus Angst vor Drangsalierung an Kontrollstellen und vor Einziehung außer Landes geflohen. Es stellt Berichten zufolge eine gängige Praxis dar, Wehrpflichtige und Reservisten nach begrenzter oder ganz ohne militärische Ausbildung an den Frontlinien einzusetzen. In von Regierungskräften von bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppen zurückeroberten Gebieten wurden Männer im Wehrpflicht- oder Reservedienstalter in großer Zahl festgenommen und zwangsrekrutiert. Männer im wehrfähigen Alter können das Land nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros verlassen. Auch um zu heiraten oder in den Staatsdienst einzutreten brauchen sie eine Genehmigung. Der Pflichtwehrdienst wurde Berichten zufolge in vielen Fällen über die vorgesehenen Monate hinaus verlängert. Nach einer eventuellen Entlassung aus dem Pflichtwehrdienst folgt, wie berichtet wird, in der Regel eine automatische Aufnahme in die Reservistenliste. Angesichts des anhaltenden Konflikts und des steigenden Bedarfs an Rekruten werden Berichten zufolge Regeln und Rechtsvorschriften für den Militärdienst zunehmend willkürlich angewandt, insbesondere in Bezug auf Aufschub- und Ausnahmeverfahren. Zunehmend zieht die Regierung, wie berichtet wird, zuvor "geschützte" Personen wie Studenten, Beamte und Häftlinge zum Militärdienst ein.

Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit. Möglicherweise kommt es bei diesen Ausnahmen zum Wehrdienst derzeit jedoch auch zu Willkür. Durch den erhöhten Bedarf an Soldaten wird mittlerweile ebenso auf "geschützte" Gruppen wie Studierende, Beamte und Minderheiten zurückgegriffen.

Da es sich bei den Möglichkeiten zum Freikauf um "Kann-Bestimmungen" handelt, ist eine Befreiung in Krisenzeiten unwahrscheinlich.

Es wurden keine Berichte gefunden, nach denen Personen zum offiziellen Militärdienst einberufen wurden, die die einzigen Söhne der Familie sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass gesichert gesagt werden kann, dass es solche Fälle nicht gibt. Bei der Rekrutierung durch die syrische Armee herrscht mittlerweile durchaus eine gewisse Willkür. Außerdem kann sich jemand, selbst wenn er der einzige Sohn der Familie ist, als Freiwilliger beim Militär melden. Darüber hinaus existieren die NDF [National Defence Forces, eine im Jahr 2012 gegründete Pro-Regierungs-Miliz, die wiederum aus mehreren Milizgruppen besteht], deren Rekrutierungspolitik nicht gesetzlich geregelt ist. Gemäß einer Quelle ist davon auszugehen, dass die NDF jeden zwingen können, ihnen beizutreten, selbst dann, wenn die Person z.B. der einzige Sohn der Familie ist. Solche Fälle kommen jedoch laut unten angeführter Quelle jedoch nicht häufig vor.

Verschiedene Beobachter berichteten dem Danish Immigration Service, dass Freistellungen manchmal nicht mehr akzeptiert werden. Zudem sei die Freistellung vom Militärdienst auch gegen Bestechung schwieriger geworden. Gemäß dem Syrian Observer und Noah Bonsey von der International Crisis Group befürchten auch Männer, die vom Militärdienst befreit sind, eingezogen zu werden. Die Willkür hat vor allem in den Gebieten zugenommen, die von Milizen kontrolliert werden. Quellen des Finnish Immigration Service ist zu entnehmen, dass die Umsetzung der Freistellungen willkürlich ist. Die Freistellungsdokumente sind zwar vorzeigbar, können jedoch an einem Checkpoint zerrissen werden.

Entlassungen aus dem Militärdienst sind sehr selten geworden. Es gibt Männer in der Armee, die seit dem Beginn der Revolution 2011 in der Armee sind. Die Dauer des Militärdienstes hat sich verlängert, möglicherweise ist sie auch nicht mehr begrenzt. 2011 konnte der Wehrdienst noch um ein paar Monate verlängert werden, und danach wurde man entlassen. Mittlerweile ist Desertion häufig der einzige Ausweg.

Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden.

Wehrdienstentziehung

Gemäß den Informationen des UK Home Office ist in Artikel 68 festgehalten, dass Personen, die sich der Einberufung entziehen, in Friedenszeiten zwischen ein bis sechs Monate und in Kriegszeiten bis zu fünf Jahre inhaftiert werden. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Gemäß Artikel 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. Deserteure, die militärisches Material mitgenommen haben und die in Kriegszeiten oder während des Kampfs desertierten oder bereits früher desertiert sind, werden mit 15 Jahren Haft bestraft. In Artikel 102 ist festgehalten, dass ein Deserteur, der im Angesicht des Feindes desertiert, mit lebenslanger Haft bestraft wird. Exekution ist entsprechend Artikel 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Artikel 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen. UNHCR erstellte eine inoffizielle Übersetzung ausgewählter Paragraphen des Military Penal Law, Legislative Decree No. 61/1950. Diese stimmen inhaltlich, jedoch bezüglich der Nummerierung nur teilweise mit den oben erwähnten Artikel überein. In der Übersetzung von UNHCR wird Wehrdienstentzug gemäß Artikel 98 und 99 bestraft. Gemäß UNHCR ist die Bestrafung von Desertion in Friedenszeiten im Artikel 100 geregelt und in Artikel 101 ist die Bestrafung bei Desertion in Kriegszeiten festgelegt. In den Artikeln 102 und 103 steht, dass das Überlaufen zum Feind und eine zusätzliche Verschwörung mit dem Feind mit dem Tod bestraft wird.

Bei der Umsetzung der Bestrafung herrscht Willkür. Es gab Amnestien der syrischen Regierung, um Deserteure und Wehrdienstverweigerer zu ermutigen, sich zum Dienst zu melden. Es ist jedoch nicht bekannt, ob Männer, die dieses Angebot in Anspruch nehmen, Konsequenzen erfahren oder nicht. Besonders aus dem Jahr 2012 gibt es Berichte von desertierten syrischen Soldaten, welche gezwungen wurden, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen, erschossen zu werden.

Auf Desertion steht die Todesstrafe. Es ist jedoch nicht bekannt, wieweit die Todesstrafe wirklich angewendet wird. Ein Deserteur würde jedoch zumindest inhaftiert werden. Wenn ein Deserteur an einem Checkpoint rekrutiert wird, kann er direkt zum Dienst - auch an die Front - oder ins Gefängnis geschickt werden. Die Konsequenzen für Desertion hängen vom Bedarf an der Front und von der Position und dem Rang des Deserteurs ab. Für ‚desertierte', vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen.

Wenn ein Wehrdienstverweigerer von den Behörden aufgegriffen würde, würde er verhaftet und überprüft werden. Anschließend könnte die Person zum Dienst in der Armee geschickt werden. Die Konsequenzen hängen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster.

Gemäß einer Quelle des Finnish Immigration Service hängt die Bestrafung von der Position und dem Rang des Deserteurs wie auch vom Bedarf an der Front ab. Auch im Bericht des Danish Immigration Service weist eine befragte Person darauf hin, dass die Bestrafung vom Profil, von der Herkunftsregion oder vom Beziehungsnetz der betroffenen Person abhängen kann. Komme der Verdacht auf, dass Kontakte zur Opposition bestehen, würden die Untersuchungen und die Folter intensiviert. Bei Wehrdienstentzug droht je nach Profil und Umständen sofortiger Einzug in den Militärdienst, Einzug an die Front oder Haft und Folter. Desertion wird mit Haft, Verschwinden-Lassen, Verfahren vor Militärgerichten, lebenslanger Haft, Todesstrafe oder Exekution bestraft. Häuser, Läden und Besitz von Deserteuren werden vom Regime geplündert, angezündet und zerstört. Es kann auch vorkommen, dass aufgegriffene Deserteure direkt an die Front geschickt werden.

Bereits 2011 wurden Dutzende syrische Deserteure exekutiert, da sie sich den Aufständischen anschließen wollten. Human Rights Watch berichtete 2012, dass syrische Armeeangehörige erschossen, gefoltert, geschlagen oder inhaftiert werden, wenn sie Befehle nicht befolgen. Die Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu Syrien und das Syrian Human Rights Committee berichteten 2013 über Exekutionen von desertierten Soldaten, über Verhaftungen von Familienangehörigen von Deserteuren und über willkürliche Verhaftungen von Personen, die sich nicht ausweisen können und aus umkämpften Gebieten geflohen sind. Regierungstruppen zerstörten die Häuser, Höfe und Geschäfte von verdächtigen Regierungsgegnern. Dieses willkürliche Vorgehen gegen Deserteure und Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, wird auch in neueren Berichten bestätigt. Das Immigration and Refugee Board of Canada ging aufgrund verschiedener Quellen im August 2014 davon aus, dass Personen, die sich dem Militärdienst entziehen, verhaftet oder zwangsrekrutiert werden. Ein Aktivist meint, dass insbesondere hochrangige Offiziere, die desertiert sind, als Verräter gesehen werden, ihnen droht Haft und Folter.

Im Bericht des Finnish Immigration Service vom August 2016 wird darauf hingewiesen, dass Deserteuren die Todesstrafe droht. Ein europäischer Diplomat ist zwar nicht sicher, ob die Todesstrafe umgesetzt wird, er berichtet jedoch, dass es als Abschreckungsmaßnahme zu Massenexekutionen von Deserteuren gekommen ist. Gemäß einer anderen Quelle werden Deserteure inhaftiert und gefoltert, einige würden auch an die Front geschickt.

Seit 2011 hat der syrische Präsident al-Assad für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstentzieher und Deserteure eine Serie von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden. Am 17. Februar 2016 veröffentlichte der Präsident das Gesetzesdekret Nr. 8, mit dem Deserteure innerhalb und außerhalb von Syrien sowie Wehrdienstentzieher und Reservisten eine Amnestie erhalten. Weder über die Umsetzung dieser Dekrete noch darüber, wie viele Wehrdienstentzieher seit 2011 in den Genuss dieser Amnestien kamen, liegen Informationen und genaue Zahlen vor. Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben diese Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert. Ihrer Ansicht nach profitierten nicht die vorgeblich angesprochenen Personengruppen von ihnen. Bei Rückkehrern aus dem Ausland werden Berichten zufolge regelmäßig die Aufzeichnungen zu ihrem Militärdienst überprüft.

Opposition/Zuschreibung einer oppositionellen Gesinnung

Bestimmte Personen werden aufgrund ihrer politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen oder ihnen wird auf andere Weise Schaden zugefügt. Aber die Konfliktparteien wenden Berichten zufolge breitere Auslegungen an, wen sie als der gegnerischen Seite zugehörig betrachten. Diese basieren z.B. auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt.

Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts in Syrien ist der Umstand, dass - auch - die syrische Regierung als Konfliktpartei oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellt. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit.

Personen, die tatsächlich oder vermeintlich regierungsfeindliche Ansichten haben

Einwohner Syriens, die tatsächlich oder vermeintlich regierungskritische politische Ansichten im weitesten Sinne haben, sind als Personen anzusehen, die gefährdet sind durch die Regierung verfolgt zu werden. Es liegen schon seit längerem Berichte darüber vor, dass die syrische Regierung politischen Dissens durch Einschüchterung, Überwachung und Inhaftierung von politischen Aktivisten, Journalisten, Schriftstellern und Intellektuellen unterdrückt. Auf die im März 2011 aufkommenden Protestbewegungen und die sich anschließenden bewaffneten Aufstände, reagierten die Regierung und regierungsfreundliche Kräfte, wie aus Berichten hervorgeht, mit massiver Unterdrückung und Gewalt. Die Regierung wendet, wie berichtet wird, bei der Beurteilung von politischem Dissens sehr breite Kriterien an: jegliche Kritik, Opposition oder sogar unzureichende Loyalität der Regierung gegenüber, wie auch immer ausgedrückt - friedlich oder gewalttätig, organisiert oder spontan, im Rahmen einer politischen Partei, bewaffneten Gruppe oder individuell, virtuell im Internet oder im bewaffneten Konflikt - führte Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen. Es wurde berichtet, dass zahlreiche Protestteilnehmer, Aktivisten, Wehrdienstentzieher, Deserteure, Laienjournalisten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Ärzte und andere Personen, denen regierungsfeindliche Haltungen zugeschrieben wurden, willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert oder anderen Misshandlungen ausgesetzt, oder Opfer von extralegalen oder Massenhinrichtungen wurden. Gegen zahlreiche Personen wurden Berichten zufolge Strafverfahren gemäß dem Terrorbekämpfungsgesetz (Gesetz Nr. 19 vom 2. Juli 2012) durchgeführt. Das Gesetz sieht schwere Strafen - von langjährigen Haftstrafen bis hin zur Todesstrafe - für Personen vor, bei denen festgestellt wird, dass sie "terroristische" Handlungen begangen haben. "Terrorismus" ist vage und mit sehr weiten Begriffen in den Gesetzen definiert, die viel Raum für Strafverfolgung wegen zahlreicher unterschiedlicher Aktivitäten bieten, einschließlich Teilnahme an Protesten, Äußerungen in sozialen Medien, Bereitstellung humanitärer Hilfsdienste, Schmuggeln von Arzneimitteln und Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen. Berichten ist zu entnehmen, dass die meisten Häftlinge nie förmlich angeklagt werden. Gegen tausende Zivilisten wurden Berichten zufolge von Strafgerichten, dem Antiterrorismus-Gericht in Damaskus und militärischen Feldgerichten Strafverfahren durchgeführt, die gegen die internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren verstoßen. In der Regel gingen den Verfahren monatelange Untersuchungshaft in Einrichtungen der Sicherheitsdienste und erzwungene Geständnisse voraus. Es wird berichtet, dass die Strafen für jene Personen, die vor Gericht gestellt und verurteilt wurden, auch dann hart sind, wenn die fraglichen Aktivitäten selbst friedlich waren. Wie aus Berichten hervorgeht, überwacht die Regierung Korrespondenz, Online-Aktivitäten und politische Zusammenkünfte. Die Regierung hört Berichten zufolge mit Hilfe von entsprechender Ausrüstung Gespräche ab, installiert Spysoftware auf den Computern von Aktivisten, blockiert Textnachrichten und ortet Mobil- und Satellitentelefone. Aus Berichten geht hervor, dass die Online-Überwachung zu willkürlichen Verhaftungen, incommunicado Haft, Folter und Tötungen von zahlreichen politischen Dissidenten, Aktivisten, Laienjournalisten und anderen Personen geführt hat. Zahllose Personen wurden Berichten zufolge inhaftiert, nachdem sie über soziale Medien Fotos oder Videos, die regierungskritische Proteste oder Aufstände unterstützen, weitergeleitet, positiv bewertet oder kommentiert hatten. Wie berichtet wird, hackt die seit April 2011 bestehende so genannte Syrische Elektronische Armee mit stillschweigender Zustimmung der Regierung Websites und Seiten sozialer Medien von oppositionellen Gruppen, von bestimmten westlichen Medien und Menschenrechtsorganisationen und blockiert sie oder überflutet sie mit regierungsfreundlichen Inhalten. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden nach Ausbruch der regierungskritischen Proteste im März 2011 Syrer, die im Ausland an solchen Protesten teilnahmen, durch Mitarbeiter syrischer Botschaften und durch andere Personen, die mutmaßlich im Auftrag der syrischen Regierung handelten, kontrolliert, eingeschüchtert und teilweise körperlich angegriffen. Berichten zufolge wurden die in Syrien gebliebenen Angehörigen von syrischen Staatsangehörigen, die sich an Protesten oder damit verbundenen Aktivitäten im Ausland beteiligt hatten, Befragungen unterzogen, durch telefonische Anrufe, E-Mails und Facebook-Nachrichten bedroht, sie wurden verhaftet, misshandelt oder sogar getötet. In Deutschland wurden vier Mitarbeiter der syrischen Botschaft, die mutmaßlich Aktivitäten syrischer Oppositionsmitglieder überwachten, ausgewiesen. Wie berichtet wird, befürchten im Exil lebende Syrer von Landsleuten, die aus eigener Initiative oder als Informanten im Auftrag der syrischen Regierung handeln, überwacht, bedroht oder in sozialen Medien als "regierungsfeindlich" dargestellt zu werden.

(Arabische) Sunniten werden im Allgemeinen und insbesondere, wenn sie aus Gebieten stammen, die bekanntermaßen mit der Opposition sympathisieren oder unter der de facto Kontrolle bewaffneter oppositioneller Gruppen stehen, als regierungsfeindlich wahrgenommen. Aus diesem Grund waren ihre Wohngebiete von Beschießungen, Artilleriefeuer und Militärangriffen betroffen und von der Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Grundbedarfsgütern abgeschnitten. Darüber hinaus wurden Sunniten von Streitkräften der Regierung aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit sunnitischen Islamisten oder Salafisten bzw. ganz allgemein bewaffneten oppositionellen Gruppen willkürlich verhaftet, in Isolationshaft genommen, gefoltert und auf andere Weisen misshandelt sowie extralegal und standrechtlich hingerichtet. Der unabhängigen UN-Untersuchungskommission zufolge besteht "in von der Regierung kontrollierten Gebieten für sunnitische Männer aus Unruhegebieten das größte Risiko, an Kontrollstellen oder bei Hausdurchsuchungen inhaftiert zu werden, da sie als wahrscheinliche Sympathisanten oder Unterstützer von oppositionellen bewaffneten Gruppen gelten. Diese Gemeinschaft ist insbesondere in Hinblick auf Zwangsverschleppung, Folter und andere Menschenrechtsverletzungen während Inhaftierungen gefährdet.

Berichten ist zu entnehmen, dass Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, in denen es zu Protesten der Bevölkerung kam und/oder in denen bewaffnete oppositionelle Gruppen in Erscheinung treten oder (zeitweise) die Kontrolle übernommen haben, im Allgemeinen mit der Opposition in Verbindung gebracht werden und daher von der Regierung als regierungsfeindlich angesehen werden. Es gehört Berichten zufolge zu einer umfassenden Politik, Zivilisten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, ihrer Anwesenheit in einem Gebiet oder ihrer Herkunft aus einem Gebiet, das als regierungsfeindlich und/oder als Unterstützer oppositioneller bewaffneter Gruppen betrachtet wird, ins Visier zu nehmen. Der Herkunftsort kann einen Faktor darstellen, wie mit dessen Bewohnern umgegangen wird - besonders bei Gebieten, die vormals von Aufständischen gehalten wurden oder sich noch unter deren Kontrolle befinden.

Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben. Die Familienangehörigen (beispielsweise Ehegatten, Kinder, Geschwister, Eltern und auch entferntere Verwandt) von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Protestteilnehmern, Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien oder bewaffneten oppositionellen Gruppen, Überläufern und Wehrdienstentziehern und anderen Personen wurden Berichten zufolge willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise - einschließlich unter Anwendung sexueller Gewalt - misshandelt sowie auch willkürlich hingerichtet. Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die für einen Regierungsgegner gehalten wird, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder, um Vergeltung zu üben für die Aktivitäten bzw. den Loyalitätsbruch der gesuchten Person oder um Informationen über ihren Aufenthaltsort zu gewinnen und/oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu gestehen. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden weibliche Verwandte verhaftet und als "Tauschobjekte" für Gefangenenaustausch mit regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen verwendet. Darüber hinaus liegen Berichte vor, dass sogar Nachbarn, Kollegen und Freunde verfolgt wurden.

Aus Angst, selbst inhaftiert und misshandelt zu werden, sehen Familienmitglieder, wie Berichten zu entnehmen ist, häufig davon ab, nach dem Aufenthaltsort von verhafteten Familienmitgliedern zu forschen oder sich über die Verhaftung zu beklagen. Wie aus Berichten hervorgeht, sehen sie sich stattdessen gezwungen, korrupten Staatsbediensteten Schmiergelder zu bezahlen, um Informationen über den Aufenthaltsort eines inhaftierten Angehörigen zu erhalten, seine Verlagerung von einer Haftanstalt des Sicherheitsdienstes in die zentrale Haftanstalt zu veranlassen oder für seine Freilassung zu sorgen - dabei besteht für sie keine Erfolgsgarantie. Amnestien durch den Präsidenten haben, wie berichtet wird, auch Richtern die Möglichkeit eröffnet, Bestechungsgelder von Familien entgegen zu nehmen, die die Freilassung eines inhaftierten Familienmitglieds erreichen möchten. In besonders schwerwiegenden Fällen wurden Berichten zufolge ganze Familien von Oppositionsmitgliedern oder Überläufern verhaftet oder extralegal hingerichtet, beispielsweise bei Hausdurchsuchungen.

Aufgrund verfügbarer Herkunftslandinformationen reicht allein der Verdacht, dass eine Person regierungskritische Ansichten hat oder mit einer Person in Verbindung steht, die solche Ansichten hat, für die Verfolgung aus.

Den vorliegenden Quellen zufolge können Angehörige von gesuchten Personen, inklusive Wehrdienstentziehern, bei ihrer Rückkehr verhaftet werden, etwa um die gesuchten Personen unter Druck zu setzen, ihre Aktivitäten einzustellen oder sich den syrischen Behörden zu stellen.

Wehrdienstverweigerer, Deserteure und ihre Familienangehörigen

Die Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu Syrien und das Syrian Human Rights Committee berichteten 2013 über Exekutionen von desertierten Soldaten, über Verhaftungen von Familienangehörigen von Deserteuren und über willkürliche Verhaftungen von Personen, die sich nicht ausweisen können und aus umkämpften Gebieten geflohen sind.

Syrische Oppositionelle oder Deserteure sind im mit Syrien verbündeten Libanon ebenfalls von Verhaftung bedroht. Sogar Familienangehörige von Deserteuren und Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, sind im Ausland in Gefahr.

Zivilisten, die für die Armee gearbeitet haben und die Armee verlassen haben, gelten als Verräter und werden wie Deserteure bestraft. Personen, die nach einem bewilligten Aufenthalt im Ausland nicht nach Syrien zurückkehren, werden als Wehrdienstverweigerer oder Deserteur eingestuft und dementsprechend bestraft.

Wenn die Personen, die vom syrischen Regime einberufen wurden, nicht freiwillig erscheinen, werden sie als Wehrdienstverweigerer gelistet und werden von den Behörden gesucht. Die Truppen der Regierung sind ausgedünnt und es mangelt an Militärs.

Wehrdienstentzieher, die sich nicht innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf der festgelegten Frist zum Militärdienst melden, werden (in Friedenszeiten) mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft. Die Wehrdienstpflicht besteht dabei weiterhin fort. Wenn Personen sich innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf der Frist freiwillig melden, wird die Strafe um 50 Prozent herabgesetzt. In Kriegszeiten wird Wehrdienstentziehung je nach den Umständen mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft. Nach Verbüßung der Strafe muss der Wehrdienstentzieher weiterhin den regulären Militärdienst ableisten.

Es wird berichtet, dass Wehrdienstentzieher in der Praxis festgenommen und unterschiedlich lange inhaftiert werden und danach in ihrer militärischen Einheit Dienst leisten müssen. Aus Berichten geht hervor, dass sie während der Haft dem Risiko der Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt sind. Die Regierung inhaftiert Berichten zufolge außerdem gezielt Familienmitglieder von Wehrdienstentziehern, um Druck auf Männer im wehrfähigen Alter auszuüben, in den Militärdienst zu treten. Wie aus Berichten hervorgeht, ist es unklar, auf welche Weise Personen über die Verpflichtung informiert werden, sich zum Militärdienst zu melden. Ferner ist unklar, wie viel Zeit vergeht, bis der Name einer Person, die dem Einberufungsbefehl nicht Folge leistet, an das Militär und an Personenkontrollstellen mit der Anweisung gemeldet wird, die betreffende Person aufgrund von Wehrdienstentziehung festzunehmen. Einzelne Berichte legen außerdem nahe, dass zumindest in manchen Fällen Personen nach ihrer Festnahme an Kontrollstellen in die Armee eingezogen wurden, ohne zuvor einen Einberufungsbescheid erhalten zu haben. Ungeachtet des genauen Zeitpunkts, zu dem eine Person gemäß anwendbarem syrischem Recht als wehrdienstpflichtig betrachtet wird (und sich daher strafbar macht, wenn sie dem Einberufungsbefehl nicht Folge leistet), kann nach Beobachtungen von UNHCR "eine Wehrdienstentziehung auch präventiv erfolgen, indem die betreffende Person noch vor Eintreffen des eigentlichen Erfassungs- oder Einberufungsbefehls handelt", indem sie zum Beispiel das Land verlässt.

Die syrische Regierung betrachtet, wie Berichten zu entnehmen ist, Wehrdienstentziehung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen.

Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie könnte von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert. Die Familien und besonders die Väter von Militärdienstverweigerern und Deserteuren werden üblicherweise schikaniert, um die Söhne zu zwingen, sich zu stellen. Die Behörden treten auch an bestimmte Gemeinschaften heran und verlangen, dass die Familien die Mitglieder, die für den Militärdienst gesucht werden, übergeben. Obwohl die Soldaten streng beaufsichtigt werden und ihre Familien bei Fahnenflucht mit Repressalien rechnen müssen, gibt es immer wieder Deserteure. Die meisten von ihnen seien Angehörige der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit. Das Regime verwendet weiterhin alle möglichen Druckmittel von bürokratischen Auflagen bis hin zu Gefängnis und Folter, um die syrischen Streitkräfte oder die paramilitärischen Verbände zu verstärken. Amnestien dienen im Endeffekt nicht dazu, den Wehrdienstverweigerern und Deserteuren eine Strafe zu ersparen, sondern ihrer habhaft zu werden, um sie zum Militärdienst und letztendlich zum Kampfeinsatz einziehen zu können. Auch Familienangehörige von Deserteuren, von Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, oder von Zivilisten, die bei der Armee gearbeitet haben, werden bestraft. Geschwister, Brüder und Schwestern, wie auch Mütter und Väter werden verhaftet. Neben Plünderung ihrer Häuser und Verhaftungen werden Familienangehörige von Deserteuren und Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, häufig aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Die Maßnahmen gegen die Familien von Deserteuren variieren in den verschiedenen Regionen. Väter oder Brüder werden rekrutiert, um den Deserteur in der Armee zu ersetzen. Desertiert jemand mit der Waffe, werden die Familienangehörigen verhaftet. Wenn sie sich nicht mehr in Syrien aufhalten, werden sie auf eine der Suchlisten gesetzt. Wie Berichte belegen, griffen Regierungskräfte zum Beispiel bei Verhaftungskampagnen in Gebieten, in denen ihrer Wahrnehmung nach die Opposition unterstützt wurde, gezielt Angehörige von Deserteuren heraus. Das Eigentum von Deserteuren wurde, wie berichtet wird, durch Plünderung und Brandstiftung zerstört.

Personen, die im Ausland auf bestimmte Weise aktiv sind

Wie aus Berichten hervorgeht, betrachtet die Regierung bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung, darunter Anträge auf Asyl, Teilnahme an regierungskritischen Protesten, Kontakte zu Oppositionsgruppen oder andere Ausdrucksformen der Kritik an der Regierung, einschließlich über soziale Medien.

Ethnische/religiöse Minderheiten/Staatsangestellte

Auch unter den Minderheiten gibt es eine Spaltung zwischen Gegnern und Befürwortern des syrischen Regimes. Auch (bzw. gerade auch) Kurden zählen zu den [auch exilpolitisch tätigen] Regimegegnern. Im Laufe des Konflikts wird die kurdische Bevölkerung vor allem durch ISIS und Al-Nusra-Front als Unterstützer der YPG wahrgenommen, die beträchtliche Teile des Gebiets im Norden Syriens, das zuvor in der Hand von ISIS war, unter ihre Kontrolle gebracht hat. Extremistische Gruppen betrachten Berichten zufolge Kurden als "Ungläubige". Berichten zufolge hat ISIS in dem Bemühen, seine Herrschaft zu installieren und zu konsolidieren, vorsätzlich Zivilpersonen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder religiösen oder ethnischen Identität angegriffen, u. a. durch willkürliche Überfälle auf (Minderheits-)Regionen, Massenhinrichtungen und Zwangsvertreibungen. ISIS führte eine Offensive im Gebiet Kobane/Ain al-Arab durch. Vor allem Kämpfer der kurdischen YPG, des bewaffneten Arms der PYD, verteidigen das Gebiet, welches für beide strategisch wichtig ist.

Menschenrechtsverletzungen

Die syrische Regierung, ihre Streitkräfte und regierungsfreundliche Kräfte begehen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, wie Mord, Vernichtung, Folter, Vergewaltigung, Zwangsverschleppungen, Angriffe auf die Zivilbevölkerung und andere unmenschliche Akte. Im Zuge mehrerer großer Militäroperationen von Regierungs- und regierungsfreundlichen Truppen verübten diese Massenmorde, auch an Frauen und Kindern. Der fortgesetzte Konflikt führte zu einigen der abscheulichsten Bedingungen für Menschenrechte und humanitäre Lage weltweit, darunter Ermordungen, Folter, willkürliche Haft, Verschwindenlassen, Verweigerung des Zugangs zu Justiz, schwere Einschränkungen der Meinungsfreiheit und die Verfolgung von Frauen und Minderheiten. Kinder wurden ermordet, gefoltert und der Gewalt durch alle Parteien ausgesetzt. Es kommt auch zu frühen Zwangsheiraten von Mädchen. Die meisten Menschenrechtsverletzungen und Brüche des humanitären Gesetzes wurden systematisch von syrischen Regierungskräften und ihren verbündeten Gruppen begangen.

Der bewaffnete Konflikt in Syrien ist Berichten zufolge weiterhin von weit verbreiteten und systematischen Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts gekennzeichnet, die in einem Klima der Straflosigkeit stattfinden. Die Unabhängige UN-Untersuchungskommission zu Syrien und Menschenrechtsorganisationen haben syrische Regierungskräfte der Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt. Willkürliche und direkte Angriffe auf Zivilisten, Belagerungen und Verwehrung des Zugangs von humanitärer Hilfe sowie Angriffe auf medizinische Einrichtungen und Mitarbeiter haben sich Berichten zufolge als typisches Schema von Menschenrechtsverletzungen auf Seiten der syrischen Regierungskräfte erwiesen. Wie aus Berichten hervorgeht, haben syrische Regierungskräfte Waffen auf willkürliche Weise eingesetzt,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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