Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hofbauer, über die Beschwerde des M S, (geboren am 18. September 1968), in Ybbs/Donau, vertreten durch Dr. Rainer Mutenthaler, Rechtsanwalt in 3370 Ybbs, Herrengasse 23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 10. September 1997, Zl. St 280/97, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 10. September 1997 wurde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien, in diesem Staat gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei; die Abschiebung in diesen Staat sei somit zulässig.
Der Beschwerdeführer sei am 10. September 1996 unter Umgehung der Grenzkontrolle mit Hilfe einer Schlepperorganisation in Österreich eingereist. Sein Asylantrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. November 1996 und im Instanzenzug mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Mai 1997 abgewiesen worden. Während des Ausweisungsverfahrens habe er am 11. September 1996 den Feststellungsantrag gemäß § 54 Abs. 1 FrG gestellt und zu dessen Begründung auf seine Angaben vor dem Bundesasylamt verwiesen. In seiner Berufung (gemeint: gegen den erstinstanzlichen negativen Feststellungsbescheid) habe der Beschwerdeführer ausgeführt, daß er seit 1992 Mitglied der demokratischen Liga des Kosovo gewesen wäre und auch Versammlungen organisiert hätte. Im Jahr 1994 wären vier Polizisten zu ihm nach Hause gekommen und hätten ihn festgenommen. Bei dem Verhör auf der Polizeistation in Njanejeve wäre er von drei Polizisten mit Gummiknüppeln auf die Füße und auf den Rücken geschlagen und mit Füßen getreten worden, wobei er schwer verletzt worden wäre. Man hätte von ihm hören wollen, daß er illegale Waffen besäße, was jedoch nie der Fall gewesen wäre. Bei diesem Verhör hätte die Polizei verlangt, daß er eine Waffe besorgen sollte. Danach wäre er nach Hause geschickt worden. Seinen Personalausweis hätten die Polizisten beschlagnahmt. Anschließend wäre er eine Woche lang von Privatärzten medizinisch versorgt worden. Ein Bekannter des Beschwerdeführers hätte für ihn auf dem Schwarzmarkt eine Pistole besorgt und zur Polizeistation gebracht, worauf man dem Beschwerdeführer den Personalausweis ausgehändigt hätte. Mitte des Jahres 1995 hätte er eine Ladung zur Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Lipjan erhalten, der er jedoch nicht nachgekommen wäre. In Abwesenheit wäre er zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil wäre seit 29. August 1996 rechtskräftig. Der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers hätte ihn darüber informiert, daß er deswegen verurteilt worden wäre, weil er Vorsitzender der LDK wäre und Versammlungen organisiert hätte, woran 120 Personen teilgenommen hätten.
Nach Wiedergabe der einschlägigen Bestimmungen des Fremdengesetzes führte die belangte Behörde weiter aus, daß die Angaben des Beschwerdeführers schon deshalb unglaubwürdig seien, weil er angegeben habe, durch die Mißhandlungen der Polizisten schwer verletzt worden zu sein. Es sei kaum anzunehmen, daß er mit einer schweren Verletzung nach Hause geschickt worden sei bzw. selbst nach Hause habe gehen können. Auf seine Angaben, wonach er von Privatärzten medizinisch versorgt worden wäre, klängen übertrieben, zumal bei einer schweren Verletzung doch ein Spitalsaufenthalt wahrscheinlicher gewesen wäre. Die Unglaubwürdigkeit seiner Angaben werde noch deutlicher durch die Ausführung der Erstbehörde bzw. des Bundesasylamtes, wonach eine Überprüfung seiner Angaben in seinem Heimatstaat ergeben hätte, daß das von ihm erwähnte gerichtliche Strafverfahren nie stattgefunden habe. Bedenke man zudem, daß er die Hilfe von Schleppern in Anspruch genommen habe und es zu den Dienstleistungen von Schlepperorganisationen gehöre, auch entsprechende Dokumente und "Argumentationshilfen" im Bedarfsfall nachzuliefern, schienen seine Angaben noch unglaubwürdiger. Der Bundesminister für Inneres habe in dem genannten Bescheid vom 12. Mai 1997 rechtskräftig festgestellt, daß ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zukäme und er in seinem Heimatland vor Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention sicher wäre. Da sich der Begriff des Flüchtlings mit den Verfolgungsgründen nach § 37 Abs. 2 FrG decke, könne davon ausgegangen werden, daß diese Verfolgungsgründe nicht vorlägen, zumal der Beschwerdeführer im darauffolgenden fremdenpolizeilichen Verfahren keine neuen Tatsachen vorgebracht habe und hinsichtlich seiner Fluchtgründe auf sein Vorbringen im Asylverfahren verwiesen bzw. dieses wiederholt habe.
Selbst wenn, was nicht angenommen werde, er tatsächlich im Jahr 1994 von Polizisten mißhandelt worden wäre, würde diesem Vorfall die "Aktualität" fehlen. Die Existenz der von ihm erwähnten Verurteilung sei von ihm in keiner Weise nachgewiesen worden und scheine eine derartige Verurteilung in seinem Heimatland nicht auf. Es müsse daher angenommen werden, daß er diese Angaben lediglich deshalb gemacht habe, um sich im Bundesgebiet ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen. Von der Aufnahme weiterer Beweise sei insofern Abstand genommen worden, als der entscheidungsrelevante Sachverhalt ausreichend ermittelt worden sei.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens mit dem Antrag vor, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfaßten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. September 1998, Zl. 95/21/0977, mwN).
2. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde, daß die von ihm behauptete Verurteilung durch das Bezirksgericht Lipjan in der Bundesrepublik Jugoslawien nicht aufscheine und er diese Verurteilung auch nicht nachgewiesen habe, daß seine Angaben zu seinen Verletzungen unglaubwürdig seien, weil kaum anzunehmen sei, daß er mit einer schweren Verletzung (von der Polizei) nach Hause geschickt worden sei bzw. selbst nach Hause habe gehen können, und daß seine Behauptung, er wäre von Privatärzten medizinisch versorgt worden, übertrieben klinge. Wenn die österreichische Botschaft in Belgrad mitgeteilt habe, daß gegen den Beschwerdeführer kein Strafverfahren anhängig wäre, so habe er darauf hingewiesen, daß dieses bereits rechtskräftig abgeschlossen wäre.
3. Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.
Die Beweiswürdigung der belangten Behörde hält einer Beurteilung im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) nicht stand: Die von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten enthalten weder das vom Beschwerdeführer zur Untermauerung seines Vorbringens vorgelegte Schriftstück ("Gerichtsurteil" mit der Nr. P.nr.35/96; dieses wurde dem Beschwerdeführer laut Niederschrift des Bundesasylamtes von 2. Dezember 1996 zurückgestellt) noch den im Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. November 1996 zitierten Bericht der österreichischen Botschaft in Belgrad vom 16. November 1996, auf den der angefochtene Bescheid in diesem Zusammenhang Bezug nimmt und wonach gegen den Beschwerdeführer beim Gericht in Lipjan kein Straf- oder Untersuchungsverfahren anhängig sei. Wenn der Beschwerdeführer daher geltend macht, daß dieses Strafverfahren gegen ihn zu diesem Zeitpunkt nicht mehr anhängig, sondern bereits - wie im Verwaltungsverfahren von ihm angegeben - rechtskräftig abgeschlossen gewesen sei, so vermögen die Ergebnisse des verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens, soweit diese in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten zum Ausdruck kommen, diesen Beschwerdeeinwand nicht zu widerlegen. Hinzu kommt, daß laut der Begründung des genannten Bescheides des Bundesasylamtes der auf dem vorgelegten Schriftstück ("Gerichtsurteil") ersichtliche Gerichtsstempel echt sei. Die Argumentation des Bundesasylamtes in seinem Bescheid vom 28. November 1996, auf die der angefochtene Bescheid Bezug nimmt, daß in diesem Schriftstück die für eine gerichtliche Urteilsausfertigung erforderliche Rechtsmittelbelehrung fehle und der Beschwerdeführer entgegen seinen Angaben laut diesem Schriftstück in der Hauptverhandlung anwesend gewesen sei, vermag noch nicht die Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers darzutun, wirft dieser doch den jugoslawischen Justiz- und Sicherheitsbehörden willkürliches Verhalten gegen Aktivisten der LDK - wie er einer gewesen sei - aus politischen Gründen vor. Auch die weiteren beweiswürdigenden Überlegungen der belangten Behörde zur Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers, daß kaum anzunehmen sei, daß er mit schweren Verletzungen von der Polizei nach Hause geschickt und in der Folge von Privatärzten medizinisch versorgt worden sei, entbehren einer nachvollziehbaren Grundlage, ist doch dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen, von welchen konkreten Verletzungen die belangte Behörde bei dieser Schlußfolgerung ausgegangen ist.
Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren vorgebracht, daß er Vorsitzender der LDK gewesen sei, Versammlungen organisiert habe und deswegen in Abwesenheit zu zwei Jahren Haft verurteilt worden sei. Darüber, ob der Beschwerdeführer tatsächlich eine derartige politische Funktion in der LDK ausgeübt habe, hat die belangte Behörde keine Erhebungen gepflogen bzw. Feststellungen getroffen, obwohl dies zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers von nicht unwesentlicher Bedeutung gewesen wäre.
4. Nach dem Gesagten ist somit der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig und auch die Begründung des angefochtenen Bescheides in relevantem Ausmaß mangelhaft geblieben, sodaß dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Kostenmehrbegehren von S 2.500,-- war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand ein Anspruch auf
Ersatz der Umsatzsteuer nicht zusteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 96/18/0033).
Wien, am 26. März 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1997180643.X00Im RIS seit
20.11.2000