TE OGH 2019/2/25 10Bs377/18v

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Veröffentlicht am 25.02.2019
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Das Oberlandesgericht Graz hat durch den Einzelrichter Mag. Redtenbacher in der Strafsache gegen P***** B***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Beschwerde der Revisorin beim Oberlandesgericht Graz gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 10. Oktober 2018, AZ 44 HR 52/18z (GZ 3 St 84/18x-42a der Staatsanwaltschaft Leoben), den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird dahin Folge gegeben, dass der angefochtene Beschluss im Umfang der Punkte 1. und 4. sowie in der Bestimmung der Umsatzsteuer und der Bruttogebührensumme aufgehoben und die Gebühren für die „Psychiatrische Gefährlichkeitsprognose“ (Punkt 1.) mit 195,40 Euro, für die Fragen (Punkt 4.) mit 97,70 Euro, die Umsatzsteuer mit 207,37 Euro sowie die Bruttogesamtgebühren mit 1.244,00 Euro bestimmt werden.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 41 Abs 1 GebAG iVm § 89 Abs 6 StPO).

Text

begründung:

In dem von der Staatsanwaltschaft Leoben gegen den am ***** geborenen P***** B***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB geführten Ermittlungsverfahren wurde Univ. Doz. Dr. P***** H***** mit Anordnung vom 10. Mai 2018 zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie bestellt und beauftragt, „binnen vier Wochen Befund und Gutachten zur Klärung der Frage der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des P***** B***** zum Tatzeitpunkt (§ 11 StGB) sowie einer allfälligen geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad (§ 21 Abs 1 und 2 StGB) zu erstatten“ und „insbesondere nachstehende Fragen zu beantworten:

1. War der Beschuldigte P***** B***** zum Tatzeitpunkt am 10. Mai 2018 wegen einer Geisteskrankheit, Schwachsinns, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (Aufhebung der Diskretions- und/oder Dispositionsfähigkeit)?

2. Für den Fall der Bejahung dieser Frage:

a) Beruht dieser unter Punkt 1. genannte, die Zurechnungsfähigkeit ausschließende Zustand auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad?

b) Ist nach der Person, nach dem Zustand und nach der Art der Tat des Beschuldigten P***** B***** zu befürchten, dass er sonst unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen – konkret welcher Art – begehen wird?

3. Für den Fall der Bejahung der Vorfragen:

Kann der Beschuldigte P***** B***** ohne Gefahr für sich oder andere auf freiem Fuß bleiben oder ist seine ärztliche Beobachtung erforderlich (§ 429 StPO)?

4. Für den Fall der Verneinung der Frage 1.:

Hat der Beschuldigte die gegenständliche Tat unter dem Einfluss seiner geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad begangen, ohne zurechnungsunfähig zu sein, und steht auf Grund der Person, seines Zustandes und der Art der Tat zu befürchten, dass er unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen – konkret welcher Art – begehen werde?“

Diese Fragen beantwortete der Sachverständige mit seiner am 22. Juni 2018 bei der Staatsanwaltschaft Leoben eingelangten Expertise (ON 32a), die neben der Erhebung des psychopathologischen und neurologischen Status´ (ON 32a, S 19ff und 35ff) auch eine Erfassung der Faktoren der „Integrierten Liste der Risikovariablen (ILRV)“, jedoch weder eine Gewichtung dieser Items nach ihrer Bedeutung für die Risikoeinschätzung noch eine konkrete Bezugnahme auf diese Risikovariablen in der gutachterlichen Einschätzung der Rückfallsgefahr (ON 32a, S 47ff) enthält.

Mit der zugleich eingebrachten Gebührennote begehrte der Sachverständige für den Zeitaufwand von sieben Stunden für die Erstellung einer „Psychiatrischen Kriminalprognose“ die Gebühr von 300,00 Euro pro Stunde (insgesamt somit netto 1.680,00 Euro), für eine psychiatrische Untersuchung netto 195,40 Euro (§ 43 Abs 1 Z 1 lit e GebAG), für eine neurologische Untersuchung netto 116,20 Euro, für die Durchführung qualitativer und quantitativer psychiatrischer Skalen und Instrumente für die Befundung und die Beurteilung nach wissenschaftlichen Standards (wie ICF, AMDP, PCL-R, VRAG etc.) netto 195,40 Euro, für „3 spez. Fragen § 11, 21/1 + 2 Tatzpkt. à 195,40 Euro“ netto 116,20 Euro, für „0 spez. Fragen § 287 Tztp.“ netto 116,20 Euro, für Erhebungen durch Beischaffung der Krankengeschichte (§ 35 Abs 1 GebAG) netto 33,20 Euro, für die Urschrift im Umfang von 28 Seiten eine Schreibgebühr (§ 31 GebAG) von netto 56,00 Euro, für die Beiziehung von Hilfskräften (§ 30 GebAG) netto 39,70 Euro, für Zeitversäumnis (§ 33 Abs 1 GebAG) netto 112,80 Euro, für „Ladung/Terminank./Bef,anf./Aktentransp.“ netto 45,40 Euro, für „sonstige Gebühren (Tel., Fax, Porto, EDV, DES etc [§ 31 GebAG])“ netto 28,57 Euro und für Reisekosten (165 km) netto 69,30 Euro, insgesamt sohin netto 2.851,57 zuzüglich 20 % USt. 570,31 Euro, insgesamt somit (brutto und abgerundet) 3.421,00 Euro (ON 35).

Gegen diese Gebührennote wandte die Revisorin ein, dass (nach der Judikatur des Oberlandesgerichts Graz) Befund und Gutachten zur ersten Fragestellung mit der Gebühr von 116,20 Euro (§ 43 Abs 1 Z 1 lit d GebAG) und zu jeder weiteren Frage in analoger Anwendung des § 49 GebAG mit der Hälfte des Gebührenansatzes des § 43 Abs 1 Z 1 lit d GebAG, insgesamt daher mit 116,20 Euro (= 2 x 58,10 Euro) abzugelten seien. Zusätzlich sei auch das vom Sachverständigen selbst durchgeführte psychodiagnostische Testverfahren mit einer Mühewaltungsgebühr nach § 43 Abs 1 Z 1 lit e GebAG (von 195,40 Euro) zu entlohnen (ON 35, S 3ff).

Mit dem angefochtenen Beschluss bestimmte das Erstgericht die Gebühren des Sachverständigen im Wesentlichen antragsgemäß, erachtete jedoch die für die psychiatrische Untersuchung begehrte Gebühr von netto 195,40 als in jener nach § 34 Abs 1 und 2 GebAG zugesprochenen enthalten (ON 42a).

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Revisorin beim Oberlandesgericht Graz, mit der zunächst die Einwendungen wiederholt und nachfolgend der Zuspruch der Gebühr für Mühewaltung von insgesamt netto 427,80 Euro (= 116,20 Euro [Mühewaltungsgebühr nach § 43 Abs 1 Z 1 lit d GebAG] + (2 x 58,10 Euro) [Mühewaltungsgebühr für zwei weitere Fragen je im halben Ausmaß des § 43 Abs 1 Z 1 lit d GebAG] + 195,40 Euro [Mühewaltungsgebühr nach § 43 Abs 1 Z 1 lit e GebAG für „qualitative und quantitative psychiatr. Skalen u. Instrumente f. Befundung und Beurteilung wie ICF, etc.“]) anstatt des erstgerichtlichen Zuspruchs von insgesamt netto 2.224,00 Euro (= 1.680,00 Euro + 116,20 Euro + 195,40 Euro + 232,40 Euro) begehrt werden (ON 43a).

Dem rechtzeitigen und zulässigen Rechtsmittel kommt teilweise Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst ist festzuhalten, dass lediglich die im Tenor des angefochtenen Beschlusses mit 1. und 4. bezeichneten Gebührenpositionen der Anfechtung durch die Revisorin unterliegen, sodass die erstgerichtliche Bestimmung der übrigen Gebührenansätze (insbesondere der mit 2. und 3. bezeichneten, jedoch mit Ausnahme der von der Nettosumme abhängigen Umsatzsteuersumme) in (Teil)Rechtskraft erwachsen ist.

Ad 1.

Zwar ist das Erstgericht mit der Ansicht im Recht, dass (nach nunmehr weitestgehend einhelliger Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Graz [1 Bs 58/18s] und Wien [17 Bs 58/17d und 21 Bs 49/17k]) die Leistung einer „Psychiatrischen Kriminalprognose“ (trotz der Neuformulierung der lit d und lit e des § 43 Abs 1 GebAG durch das Berufsrechtsänderungsgesetz 2008 [BRÄG 2008, BGBl I Nr. 11/2007] durch die Aufnahme der Wortfolge „zur Beurteilung, ob eine psychisch kranke Person ohne Gefahr in anderer Weise als durch Unterbringung in einer Anstalt behandelt oder betreut werden kann“) schon aufgrund des zu deren Erbringung erforderlichen kriminologischen, kriminalwissenschaftlichen und strafrechtlichen Fachwissens nicht vom Leistungskalkül einer „psychiatrischen Untersuchung“ im Sinn des § 43 Abs 1 Z 1 lit d und e GebAG umfasst ist.

Allerdings ist unter einer „Psychiatrischen Kriminalprognose“ die Anwendung wissenschaftlich-empirisch gesicherter Risikofaktoren – wie sie auch in standardisierten Prognoseverfahren abgebildet sind (vgl. dazu auch Punkt 4.3. der ÖAK-Diplomrichtlinie Forensisch-psychiatrische Gutachten https://www.arztakademie.at/fileadmin/template/main/OeAeKDiplomePDFs/Diplom- Richtlinien/RL13_Forensisch_psychiatrische_Gutachten.pdf und https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_02178/imfname_367322.pdf) – und die Beurteilung ihrer Aussagekraft im konkreten Einzelfall durch deren Gewichtung unter Berücksichtigung der biografischen und persönlichkeitsspezifischen Besonderheiten des Probanden zu verstehen. Gerade davon unterscheidet sich eine (nach § 43 Abs 1 Z 1 lit e GebAG abzugeltende) „Psychiatrische Gefährlichkeitsprognose“, die (allein) auf in Erfahrungswissen begründeter Intuition beruht (vgl. dazu https://core.ac.uk/download/pdf/159144356.pdf).

Rückschlüsse aus empirisch gesicherten Risikofaktoren und deren Gewichtung im Einzelfall (vgl. dazu Yundina, Tippelt, Nedopil [2013], ILRV – Die Integrierte Liste der Risikovariablen. Rettenberger, Franqué [Hrsg.], Handbuch kriminalprognostischer Verfahren [S 311 bis 317 {insbesondere S 315, zweiter Absatz und Abbildung 1}]; Boetticher, Kröber, Müller-Isberner, Böhm, Müller-Metz, Wolf [2006], Mindestanforderungen für Prognosegutachten, in Neue Zeitschrift für Strafrecht [NStZ] Heft 10) sind der Expertise des Univ. Doz. Dr. P***** H***** nicht zu entnehmen.

Auch hat der Sachverständige die Dokumentation der Durchführung einer derartigen Prognose - trotz entsprechender Aufforderung im Beschwerdeverfahren - nicht vorgelegt.

Daher ist auch bloß die in ON 32a, S 47 bis 57 ersichtliche „Psychiatrische Untersuchung und Gefährlichkeitsprognose“ - aufgrund der außergewöhnliche Kenntnisse auf dem Fachgebiet des Sachverständigen voraussetzenden Begründung des diesbezüglichen Gutachtens - nach § 43 Abs 1 Z 1 lit e GebAG mit 195,40 Euro zu entlohnen (Krammer/Schmidt/Guggenbichler, SDG – GebAG4 § 43 E 156mwN).

Ad 4.

Zusätzlich zu der (bereits zu 1. erörterten) Frage nach der Gefährlichkeit ist auch jene, ob die Tat unter dem Einfluss einer seelischen oder geistigen Abartigkeit höheren Grades begangen wurde, - mit Blick auf die Einmaligkeit der Untersuchung bloß - mit der Hälfte der Gebühr nach § 43 Abs 1 Z 1 lit e GebAG, sohin mit 97,70 Euro abzugelten (RIS- Justiz RSA0000048; Krammer/Schmidt/Guggenbichler aaO).

Infolge dieser Reduktion der Nettogebührensumme (von 2.656,17 Euro) auf 1.036,87 Euro vermindert sich auch die Umsatzsteuer (von 531,23 Euro) auf 207,37 Euro, woraus sich nach Abrundung gemäß § 39 Abs 2 GebAG die Bruttogesamtgebühr von 1.244,00 Euro errechnet.

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 10

Textnummer

EG00162

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0639:2019:0100BS00377.18V.0225.000

Im RIS seit

25.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.04.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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