Entscheidungsdatum
19.03.2019Norm
AlVG §10Spruch
W164 2201466-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Vorsitzende sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Armin KLAUSER (aus dem Kreis der ArbeitgeberInnen) und Peter SCHERZ (aus dem Kreis der ArbeitnehmerInnen) als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , VSNR XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 04.05.2018, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 28.05.2018, Zl. 2018-0566-9-001084, nach einer nicht öffentlichen Beratung vom 19.03.2019 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben. Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs 1 Abs 2 und Abs 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Mit Bescheid vom 04.05.2018, AMS 964-Laxenburger Straße, sprach das Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) aus, dass der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) gemäß § 38 iVm § 10 AlVG den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum 02.05.2018 bis 12.06.2018 verloren habe. Eine Nachsicht sei nicht erteilt worden. Der angeführte Zeitraum verlängere sich um die in ihm liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen worden sei. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF durch sein Verhalten das Zustandekommen einer vom AMS zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung bei der Firma " XXXX " (im Folgenden: W) vereitelt habe. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht würden nicht vorliegen.
Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde und führte aus, er habe vergessen, sich auf das Stellenangebot zu bewerben. Diese Firma befinde sich nicht in Wien, sodass sie für ihn schwer erreichbar wäre, da er kein eigenes Fahrzeug besitze. Zudem habe er von 24.04.2018 bis 26.04.2018 Schnuppertage bei der Firma XXXX (im Folgenden: S) absolviert. Er sei am 07.05.2018 aufgenommen worden und beginne am 28.05.2018 mit einer Ausbildung. Bei Zufriedenstellung werde er ab dem 03.12.2018 in einem Dienstverhältnis stehen. Der BF ersuche daher um Rücksichtnahme.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 28.05.2018 wies das AMS die Beschwerde ab und führte begründend an, dass eine überregionale Vermittlung zulässig gewesen sei, da dem BF ein Quartier geboten worden sei. Zudem sei er alleinstehend und ohne Sorgepflichten. Er hätte außerdem die Möglichkeit gehabt, den Arbeitsort öffentlich zu erreichen. Dass er das Stellenangebot übersehen habe, hindere die gegenständliche Sanktion nicht, da es in seiner Sphäre gelegen sei, die Vermittlungsvorschläge so zu verwahren, dass ein Übersehen oder Vergessen nicht möglich sei. Auch die vom BF vorgebrachten Schnuppertage bzw. die von ihm angeführte Arbeitserprobung hätten die notwendigen Bewerbungen auf zugewiesene Stellen nicht ausgeschlossen. Beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger scheine kein vollversicherungspflichtiges Dienstverhältnis auf.
Dagegen erhob der BF fristgerecht einen Vorlageantrag und führte aus, ihm sei bewusst, dass er einen Fehler gemacht habe, sodass das Dienstverhältnis mit der Firma W nicht zustande gekommen sei, jedoch habe er nicht mit Absicht gehandelt. Es sei auch nicht ganz richtig, dass für keine Angehörigen sorgen müsse: Seine Mutter habe Krebs. Sie lebe zwar bei seiner Schwester und habe eine 24 Stunden Pflege; trotzdem werde auch der BF gebraucht. Aktuell befinde sich der BF zwar nicht in einem vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnis, jedoch mache er eine Ausbildung für den außerordentlichen Lehrabschluss des Einzelhandelskaufmanns im Rahmen einer Kooperation des AMS, des WAFF und der Firma S. Diese habe am 28.05.2018 begonnen. Der BF ersuche um Nachsicht. Der Beschwerde liegt die Bestätigung über die Teilnahme an der Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann im Zeitraum 28.05.2018 bis 30.11.2018 bei.
Laut Versicherungsdaten des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger wurde der BF ab 03.12.2018 von der Fa. S. in ein vollversicherungspflichtiges Dienstverhältnis übernommen.
Nach Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichts zum allfälligen Vorliegen von Nachsichtsgründen Stellung zu nehmen, übermittelte das AMS ein Schreiben, aus dem hervorgeht, dass es Nachsicht aufgrund des Engagements des BF seitens des AMS im Einzelfall befürwortet wird.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF bezog ab dem 20.03.2015 mit Unterbrechungen Notstandshilfe. Der BF ist in Wien wohnhaft, ledig und nicht sorgepflichtig. Die Zuweisung der Beschäftigung als Koch bei der Firma W in Kärnten erfolgte am 20.04.2018. Der darin vorgesehene Arbeitsort ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Mit dem Stellenangebot wurde auch ein Quartier angeboten. Es erfolgte keine Bewerbung durch den Beschwerdeführer auf das zugewiesene Stellenangebot.
Der Beschwerdeführer absolvierte von 24.04.2018 bis 26.04.2018 Schnuppertage der Firma S. Von 28.05.2018 bis 30.11.2018 nahm er an der AQUA-Maßnahme "Einzelhandelskaufmann/-frau - Job PLUS Ausbildung S." teil. Nach Absolvierung der Ausbildung wurde er mit 03.12.2018 in ein vollversicherungspflichtiges Dienstverhältnis bei der Firma S aufgenommen. Dieses Dienstverhältnis ist bis dato aufrecht.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen basieren auf dem unzweifelhaften Inhalt des Verwaltungsaktes im Zusammenhalt mit der Beschwerde, weiters aus den aktuellen Daten des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger. Der Sachverhalt ist unbestritten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 56 Abs. 2 AlVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer. Im vorliegenden Fall war daher Senatszuständigkeit gegeben.
Zu A)
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG verliert die die arbeitslose Person, wenn sie sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde.
Dem BF wurde unbestritten ein zumutbares Stellenangebot zugewiesen. Dadurch, dass er sich nicht auf diese zugewiesene Stelle beworben hat, wurden die Chancen für das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses jedenfalls verringert. Ob den BF dabei ein Verschulden (zumindest dolus eventualis) trifft muss nicht abschließend beurteilt werden, dies aus folgendem Grund (VwGH Ro 2015/08/0026 vom 17.12.2015):
Gemäß § 10 Abs. 3 AlVG ist der Verlust des Anspruches gemäß Abs. 1 in berücksichtigungswürdigen Fällen wie z.B. bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen.
Als Beschäftigung im Sinne des § 10 Abs. 3 AlVG kann nur eine die Arbeitslosigkeit ausschließende Beschäftigung verstanden werden (VwGH 2007/08/0116 vom 02.04.2008).
Der BF hat zunächst von 24.04.2018 bis 26.04.2018 Schnuppertagebei der Firma S. absolviert, die für sich allein betrachtet zwar keinen Nachsichtsgrund gebildet hätten. Jedoch absolvierte der BF im Anschluss daran von 28.05.2018 bis 30.11.2018 eine Ausbildung im Rahmen der der AQUA-Maßnahme "Einzelhandelskaufmann/-frau - Job PLUS Ausbildung S." an. Im Anschluss an diese erfolgreich absolvierte Ausbildung nahm der BF am 03.12.2018 bei der Firma S. ein vollversicherungspflichtiges Dienstverhältnis auf, dass bis dato aufrecht ist.
§ 10 Abs. 3 AlVG setzt keine ausdrückliche Regelung, innerhalb welcher Frist die andere Beschäftigung aufgenommen werden muss, um eine gänzliche oder teilweise Nachsicht vom Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes zu rechtfertigen (vgl. VwGH 27.01.2016, Ro 2015/08/0027).
Im Fall der Aufnahme einer Beschäftigung vor Ablauf der Ausschlussfrist ist die (gänzliche oder teilweise) Nachsicht jedenfalls zu erteilen. Aber auch eine spätere Beschäftigungsaufnahme kann die Nachsicht aber etwa dann rechtfertigen, wenn schon im Vorfeld ernsthafte Bemühungen gesetzt wurden (vgl. VwGH 01.12.2017, Ra 2015/08/0176).
Der BF nahm zwar erst am 03.12.2018 ein vollversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis auf, jedoch hatte er sich bereits ab April 2018 eigeninitiativ, konsequent und schließlich auch erfolgreich um diese vollversicherungspflichtige Beschäftigung bemüht. Im vorliegenden Fall war somit von einem tauglichen Nachsichtsgrund auszugehen.
Dem BF gebührt daher auch im Zeitraum 02.05.2018 bis 12.06.2018 Notstandshilfe im gesetzlichen Ausmaß, sodass angefochtene Entscheidung der belangten Behörde ersatzlos zu beheben war.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 3 hat der BF die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäß - und zu begründende - Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensausübung anzusehen sind (VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0019).
Im gegenständlichen Fall ergibt sich der Sachverhalt zweifelsfrei aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde. Es wurden lediglich Rechtsfragen aufgeworfen. Unter diesen Umständen geht das Gericht davon aus, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMR, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (s. die unter Punkt 3. angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Dienstverhältnis, Nachsichterteilung, Notstandshilfe, zumutbareEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W164.2201466.1.00Zuletzt aktualisiert am
25.04.2019