TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/28 W108 2177080-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.01.2019
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Entscheidungsdatum

28.01.2019

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W108 2177080-1/14E

Schriftliche Ausfertigung des am 08.05.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. BRAUCHART als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gerhard MORY, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.10.2017, Zl. 1064807510-161649471/BMI-BFA_SZB_RD, wegen Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.05.2018 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang, Sachverhalt und Vorbringen:

1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 07.12.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (im Folgenden: Antrag bzw. Asylantrag und AsylG), über den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Bescheid dahingehend entschied, dass ihm der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG nicht zuerkannt wurde (Spruchpunkt I. des Bescheides). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm unter Spruchpunkt III. dieses Bescheides gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Im behördlichen Verfahren erstattete der Beschwerdeführer bei den Befragungen im Wesentlichem folgendes Vorbringen:

Er gehöre der kurdischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Er stamme aus der syrischen Provinz XXXX , XXXX , und habe in XXXX studiert. Er habe Syrien im Jahr 2014 illegal verlassen. Er werde von der syrischen Regierung verfolgt. Er werde in Syrien gesucht und werde, wenn er gestellt werde, umgebracht. Im März 2011 hätten bei der Revolution gegen das syrische Regime in XXXX Demonstrationen gegen die Regierung stattgefunden, an denen er häufig teilgenommen habe. Er habe wegen der Demonstrationen keine Probleme gehabt. Im Jahr 2014 habe er auch in XXXX mit Freunden gegen die syrische Regierung demonstriert. Bei der letzten Demonstration im September 2014 seien seine Freunde festgenommen worden und "verschwunden". Auf Rückfrage sei gesagt worden, dass sie von den syrischen Behörden festgenommen worden seien. Er habe befürchtet, ebenfalls bald festgenommen zu werden, da aufgrund der Verhaftung seiner Freunde davon auszugehen gewesen sei, dass der syrischen Regierung seine Beteiligung an den Demonstrationen gegen die Regierung bekannt sei. Denn wenn man verhaftet werde, werde man so lange geschlagen, bis man gestehe, wer bei der Demonstration dabei gewesen sei. Er sei Student gewesen und habe seinen Militärdienst weiter aufschieben wollen, da er befürchtet habe, während des Militärdienstes ebenfalls zu "verschwinden". Er habe von der Universität aber keine Bestätigung mehr erhalten, mit der man den Militärdienst hätte aufschieben können, was bedeutet hätte, dass er zum Militärdienst einberufen werde. Er habe aber den Militärdienst nicht leisten und in Syrien nicht kämpfen wollen. Er sei dann nach XXXX gegangen, dort sei ihm kein Reisepass mehr ausgestellt worden. Er sei nur einmal in XXXX gewesen, um sich einen Reisepass ausstellen zu lassen. Da er ein Flugticket nach XXXX habe besorgen können, sei er dorthin gereist. Er habe schon einmal im Jahr 2016 in Österreich einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt worden sei. Er sei damals zurück in die Türkei und von dort in den Irak, wo er sich drei Monate lang aufgehalten habe. Er habe den Irak aus Sicherheitsgründen wieder verlassen und sei neuerlich nach Österreich gereist.

Zu dem dem Beschwerdeführer im Wege des Parteiengehörs übermittelten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen folgende Stellungnahme vom 30.03.2017 ab: Dem Beschwerdeführer drohe aufgrund der aus dem Länderinformationsblatt hervorgehenden Verhältnisse in Syrien in Bezug auf Rekrutierung, Wehrdienst, Menschenrechtslage und Sicherheitslage die (zwangsweise) Einziehung in den Militärdienst der syrischen Regierung und die Teilnahme an völkerrechtswidrigen Militäraktionen und Inhaftierung, Folter und Misshandlung. Wegen seiner Wehrdienstverweigerung und Teilnahme an Demonstrationen gegen die Regierung habe er damit zu rechnen, einer oppositionellen Haltung bezichtigt zu werden. Überdies drohe dem Beschwerdeführer auch Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden von Seiten der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS, ISIS, Daesh).

2. Im angefochtenen Bescheid legte die belangte Behörde die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Identität und zu seinen persönlichen Verhältnissen als Sachverhalt zu Grunde und traf hinsichtlich des Beschwerdeführers im Wesentlichen folgende Feststellungen:

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.12.2015, Zahl W212 2117747- 1/3E, sei sein Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes zurückgewiesen und festgestellt worden, dass seine Abschiebung nach Bulgarien zulässig sei. Er habe in weiterer Folge Österreich verlassen und von 18.06.2016 bis 29.09.2016 in XXXX in der Kurdischen Autonomieregion des Irak gelebt und gearbeitet. Er habe die ihm in Aussicht gestellte Hilfe Bulgariens nicht in Anspruch nehmen wollen, sondern habe es bevorzugt, in den Irak zu gehen. Eine Bedrohung seiner Person durch den syrischen Staat, persönliche Probleme mit dessen Ämtern oder Behörden und eine Bedrohung durch quasi-staatliche Organisationen hätte somit nicht festgestellt werden können. Dass der Beschwerdeführer eine Einberufung zum Wehrdienst erhalten hätte und eine Verfolgung aufgrund einer angeblichen Wehrdienstverweigerung durch den syrischen Staat bestehe, hätte nicht festgestellt werden können. Es hätten keine Asylausschlussgründe festgestellt werden können. Gegen den Beschwerdeführer hätten keine Übergriffe stattgefunden und er hätte Syrien wegen der allgemein angespannten Lage verlassen. Es sei nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr einer realen Gefahr einer Verletzung seiner Menschenrechte ausgesetzt sei. Es sei nicht auszuschließen, dass er aufgrund seiner illegalen Ausreise aus Syrien im Falle seiner Rückkehr mit menschenrechtswidrigen Sanktionen zu rechnen hätte.

Zur Lage in Syrien stellte die belangte Behörde Teile des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Syrien als Sachverhalt fest.

Beweiswürdigend und rechtlich führte die belangte Behörde im Wesentlichen Folgendes aus: Der Beschwerdeführer habe angegeben, keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Kurden oder seiner moslemisch-sunnitischen Religionszugehörigkeit gehabt zu haben. Er habe selbst angegeben, politisch nicht tätig gewesen zu sein, und auch keiner Organisation angehört zu haben. Er sei auch nie Mitglied einer radikalen, extremistischen Gruppierung gewesen und sei nie mit Terroristen wie jenen des sogenannten Islamischen Staates in Berührung gekommen. Einen Einberufungsbefehl habe er nach eigenen Angaben nie erhalten. Politisch aktiv sei er demnach ebenfalls nicht gewesen. Eine politische Opposition sei ihm nur wegen seiner Ausreise aus Syrien nicht zu unterstellen. In Gesamtbetrachtung aller Umstände hätte letztlich eine Bedrohung seiner Person nicht festgestellt werden können. Hätte diese tatsächlich stattgefunden, sei es nicht nachvollziehbar, weshalb er die rechtskräftige Entscheidung, nämlich sein Asylverfahren in Bulgarien zu führen, nicht in Anspruch genommen habe, sondern untergetaucht sei, um in seine Heimatregion zurückzukehren. Betrachte man die widersprüchlichen Angaben, die er sowohl im Vergleich zum Vorverfahren, als auch innerhalb dieses Vorverfahrens selbst gemacht habe, dränge sich der Verdacht auf, dass an seinem Vorbringen etliche Aussagen nicht den Tatsachen entsprechen würden. Er habe keine Verfolgung aufgrund seiner Nationalität, Rasse, Religion, politischen Gesinnung oder sozialen Gruppe, und somit keinen Konventionsgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vorgebracht. Zwar sei er Kurde und habe keinen Wehrdienst geleistet, jedoch habe er im gesamten Verfahren diesbezüglich keinerlei Probleme vorgebracht. Auch sei der sogenannte Islamische Staat in der Stellungnahme erstmalig erwähnt worden, jedoch nur oberflächlich und ohne Bezug auf seine Person. Seine Begründung, nämlich aufgrund der Teilnahme an einer Demonstration ins Visier der syrischen Behörden gelangt zu sein, sei als unglaubwürdig zu erachten. Hätte man tatsächlich Interesse daran gehabt, ihn zu erwischen, so hätte man aufgrund der überall eingerichteten Checkpoints ausreichend Möglichkeiten dazu gehabt, zumal er eigenen Angaben zufolge seit 2011 regelmäßig an Demonstrationen teilgenommen hätte. Der einzige von ihm vorgebrachte Grund für die Antragstellung wäre eine Einberufung zum Militärdienst gewesen, welche möglicherweise in Zukunft hätte erfolgen können. Letztlich habe er Syrien wegen der allgemeinen Lage und der Möglichkeit einer noch nicht erfolgten Einberufung verlassen. Selbst wenn man davon ausginge, dass er tatsächlich eine Einberufung erhalten hätte, hätte eine Einzelprüfung zu erfolgen, ob von ihm persönlich menschenrechtswidriges Verhalten abverlangt worden wäre. Es fehle an konkreten Indizien dafür. Auch die Tatsache, dass er nicht in den zahlreichen von ihm durchreisten Staaten geblieben sei, im Irak einer Arbeit nachgegangen sei und von einem Staat, nämlich Bulgarien, sogar Hilfe in Aussicht gestellt worden sei, weise darauf hin, dass es sich in erster Linie nicht um eine Reisebewegung aufgrund aktuell drohender Verfolgung handle. Er habe genau an jenem Tag seinen neuerlichen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt, an dem die Überstellungsfrist nach Bulgarien abgelaufen sei. Die zwar nicht im Raum stehende, aber sich aufgrund der aktuellen Situation bietende Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr Gefahr laufen würde, seinen Militärdienst in einem Einsatzbereich leisten zu müssen, in dem er zu Menschenrechtsverletzungen angehalten würde, indiziere die Gewährung subsidiären Schutzes, nicht jedoch Asyl. Die belangte Behörde schließe sich dem Urteil des deutschen Oberverwaltungsgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 04.05.2017, 14 A 2023/16.A, an, wonach Wehrpflichtigen, die sich der Wehrpflicht entzögen, nicht wegen unterstellter oppositioneller Gesinnung in Syrien Verfolgung drohe. Jedoch sei der Beschwerdeführer gar nicht einberufen worden sei.

3. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides (Versagung des Asylstatus) wurde fristgerecht Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erhoben und ausgeführt:

Fest stehe, dass der Beschwerdeführer männlichen Geschlechts sei, bisher seinen Wehrdienst nicht abgeleistet habe und deshalb einer spezifischen Gefährdung, zur syrischen Armee zwangsrekrutiert zu werden, ausgesetzt sei. Diese Verfolgungsgefährdung sei asylrelevant, weil die syrische Armee in einen unmenschlichen bewaffneten Konflikt verwickelt sei, der gegen die Regeln der Menschlichkeit verstoße, wobei grausame, unmenschliche und dem internationalen Kriegsvölkerrecht widersprechende Kriegstaktiken angewendet würden. Überdies werde dem Beschwerdeführer eine regimefeindliche und oppositionelle, politische Gesinnung unterstellt. Für einen nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylwerber bestehe im Allgemeinen bei der Ankunft in Syrien die reale Gefahr, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Diese Verfolgung könne auch aufgrund von länger zurückliegenden Gesetzesverletzungen im Heimatland (z.B. illegale Ausreise) geschehen. Bei männlichen Personen im wehrfähigen Alter werde auch kontrolliert, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet hätten. Der Beschwerdeführer habe glaubwürdig, widerspruchsfrei und in sich plausibel geschildert, dass er als Kurde in seiner Herkunftsstadt XXXX regelmäßig an Demonstrationen teilgenommen habe. Der Beschwerdeführer habe glaubwürdig und plausibel geschildert, wie diese Demonstrationen abgelaufen seien. Es gebe daher überhaupt keinen Grund, welcher die belangte Behörde befugt hätte, die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers in Zweifel zu ziehen und "nicht" festzustellen. Dies gelte aber auch für das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass Freunde von ihm verhaftet worden seien und ein paar davon auch verschwunden seien und er Angst davor gehabt hätte, dass das gleiche Schicksal auch ihn treffe. Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, dass er danach von der Uni keine Bestätigung mehr bekommen habe, um seinen Wehrdienst aufzuschieben. Er habe Angst gehabt, weil - wenn man dies nicht bekomme - dies bedeute, dass man einberufen werde, um seinen Militärdienst zu leisten. Dies habe er nicht gewollt. Es sei nicht nachvollziehbar, warum es die belangte Behörde unterlassen habe, diese schlüssigen, widerspruchsfreien und plausiblen Angaben des Beschwerdeführers, welche sich auch mit der allgemeinen Lage in Syrien vollkommen deckten, als glaubwürdig einzustufen und als Ergebnisse des durchgeführten Ermittlungsverfahrens auch im Bescheid festzustellen. Der Beschwerdeführer sei nach dem ersten Asylverfahren nicht nach Syrien zurückgekehrt, sondern in die Türkei und in den Irak, kurdisches Gebiet, sodass aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer nicht in Bulgarien geblieben sei, keinesfalls geschlossen werden könne, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen individuellen fluchtrelevanten Verfolgungsbedrohungen nicht den Tatsachen entspreche. Es seien die den angefochtenen Bescheid tragenden Beweiswürdigungserwägungen mit gravierenden Denk-, Schlüssigkeits- und Begründungsfehlern behaftet. Aus den wiedergegebenen, sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien ergebenden Erkenntnissen über die aktuelle, allgemeine Lage in Syrien gingen beachtliche substantielle Anhaltspunkte dafür hervor, dass der Beschwerdeführer, wäre er in Syrien verblieben, früher oder später durch die syrische Armee zwangsrekrutiert worden wäre und würde ihm das gleiche Schicksal auch im Rückkehrfalle drohen. Die Maßnahme der Zwangsrekrutierung als solche sowie die den Beschwerdeführer sodann erwartenden Behandlungen und Menschenrechtseingriffe seien jedenfalls als asylrelevante Verfolgung aus politischen Gründen, nämlich zufolge einer dem Beschwerdeführer unterstellten, oppositionellen, regimefeindlichen Gesinnung einzustufen. Der Beschwerdeführer müsse fürchten, nach einer Rückkehr zufolge eines abgelehnten Asylantrags inhaftiert und im Zuge von Befragungen gefoltert zu werden. Er könnte auch wegen seiner Asylantragstellung für die Verbreitung falscher Informationen über Syrien im Ausland verurteilt werden, oder die Behörden würden versuchen, durch Folter Informationen über andere Asylwerber oder die Opposition zu bekommen. Angesichts der getroffenen Feststellungen und der diesen Feststellungen zugrundeliegenden Quellen handle es sich bei den angeführten Rückkehrgefährdungen nicht bloß um "hypothetisch-theoretische Befürchtungen", sondern bestehe eine beachtliche reale Wahrscheinlichkeit, dass zumindest einer der angeführten, schwerwiegenden Verfolgungseingriffe für den Beschwerdeführer im Rückkehrfalle zur bitteren Realität werden würde. Dem Beschwerdeführer sei daher eine wohlbegründete Furcht vor derartigen, asylrelevanten Verfolgungseingriffen zuzugestehen.

4. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerde samt den bezughabenden Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

In den Verwaltungsakten lag eine Stellungnahme der Behörde zum Beschwerdeschriftsatz ein (AS 283 ff) ein, aus welcher sich ergab, dass die Gefahr eines im Fall des Beschwerdeführers möglichen, aber nicht konkret anstehenden Wehrdienstes zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt habe. Weshalb einem jungen Mann, der das Land verlasse, weil eine Möglichkeit bestehe, dass dieser an Kampfhandlungen teilzunehmen hätte, automatisch eine politische oppositionelle Gesinnung zu unterstellen sei, sei für die belangte Behörde nicht verständlich. Für den in Frage kommenden Konventionsgrund der unterstellten politischen Überzeugung gebe es keine Anhaltspunkte. Tatsächliche Umstände, dass der syrische Staat per se die Wehrdienstverweigerung sämtlicher junger Männer, die in Konfliktzeiten das Land verließen, als politischen Dissens betrachte, gebe es nicht. Zudem werde in der Beschwerde behauptet, dass beachtliche Anhaltspunkte bestünden, dass der Beschwerdeführer zum Wehrdienst eingezogen würde und dass ihn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Rückkehrfalle Verfolgungsgefährdungen treffen würden, wobei diese Behauptung durch die verwiesenen Feststellungen des Bescheides nicht gestützt würden. Der Beschwerdeführer gebe an, dass er in XXXX regelmäßig an Demonstrationen teilgenommen hätte. Im Zuge der Einvernahme habe er nur angegeben, dass er in XXXX demonstriert hätte. Demonstrationen im restlichen Gouvernement XXXX unterlägen demnach dem Neuerungsverbot. Was diese Demonstration betreffe, sei der Beschwerdeführer dazu eingehend befragt worden. Er habe angegeben, dass er bei dieser Demonstration von der Polizei nicht gesehen worden sei und der Staat von der Teilnahme gar keine Ahnung hätte haben können. Das werde durch die Aussage bestätigt, wonach der Beschwerdeführer keine Ahnung darüber hätte. Weshalb die belangte Behörde dann auf dieses nebensächliche Vorbringen einzugehen gehabt hätte, sei nicht ersichtlich. Die belangte Behörde hätte im Zuge der Einvernahme darauf hingewirkt, nähere Angaben zu den Demonstrationen in XXXX zu bekommen, und diese dann als nicht entscheidungsrelevant beurteilt. Der Beschwerdeführer habe zu keinem Zeitpunkt behauptet, aufgrund der Demonstrationen Probleme bekommen zu haben. Teile der Beschwerde würden sich ausschließlich mit der Situation im Fall der Rückkehr beschäftigen, eine Rückkehrentscheidung sei jedoch nicht getroffen worden. Der einzige Fluchtgrund, nämlich jener der Wehrdienstverweigerung, sei ausführlich behandelt worden und den Befürchtungen des Beschwerdeführers sei aufgrund der Erteilung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Rechnung getragen worden. Eine Einberufung aufgrund irgendeines Konventionsgrundes sei aufgrund der Situation in Syrien nicht zu unterstellen.

5. Im Beschwerdeverfahren übermittelte der Beschwerdeführer zu hg. OZ 8 eine Stellungnahme "zur ergänzenden Darlegung der Fluchtgründe des Beschwerdeführers auf der Grundlage von aktuellen Länderberichten", in welcher der bisherige Sachverhalt wiederholt und ergänzend vorgebracht wurde, die gleichfalls wehrpflichtigen Brüder des Beschwerdeführers, XXXX , geb. XXXX , (in der Folge: N.) und XXXX , geb. XXXX , (in der Folge: R.) seien schon deutlich vor dem Beschwerdeführer nach Österreich geflüchtet und hätten sich so ihrer Wehrpflicht (dies treffe auf R. zu) bzw. ihrer Ersatzwehrpflicht (dies sei der Fall bei N.) entzogen. Weiters seien die Schwestern des Beschwerdeführers ( XXXX und XXXX ) sowie beide Elternteile XXXX und XXXX nach Österreich geflüchtet. Als Kurde würde der Beschwerdeführer als regimefeindlich und oppositionell angesehen werden, seine Loyalität zum Regime würde wegen seiner kurdischen Ethnie, seiner Herkunft aus dem Gebiet von XXXX , seiner Flucht ins Ausland, seiner Asylantragstellung im Ausland und seiner Wehrdienstentziehung angezweifelt werden; der Umstand, dass sich auch zwei Brüder des Beschwerdeführers ihrer Wehrdienstpflicht (Ersatzwehrdienstpflicht) durch Auslandsflucht entzogen hätten, könne gleichfalls Verfolgungskonsequenzen für den Beschwerdeführer haben, weil der Beschwerdeführer Gefahr laufe, über den Verbleib seiner Brüder einvernommen zu werden. Die syrische Regierung halte noch immer ihre Kontrolle im urbanen Zentrum XXXX aufrecht und es gebe in diesem Gebiet ein duales Sicherheitsarrangement. Weiters sei als zusätzliches Bedrohungsszenario zu bedenken, dass die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) gleichfalls die Ableistung des Wehrdienstes verlangten, wobei die umfangreichen Rekrutierungskampagnen auf außerrechtliche Anordnungen gestützt würden. UNHCR halte fest, dass für Rückkehrer außerdem das Risiko bestehe, inhaftiert zu werden, weil Familienmitglieder von den Behörden gesucht würden, weil sie ihren Militärdienst nicht geleistet hätten und/oder weil sie aus einem Gebiet stammten, das sich unter der Kontrolle der Opposition befinde, und dass auch Kurden zu jenen Gruppen zählten, bei denen ein höheres Misshandlungsrisiko durch Grenzbehörden bestehe, weil ihrer Loyalität dem Regime gegenüber traditionell misstraut werde. Betont werde, dass die Regierung bei der Beurteilung von politischem Dissens sehr breite Kriterien anwende. Jegliche Kritik, Opposition oder sogar unzureichende Loyalität der Regierung gegenüber hätten zu schweren Vergeltungsmaßnahmen geführt. Es könne keinem Zweifel unterliegen, dass die Wehrdienstflucht des Beschwerdeführers sowie die Wehrdienstflucht von zwei weiteren, wehrpflichtigen Brüdern des Beschwerdeführers auf jeden Fall den syrischen Behörden bekannt sei, dies als Ausdruck von unzureichender Loyalität der Regierung gegenüber angesehen werde und dem Beschwerdeführer, der zudem aus

XXXX stamme und kurdischer Ethnie ist, deshalb eine regimefeindliche, politische Gesinnung unterstellt werden würde.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher sich der Beschwerdeführer persönlich beteiligte. Zur Verhandlung wurden die Asylverfahrensakten der in Österreich asylberechtigten Eltern des Beschwerdeführers sowie eines in Österreich asylberechtigten Bruders des Beschwerdeführers (hg. OZ 5, 6 und 7) beigeschafft. Aus den beigeschafften Akten der Familienangehörigen des Beschwerdeführers ergab sich ua. Folgendes:

Der Vater des Beschwerdeführers hatte am 24.06.2014 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und angegeben, er sei illegal aus Syrien ausgereist. Weil er in Syrien von Islamisten verhaftet, aber wieder freigelassen worden sei, sei er vom syrischen Geheimdienst vorgeladen und beschuldigt worden, den Islamisten nahe zu stehen.

Im Rahmen der Vernehmung in der Verhandlung sagte der Beschwerdeführer u.a. aus, die syrische Regierung habe vor der Revolution seinem älteren Bruder N. eine politische Tätigkeit unterstellt, weil man bei ihm ein verbotenes kurdisches Buch gefunden habe. Man habe N. inhaftiert, ihn geschlagen und am Auge verletzt. Sein Bruder sei, weil er zu einer Verhandlung hätte erscheinen sollen, geflüchtet. N. und auch sein Bruder R. hätten sich in Syrien dem Militärdienst entzogen.

Für ihn selbst bestehe in Syrien Militärdienstpflicht. Er sei in Syrien Student gewesen und habe als solcher einen Militärdienstaufschub bis Anfang 2015 gehabt. Seine letzte Adresse sei in XXXX gewesen, er sei sich sicher, dass dorthin ein Einberufungsbefehl zugestellt worden sei. Der Freund, mit dem er dort gelebt habe, habe das Land ebenfalls verlassen. Es sei davon auszugehen, dass sich seine Militärdienstpflicht aufgrund des Ablaufs seines letzten Militärdienstaufschubes konkretisiert habe und er gegenwärtig als zum Militärdienst einberufen gelte. Wenn die syrische Regierung ihn erwischen würde, würde er sofort zum Militär mitgenommen werden, weil er bereits vor Jahren zum Militärdienst hätte gehen sollen, er aber nicht im Land gewesen sei. In der derzeitigen Situation in Syrien wolle er seiner Militärdienstpflicht nicht nachkommen. Er habe in Syrien an Demonstrationen gegen die syrische Regierung teilgenommen und habe mit seinen eigenen Augen gesehen, dass die syrische Regierung eine kriminelle Regierung sei. Als sein Reisepass im Jahr 2013 bis 2015 verlängert worden sei, sei der Militärdienstaufschub aufrecht gewesen. Er gehe nicht davon aus, nochmals einen Militärdienstaufschub zu erhalten. Nach Gewährung seines letzten Militärdienstaufschubes seien Kollegen von der Universität Ende 2014 bei Demonstrationen festgenommen wurden und hätte Namen verraten, weshalb auch weitere Kollegen inhaftiert worden seien. Aus diesem Grund sei er geflüchtet. Wegen der Verhaftung seiner Kollegen sei davon auszugehen, dass der syrischen Regierung bekannt sei, dass auch er an Demonstrationen gegen die Regierung teilgenommen habe. Zwei bei den Demonstrationen festgenommene Kollegen seien später aus der Haft entlassen worden, hätten danach Syrien verlassen und ihm mitgeteilt, dass sie im Zuge der Inhaftierung seinen Namen unter Folter genannt hätten. Im Zeitpunkt der Gewährung des letzten Militärdienstaufschubes sei er noch nicht im Blickfeld der Regierung gewesen. Dass er trotz Demonstration gegen die syrische Regierung nicht bereits verfolgt worden sei, sei Glück. Seine Brüder hätten Syrien vor der Revolution verlassen. Sein Bruder N. sei der Regierung bereits vor der Revolution als verdächtiger politischer Kurde aufgefallen.

7. Nach Schluss der Verhandlung wurde das im Spruch ersichtliche Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen sogleich verkündet.

8. Die belangte Behörde stellte fristgerecht und zulässig einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. hinsichtlich der Lage in Syrien:

Politische Lage

In der Praxis unterhält die syrische Regierung noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten. Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten. Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt. Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden. Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten.

Wehrdienst/Rekrutierung

Für männliche Syrer und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Wehrdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen.

Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht.

In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden.

Die syrische Armee hat durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es werden Rekrutierungsschreiben verschickt, wenn Männer das wehrfähige Alter erreichen. Männer, die sich außer Landes oder in Gebieten, die nicht von der Regierung kontrolliert werden, befinden, erhalten ihre Rekrutierungsschreiben häufig nicht. Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, welche das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden.

Männer werden jedoch auch auf der Straße an Checkpoints oder an anderen Orten rekrutiert. Es gibt auch Massenverhaftungen und Tür-zu-Tür-Kampagnen, um Wehrdienstverweigerern habhaft zu werden.

Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein.

Wehrdienstpflichtige Männer werden bei Hausdurchsuchungen, Razzien, an Checkpoints oder an der Grenze verhaftet und in den Militärdienst eingezogen. Bei Behördengängen, wie zum Beispiel der Registrierung einer Heirat, soll es auch zu Verhaftungen kommen. Gemäß den vom Finnish Immigration Service befragten Quellen werden Männer auf der Straße, an Universitäten und an Checkpoints eingezogen. Busse werden angehalten, um Männer im wehrdienstpflichtigen Alter zu suchen. Im privaten Sektor werden Firmen unter Druck gesetzt, ihre Arbeiter in den Militärdienst zu schicken. Das US Department of State weist darauf hin, dass an den Checkpoints der Regierung Männer allein aufgrund ihres wehrdienstpflichtigen Alters verhaftet werden. Viele verschwinden nach den Verhaftungen an Checkpoints. Auch die Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu Syrien geht von zehntausenden Männern im wehrdienstpflichtigen Alter aus, die verschwunden sind.

Bei Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, verlangt das Regime, dass die jungen Männer der Region in die syrische Armee eintreten. Zudem werden Häftlinge unter Druck gesetzt, entweder in Haft zu bleiben oder in die Armee einzutreten.

Gemäß Berichten werden Anwohner unter Druck gesetzt, sich den lokalen Milizen anzuschließen, obwohl der Beitritt zu den Verteidigungsmilizen freiwillig ist. Im Februar 2016 wurde auf einer Webseite der Opposition berichtet, dass in Deir al-Zur, einer Stadt im Osten Syriens, welche vom sogenannten "Islamischen Staat" belagert wurde, der zuständige General die Schaffung einer Selbstverteidigungsmiliz verkündete, und dass die syrischen Sicherheitsdienste alle Männer zwischen 15 und 60 Jahren verhaftet und eingezogen haben.

Bestechung als Mittel, um den Wehrdienst zu vermeiden, ist mittlerweile schwieriger geworden - zumindest wenn jemand keine großen Geldsummen zur Verfügung hat. Es gibt auch Männer im wehrpflichtigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt. Nach der Massenwanderung von Syrern im Jahr 2015 wurde das Wehrdienstalter erhöht, und mehr Männer wurden an Checkpoints rekrutiert, auch solche, die ihren Militärdienst bereits beendet hatten. Für junge Männer im Alter von 16 und 17 Jahren ist es schwer, einen Reisepass zu erhalten, oder sie erhalten nur einen Pass, der zwei Jahre gültig ist.

Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Sie werden mittels Brief, den die Polizei persönlich zustellt, oder an Checkpoints rekrutiert. Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person, sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient wurde.

Die Regierung strebt eine Stärkung der Berichten zufolge angespannten personellen Kapazitäten ihrer Streitkräfte an und hat daher, wie aus Berichten hervorgeht, ihre Bemühungen um Einziehung und Mobilisierung von Reservisten in Gebieten unter ihrer Kontrolle intensiviert, einschließlich an mobilen und fest installierten Kontrollstellen, bei Angriffen und Durchsuchungen von Häusern und öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch Jungen im Teenageralter, die das Aussehen von 18-Jährigen hatten, wurden Berichten zufolge an Kontrollstellen festgenommen. Zahlreiche Männer im Wehrdienst- oder Reservistenalter vermeiden es Berichten zufolge, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, halten sich versteckt oder sind aus Angst vor Drangsalierung an Kontrollstellen und vor Einziehung außer Landes geflohen. Es stellt Berichten zufolge eine gängige Praxis dar, Wehrpflichtige und Reservisten nach begrenzter oder ganz ohne militärische Ausbildung an den Frontlinien einzusetzen. In von Regierungskräften von bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppen zurückeroberten Gebieten wurden Männer im Wehrpflicht- oder Reservedienstalter in großer Zahl festgenommen und zwangsrekrutiert. Männer im wehrfähigen Alter können das Land nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros verlassen. Auch um zu heiraten oder in den Staatsdienst einzutreten brauchen sie eine Genehmigung. Der Pflichtwehrdienst wurde Berichten zufolge in vielen Fällen über die vorgesehenen Monate hinaus verlängert. Nach einer eventuellen Entlassung aus dem Pflichtwehrdienst folgt, wie berichtet wird, in der Regel eine automatische Aufnahme in die Reservistenliste. Angesichts des anhaltenden Konflikts und des steigenden Bedarfs an Rekruten werden Berichten zufolge Regeln und Rechtsvorschriften für den Militärdienst zunehmend willkürlich angewandt, insbesondere in Bezug auf Aufschub- und Ausnahmeverfahren. Zunehmend zieht die Regierung, wie berichtet wird, zuvor "geschützte" Personen wie Studenten, Beamte und Häftlinge zum Militärdienst ein.

Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit. Da es sich bei den Möglichkeiten zum Freikauf um "Kann-Bestimmungen" handelt, ist eine Befreiung in Krisenzeiten unwahrscheinlich.

Verschiedene Beobachter berichteten dem Danish Immigration Service, dass Freistellungen manchmal nicht mehr akzeptiert werden. Zudem sei die Freistellung vom Militärdienst auch gegen Bestechung schwieriger geworden. Gemäß dem Syrian Observer und Noah Bonsey von der International Crisis Group befürchten auch Männer, die vom Militärdienst befreit sind, eingezogen zu werden. Die Willkür hat vor allem in den Gebieten zugenommen, die von Milizen kontrolliert werden. Quellen des Finnish Immigration Service ist zu entnehmen, dass die Umsetzung der Freistellungen willkürlich ist. Die Freistellungsdokumente sind zwar vorzeigbar, können jedoch an einem Checkpoint zerrissen werden.

Entlassungen aus dem Militärdienst sind sehr selten geworden. Es gibt Männer in der Armee, die seit dem Beginn der Revolution 2011 in der Armee sind. Die Dauer des Militärdienstes hat sich verlängert, möglicherweise ist sie auch nicht mehr begrenzt. 2011 konnte der Wehrdienst noch um ein paar Monate verlängert werden, und danach wurde man entlassen. Mittlerweile ist Desertion häufig der einzige Ausweg.

Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden.

Wehrdienstentziehung

Gemäß den Informationen des UK Home Office ist in Artikel 68 festgehalten, dass Personen, die sich der Einberufung entziehen, in Friedenszeiten zwischen ein bis sechs Monate und in Kriegszeiten bis zu fünf Jahre inhaftiert werden. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Gemäß Artikel 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. Deserteure, die militärisches Material mitgenommen haben und die in Kriegszeiten oder während des Kampfs desertierten oder bereits früher desertiert sind, werden mit 15 Jahren Haft bestraft. In Artikel 102 ist festgehalten, dass ein Deserteur, der im Angesicht des Feindes desertiert, mit lebenslanger Haft bestraft wird. Exekution ist entsprechend Artikel 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Artikel 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen. UNHCR erstellte eine inoffizielle Übersetzung ausgewählter Paragraphen des Military Penal Law, Legislative Decree No. 61/1950. Diese stimmen inhaltlich, jedoch bezüglich der Nummerierung nur teilweise mit den oben erwähnten Artikel überein. In der Übersetzung von UNHCR wird Wehrdienstentzug gemäß Artikel 98 und 99 bestraft. Gemäß UNHCR ist die Bestrafung von Desertion in Friedenszeiten im Artikel 100 geregelt und in Artikel 101 ist die Bestrafung bei Desertion in Kriegszeiten festgelegt. In den Artikeln 102 und 103 steht, dass das Überlaufen zum Feind und eine zusätzliche Verschwörung mit dem Feind mit dem Tod bestraft wird.

Bei der Umsetzung der Bestrafung herrscht Willkür. Es gab Amnestien der syrischen Regierung, um Deserteure und Wehrdienstverweigerer zu ermutigen, sich zum Dienst zu melden. Es ist jedoch nicht bekannt, ob Männer, die dieses Angebot in Anspruch nehmen, Konsequenzen erfahren oder nicht. Besonders aus dem Jahr 2012 gibt es Berichte von desertierten syrischen Soldaten, welche gezwungen wurden, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen, erschossen zu werden.

Auf Desertion steht die Todesstrafe. Es ist jedoch nicht bekannt, wieweit die Todesstrafe wirklich angewendet wird. Ein Deserteur würde jedoch zumindest inhaftiert werden. Wenn ein Deserteur an einem Checkpoint rekrutiert wird, kann er direkt zum Dienst - auch an die Front - oder ins Gefängnis geschickt werden. Die Konsequenzen für Desertion hängen vom Bedarf an der Front und von der Position und dem Rang des Deserteurs ab. Für ‚desertierte', vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen.

Wenn ein Wehrdienstverweigerer von den Behörden aufgegriffen würde, würde er verhaftet und überprüft werden. Anschließend könnte die Person zum Dienst in der Armee geschickt werden. Die Konsequenzen hängen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster.

Gemäß einer Quelle des Finnish Immigration Service hängt die Bestrafung von der Position und dem Rang des Deserteurs wie auch vom Bedarf an der Front ab. Auch im Bericht des Danish Immigration Service weist eine befragte Person darauf hin, dass die Bestrafung vom Profil, von der Herkunftsregion oder vom Beziehungsnetz der betroffenen Person abhängen kann. Komme der Verdacht auf, dass Kontakte zur Opposition bestehen, würden die Untersuchungen und die Folter intensiviert. Bei Wehrdienstentzug droht je nach Profil und Umständen sofortiger Einzug in den Militärdienst, Einzug an die Front oder Haft und Folter. Desertion wird mit Haft, Verschwinden-Lassen, Verfahren vor Militärgerichten, lebenslanger Haft, Todesstrafe oder Exekution bestraft. Häuser, Läden und Besitz von Deserteuren werden vom Regime geplündert, angezündet und zerstört. Es kann auch vorkommen, dass aufgegriffene Deserteure direkt an die Front geschickt werden.

Bereits 2011 wurden Dutzende syrische Deserteure exekutiert, da sie sich den Aufständischen anschließen wollten. Human Rights Watch berichtete 2012, dass syrische Armeeangehörige erschossen, gefoltert, geschlagen oder inhaftiert werden, wenn sie Befehle nicht befolgen. Die Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu Syrien und das Syrian Human Rights Committee berichteten 2013 über Exekutionen von desertierten Soldaten, über Verhaftungen von Familienangehörigen von Deserteuren und über willkürliche Verhaftungen von Personen, die sich nicht ausweisen können und aus umkämpften Gebieten geflohen sind. Regierungstruppen zerstörten die Häuser, Höfe und Geschäfte von verdächtigen Regierungsgegnern. Dieses willkürliche Vorgehen gegen Deserteure und Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, wird auch in neueren Berichten bestätigt. Das Immigration and Refugee Board of Canada ging aufgrund verschiedener Quellen im August 2014 davon aus, dass Personen, die sich dem Militärdienst entziehen, verhaftet oder zwangsrekrutiert werden. Ein Aktivist meint, dass insbesondere hochrangige Offiziere, die desertiert sind, als Verräter gesehen werden, ihnen droht Haft und Folter.

Im Bericht des Finnish Immigration Service vom August 2016 wird darauf hingewiesen, dass Deserteuren die Todesstrafe droht. Ein europäischer Diplomat ist zwar nicht sicher, ob die Todesstrafe umgesetzt wird, er berichtet jedoch, dass es als Abschreckungsmaßnahme zu Massenexekutionen von Deserteuren gekommen ist. Gemäß einer anderen Quelle werden Deserteure inhaftiert und gefoltert, einige würden auch an die Front geschickt.

Seit 2011 hat der syrische Präsident al-Assad für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstentzieher und Deserteure eine Serie von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden. Am 17. Februar 2016 veröffentlichte der Präsident das Gesetzesdekret Nr. 8, mit dem Deserteure innerhalb und außerhalb von Syrien sowie Wehrdienstentzieher und Reservisten eine Amnestie erhalten. Weder über die Umsetzung dieser Dekrete noch darüber, wie viele Wehrdienstentzieher seit 2011 in den Genuss dieser Amnestien kamen, liegen Informationen und genaue Zahlen vor. Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben diese Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert. Ihrer Ansicht nach profitierten nicht die vorgeblich angesprochenen Personengruppen von ihnen. Bei Rückkehrern aus dem Ausland werden Berichten zufolge regelmäßig die Aufzeichnungen zu ihrem Militärdienst überprüft.

Opposition/Zuschreibung einer oppositionellen Gesinnung

Bestimmte Personen werden aufgrund ihrer politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen oder ihnen wird auf andere Weise Schaden zugefügt. Aber die Konfliktparteien wenden Berichten zufolge breitere Auslegungen an, wen sie als der gegnerischen Seite zugehörig betrachten. Diese basieren z.B. auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt.

Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts in Syrien ist der Umstand, dass - auch - die syrische Regierung als Konfliktpartei oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellt. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit.

Personen, die tatsächlich oder vermeintlich regierungsfeindliche Ansichten haben

Einwohner Syriens, die tatsächlich oder vermeintlich regierungskritische politische Ansichten im weitesten Sinne haben, sind als Personen anzusehen, die gefährdet sind durch die Regierung verfolgt zu werden. Es liegen schon seit längerem Berichte darüber vor, dass die syrische Regierung politischen Dissens durch Einschüchterung, Überwachung und Inhaftierung von politischen Aktivisten, Journalisten, Schriftstellern und Intellektuellen unterdrückt. Auf die im März 2011 aufkommenden Protestbewegungen und die sich anschließenden bewaffneten Aufstände, reagierten die Regierung und regierungsfreundliche Kräfte, wie aus Berichten hervorgeht, mit massiver Unterdrückung und Gewalt. Die Regierung wendet, wie berichtet wird, bei der Beurteilung von politischem Dissens sehr breite Kriterien an: jegliche Kritik, Opposition oder sogar unzureichende Loyalität der Regierung gegenüber, wie auch immer ausgedrückt - friedlich oder gewalttätig, organisiert oder spontan, im Rahmen einer politischen Partei, bewaffneten Gruppe oder individuell, virtuell im Internet oder im bewaffneten Konflikt - führte Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen. Es wurde berichtet, dass zahlreiche Protestteilnehmer, Aktivisten, Wehrdienstentzieher, Deserteure, Laienjournalisten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Ärzte und andere Personen, denen regierungsfeindliche Haltungen zugeschrieben wurden, willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert oder anderen Misshandlungen ausgesetzt, oder Opfer von extralegalen oder Massenhinrichtungen wurden. Gegen zahlreiche Personen wurden Berichten zufolge Strafverfahren gemäß dem Terrorbekämpfungsgesetz (Gesetz Nr. 19 vom 2. Juli 2012) durchgeführt. Das Gesetz sieht schwere Strafen - von langjährigen Haftstrafen bis hin zur Todesstrafe - für Personen vor, bei denen festgestellt wird, dass sie "terroristische" Handlungen begangen haben. "Terrorismus" ist vage und mit sehr weiten Begriffen in den Gesetzen definiert, die viel Raum für Strafverfolgung wegen zahlreicher unterschiedlicher Aktivitäten bieten, einschließlich Teilnahme an Protesten, Äußerungen in sozialen Medien, Bereitstellung humanitärer Hilfsdienste, Schmuggeln von Arzneimitteln und Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen. Berichten ist zu entnehmen, dass die meisten Häftlinge nie förmlich angeklagt werden. Gegen tausende Zivilisten wurden Berichten zufolge von Strafgerichten, dem Antiterrorismus-Gericht in Damaskus und militärischen Feldgerichten Strafverfahren durchgeführt, die gegen die internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren verstoßen. In der Regel gingen den Verfahren monatelange Untersuchungshaft in Einrichtungen der Sicherheitsdienste und erzwungene Geständnisse voraus. Es wird berichtet, dass die Strafen für jene Personen, die vor Gericht gestellt und verurteilt wurden, auch dann hart sind, wenn die fraglichen Aktivitäten selbst friedlich waren. Wie aus Berichten hervorgeht, überwacht die Regierung Korrespondenz, Online-Aktivitäten und politische Zusammenkünfte. Die Regierung hört Berichten zufolge mit Hilfe von entsprechender Ausrüstung Gespräche ab, installiert Spysoftware auf den Computern von Aktivisten, blockiert Textnachrichten und ortet Mobil- und Satellitentelefone. Aus Berichten geht hervor, dass die Online-Überwachung zu willkürlichen Verhaftungen, incommunicado Haft, Folter und Tötungen von zahlreichen politischen Dissidenten, Aktivisten, Laienjournalisten und anderen Personen geführt hat. Zahllose Personen wurden Berichten zufolge inhaftiert, nachdem sie über soziale Medien Fotos oder Videos, die regierungskritische Proteste oder Aufstände unterstützen, weitergeleitet, positiv bewertet oder kommentiert hatten. Wie berichtet wird, hackt die seit April 2011 bestehende so genannte Syrische Elektronische Armee mit stillschweigender Zustimmung der Regierung Websites und Seiten sozialer Medien von oppositionellen Gruppen, von bestimmten westlichen Medien und Menschenrechtsorganisationen und blockiert sie oder überflutet sie mit regierungsfreundlichen Inhalten. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden nach Ausbruch der regierungskritischen Proteste im März 2011 Syrer, die im Ausland an solchen Protesten teilnahmen, durch Mitarbeiter syrischer Botschaften und durch andere Personen, die mutmaßlich im Auftrag der syrischen Regierung handelten, kontrolliert, eingeschüchtert und teilweise körperlich angegriffen. Berichten zufolge wurden die in Syrien gebliebenen Angehörigen von syrischen Staatsangehörigen, die sich an Protesten oder damit verbundenen Aktivitäten im Ausland beteiligt hatten, Befragungen unterzogen, durch telefonische Anrufe, E-Mails und Facebook-Nachrichten bedroht, sie wurden verhaftet, misshandelt oder sogar getötet. In Deutschland wurden vier Mitarbeiter der syrischen Botschaft, die mutmaßlich Aktivitäten syrischer Oppositionsmitglieder überwachten, ausgewiesen. Wie berichtet wird, befürchten im Exil lebende Syrer von Landsleuten, die aus eigener Initiative oder als Informanten im Auftrag der syrischen Regierung handeln, überwacht, bedroht oder in sozialen Medien als "regierungsfeindlich" dargestellt zu werden.

(Arabische) Sunniten werden im Allgemeinen und insbesondere, wenn sie aus Gebieten stammen, die bekanntermaßen mit der Opposition sympathisieren oder unter der de facto Kontrolle bewaffneter oppositioneller Gruppen stehen, als regierungsfeindlich wahrgenommen. Aus diesem Grund waren ihre Wohngebiete von Beschießungen, Artilleriefeuer und Militärangriffen betroffen und von der Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Grundbedarfsgütern abgeschnitten. Darüber hinaus wurden Sunniten von Streitkräften der Regierung aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit sunnitischen Islamisten oder Salafisten bzw. ganz allgemein bewaffneten oppositionellen Gruppen willkürlich verhaftet, in Isolationshaft genommen, gefoltert und auf andere Weisen misshandelt sowie extralegal und standrechtlich hingerichtet. Der unabhängigen UN-Untersuchungskommission zufolge besteht "in von der Regierung kontrollierten Gebieten für sunnitische Männer aus Unruhegebieten das größte Risiko, an Kontrollstellen oder bei Hausdurchsuchungen inhaftiert zu werden, da sie als wahrscheinliche Sympathisanten oder Unterstützer von oppositionellen bewaffneten Gruppen gelten. Diese Gemeinschaft ist insbesondere in Hinblick auf Zwangsverschleppung, Folter und andere Menschenrechtsverletzungen während Inhaftierungen gefährdet.

Berichten ist zu entnehmen, dass Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, in denen es zu Protesten der Bevölkerung kam und/oder in denen bewaffnete oppositionelle Gruppen in Erscheinung treten oder (zeitweise) die Kontrolle übernommen haben, im Allgemeinen mit der Opposition in Verbindung gebracht werden und daher von der Regierung als regierungsfeindlich angesehen werden. Es gehört Berichten zufolge zu einer umfassenden Politik, Zivilisten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, ihrer Anwesenheit in einem Gebiet oder ihrer Herkunft aus einem Gebiet, das als regierungsfeindlich und/oder als Unterstützer oppositioneller bewaffneter Gruppen betrachtet wird, ins Visier zu nehmen. Der Herkunftsort kann einen Faktor darstellen, wie mit dessen Bewohnern umgegangen wird - besonders bei Gebieten, die vormals von Aufständischen gehalten wurden oder sich noch unter deren Kontrolle befinden.

Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben. Die Familienangehörigen (beispielsweise Ehegatten, Kinder, Geschwister, Eltern und auch entferntere Verwandt) von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Protestteilnehmern, Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien oder bewaffneten oppositionellen Gruppen, Überläufern und Wehrdienstentziehern und anderen Personen wurden Berichten zufolge willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise - einschließlich unter Anwendung sexueller Gewalt - misshandelt sowie auch willkürlich hingerichtet. Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die für einen Regierungsgegner gehalten wird, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder, um Vergeltung zu üben für die Aktivitäten bzw. den Loyalitätsbruch der gesuchten Person oder um Informationen über ihren Aufenthaltsort zu gewinnen und/oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu gestehen. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden weibliche Verwandte verhaftet und als "Tauschobjekte" für Gefangenenaustausch mit regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen verwendet. Darüber hinaus liegen Berichte vor, dass sogar Nachbarn, Kollegen und Freunde verfolgt wurden.

Aus Angst, selbst inhaftiert und misshandelt zu werden, sehen Familienmitglieder, wie Berichten zu entnehmen ist, häufig davon ab, nach dem Aufenthaltsort von verhafteten Familienmitgliedern zu forschen oder sich über die Verhaftung zu beklagen. Wie aus Berichten hervorgeht, sehen sie sich stattdessen gezwungen, korrupten Staatsbediensteten Schmiergelder zu bezahlen, um Informationen über den Aufenthaltsort eines inhaftierten Angehörigen zu erhalten, seine Verlagerung von einer Haftanstalt des Sicherheitsdienstes in die zentrale Haftanstalt zu veranlassen oder für seine Freilassung zu sorgen - dabei besteht für sie keine Erfolgsgarantie. Amnestien durch den Präsidenten haben, wie berichtet wird, auch Richtern die Möglichkeit eröffnet, Bestechungsgelder von Familien entgegen zu nehmen, die die Freilassung eines inhaftierten Familienmitglieds erreichen möchten. In besonders schwerwiegenden Fällen wurden Berichten zufolge ganze Familien von Oppositionsmitgliedern oder Überläufern verhaftet oder extralegal hingerichtet, beispielsweise bei Hausdurchsuchungen.

Aufgrund verfügbarer Herkunftslandinformationen reicht allein der Verdacht, dass eine Person regierungskritische Ansichten hat oder mit einer Person in Verbindung steht, die solche Ansichten hat, für die Verfolgung aus.

Den vorliegenden Quellen zufolge können Angehörige von gesuchten Personen, inklusive Wehrdienstentziehern, bei ihrer Rückkehr verhaftet werden, etwa um die gesuchten Personen unter Druck zu setzen, ihre Aktivitäten einzustellen oder sich den syrischen Behörden zu stellen.

Wehrdienstverweigerer, Deserteure und ihre Familienangehörigen

Die Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu Syrien und das Syrian Human Rights Committee berichteten 2013 über Exekutionen von desertierten Soldaten, über Verhaftungen von Familienangehörigen von Deserteuren und über willkürliche Verhaftungen von Personen, die sich nicht ausweisen können und aus umkämpften Gebieten geflohen sind.

Syrische Oppositionelle oder Deserteure sind im mit Syrien verbündeten Libanon ebenfalls von Verhaftung bedroht. Sogar Familienangehörige von Deserteuren und Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, sind im Ausland in Gefahr.

Zivilisten, die für die Armee gearbeitet haben und die Armee verlassen haben, gelten als Verräter und werden wie Deserteure bestraft. Personen, die nach einem bewilligten Aufenthalt im Ausland nicht nach Syrien zurückkehren, werden als Wehrdienstverweigerer oder Deserteur eingestuft und dementsprechend bestraft.

Wenn die Personen, die vom syrischen Regime einberufen wurden, nicht freiwillig erscheinen, werden sie als Wehrdienstverweigerer gelistet und werden von den Behörden gesucht. Die Truppen der Regierung sind ausgedünnt und es mangelt an Militärs.

Wehrdienstentzieher, die sich nicht innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf der festgelegten Frist zum Militärdienst melden, werden (in Friedenszeiten) mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft. Die Wehrdienstpflicht besteht dabei weiterhin fort. Wenn Personen sich innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf der Frist freiwillig melden, wird die Strafe um 50 Prozent herabgesetzt. In Kriegszeiten wird Wehrdienstentziehung je nach den Umständen mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft. Nach Verbüßung der Strafe muss der Wehrdienstentzieher weiterhin den regulären Militärdienst ableisten.

Es wird berichtet, dass Wehrdienstentzieher in der Praxis festgenommen und unterschiedlich lange inhaftiert werden und danach in ihrer militärischen Einheit Dienst leisten müssen. Aus Berichten geht hervor, dass sie während der Haft dem Risiko der Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt sind. Die Regierung inhaftiert Berichten zufolge außerdem gezielt Familienmitglieder von Wehrdienstentziehern, um Druck auf Männer im wehrfähigen Alter auszuüben, in den Militärdienst zu treten. Wie aus Berichten hervorgeht, ist es unklar, auf welche Weise Personen über die Verpflichtung informiert werden, sich zum Militärdienst zu melden. Ferner ist unklar, wie viel Zeit vergeht, bis der Name einer Person, die dem Einberufungsbefehl nicht Folge leistet, an das Militär und an Personenkontrollstellen mit der Anweisung gemeldet wird, die betreffende Person aufgrund von Wehrdienstentziehung festzunehmen. Einzelne Berichte legen außerdem nahe, dass zumindest in manchen Fällen Personen nach ihrer Festnahme an Kontrollstellen in die Armee eingezogen wurden, ohne zuvor einen Einberufungsbescheid erhalten zu haben. Ungeachtet des genauen Zeitpunkts, zu dem eine Person gemäß anwendbarem syrischem Recht als wehrdienstpflichtig betrachtet wird (und sich daher strafbar macht, wenn sie dem Einberufungsbefehl nicht Folge leistet), kann nach Beobachtungen von UNHCR "eine Wehrdienstentziehung auch präventiv erfolgen, indem die betreffende Person noch vor Eintreffen des eigentlichen Erfassungs- oder Einberufungsbefehls handelt", indem sie zum Beispiel das Land verlässt.

Die syrische Regierung betrachtet, wie Berichten zu entnehmen ist, Wehrdienstentziehung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen.

Jenen, die den Wehrdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen.

Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie könnte von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen.

Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert.

Die Familien und besonders die Väter von Militärdienstverweigerern und Deserteuren werden üblicherweise schikaniert, um die Söhne zu zwingen, sich zu stellen. Die Behörden treten auch an bestimmte Gemeinschaften heran und verlangen, dass die Familien die Mitglieder, die für den Militärdienst gesucht werden

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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