Index
41 Innere AngelegenheitenNorm
B-VG Art138 Abs1 litbLeitsatz
Vorliegen eines negativen Kompetenzkonfliktes bei Ablehnung einer Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof und Zurückweisung mangels Rechtsverletzungsmöglichkeit durch den Verwaltungsgerichtshof; Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Entscheidung über eine Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in ein bestimmtes Land als unzulässig wegen bereits erfolgter Abschiebung; subjektives Recht auf Entscheidung über ein Refoulement-Verbot und Vorliegen eines Feststellungsinteresses auch nach Abschiebung; Widerspruch der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs zum österreichischen RechtsschutzsystemSpruch
Der Verwaltungsgerichtshof ist zur Entscheidung über die Beschwerde des D R gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. November 1993 zuständig.
Der entgegenstehende Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. September 1995, Zl. 93/18/0631, wird aufgehoben.
Der Bund (Verwaltungsgerichtshof) ist schuldig, dem Antragsteller zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 18.000 bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. November 1993 wurde der Berufung gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, mit dem der Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien gemäß §54 Fremdengesetz, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FremdenG), als verspätet zurückgewiesen worden war, keine Folge gegeben, und es wurde der angefochtene Bescheid mit der Abänderung bestätigt, daß der Antrag als unzulässig zurückgewiesen wird.
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Einschreiter Beschwerde sowohl beim Verfassungs- als auch beim Verwaltungsgerichtshof; während der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der zu B2267/93 protokollierten Beschwerde mit Beschluß vom 27. September 1994 ablehnte, wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde mit Beschluß vom 21. September 1995 zurück und begründete dies damit, daß im Zeitpunkt der Erhebung der Beschwerde - nach erfolgter Abschiebung - keine Rechtsverletzungsmöglichkeit bestanden habe.
3. Mit seiner nunmehrigen Eingabe stellt der Einschreiter beim Verfassungsgerichtshof einen auf Art138 Abs1 litb B-VG (§46 Abs1 VerfGG 1953) gestützten Antrag auf Entscheidung eines (verneinenden) Kompetenzkonfliktes zwischen dem Verwaltungsgerichtshof einerseits und dem Verfassungsgerichtshof andererseits.
4. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Akten vorgelegt und eine schriftliche Äußerung erstattet, in welcher er mit näherer Begründung ausführt, daß der vom Antragsteller geltend gemachte negative Kompetenzkonflikt nicht vorliege, weshalb der Antrag zurückzuweisen wäre.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über den Antrag auf Entscheidung des behaupteten negativen Kompetenzkonfliktes erwogen:
1. Zur Zulässigkeit:
1.1. Gemäß Art138 Abs1 litb B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte "zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und allen anderen Gerichten, insbesondere auch zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof selbst, sowie zwischen den ordentlichen Gerichten und anderen Gerichten".
Nach der zitierten Verfassungsbestimmung iVm. §46 Abs1 VerfGG 1953 besteht ein verneinender Kompetenzkonflikt u.a. dann, wenn der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof die Zuständigkeit in derselben Sache, und zwar einer dieser beiden Gerichtshöfe zu Unrecht, verneint haben (s. VfSlg. 13983/1994, VfGH 30.6.1995, KI-6/95 ua., 29.2.1996, KI-8/94).
Auch dann, wenn einerseits der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der an ihn gerichteten Beschwerde abgelehnt und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG über Antrag des Beschwerdeführers zur Entscheidung darüber, ob letzterer in sonstigen Rechten verletzt wurde, dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hat, und andererseits der Verwaltungsgerichtshof die an ihn abgetretene Beschwerde zurückgewiesen hat, kann ein Kompetenzkonflikt, der vom Verfassungsgerichtshof gemäß Art138 Abs1 litb B-VG zu entscheiden ist, vorliegen; dies dann, wenn entweder die Ablehnung der Behandlung und die Abtretung der Beschwerde unzulässig war, weil es sich um einen Fall handelt, der gemäß Art133 B-VG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist und dessen Behandlung daher gemäß Art144 Abs2 B-VG vom Verfassungsgerichtshof nicht hätte abgelehnt werden dürfen, oder aber - sofern dies nicht der Fall ist - wenn der Verwaltungsgerichtshof seine Zuständigkeit in derselben Sache zu Unrecht verneint hat (s. VfSlg. 13983/1994, VfGH 30.6.1995, KI-6/95 ua., 29.2.1996, KI-8/94).
Nichts anderes gilt dann, wenn gegen denselben Bescheid sowohl Beschwerde beim Verfassungs- als auch beim Verwaltungsgerichtshof erhoben wird und die genannten Verfahrensergebnisse (Ablehnungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes und Zurückweisungsbeschluß des Verwaltungsgerichtshofes) eintreten.
1.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Äußerung den Standpunkt vertreten, daß er seine Zuständigkeit im vorliegenden Fall nicht abgelehnt habe. Die Zurückweisung der Beschwerde sei aus einem anderen in §34 Abs1 VwGG genannten Grund erfolgt, nämlich dem Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde. Werde die Berechtigung zur Erhebung einer Beschwerde mangels Rechtsverletzungsmöglichkeit im konkreten Fall verneint und die Beschwerde aus diesem Grunde zurückgewiesen, habe der Verwaltungsgerichtshof diese Entscheidung im Rahmen seiner Zuständigkeit getroffen, also seine Zuständigkeit gerade nicht verneint.
Ein negativer Kompetenzkonflikt im oben dargestellten Sinn liege aber nur dann vor, wenn der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde gemäß §34 Abs1 VwGG wegen offenbarer Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zurückweise, nicht aber, wenn die Zurückweisung aus einem anderen in dieser Bestimmung angeführten Grund erfolge. Auch nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes liege ein solcher Konflikt nur dann vor, wenn entweder der Verfassungsgerichtshof oder der Verwaltungsgerichtshof über die Zuständigkeit falsch entschieden habe. Ob durch den angefochtenen Bescheid eine Rechtsverletzungsmöglichkeit bestanden habe, habe der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art131 Abs1 Z1 B-VG in jedem Fall - im Rahmen seiner Zuständigkeit - zu prüfen. Eine solche Prüfung setze aber bereits die Bejahung der Zuständigkeit voraus.
1.3. Der Inhalt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich nicht ausschließlich aus der Formulierung des Spruches; vielmehr muß zur Feststellung des Inhaltes der Entscheidung auch auf die Gründe Bedacht genommen werden (vgl. VfSlg. 5407/1966). Die Voraussetzung für einen Kompetenzkonflikt, nämlich, daß beide beteiligten Gerichtshöfe ihre Zuständigkeit abgelehnt haben (Art138 Abs1 litb B-VG iVm. §46 Abs1 VerfGG 1953), ist auch dann erfüllt, wenn einer der beteiligten Gerichtshöfe die Zulässigkeit der Beschreitung des Verwaltungsgerichtsweges (aus welchen rechtlichen Gründen immer) schlechthin verneint und sich daraus - wie im vorliegenden Fall - unmittelbar seine Unzuständigkeit zur Erledigung einer bei ihm eingebrachten Beschwerde ergibt (vgl. auch VfGH 4. Oktober 1995, KI-9/94).
Wie im folgenden (s. II.2.) dargetan, hat eines der Gerichte seine Zuständigkeit auch zu Unrecht abgelehnt.
Der vorliegende Antrag auf Entscheidung eines Kompetenzkonfliktes ist somit zulässig.
2. In der Sache:
Zu klären ist, welches der beiden Gerichte seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint hat.
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 27. September 1994, B2267/93, die Behandlung der Beschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien abgelehnt, mit dem der Berufung gegen die Zurückweisung des Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien gemäß §54 FremdenG keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid mit der Abänderung bestätigt wurde, daß der Antrag als unzulässig zurückgewiesen wird. Die Ablehnung der Behandlung ist hier rechtmäßig, weil dieser Fall nicht nach Art133 B-VG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen war, handelte es sich doch weder um eine Angelegenheit, die zur (ausschließlichen) Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gehört (Z1 leg.cit.), noch um eine Angelegenheit des Patentwesens (Z3 leg.cit.), oder um eine Angelegenheit, über die in oberster Instanz die Entscheidung einer Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag zusteht (Z4 leg.cit.).
2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hingegen hat seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint:
In dem - den Anlaß für den vorliegenden Kompetenzkonflikt bietenden - Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes wird ausgeführt, daß ein dem gegen den Beschwerdeführer erlassenen Aufenthaltsverbot entsprechender Rechtszustand bereits vor Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hergestellt wäre. Damit sei das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers jedenfalls weggefallen. Im Hinblick darauf könnte der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erhebung der Beschwerde in dem Recht auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Jugoslawien nicht (mehr) verletzt sein. Da das Gesetz nur die Unzulässigkeit der Abschiebung, nicht aber auch die Anordnung der Rückgängigmachung einer vollzogenen Abschiebung vorsehe, mache es für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers keinen Unterschied, ob der bekämpfte Bescheid - unabhängig davon, ob er rechtswidrig sei oder nicht - aufrecht bleibe oder aufgehoben werde. Weiters verwies der Verwaltungsgerichtshof gemäß §43 Abs2 und 8 VwGG auf seinen Beschluß vom 29. September 1994, Zl. 94/18/0311, wo er ausführlich darlegte, daß er der gegenteiligen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes (im Erkenntnis vom 2. Juli 1994, B2233/93), daß der Fremde auch noch nach erfolgter - auf einer durchsetzbaren Ausweisung gründenden - Abschiebung in seinem subjektiven Recht auf bescheidmäßige Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat verletzt sein könne, nicht beitrete. Wenn auch im Beschwerdefall die Abschiebung des Beschwerdeführers aufgrund eines Aufenthaltsverbotes erfolgt sei, sehe sich der Verwaltungsgerichtshof nicht veranlaßt, von seiner Auffassung abzugehen; dies aus folgenden Gründen: Im Verfahren über einen Antrag gemäß §54 Abs1 iVm. §37 Abs1 und/oder Abs2 FremdenG gehe es um die Feststellung, daß dem Fremden aktuell, also im Fall seiner Abschiebung in den (die) von seinem Antrag erfaßten Staat (Staaten), dort die in §37 Abs1 und/oder Abs2 FremdenG genannten Gefahren drohten. Nach §54 Abs4, zweiter Satz, FremdenG sei für den Fall, daß der Fremde in einen anderen Staat abgeschoben worden sei, vorgesehen, daß das Feststellungsverfahren als gegenstandslos einzustellen sei. Nichts anderes könne gelten, wenn die Abschiebung in den vom Antrag erfaßten Staat erfolgt sei. In beiden Fällen sei dem Fremden die Rückkehr nach Österreich aufgrund des Aufenthaltsverbotes verwehrt. Komme er dennoch wieder rechtswidrigerweise nach Österreich zurück, stehe ihm in beiden Fällen §36 FremdenG zur Verfügung. Vor der neuerlichen Abschiebung (§36 Abs1 Z4 FremdenG) des Fremden sei nämlich von Amts wegen oder auch auf Antrag des Fremden die Möglichkeit und Zulässigkeit der Abschiebung gemäß §36 Abs2 FremdenG zu prüfen.
2.3. Demgegenüber hat der Verfassungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis VfSlg. 13837/1994 ausgeführt, daß gemäß §54 FremdenG ein subjektives Recht auf bescheidmäßige Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung eines Fremden in einen bestimmten Staat besteht. Dieses subjektive Recht besteht unabhängig davon, ob der betreffende Fremde bereits in diesen Staat abgeschoben worden ist oder nicht; er kann daher auch noch nach erfolgter Abschiebung in diesem subjektiven Recht verletzt sein.
Durch die Abschiebung fällt auch nicht das objektive Interesse des Beschwerdeführers an der Beseitigung des angefochtenen Bescheides weg: Wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und in der Folge festgestellt, daß eine Abschiebung des Beschwerdeführers in diesen Staat unzulässig ist, wirkt diese Feststellung pro futuro, sodaß der Beschwerdeführer - gelingt ihm die Ausreise aus diesem Staat und wird er in Österreich aufgegriffen - nicht neuerlich in diesen Staat ab- bzw. zurückgeschoben oder an der Grenze zurückgewiesen werden darf. Im übrigen besteht nach wie vor ein Feststellungsinteresse im Hinblick auf allfällige Amtshaftungsansprüche (vgl. etwa auch VwSlgNF 12.217 A/1986).
Jede andere Auslegung stünde auch mit dem Rechtsschutzsystem der österreichischen Bundesverfassung, insbesondere auch mit Art13 EMRK, in Widerspruch. Der Verfassungsgerichtshof hat nämlich in diesem Zusammenhang wiederholt festgestellt, daß jeder Verwaltungsakt, der in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreift, bekämpfbar und letztlich vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts überprüfbar sein muß (VfSlg. 11590/1987, 12574/1990, 13223/1992, 13699/1994, s. auch VfSlg. 13774/1994).
An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, daß im vorliegenden Fall kein meritorischer, sondern ein verfahrensrechtlicher Bescheid über den Feststellungsantrag gemäß §54 FremdenG erging.
Das Vorbringen des Verwaltungsgerichtshofes konnte die Unrichtigkeit der vom Rechtsschutzsystem der österreichischen Bundesverfassung insgesamt abgeleiteten Auffassung, die der Verfassungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis VfSlg. 13837/1994 näher dargetan und an der er seither festgehalten hat, nicht erweisen.
Danach hat der Verwaltungsgerichtshof - ausgehend von einer (wie sich aus der zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ergibt) unzutreffenden Rechtsauffassung - dem Antragsteller zu Unrecht eine Sachentscheidung über seine Beschwerde verweigert, weil er die Beschwerde gemäß §34 Abs1 und 3 VwGG mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung mit der Begründung zurückgewiesen hat, daß im Zeitpunkt der Erhebung der Beschwerde - nach erfolgter Abschiebung - keine Rechtsverletzungsmöglichkeit im Hinblick auf das Verfahren gemäß §54 FremdenG besteht.
3. Es war daher einerseits auszusprechen, daß die Entscheidung über die Beschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. November 1993 in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes fällt; andererseits war dessen entgegenstehender Beschluß aufzuheben.
4. Der Kostenausspruch gründet sich auf §52 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von
S 3.000,-- enthalten.
III. Diese Entscheidung konnte
gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Kompetenzkonflikt, Fremdenrecht, Rechtsschutz, Verwaltungsgerichtshof, Zuständigkeit Verwaltungsgerichtshof, Refoulement-VerbotEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:KI3.1996Dokumentnummer
JFT_10029773_96K00I03_00