TE Vwgh Erkenntnis 2019/4/1 Ra 2017/22/0169

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Veröffentlicht am 01.04.2019
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
23/04 Exekutionsordnung
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §293
ASVG §293 Abs1
ASVG §293 Abs1 lita sublitaa
ASVG §293 Abs1 lita sublitbb
AVG §56
EO §291a
NAG 2005 §11 Abs2 Z4
NAG 2005 §11 Abs3
NAG 2005 §11 Abs5
NAG 2005 §2 Abs1 Z15
NAG 2005 §20 Abs1
NAG 2005 §47 Abs3
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des V V, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 21. Juni 2017, VGW-151/060/130/2017-8, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, stellte am 29. August 2016 bei der belangten Behörde einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zum Zweck der Familienzusammenführung mit seinem Vater, einem österreichischen Staatsbürger, der mit seiner Ehefrau bzw. der Mutter des Revisionswerbers, die nicht österreichische Staatsbürgerin ist, im gemeinsamen Haushalt in Wien lebt. Der Revisionswerber legte mit dem Antrag auch eine von seinem Vater am 16. Juni 2016 abgegebene Haftungserklärung gemäß § 2 Abs. 1 Z 15 NAG vor.

2.1. Die Behörde wies den Antrag mit Bescheid vom 16. November 2016 mit der Begründung ab, die (fallbezogen maßgebliche) Voraussetzung des § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG sei nicht erfüllt, weil nicht nachgewiesen worden sei, dass der Revisionswerber bereits im Herkunftsstaat von seinem Vater Unterhalt bezogen habe. Da es an einer besonderen Erteilungsvoraussetzung fehle, habe eine Abwägung nach § 11 Abs. 3 NAG zu unterbleiben. Die Erteilung des Aufenthaltstitels sei auch nicht deshalb geboten, um dem Zusammenführenden den Genuss des Kernbestands der Unionsbürgerrechte zu sichern.

2.2. Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde und machte im Wesentlichen Ermittlungsmängel in Bezug auf das von der belangten Behörde verneinte Vorliegen einer finanziellen Unterstützung des Revisionswerbers durch den Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat geltend.

3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung samt Beweisaufnahme - die Beschwerde als unbegründet ab.

3.2. Das Verwaltungsgericht traf über den oben (zu Punkt 1.) wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im Wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Revisionswerber habe bislang bei seiner Familie in Serbien gelebt. Seit dem Verlust des Arbeitsplatzes werde er von den Eltern unterstützt, die seinen Lebensunterhalt finanzierten, wenn er nicht gerade aus einer Gelegenheitsbeschäftigung (als Feldarbeiter) Einkünfte erziele. Die Unterstützung durch die Eltern belaufe sich auf EUR 200,-- bis EUR 400,-- vier bis fünf Mal im Jahr.

Der Vater des Revisionswerbers beziehe eine monatliche Alterspension (einschließlich Sonderzahlungen) von EUR 832,41 sowie von der Deutschen Rentenversicherung eine monatliche Rente von EUR 370,84, zusammen daher EUR 1.203,25. Er habe als Kreditnehmer einen Bankkredit in monatlichen Raten von EUR 234,-- zu begleichen. Zudem verfüge er über einen mit 23. August 2017 ablaufenden Bausparvertrag mit einem Guthaben von EUR 6.642,26.

Die Mutter des Revisionswerbers beziehe eine monatliche Alterspension (einschließlich Sonderzahlungen) von EUR 263,80, weiters erhalte sie von der Deutschen Rentenversicherung eine monatliche Rente von EUR 238,98 und bringe als freie Dienstnehmerin der H GmbH monatlich EUR 461,80 ins Verdienen, was zusammen EUR 964,58 ergebe. Zudem verfüge sie über einen mit 19. August 2017 ablaufenden Bausparvertrag mit einem Guthaben von EUR 6.533,44.

3.3. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, die Haftungserklärung sei im Hinblick auf die Einkommenssituation der Eltern des Revisionswerbers nicht tragfähig.

Ziehe man von den Einkünften des Vaters von monatlich EUR 1.203,25 die Kreditrate von EUR 234,-- ab, so verbleibe ein Betrag von EUR 969,25, der nicht ausreiche, um den mit zumindest "EUR 667,085" (Hälfte des "Ehegattenrichtsatzes") anzunehmenden eigenen Lebensunterhalt des Vaters zuzüglich des für den Revisionswerber in Ansatz zu bringenden Einzelrichtsatzes von EUR 889,84, in Summe daher "EUR 1.556,925", zu decken. Selbst wenn man das Sparguthaben des Vaters berücksichtigen und eine geringfügige Unterschreitung der notwendigen Einkünfte bei Anrechnung auf ein Jahr tolerieren würde, wären die erforderlichen Einkünfte jedenfalls ab dem zweiten Jahr nicht (mehr) gesichert. Eine Haftungserklärung nach § 2 Abs. 1 Z 15 NAG habe jedoch eine fünfjährige Geltungsdauer, ihre Tragfähigkeit müsse daher für diesen Zeitraum gegeben sein.

Das Vorliegen einer tragfähigen Haftungserklärung stelle eine besondere Erteilungsvoraussetzung nach § 47 Abs. 3 letzter Satz NAG dar. Gegenständlich sei diese Voraussetzung nicht erfüllt und könne der beantragte Aufenthaltstitel schon deshalb nicht erteilt werden. Eine Interessenabwägung im Sinn des § 11 Abs. 3 NAG sei nicht vorzunehmen.

3.4. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision mangels Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision mit dem Begehren, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts dahin abzuändern, dass dem Revisionswerber der beantragte Aufenthaltstitel erteilt werde.

Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision - im Ergebnis - geltend, das Verwaltungsgericht habe die Tragfähigkeit der Haftungserklärung unter Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs verneint.

4.2. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Revision ist - entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden (§ 34 Abs. 1a VwGG) Ausspruch des Verwaltungsgerichts - zulässig, weil die Tragfähigkeit der Haftungserklärung des Vaters des Revisionswerbers in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs beurteilt wurde. Die Revision ist aus dem Grund auch berechtigt.

6.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, die auch für die Frage der Existenzsicherung eines Zusammenführenden, der eine Haftungserklärung nach § 47 Abs. 3 NAG abgibt, gilt (vgl. VwGH 18.3.2010, 2008/22/0637), ist bei einer gemeinsamen Haushaltsführung - wie hier - von Ehegatten zu prüfen, ob das Haushaltsnettoeinkommen den "Haushaltsrichtsatz" nach § 293 Abs. 1 ASVG erreicht; auf das Existenzminimum des § 291a EO ist in einer solchen Konstellation nicht Bedacht zu nehmen (VwGH 15.4.2010, 2008/22/0399; 9.9.2010, 2008/22/0470). Die Existenz des zusammenführenden Ehegatten ist dabei gesichert, wenn dem im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepaar der Richtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG zur Verfügung steht und das restliche Haushaltseinkommen zur Unterhaltsleistung an den Nachziehenden - dem der Einzelrichtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG zur Verfügung stehen muss - verwendet wird (vgl. VwGH 15.4.2010, 2008/22/0094; neuerlich 2008/22/0637). Dem steht auch nicht entgegen, dass als Zusammenführender ein Ehegatte allein - wie hier der Vater des Revisionswerbers - fungiert und nur dieser nach § 47 Abs. 3 letzter Satz NAG eine Haftungserklärung abzugeben hatte, sofern es - wie vorliegend - keine Anhaltspunkte gibt, dass kein Konsens zwischen den Ehegatten bestehen könnte, mit dem den "Haushaltsrichtsatz" übersteigenden Einkommen den Nachziehenden zu unterstützen (vgl. etwa VwGH 31.5.2011, 2008/22/0210).

6.2. Fallbezogen ergeben sich aufzubringende Mittel von EUR 2.224,01, darin enthalten EUR 1.334,17 Familienrichtsatz ("Haushaltsrichtsatz") nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG (in der für den Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 29/2017, in Verbindung mit der entsprechenden Aufwertungsregelung BGBl. II Nr. 391/2016) für die im gemeinsamen Haushalt lebenden Eltern des Revisionswerbers, sowie EUR 889,84 Einzelrichtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG (in der genannten Fassung) für den Revisionswerber selbst. Laut den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen ist für den Vater des Revisionswerbers ein verfügbares monatliches Einkommen von EUR 969,25, was der Differenz seiner Pensionsbezüge von EUR 1.203,25 und der Kreditrate von EUR 234,-- entspricht, sowie für die Mutter ein monatliches Einkommen von EUR 964,58 in Ansatz zu bringen, was in Summe EUR 1.933,83 ergibt. Dieses verfügbare Haushaltseinkommen unterschreitet zwar die erforderlichen Unterhaltsmittel, die Differenz ist jedoch - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - jedenfalls durch das zusätzlich anzurechnende Sparguthaben des Vaters des Revisionswerbers gedeckt.

7.1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kommt der Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel auch durch Spareinlagen des Zusammenführenden in Betracht (vgl. etwa VwGH 24.6.2010, 2008/21/0354). Die Ersparnisse sind dabei auf jenen Zeitraum anzurechnen, für den der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen ist, verleiht doch das NAG - mit Ausnahme des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" - nur befristete Rechtspositionen, bei denen die Neubewertung der jeweiligen finanziellen Situation in einem allfälligen Verlängerungsverfahren möglich ist (vgl. VwGH 13.12.2018, Ro 2017/22/0002). Folglich ist in einem Fall - wie hier - für die aliquote Anrechnung der Ersparnisse mit Blick auf § 20 Abs. 1 NAG auf einen Beurteilungszeitraum von zwölf Monaten abzustellen (vgl. VwGH 22.9.2011, 2009/18/0121; 18.10.2012, 2011/23/0129), und nicht - wie das Verwaltungsgericht vertrat - auf die im § 2 Abs. 1 Z 15 NAG vorgesehene Gültigkeitsdauer der Haftungserklärung von fünf Jahren.

7.2. Nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen verfügt der Vater des Revisionswerbers über ein Sparguthaben aus einem Bausparvertrag von EUR 6.642,26. Bei aliquoter Aufteilung dieses Guthabens auf die Dauer des beantragten Aufenthaltstitels von zwölf Monaten (§ 20 Abs. 1 NAG) ergibt sich ein monatlicher Betrag von EUR 553,52. Rechnet man diesen dem verfügbaren monatlichen Haushaltseinkommen der Eltern hinzu, so sind die insgesamt aufzubringenden Unterhaltsmittel bei Weitem gedeckt. Im Hinblick darauf ging jedoch das Verwaltungsgericht - sogar bei Zugrundelegung der von ihm gewählten unzutreffenden Unterhaltsberechnung - zu Unrecht davon aus, dass ausreichende Unterhaltsmittel nicht vorliegen würden und die Tragfähigkeit der Haftungserklärung des Vaters des Revisionswerbers nicht gegeben sei.

8.1. Ergänzend ist festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht auch insofern einem Rechtsirrtum unterlag, als es die Ansicht vertrat, die Tragfähigkeit einer Haftungserklärung stelle eine besondere Erteilungsvoraussetzung nach § 47 Abs. 3 NAG dar, deren (vermeintliches) Fehlen eine weitergehende Prüfung (insbesondere im Hinblick auf § 11 Abs. 3 NAG) entbehrlich mache.

8.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass es sich bei der Prüfung der Tragfähigkeit einer Haftungserklärung um eine Prüfung des Vorhandenseins ausreichender Unterhaltsmittel im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG handelt. Folglich wäre eine Beurteilung nach § 11 Abs. 3 NAG sehr wohl vorzunehmen, wenn die Antragsabweisung (ungeachtet der Bezugnahme allein auf das in § 47 Abs. 3 NAG normierte Erfordernis des Vorliegens einer Haftungserklärung) der Sache nach auf § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG - danach bestimmt sich allein die Tragfähigkeit der Haftungserklärung - gestützt würde (vgl. VwGH 24.6.2010, 2008/21/0558; 20.1.2011, 2008/22/0866).

9. Insgesamt war daher das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben. Eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte im Hinblick darauf unterbleiben (§ 39 Abs. 2 Z 4 VwGG).

10. Die Zuerkennung des Aufwandersatzes beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 1. April 2019

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteMaßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017220169.M00

Im RIS seit

25.06.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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