Entscheidungsdatum
25.02.2019Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W241 2180619-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hafner als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RA Mag. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.11.2017, Zahl 1076142410-150776923, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.04.2018 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005 sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär in Österreich ein und stellte am 01.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).
1.2. In seiner Erstbefragung am 02.07.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:
Er sei am XXXX geboren worden. Weiters sei er Tadschike, sunnitischer Moslem, afghanischer Staatsbürger und stamme aus der Provinz Maidan Wardak. Seine Eltern, ein Bruder und drei Schwestern seien aktuell noch in Afghanistan aufhältig, zwei Brüder seien verschollen. Vor ein bis zwei Monaten sei er über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Serbien nach Österreich gereist.
Als Fluchtgrund gab der BF an, dass er Afghanistan wegen der allgemeinen schlechten Sicherheitslage verlassen habe. Er hätte Angst vor den Taliban gehabt und Angst davor, im Krieg getötet zu werden.
1.3. Da im Zuge des Verfahrens vor dem BFA Zweifel an der Minderjährigkeit des BF aufkamen, veranlasste das BFA eine sachverständige medizinische Altersschätzung. Aufgrund der Ergebnisse dieser Altersschätzung wurde das Geburtsdatum mit Verfahrensanordnung vom 22.09.2015 auf den XXXX festgesetzt.
1.4. Bei seiner Einvernahme am 06.09.2017 vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, gab der BF im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll, Schreibfehler teilweise korrigiert):
"F: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen und einen Asylantrag gestellt haben von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß. Ihre Angaben im Asylverfahren werden vertraulich behandelt und nicht an die Behörden Ihres Heimatlandes weitergeleitet. Es ist unumgänglich, dass Sie die Wahrheit sagen, nichts verschweigen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte selbständig und über Nachfrage wahrheitsgemäß darlegen.
A: Meine Brüder hatten in der Moschee Unterricht. Es war die Koranschule. Plötzlich sind meine 2 Brüder verschwunden. Es kann nur der Mullah dahinter stecken, der immer über Jihad und so weiter gesprochen. Es hat geheißen, dass meine Brüder sehr talentiert sind und dass sie in eine andere Schule versetzt werden. Ich habe zuvor auch diesen Koranunterricht besucht. Der Mullah hat meinem Vater was vorgemacht. Er wollte mich auch mitnehmen, aber mein Vater sagte, dass ich zu Hause bleiben soll. Wir waren in der Annahme, dass meine Brüder in eine bessere Schule kommen. Der Mullah hat mich auch immer darauf angesprochen, dass der Jihad etwas Positives ist. Er sagte, dass ich diesen Weg gehen soll. Diese Mullahs täuschen einen und haben meine Familie belogen. Wir haben von meinen 2 Brüdern nie wieder etwas gehört. Mein Vater hatte Angst um mich. Aus diesem Grund hat er mich von dort weggeschickt. Die Nachbarn und deren Kindern sind in den Iran gezogen und mein Vater hat mich dann gleich mit diesen Nachbarn mitgeschickt (in den Iran zu meinem Bruder). Dann bin ich in den Iran. Als ich Afghanistan verlassen habe, war meine Absicht im Iran zu verbleiben. Es war im Jahr 1394, als ich in den Iran gegangen bin. Im Fernsehen wurde gezeigt, dass die Leute nach Deutschland gehen. Mein Bruder meinte, dass es für mich in Iran aussichtslos sein würde, da ich dort keinen Status erhalten würde. Mein Bruder hatte Angst, dass ich nach Afghanistan abgeschoben werde. Aus diesem Grund hat er mich mit Hilfe eines Schleppers außer Landes gebracht.
F: Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?
A: Ja, das waren meine Probleme. Ich wollte im Iran bleiben, aber mein Bruder hat mir geholfen, dass ich von dort weggehe. In Afghanistan hatte ich sonst keine Probleme.
F: Wurden Sie in Afghanistan jemals direkt bedroht?
A: Nein, persönlich nicht. Nur dieser Mullah wollte meine Aufmerksamkeit erwecken. Mein Vater hatte schon 2 Söhne verloren. Er wollte nicht mich auch noch verlieren.
F: Wann sind Ihre Brüder verschwunden?
A: Datum kann ich keines sagen. Nachgefragt gebe ich an, dass es im Winter 1393 war. Nach dem Verschwinden meiner Brüder sind ungefähr 4 Monate vergangen. Dann bin auch ich weggeschickt worden.
F: Wo hätten Ihre Brüder offiziell hingehen sollen?
A: Es hat geheißen, dass sie in eine bessere religiöse Schule geschickt werden sollen. Vielleicht nach Pakistan. Ich weiß es nicht.
F: Wie hat sich der Abschied damals zugetragen?
A: Das ist in Afghanistan etwas Selbstverständliches. Wir haben die Sachen meiner Brüder einfach dem Mullah übergeben. Es waren 7 oder 8 Jungs. In unserem Dorf herrschen die Taliban.
F: Wussten Ihre Brüder zu diesem Zeitpunkt nicht, wo sie hinkommen?
A: Nein. Sie glaubten, dass sie in eine andere Provinz geschickt werden, in eine andere Schule. Immer, wenn wir den Mullah daraufhin angesprochen haben, hat er gesagt, dass sie zurückkommen werden.
F: Wie hätten Sie sich mit Ihren Brüdern in Kontakt setzen können?
A: Das weiß ich nicht.
F: Hatten Ihre Brüder Mobiltelefone?
A: Nein.
F: Was hat der Mullah geantwortet, wo Ihre Brüder sind?
A: Er hat nie eine klare Antwort gegeben. Er hat immer wieder zu meinem Vater gesagt, dass er nicht dran denken soll, wo sie gerade sind. Sie werden schon irgendwann wieder zurückkommen. Er soll besser mich auch noch dorthin schicken.
F: Woher wollen Sie wissen, dass Ihre Brüder verschwunden sind?
A: Weil wir nie eine klare Antwort erhalten haben und da wir nie wieder von meinen Brüdern was erfahren haben.
F: Angenommen, Ihre Brüder wären inzwischen in Ihre Heimat zurückgekommen. Woher sollen die Brüder wissen, wo Ihre Familie jetzt ist?
A: Sie sind definitiv nicht zurückgekommen, sonst hätten unsere Nachbarn meine Familie darüber in Kenntnis gesetzt.
F: Aber es wäre möglich, dass Ihre Brüder einfach ohne Probleme irgendwo noch in einer Schule sind.
A: Ich habe keine Hoffnung mehr. Vielleicht sind sie am Leben. Vielleicht sind Sie tot.
F: Wie viel hat Ihre Ausreise gekostet?
A: 7.500 USD
F: Woher hatten Sie dieses Geld?
A: Mein Bruder hat das organisiert und bezahlt.
F: Wie hat er es organisiert?
A: Das weiß ich nicht, aber er hat Jahrelang dort gearbeitet und wird das Geld gespart haben.
F: Wie viel hat Ihr Bruder ungefähr verdient?
A: Im Iran gibt es eine andere Währung. Ich weiß nicht, wie viel ein Arbeiter dort verdient.
F: Warum hat Ihnen Ihr Bruder einfach so viel Geld gegeben?
A: Damit ich in Ruhe und Sicherheit leben kann. Er hatte Angst, dass ich vielleicht nach Afghanistan abgeschoben werde.
F: Warum hatten Sie im Iran keine Zukunft?
A: Mein Bruder hat gesagt, dass es dort für mich nicht gut wäre. Er hatte Angst vor einer Abschiebung, weil Afghanen dort häufig abgeschoben werden.
F: Wieso ist er nicht abgeschoben worden?
A: Mein Bruder hatte im Iran einen Status.
F: Warum haben Sie um diesen Status nicht ersucht?
A: Es sind neue Gesetze gekommen. Afghanen hatten kein Recht mehr auf einen Status.
F: Hatten Sie jemals Kontakt zu den Taliban?
A: Damit habe ich die Geschichte mit dem Mullah gemeint. Er ist ein Taliban.
F: Woher wissen Sie, dass er ein Taliban ist?
A: Weil er auf Pashtu gesprochen hat. Weil er immer wieder selbst von den Taliban gesprochen hat. Weil er das umsetzen möchte, was die Taliban schon immer gemacht haben.
F: Haben Sie das jemals Ihren Eltern erzählt?
A: Ja.
F: Warum haben Ihre Eltern Ihre Brüder mitgehen lassen?
A: Wie ich schon erwähnt habe, weiß man das nicht.
F: Also ist es in Afghanistan ganz normal, dass mein seine Kinder den Taliban übergibt?
A: Wenn die Taliban einen reinlegen und sagen, dass man dann ein besseres Leben haben kann, dann wird jeder dafür sein.
F: Warum sind Sie nicht gleich mitgegangen, wenn ein besseres Leben gewartet hätte?
A: Ich wollte meinem Vater helfen. Er hätte sonst keine Unterstützung gehabt.
F: Hatten Sie in Ihrem Dorf ein eigenes Haus?
A: Ja, das gibt es noch. Die Türen sind versperrt.
F: Das heißt Ihre Familie hätte noch Zugang zu diesem Haus?
A: Ja, das könnten Sie, aber das möchten Sie nicht, weil es dort keine Sicherheitslage gibt.
F: Was war der Grund, warum der Rest der Familie Afghanistan verlassen hat?
A: Wegen der unsicheren Lage.
F: Gab es einen ausschlaggebenden Grund?
A: Nein, es war die allgemeine Sicherheitslage. Mein Bruder hat ihnen vorgeschlagen in den Iran zu kommen.
F: Dass Sie auf eine andere Schule gehen, mit dem Mullah, das wäre freiwillig gewesen. Ist das richtig?
A: Es war nicht freiwillig. Er wollte mich in der Moschee immer wieder zwingen, aber meine Eltern haben es nicht zugelassen.
F: Das heißt, ohne Einverständnis der Eltern, wurden Sie nicht dazu gezwungen!
A: Ja, aber meine Eltern hatten Angst, dass ich einfach so mitgenommen werde.
F: Waren Sie jemals im Besitz einer Tazkira?
A: Ja, die hatte ich, aber die habe ich verloren.
F: Wie würden Sie in Österreich Ihren Lebensunterhalt finanzieren, wenn Sie hier bleiben dürften?
A: Wenn ich hier bleiben darf, würde ich sehr gerne eine Ausbildung machen. Ich würde gerne Koch oder Fleischhauer werden.
F: Was würden Sie machen, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten?
A: Wenn ich zurückkehren müsste, dann wüssten Sie Bescheid, dass ich aus Europa zurückkehre, das Brot der Verräter gegessen hätte und dann würden sie mich töten.
F: Wer würde Sie töten?
A: Die Taliban, die Dorfbewohner.
F: Es gäbe auch noch andere Möglichkeiten?
A: Wohin soll ich gehen. Ich habe dort niemanden, der mich unterstützt. Und auf Dauer in Angst zu leben, ist auch nicht machbar.
F: Könnten Sie sich, wenn Sie genug Geld haben würden, irgendwo in Afghanistan ein Leben aufbauen?
A: In Afghanistan ist es nirgendwo sicher. Nur hier in Österreich.
F: Welcher Gefahr wären Sie ausgesetzt?
A: Ich weiß nicht, was ich auf diese Frage antworten soll.
F: War Ihre Familie jemals einer direkten Bedrohung ausgesetzt?
A: Nein.
[...]
F: Haben Sie jemals nach Ihren Brüdern suchen lassen?
A: Nein, wir haben nur gefragt, ob jemand was gehört hätte.
F: Ab wann haben Sie Verdacht geschöpft, dass Sie verschwunden sind?
A: 4 Monate später."
Der BF legte im Verfahren vor dem BFA Folgendes vor:
* Deutschzertifikat A2
* Bestätigung, dass bei der B1-Prüfung kein Platz frei wäre
* Empfehlungsschreiben
* Deutschkursbestätigungen
* Zertifikat (Zukunft, Bildung.Steiermark)
* Bestätigung (Werte und Orientierungskurs)
* Lehrlingsvertrag
1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 17.11.2017 den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF betreffend eine Verfolgung seiner Person in Afghanistan sei nicht glaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.
Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.
Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.
Das Vorbringen des BF sei mangels einer konkreten Bedrohungssituation und aufgrund der unplausiblen Angaben nicht glaubhaft.
In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass die Begründung des Antrages keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) finde.
Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan nicht drohe. Dem BF sei eine Niederlassung in Kabul oder anderen afghanischen Großstädten möglich, da er erwachsen, gesund und erwerbsfähig sei, sodass er selbstständig durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit aus eigenen Kräften für die Deckung der grundlegendsten Bedürfnisse aufkommen könne.
Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde den BF mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG der Verein Menschenrechte Österreich gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.
1.6. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben vom 18.12.2017 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG ein und beantragte die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
In der Beschwerdebegründung wurden Ausführungen zu den Länderfeststellungen und zur Lage in Afghanistan gemacht sowie auf die bereits erfolgte Integration des BF verwiesen, der seit Oktober 2017 einer geregelten Arbeit nachgehe und bereits mehrere Deutschkurse absolviert habe.
Der BF legte verschiedene Integrationsunterlagen sowie einen Lehrvertrag vor, demzufolge er vom 09.10.2017 bis 08.10.2020 zum Koch ausgebildet wird.
1.7. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 22.12.2017 beim BVwG ein.
1.8. Am 12.02.2018 und 18.04.2018 wurden diverse Empfehlungsschreiben vorgelegt.
1.9. Das BVwG führte am 23.04.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF im Beisein seiner gewillkürten Vertreterin und einer Vertrauensperson persönlich erschien. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der Verhandlung.
Dabei legte der BF vor:
* Befundbericht eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 29.03.2018
* Fotos von der Jahresfeier des Gasthauses, wo der BF eine Lehre absolviert
* eine schriftliche Stellungnahme der anwesenden Vertrauensperson
* einen Brief des Arbeitgebers des im Iran aufhältigen Bruders
* einen abfotografierten Brief, verfasst vom Dorfältesten (Anm.: Original wurde versehentlich nach Australien verschickt)
Daraufhin gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):
"RI: Geben Sie bitte Namen, Alter und Aufenthaltsorte Ihrer näheren Angehörigen bekannt!
BF: Meine Eltern leben im Iran. Meine drei Schwestern leben auch im Iran. Ein Bruder lebt auch im Iran. Meine zwei anderen Brüder sind verschwunden.
RI: Wie alt wären diese zwei anderen Brüder, die verschwunden sind?
BF: Einer wäre heute 15 Jahre, der andere 18 Jahre.
RI: Wie lange sind die Brüder schon verschwunden?
BF: Seit 1393 (entspricht 2014).
RI: Das heißt, einer Ihrer Brüder ist mit elf Jahren schon verschwunden?
BF: Mit 12 Jahren.
R: Haben Sie sonst noch Onkel und Tanten?
BF: Ich habe noch einen Onkel väterlicherseits, der mit seiner Frau im Iran lebt.
RI: Was arbeitet Ihr Vater zur Zeit?
BF: Mein Vater war früher Fleischhauer. Jetzt ist er im Iran und ist Hausmeister.
RI: Ihr Bruder ist bei dieser Firma?
BF: Mein Bruder ist Fleischhauer.
RI: Haben Sie Kontakt zu diesen Angehörigen?
BF: Ja, habe ich, übers Telegramm.
RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?
BF: Ich habe drei bis vier Jahre die Schule besucht. Mein Vater hat damals die Schafe gekauft und ich habe dann für ihn als Schäfer gearbeitet.
RI: Von welchem Alter bis zu welchem Alter sind Sie zur Schule gegangen?
BF: Ich kann mich nicht erinnern. Ich glaube, als ich damals zur Schule ging, war ich acht bis zwölf Jahre.
RI: Was haben Sie in der Schule gelernt? War das eine religiöse Schule?
BF: Wir haben nur die religiösen Dinge dort gelernt.
RI: Haben Sie auch beim Vater in der Fleischhauerei mitgeholfen?
BF: Ich habe die Schafe gehütet. Wenn ich Zeit hatte, habe ich ihm auch in der Fleischhauerei geholfen.
RI: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?
BF: Ich hatte sonst keine Kosten. Mein Vater hat alles bezahlt.
RI: Wie stellte sich Ihre finanzielle Situation bzw. die Ihrer Familie allgemein dar?
BF: Es war gut. Wir haben unser Leben gut verbringen können.
RI: Wie geht es Ihrer Familie jetzt im Iran?
BF: Sie können von ihrem Verdienst leben.
RI: In Afghanistan, hatten Sie da Eigentum, ein Haus oder Grundstücke?
BF: Ja, wir hatten ein Haus, ein Geschäft und ein kleines Grundstück.
RI: Wissen Sie, was mit diesem Eigentum ist? Wer kümmert sich darum?
BF: Das weiß ich nicht mehr. Ich bin ja nicht mehr dort. Sie haben alles liegen und stehen lassen und sind von dort weg.
R: Können Sie mir Ihr Heimatdorf und die Region nennen, aus der Sie kommen?
BF: Bezirk XXXX , Ortschaft XXXX , Provinz Maydan Wardak.
RI: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung?
BF: Nein, ich war neutral.
RI: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat zuletzt genau verlassen? Auf welchem Weg sind Sie nach Österreich gelangt und wo waren Sie wielange aufhältig?
BF: Im Jahr 1394 (entspricht 2015).
R: Ihr Bruder hat das Land schon früher verlassen? Wann hat er das Land verlassen?
BF: Er hat ca. vier Jahr früher das Land verlassen. Insgesamt ist er vier Jahre vor mir ausgereist.
Zur derzeitigen Situation in Österreich:
RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?
BF: Nein.
RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.
RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?
BF: Ja.
RI stellt diversere Fragen.
RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen gut verstanden und auch gutem auf Deutsch beantwortet hat.
RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?
BF: Zur Zeit besuche ich keinen Deutschkurs. Wegen meiner Arbeit habe ich keine Zeit dazu.
RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?
BF: Ich bin Lehrling in einem Gasthaus und arbeite dort in der Küche.
RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?
BF auf Deutsch: Wie Sie wissen, muss man im Gasthaus Samstag und Sonntag arbeiten. Ich habe immer am Dienstag frei. Ich wasche meine Wäsche, koche, gehe einkaufen. Am Wochenende gehe ich laufen.
RI: Wohnen Sie in einer Flüchtlingsunterkunft?
BF: Nein, das ist eine Privatwohnung.
RI: Sind Sie noch in der Grundversorgung?
BF: Nein, ich lebe nur von meinem Lehrlingsentgelt.
RI: Wie stellen Sie sich Ihre berufliche Zukunft vor?
BF: Ich werde Koch. Ich bin froh, dass ich diesen Job habe.
RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?
BF: Nein.
VP: Er ist bei uns im Verein sehr aktiv und hier hilft er unentgeltlich. Er wohnt bei einer Vermieterin, die ein Ferienhäuschen hat. Sie mag ihn sehr und hat ihm das länger vermietet. Er ist ein hilfsbereiter und entzückender Bursche. Auch die Nachbarn haben diesen Brief unterschrieben. Er wurde beim Arbeitgeber sehr gut aufgenommen und er hat Unglaubliches geleistet. Inzwischen kann er in Deutsch besser lesen und schreiben als in Dari.
Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:
RI: Nennen Sie jetzt bitte abschließend und möglichst umfassend alle Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe). Nehmen Sie sich dafür nun bitte ausreichend Zeit, alles vorzubringen.
BF: Zwei meiner Brüder sind dort in die Moschee zum Mullah zum Lernen gegangen. Meine Brüder haben dort beim Mullah Religionsunterricht gehabt. Danach haben sie meine zwei Brüder von meinen Eltern weggenommen, weil sie meinten, dass sie begabt und talentiert wären. Sie würden sie mitnehmen, um diese in einer anderen Moschee bzw. woanders zu unterrichten. Danach haben wir nichts mehr von ihnen gehört. Sie waren dann verschwunden. Es war geplant, dass sie alle 15 Tage nach Hause zurückkommen. Aber sie kamen nicht mehr. Sie waren verschwunden und wir haben nichts mehr von ihnen gehört. Danach war ich als einziger allein zu Hause. Der Mullah sagte zu mir, dass ich mitkommen und beim Dschihad mitmachen solle. Er erzählte mir viele Dinge, dass das der rechte Wege sei. Ich wusste, dass meine Brüder nicht mehr existieren bzw. er sie irgendwohin geschickt hat, wo sie nicht mehr zurückkommen, und dass er gelogen hätte.
R: Wann sind Ihre Brüder verschwunden?
BF: 1393 (2014).
RI: Sie sind auch in diese Schule gegangen?
BF: Ja, ich bin auch in die selbe Moschee gegangen.
RI: Wann sind Sie dann ausgereist?
BF: 1394 (2015)
RI: Wie heißt dieser Immam?
BF: XXXX .
RI: Was hat der Mullah genau zu Ihnen gesagt?
BF: Er erzählte mir, dass er meine Brüder gut untergebracht hat. Er zwang mich, auch dort hinzugehen. Als ich aber von der Wahrheit erfahren habe, was meinen Brüdern wirklich passiert ist, wollte ich weg von dort. Ich hasste diese Gegend und konnte es dort nicht mehr aushalten. Ich hatte Angst und ich wollte nicht mehr dort sein, habe die ganze Zeit und in der Nacht über meine Brüder nachgedacht, was passiert sei und wo sie wären.
RI: Wie lange haben die Brüder die Schule besucht?
BF: Von klein auf haben sie die Schule besucht.
RI: Das heißt, Sie haben gleichzeitig mit Ihren Brüdern die Schule besucht?
BF: Solange sie dorthin gingen, ging ich auch dort hin.
RI: Wie erklären Sie sich, dass der Mullah nur ihre zwei anderen Brüder dorthin schickte und Sie nicht?
BF: Weil er meinem Vater sagte, dass zwei seiner Kinder talentiert sind und weil ich meinem Vater geholfen habe, bin ich nicht mitgegangen. Ich möchte nicht wie meine Brüder enden, was wird aus meiner Zukunft?
RI: Ihr älterer Bruder ist schon früher in den Iran gegangen. War der Imam der Grund, dass er in den Iran flüchten musste?
BF: Bevor der Mullah kam, war eine andere Gruppierung, die einen mit Zwang zum Dschihad mitgenommen haben. Mein Vater hat ihn dann geschickt.
RI: Da wurden Sie nicht belästigt von dieser Gruppierung?
BF: Ich war damals sehr klein. Überall in jedem Haushalt, wo sie Jugendliche sahen, haben sie den Ältesten mitgenommen.
RI: Das war ungefähr 1390?
BF: Ja, ungefähr 1390.
RI: Dieser Iman hat also Ihrem Vater etwas vorgemacht, dass er Ihre Brüder mitnehmen konnte. Und Ihr Vater hat sein Einverständnis gegeben?
BF: Ja. Mein Vater wusste nicht, dass er mit Taliban zusammen ist. Mein Vater gab das Einverständnis, dass sie eine andere Schule besuchen konnten. Mein Vater wusste nicht, dass er ein Talib und Lügner ist.
RI: Wie ist Ihr Vater draufgekommen, dass das ein Lüge ist?
BF: Ich habe meinen Vater gefragt, wo meine Brüder nun wären und wo er sie hingeschickt hätte.
RI: Das heißt, die Brüder haben sich dann nicht gemeldet, obwohl der Iman das versprochen hat?
BF: Sie sollten an ihren freien Tagen nach Hause kommen, das machten sie aber nicht. Da ging es meinen Eltern sehr schlecht und sie waren sehr traurig.
RI: Hat Ihr Vater Ihren Brüder Handys mitgegeben, damit sie anrufen hätten können?
BF: Nein, es gab noch keine Handys.
RI: Ist Ihr Vater dann nicht zum Dorfältesten gegangen, um sich über die Brüder zu erkundigen bzw. dass dieser mit dem Iman spricht?
BF: Auch der Dorfältestee wusste nicht, dass der Mullah uns reingelegt hat.
RI: Warum hat der Dorfälteste nicht mit dem Mullah gesprochen, nachdem die Lüge aufgeflogen ist?
BF: Was kann der Dorfälteste in so einer Situation schon bewegen. Niemand ist den Taliban gewachsen. Was hätte er machen sollen.
RI: Hat es sonst noch Taliban in Ihrem Dorf gegeben?
BF: Er war selbst ein Taliban und unser Ort war grundsätzlich in der Hand von Taliban.
RI: Das heißt, das Versprechen war, dass Ihre Brüder alle 15 Tage einmal nach Hause kommen?
BF: Ja, aber das ist nicht passiert.
RI: Wie lange nach dem Verschwinden der Brüder haben Sie die Schule noch besucht?
BF: Ich bin gleichzeitig noch zur Schule gegangen. Vier Monate habe ich die Schule besucht. Er sagte mir permanent, ich sollte mitkommen. Ich hatte Angst um meine Brüder.
RI: Wurden Sie vom Iman oder Mullah bedroht oder wollte er Sie zwingen?
BF: Er sagte immer, ich sollte mitkommen. Wenn ich nicht mitgegangen wäre, hätte er mich mit Zwang mitgenommen.
RI: Sie haben ja die Schule nicht mehr besucht. Wie hätte er Sie dann mit Zwang mitnehmen sollen?
BF: Er wäre zu uns nach Hause gekommen.
RI: Warum hat Ihr Vater nicht nur Sie weggeschickt, sondern hat alles zurückgelassen und ist auch in den Iran? Er hätte ja nur Sie in den Iran schicken können.
BF: Weil ich ihm immer sagte, dass ich hier weg wollte. Ich hatte Angst um meine Zukunft. Dann hat er mich in den Iran zu meinem Bruder geschickt.
RI: Warum ist auch Ihr Vater in den Iran gegangen?
BF: Nachdem ich weg war, ist die Situation noch schlechter geworden. Es waren Gefechte. Meine Mutter war sehr traurig, dass ihre Kinder weg waren. Mein ältester Bruder war im Iran, darum sind sie auch alle in den Iran.
RI: Woher wissen Sie, dass dieser Iman ein Taliban war?
BF: Weil er immer über Taliban erzählte und er sich immer auf Paschtu unterhielt.
RI: Können Sie Paschtu?
BF: Ich kann selber nicht Paschtu sprechen, verstehe es aber, wenn jemand Paschtu spricht.
RI: Hat dieser Iman immer schon von den Taliban gesprochen, seit Sie in der Schule waren?
BF: Er hat immer über Taliban gesprochen. Er wollte uns immer einer Gehirnwäsche unterziehen.
RI: Haben Sie das Ihrem Vater erzählt?
BF: Ja.
R: Wenn der Vater das weiß, warum übergibt er diese Brüder dem Iman, wenn er die ganze Zeit von den Taliban spricht?
BF: Mein Vater schickte uns nur zur Moschee um zu lernen. Er wusste nicht, dass der Mullah ein Talib ist. Wenn wir nicht freiwillig mitgegangen wären, hätte er uns gezwungen. Ich habe es dann selber erfahren, als er mir immer wieder von Taliban erzählte.
RI: Hat es gegen Ihre Familie irgendwelche Drohungen gegeben oder waren es die falschen Versprechungen?
BF: Das ist für mich und für meine ganze Familie eine große Bedrohung, was passiert ist. Zwei meiner Brüder haben sie mitgenommen und ich bin sehr verängstigt deshalb.
RI: Wie lange nach Ihrer Ausreise ist die Familie nachgekommen?
BF: Zwei bis drei Monate.
RI: Diesem Schreiben ist zu entnehmen, dass dieser Imam nur bis 1395 Iman war. Wenn der Iman nun nicht mehr Iman ist, wäre in Ihrem Heimatort ja keine Bedrohung mehr.
BF: Ja, aber er ist immer noch im selben Bezirk. Er existiert immer noch, ich weiß zwar nicht, wo er ist, aber es gibt andere Gruppierungen. In der ganzen Region sind die Taliban. Das macht keinen Unterschied.
RI: Warum Sind sie in den Iran gegangen? Hätten Sie nicht auch nach Kabul gehen können?
BF: Zu wem hätte ich in Kabul gehen können? Ich bin zu meinem Bruder gegangen.
RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?
BF: Ich habe in Kabul niemanden. Zu wem soll ich dorthin? Wenn ich in mein Dorf zurückkehre, wissen Sie, dass ich aus Europa zurückkomme. Sie würden mich beschuldigen, ausländisches Brot gegessen zu haben. Entweder bringen mich die Taliban um oder die Dorfbewohner.
R: Würden Sie befürchten, in Kabul persönlich verfolgt zu werden von den Taliban?
BF: Ich weiß nicht, zu wem ich in Kabul hingehen könnte. Man weiß nicht, wenn man das Haus verlässt, ob man wieder zurückkommt. Ich möchte hier ein neues Leben beginnen und Afghanistan vergessen. Ich habe hier die Sprache und die Sitten gelernt und ich möchte hier leben und nicht wieder nach Afghanistan zurück.
BFV: Was machen Sie von Ihrem Lebensstil anders als in Afghanistan?
BF: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das kann man nicht vergleichen. Ich habe hier ein menschenwürdiges Leben, niemand macht mir Probleme, wann ich wo hingehe oder wenn ich zur Arbeit gehe. Ich möchte ein friedliches Leben leben und hier neu beginnen. Ich habe hier eine neue Familie gefunden und auch meine Arbeit. Ich kann es mir nicht vorstellen.
BFV: Kleiden Sie sich mittlerweile anders als in Afghanistan?
BF: Sicherlich, das ist eine komplett andere Kleidung.
BFV: Sie sagten vorher, dass der Mullah sagte, dass zwei Kinder talentiert seien. Wer hat das entschieden, wer talentiert ist?
BF: Der Mullah hat das bestimmt.
BFV: Haben Sie generell noch soziale Kontakte in Afghanistan, Kabul?
BF: Nein, ich habe sonst mit niemandem Kontakt.
BFV: Hätten Sie mit der Muttersprache Dari Probleme in Afghanistan, eine Arbeit zu finden? Beherrschen Sie in Wort und Schrift Dari?
BF: Ich kann nur sehr wenig lesen. Deutsch kann ich mehr, da ich das hier gelernt habe.
BFV: Gibt es einen Unterschied zwischen Moschee und Schule, die Sie in Afghanistan besucht haben?
BF: Das war nur ein Religionsunterricht, keine Schule.
BFV: Können Sie das Haus beschreiben, in dem Sie gewohnt haben?
BF: Das war ein normales Haus, wie es in Afghanistan üblich ist. Man kann nicht hier mit dort vergleichen.
BFV: Ist bereits ein Berufsschulbesuch geplant?
BF: Ja, das ist für 2019 geplant.
BFV: Ist die Wohnung, in der Sie jetzt wohnen, in der Nähe Ihrer Arbeitsstätte? Wie kommen Sie dorthin?
BF: Es sind ungefähr 15 Minuten zu Fuß.
BFV: Waren Sie jemals schon in Kabul?
BF: Nein, ich war nur auf der Durchreise.
[...]
BFV: Aus dem bisherigen Vorbringen des BF ergibt sich auch, dass dieser unter dem Aspekt des Menschenhandels schutzbedürftig ist, zumal zwei seiner Brüder von einem Mullah zwangsweise rekrutiert wurden und der BF bis heute kein Lebenszeichen von seinen Brüdern erhalten hat."
1.8. Am 03.05.2018 gab die Vertreterin des BF eine Stellungnahme zu den in der Verhandlung ausgehändigten Länderberichten ab und verwies darin auf ein Gutachten von Frederike Stahlmann vom 28.03.2018.
1.9. Mit Verfahrensanordnung vom 07.01.2019 wurden dem BF das Länderinformationsblatt zu Afghanistan vom 29.06.2018 (aktualisiert am 23.11.2018) sowie Festellungen zur Lage in der Stadt Mazar-Sharif und zur Dürre in Herat und Mazar-i-Sharif übermittelt.
1.10. In einer Stellungnahme vom 10.01.2019 führte der BF aus, dass es zu keiner Verbesserung der Lage der Zivilbevölkerung gekommen sei.
2. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 02.07.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 06.09.2017 sowie die Beschwerde vom 18.12.2017
* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation)
* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 23.04.2018
* Einsicht in die vom BF vorgelegten Schriftstücke und den Befund
* Einsichtnahme in folgende vom BVwG zusätzlich eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:
o Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 sowie eine Aktualisierung vom 23.11.2018)
o Sicherheitslage in der Heimatprovinz Maidan Wardak
o Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom April 2016
o Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016
o Auszug von EASO bezüglich Rekrutierungsstrategien der Taliban von Juli 2012
o Festellungen zur Lage in der Stadt Mazar-e Sharif und zur Dürre in Herat und Mazar-e Sharif
3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):
Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:
3.1. Zur Person des BF:
3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari, er spricht bereits auch gutes Deutsch.
Der BF stammt aus der Ortschaft XXXX , Bezirk XXXX , Provinz Maidan Wardak, Afghanistan, wo seine Familie ein Haus besitzt. Seine Eltern, ein Bruder, drei Schwestern und ein Onkel leben aktuell im Iran. Ob - wie vom BF behauptet - zwei weitere Brüder tatsächlich verschollen sind, kann nicht festgestellt werden. Der Vater ist gelernter Fleischer und arbeitet aktuell im Iran als Hausmeister, der Bruder des BF ist im Iran als Fleischhauer tätig.
Die finanzielle Situation der Familie des BF wurde vom BF als gut bezeichnet.
Der BF besuchte laut eigenen Angaben ca. drei bis vier Jahre lang eine religiöse Schule und kann Dari etwas lesen. Ferner hütete der BF die Schafe der Familie und half seinem Vater in dessen Fleischerei.
Laut Angaben des BF besteht zu seinen Angehörigen Kontakt.
3.1.2. Der BF ist jung, männlich und arbeitsfähig. Laut einem Befundbericht vom 29.03.2018 bestehen beim BF eine suspekte posttraumatische Störung, Hyposomnie, Dysbalance der WS-Muskulatur und episodischer Spannungskopfschmerz. Seitdem wurden durch den BF bis zum heutigen Tag der Entscheidung keine weiteren Befunde vorgelegt, weshalb nicht davon ausgegangen wird, dass sich der BF aktuell in ärztlicher Behandlung befindet oder noch krankheitswertige psychische Störungen vorliegen.
Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten haben sich zum aktuellen Zeitpunkt keine ergeben.
3.1.3. Im Jahr 2015 begab sich der BF über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, und Serbien nach Österreich, wo er am 01.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
3.1.4. Der BF hält sich seit Juli 2015 in Österreich auf und spricht bereits gutes Deutsch. Er hat einen Lehrvertrag, welcher eine Ausbildungszeit von 09.10.2017 bis 08.10.2020 vorsieht, abgeschlossen, geht nunmehr einer regelmäßigen Beschäftigung als Kochlehrling nach und ist durch das Einkommen auch selbsterhaltungsfähig. Der BF hat verschiedenste Integrationskurse abgeschlossen und pflegt Kontakte zu österreichischen Personen. Er ist nicht mehr in Grundversorgung und wohnt bei einer österreichischen Bekannten. Der BF hat in Österreich keine Verwandten und ist strafrechtlich unbescholten.
3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF hat sein Vorbringen, dass seine beiden Brüder aufgrund falscher Versprechungen eines Mullahs, der den Taliban angehören soll, verschwunden sind und auch für den BF die Gefahr bestand, von Taliban mitgenommen zu werden, nicht glaubhaft gemacht.
Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.
Grund für die Ausreise des BF aus seinem Herkunftsstaat waren die dortige unsichere persönliche und allgemeine Situation und die Suche nach besseren - auch wirtschaftlichen - Lebensbedingungen im Ausland.
3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
3.3.1. Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.
3.3.2. Der BF ist im erwerbsfähigen Alter und männlich. Dass sein allgemeiner Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigt wäre, hat der BF im Verfahren weder behauptet, noch ist es dem erkennenden Gericht sonst bekannt geworden.
3.3.3. Eine Rückkehr des BF in die Herkunftsprovinz Maidan Wardak scheidet aus, weil ihm dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde, zumal auch die Erreichbarkeit der Provinz (etwa von Kabul aus) auf sicherem Weg nicht gewährleistet werden kann.
Dem BF ist es aber möglich und zumutbar, sich stattdessen in der Hauptstadt Kabul oder auch in Mazar-e Sharif niederzulassen. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und einer in Afghanistan gesprochenen Sprache (Dari) vertraut. Er kann zumindest etwas lesen und hat als Schäfer gearbeitet bzw. seinem Vater in dessen Fleischerei geholfen. Der BF lebte bisher nicht in Kabul oder Mazar-e Sharif, und es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF dort über familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte verfügt. Dem BF ist jedoch aus eigenem der Aufbau einer Existenzgrundlage in diesen Städten möglich. Der BF kann seine Existenz in Kabul oder Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei festzuhalten ist, dass der BF bereits bei seinem Vater in der Fleischerei gearbeitet hat und er in Österreich eine Ausbildung zum Koch absolviert. Zudem verfügt der BF über ein familiäres Netzwerk, mit dem er in Kontakt steht. So sind seine im Iran aufhältigen Angehörigen (Vater und ein älterer Bruder) arbeitstätig, auch befindet sich ein Onkel im Iran. Somit besteht die Möglichkeit, dass wenigstens einer dieser Verwandten in der Lage ist, dem BF - zumindest zu Beginn als Starthilfe - finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Mit dieser Unterstützung ist ihm der Aufbau einer Existenzgrundlage in Kabul oder Mazar-e Sharif möglich. Der BF ist auch in der Lage, in Kabul oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Er hat auch die Möglichkeit, Rückkehrunterstützung in Anspruch zu nehmen und damit eine weitere finanzielle Hilfe zu erhalten. Als alleinstehender, gesunder und leistungsfähiger Mann im berufsfähigen Alter samt Berufserfahrung im Baugewerbe ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf liefe der BF auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF leidet an keinen Erkrankungen.
3.3.4. Der BF kann die Hauptstadt Kabul und die Stadt Mazar-e Sharif - über Kabul - von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.
3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:
Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:
3.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", Schreibfehler teilweise korrigiert):
[...]
2. Politische Lage
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).
Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).
Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Ab