TE OGH 2018/12/13 10Bs289/18b

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Veröffentlicht am 13.12.2018
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Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Mag.a Kohlroser und Mag. Redtenbacher in der Strafvollzugssache des J***** B***** wegen bedingter Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme nach § 47 StGB über die Beschwerde des bedingt Entlassenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 30. August 2018, GZ 19 BE 299/17m-21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO iVm §§ 180 Abs 1, 17 Abs 1 Z 3 StVG).

Text

begründung:

Der am ***** geborene österreichische Staatsangehörige J***** B***** wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 27. März 2018, AZ 19 BE 299/17m, gemäß § 47 Abs 1 StGB am 1. Mai 2018 aus der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB bedingt entlassen. Aus diesem Anlass wurde die Probezeit mit fünf Jahren bestimmt und dem Entlassenen für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet. Darüber hinaus wurden dem Entlassenen die Weisungen erteilt, in einer zumindest teilbetreuten Wohneinrichtung (derzeit Pflegeheim S*****) zu wohnen, sich regelmäßig psychiatrischen Kontrolluntersuchungen (zur Überwachung seiner Compliance hinsichtlich der Medikation) zu unterziehen und die Einhaltung sämtlicher Weisungen bis 1. Juni 2018 und in weiterer Folge vierteljährlich unaufgefordert schriftlich nachzuweisen.

Überdies enthält dieser Beschluss den Ausspruch, dass „die Kosten der Weisungen gemäß § 179a Abs 2 StVG insoweit vom Bund übernommen werden, als die bedingt entlassene Person nicht Anspruch auf entsprechende Leistungen aus einer Krankenversicherung hat und durch die Verpflichtung zur Zahlung der Behandlungskosten sein Fortkommen erschwert würde“ (ON 9, S 3).

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Vollzugsgericht den „Antrag des J***** B***** auf Übernahme […] der weisungsgemäßen Kosten durch den Bund gemäß § 179a StVG“ ab. Zur Begründung verwies das Vollzugsgericht auf die ermittelten Einkommens- und Vermögensverhältnisse des bedingt Entlassenen, die eine Erschwernis seines Fortkommens durch die Tragung der Kosten für die Durchführung der ihm auferlegten Weisungen nicht befürchten lassen (ON 21).

Dagegen richtet sich die Beschwerde des bedingt Entlassenen (ON 23).

Dem rechtzeitigen und zulässigen Rechtsmittel kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst ist in prozessualer Hinsicht klarzustellen, dass der auf die Kosten der Weisung Bezug nehmende Ausspruch im (unangefochten in Rechtskraft erwachsenen) Beschluss vom 27. März 2018 (ON 9, BS 3) mit Blick auf die bloße Zitierung des die Voraussetzungen für die Kostenübernahme durch den Bund konstituierenden Teils des § 179a Abs 2 StVG (und auf die solcherart bewirkte Übernahme der gesetzlichen Bedingungen) der materiellen Rechtskraft nicht zugänglich ist und daher auch keine Sperrwirkung im Umfang der Grundsatzentscheidung über die Übernahme der Kosten durch den Bund (§ 179a Abs 2 letzter Satz StVG) entfaltet (RIS-Justiz RS0101270).

Ist einem bedingt Entlassenen die Weisung erteilt worden, sich einer Entwöhnungsbehandlung, einer psychotherapeutischen oder einer medizinischen Behandlung zu unterziehen oder in einer sozialtherapeutischen Wohneinrichtung Aufenthalt zu nehmen und hat der Verurteilte nicht Anspruch auf entsprechende Leistungen aus seiner Krankenversicherung und würde durch die Verpflichtung zur Zahlung der Behandlungskosten sein Fortkommen erschwert, so hat gemäß § 179a Abs 2 StVG die Kosten der Behandlung oder des Aufenthaltes ganz oder teilweise der Bund zu übernehmen. Der Höhe nach übernimmt der Bund die Kosten jedoch grundsätzlich nur bis zu dem Ausmaß, in dem die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter für die Kosten aufkommen könnte, wenn der Entlassene in der Krankenversicherung öffentlich Bediensteter versichert wäre.

Die Einhaltung der dem bedingt Entlassenen mit Beschluss vom 27. März 2018 auferlegten Weisungen, in einer zumindest teilbetreuten Wohneinrichtung Wohnsitz zu nehmen und sich regelmäßigen psychiatrischen Kontrolluntersuchungen zu unterziehen, ist (notorisch) mit Kosten verbunden, deren Tragung das Gesetz grundsätzlich dem bedingt Entlassenen auferlegt.

Aufgrund seiner glaubhaften Darstellung ist davon auszugehen, dass der bedingt Entlassene neben monatlichen Pensionseinkünften von 806,35 Euro auch über liquide Mittel von insgesamt rund 60.000,00 Euro, Wertpapiere im Wert von rund 17.000,00 Euro, ein Bausparguthaben von 7.251,74 Euro und (Liegenschafts)Eigentum an der EZ ***** KG *****, die landwirtschaftliche Flächen im Gesamtausmaß von rund 5.000 m² sowie Bauflächen im Gesamtausmaß von rund 500 m² umfasst, verfügt. Die (neben den monatlichen Heimkosten von 4.811,73 Euro bestehende) monatliche Kostenbelastung beläuft sich auf insgesamt rund 60,00 Euro und umfasst die Ausgaben für die Grundsteuer, eine Unfallversicherung, eine Hausratsversicherung, den Kirchenbeitrag und die Müllabfuhr (ON 20).

Angesichts dieser Einkommens- und Vermögensverhältnisse ist eine aus der Zahlung der Kosten der weisungskonformen Maßnahmen resultierende Erschwernis des Fortkommens des bedingt Entlassenen (jedenfalls derzeit) nicht zu befürchten, deckt doch sein Vermögen diesen Kostenaufwand. Demgemäß kommt eine Übernahme dieser Kosten durch den Bund (aktuell) nicht in Betracht.

Bleibt mit Blick auf die im Verfahren AZ 8 Bs 78/18h des Oberlandesgerichts Graz vertretene Ansicht, das Verbot des Pflegeregresses nach § 330a ASVG idF BGBl I Nr. 125/2017 sei im Zusammenhang mit der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bedingt Entlassener, die aufgrund strafgerichtlicher Weisung in sozialtherapeutischen Wohneinrichtungen untergebracht sind (§ 179a Abs 2 StVG), anzuwenden, Folgendes anzumerken:

In Anbetracht der ausdrücklichen Einschränkung des Verbots des Pflegeregresses nach § 330a ASVG auf den Bereich der Sozialhilfe (Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG) setzt dessen (analoge) Anwendung im Bereich der Ersatzpflicht bedingt Entlassener für die Kosten von nachsorgenden Präventivmaßnahmen im Sinn des § 179a StVG (Strafrechtswesen im Sinn des Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG) eine planwidrige Gesetzeslücke voraus.

Eine

solche Lücke ist dort anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig ist. Sie liegt vor, wenn die - mit Hilfe der Interpretationsregeln ermittelte - ratio legis (das höhere Rechtsprinzip) in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz die Erstreckung der Rechtsfolgenanordnung (der Werttendenz) einer gesetzlichen Norm (oder auch mehrerer Vorschriften) auf den gesetzlich nicht unmittelbar geregelten Fall fordert (RIS-Justiz RS0008866 [T18]). Demgegenüber reicht für die Annahme einer Lücke nicht aus, dass eine Regelung allenfalls wünschenswert wäre (RIS-Justiz RS0008866, RS0098756 [T4] [T6] [T10] [T14]).

Zwar ist zunächst einzuräumen, dass der (Bundes)Gesetzgeber mit dem Verweis in Abs 4 des § 324 ASVG auf Abs 3 leg. cit. die Fälle stationärer Unterbringung Renten(Pensions)berechtigter in Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher und sozialtherapeutischen Wohneinrichtungen auf Kosten des Bundes jenen der Versorgung solcher Personen in stationären Einrichtungen auf Kosten der Sozialhilfe in Bezug auf die Einräumung eines unmittelbaren Zugriffs der Träger der Sozialhilfe auf Geldleistungen an den Verpflegten aus gesetzlicher Sozialversicherung und dessen Ausmaß gleichgestellt hat.

Soweit aus diesem Verweis aber auf eine umfassende Gleichstellung dieser Fallvarianten hinsichtlich der Zugriffsmöglichkeiten der Leistungserbringer auf Vermögensbestandteile des Verpflegten geschlossen wird, wird übersehen, dass sich § 324 Abs 3 ASVG auf die Begründung einer Legalzession zu Gunsten des Fürsorgeträgers und deren Deckelung beschränkt, ohne sonstige fürsorgerechtliche Vorschriften, insbesondere auch die das Begehren des Fürsorgeträgers auf Verpflegskostenersatz (in dem durch die Legalzession nicht gedeckten Ausmaß) gegenüber dem Pflegling betreffenden, zu tangieren (RIS-Justiz RS0060135, RS0066396, RS0084938, RS0109544).

Demgemäß resultiert aus dem Verweis in Abs 4 des § 324 ASVG auf Abs 3 leg. cit. eine Gleichstellung dieser Fallvarianten auch bloß hinsichtlich der in der Absicherung der Subsidiarität der Sozialhilfe/Mindestsicherung (Art 12 Abs 1 Z 1 erster Fall B-VG [„Armenwesen“ = Sozialhilfe) bzw des Kostenersatzes durch den Bund (Art 10 Abs 1 Z 6 B- VG [„Strafrechtswesen“]) sowie in der Bewahrung bestimmter (der Deckung von Pflegekosten gewidmeter) Anteile sozialversicherungsrechtlicher Geldleistungen vor deren (gutgläubigem) Verbrauch bestehenden Regelungszwecke des § 324 Abs 3 ASVG (Pfeil in SV-Komm, § 324 Rz 11 und 12).

Mit diesen Regelungszwecken steht das in § 330a ASVG (als Gesetz über die Grundsätze der Sozialhilfe im Sinn des Art 12 B- VG) ausgestaltete Verbot des Zugriffs auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n zur Abdeckung der Pflegekosten im Rahmen der Sozialhilfe in keinem inneren Zusammenhang, stellt doch § 330a ASVG gerade nicht auf Einkünfte des Verpflegten (aus sozialversicherungsrechtlichen Geldleistungen), sondern auf sein Vermögen ab. Demgemäß verbietet sich die Erstreckung des auf den Bereich der Sozialhilfe eingeschränkten Verbots des § 330a ASVG auf die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines bedingt Entlassenen in Bezug auf die Kosten seiner sozialtherapeutischen Wohnversorgung (§ 179a StVG) aus methodischen Gründen.

Gegen eine planwidrige Gesetzeslücke spricht auch, dass dem Bundesgesetzgeber wohl nicht unterstellt werden kann, im Zusammenhang mit der Normierung von Grundsätzen für den (nach Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG in der Erlassung von Ausführungsgesetzen und in der Vollziehung den Ländern zukommenden) Sozialhilfe deren vermeintlichen Nebeneffekt für eine in Gesetzgebung und Vollziehung in seine eigene Kompetenz fallende Materie (Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG) übersehen zu haben.

Vielmehr noch legt der Umstand, dass die Variante des § 324 Abs 4 ASVG auch die Fälle stationärer Versorgung (zur Hintanhaltung der Gefährlichkeit eines Rechtsbrechers [§§ 50f StGB]) nach bedingter Entlassung aus einer Anhaltung wegen schuldhaften Verhaltens umfasst, eine bewusste Differenzierung zwischen den Alternativen der Abs 3 und 4 des § 324 ASVG durch den Bundesgesetzgeber nahe.

Letztlich steht auch die aus einer analogen Anwendung des § 330a ASVG resultierende Anforderung, bei der Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines stationär wohnversorgten Entlassenen zwischen den Kosten dieser Wohnversorgung, zu deren Ersatz auf Vermögenswerte nicht zurückgegriffen werden darf (§ 324 Abs 4 ASVG), und den Kosten für Behandlungen im Sinn des § 179a Abs 1 StVG, zu deren Bedeckung auch Vermögen heranzuziehen ist, zu unterscheiden, der Annahme des Vorliegens einer planwidrigen Gesetzeslücke, die durch die Anwendung des § 330a ASVG zu schließen wäre, entgegen.

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 10

Textnummer

EG00163

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0639:2018:0100BS00289.18B.1213.000

Im RIS seit

25.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.04.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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