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E2D Assoziierung Türkei;Norm
61993CJ0434 Ahmet Bozkurt VORAB;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des HG in Z, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Lucas Lorenz, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle Tirol des Arbeitsmarktservice vom 23. Juni 1997, Zl. LGSTi/V/13117/732189-702/1997, betreffend Feststellung gemäß Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Landesgeschäftsstelle Tirol des Arbeitsmarktservice vom 23. Juni 1997 gerichtet, mit welchem der Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsbürgers, vom 14. November 1996 auf Feststellung, dass er gemäß Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses vom 19. September 1980 des nach dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 eingerichteten Assoziationsrates, Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80), berechtigt sei, abgewiesen wurde. Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer seine Berechtigung gemäß Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 auf die Bezugsperson seines Vaters gründe. Dieser befinde sich jedoch ab dem 1. Jänner 1994 in vorzeitiger Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit und gehöre seither dem regulären Arbeitsmarkt der Republik Österreich nicht mehr an. Für das Bestehen eines Anspruchs des Beschwerdeführers gemäß Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 komme es jedoch darauf an, ob der Vater des Beschwerdeführers, von dem er seinen Anspruch abzuleiten suche, zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruches noch dem regulären Arbeitsmarkt in Österreich angehört habe. Diese Rechtsauffassung werde auch durch ein vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgelegtes Urteil eines deutschen Verwaltungsgerichtes bestätigt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit beantragt wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Art. 6 und 7 ARB Nr. 1/80 haben folgenden Wortlaut:
"Artikel 6
(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat
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nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
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nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung
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vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
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nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.
(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt.
Artikel 7
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
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haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
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haben Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war."
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass sich sein Vater, von welcher Bezugsperson er sein Recht gemäß Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 herleitet, seit dem 1. Jänner 1994 wegen geminderter Arbeitsfähigkeit in vorzeitiger Alterspension befindet. Er führt aus, seit dem 19. März 1990 aufrecht in Österreich gemeldet zu sein und über eine gültige Aufenthaltsbewilligung zu verfügen. Er hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil gemäß Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 eine längere und freiwillige Abwesenheit der Bezugsperson vom Arbeitsmarkt an ihrer Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt nichts ändern könne. Art. 7 ARB Nr. 1/80 gelte auch dann, wenn die Bezugsperson ordnungsgemäß beschäftigt gewesen sei und aufgrund einer von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellten Krankheit aber nicht mehr in der Lage sei, einer aktiven Beschäftigung nachzugehen, aus dem aktiven Berufsleben ausscheide und die Leistungen der Pensionsversicherung in Anspruch nehme. Die Bevorzugung von Familienangehörigen, deren Bezugspersonen noch aktiv tätig seien, gegenüber Familienangehörigen, deren Bezugspersonen ununterbrochen aktiv tätig gewesen seien, einen Anspruch auf Pension erworben und dieses Recht in Anspruch genommen hätten, sei nicht begründbar, weil ein direkter Zusammenhang zwischen aktiver beruflicher Tätigkeit und dem Anspruch auf Pension bestehe.
Damit zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 hat den Zweck, die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch zu fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung seiner familiären Bande garantiert wird; durch die Bestimmung sollen somit günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat geschaffen werden (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 17. April 1997 in der Rechtssache C-351/95 (Selma Kadiman), Slg. 1997, I-2133, Rdnr. 34 und 36). Die im ersten Satz (Absatz) des Art. 7 ARB Nr. 1/80 den Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer eingeräumten Rechtsstellung ist nur den Familienangehörigen "eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers" eingeräumt, sie ist also davon abhängig, dass die Bezugsperson dem regulären Arbeitsmarkt aktuell angehört. Dadurch unterscheidet sich der erste Satz des Art. 7 ARB Nr. 1/80 von dem zweiten Satz dieser Bestimmung; nur nach letzterem ist für bestimmte, den Kindern türkischer Arbeitnehmer eingeräumte Rechte ausreichend, dass ein Elternteil in der Vergangenheit ordnungsgemäß beschäftigt war (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19. November 1998 in der Rechtssache C-210/97 (Haydar Akman), Rdnr. 30).
Im vorliegenden Fall kann sich der Beschwerdeführer jedoch nicht darauf berufen, dass sein Vater zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - allein auf diesen Zeitpunkt kam es beim angefochtenen Bescheid an - im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt angehört hätte. Bei der Beurteilung, ob dies beim Vater des Beschwerdeführers als seine Bezugsperson im Sinne des ersten Satzes des Art. 7 ARB Nr. 1/80 der Fall ist, ist nämlich auf die Bestimmungen des Art. 6 ARB Nr. 1/80 abzustellen. Nach dem Abs. 2 dieser Bestimmung werden zwar bestimmte Unterbrechungen einer unselbständigen Erwerbstätigkeit den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt; auch führen bestimmte weitere, dort nicht ausdrücklich aufgezählte vorübergehende Beendigungen einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nicht ohne weiteres dazu, dass der türkische Arbeitnehmer als dem regulären Arbeitsmarkt nicht mehr angehörend anzusehen wäre (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 23. Jänner 1997 in der Rechtssache C-171/95, Recep Tetik, Slg. 1997, I-0329, Rdnrn. 36 ff). Hat jedoch ein türkischer Arbeitnehmer - wie im vorliegenden Fall der Vater des Beschwerdeführers durch den Eintritt in den Ruhestand am 1. Jänner 1994 - den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates endgültig verlassen, so kann nicht mehr gesagt werden, dass er dem regulären Arbeitsmarkt im Sinne des Art. 6 oder des ersten Satzes des Art. 7 ARB Nr. 1/80 weiterhin angehört. Daran hat auch der Europäische Gerichtshof, der in seinem Urteil vom 6. Juni 1995 in der Rechtssache C-434/93, Ahmed Bozkurt, Slg. 1995, I-1475, Rdnr. 39, ausgesprochen hat, dass sich Art. 6 ARB Nr. 1/80 nicht auf die Lage eines türkischen Staatsangehörigen bezieht, der den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates endgültig verlassen hat, z.B. weil er das Rentenalter erreicht hat oder weil er wie im genannten Fall infolge eines Arbeitsunfalls vollständig und dauernd arbeitsunfähig ist, nicht bezieht, keinen Zweifel gelassen (vgl. auch Rdnr. 40 des genannten Urteiles in der Rechtssache Tetik). Somit durfte auch im vorliegenden Fall die belangte Behörde zu dem Schluss gelangen, dass der Beschwerdeführer nicht die Rechte eines Familienangehörigen gemäß Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des ARB Nr. 1/80 besitzt.
Die vorliegende Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 7. April 1999
Gerichtsentscheidung
EuGH 695J0171 Recep Tetik VORAB;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1997090235.X00Im RIS seit
21.02.2002Zuletzt aktualisiert am
15.11.2011