TE OGH 2019/4/2 14R16/19d

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Veröffentlicht am 02.04.2019
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Curd Steinhauer als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Eva Zacek und den Richter Mag. Philipp Ent in der Rechtssache der klagenden Partei M***** K*****, *****, vertreten durch Dr. Johannes Öhlböck, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, wegen restlicher EUR 9.000,-- s.A., über den Rekurs der klagenden Partei gegen die Kostenentscheidung im Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 2.1.2019, 58 Cg 218/12y-130, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 16.1.2019, 58 Cg 218/12y-132, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben und die angefochtene Kostenentscheidung dahin abgeändert, dass sie zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit EUR 25.877,52 (darin enthalten EUR 1.664,96 USt und EUR 15.887,74 Barauslagen) bestimmten Kosten dieses Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der Klägerin die mit EUR 805,61 (darin EUR 134,27 USt) bestimmten Rekurskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrte Schmerzengeld in Höhe von EUR 12.000,-- für die Trauer über den Tod ihres *****, der am 4.5.2010 im *****Spital der beklagten Partei gestorben ist, während er dort nach dem Unterbringungsgesetz untergebracht war.

Im ersten Rechtsgang wies das Erstgericht die Klage ab, wogegen die Klägerin Berufung erhob. Das Berufungsgericht verband dieses Verfahren mit dem Berufungsverfahren der Mutter der Klägerin, die in einem Parallelprozess - vertreten durch den selben Klagevertreter - Ansprüche aus dem selben Sachverhalt geltend machte. Das Berufungsinteresse im Parallelverfahren betrug EUR 18.000,--, der Gesamtstreitwert im Berufungsverfahren demnach EUR 30.000,--.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das klagsabweisende Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Vor Schluss der Verhandlung im zweiten Rechtsgang legte der Klagevertreter Kostennote und verzeichnete für das gesamte Verfahren Kosten in Höhe von insgesamt EUR 46.100,30 (darin EUR 4.369,44 USt und EUR 19.928,58 Barauslagen). Die beklagte Partei erhob Einwendungen gegen dieses Kostenverzeichnis.

Mit Urteil im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren neuerlich ab. In ihrer dagegen erhobenen Berufung schränkte die Klägerin ihr Klagebegehren auf EUR 9.000,-- s.A. ein. Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel wieder Folge, hob das angefochtene Urteil neuerlich auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

Mit dem nun angefochtenen Urteil hat das Erstgericht der Klage mit EUR 6.750,-- s.A. stattgegeben, das Mehrbegehren von EUR 2.250,-- s.A. abgewiesen und die beklagte Partei zum Kostenersatz in Höhe von EUR 10.499,24 (darin enthalten EUR 101,29 USt und EUR 9.927,50 Barauslagen) verpflichtet. Der Entscheidung in der Hauptsache legte es eine angemessene Höhe des Schmerzengeldes von EUR 9.000,-- sowie ein Mitverschulden des getöteten Bruders der Klägerin im Ausmaß von einem Viertel zugrunde.

Für die Kostenentscheidung bildete es zwei Verfahrensabschnitte, wobei der erste bis zur Klagseinschränkung gereicht habe. In diesem ersten Abschnitt hätten beide Streitteile jeweils mit ca. 50% obsiegt, sodass sie die Pauschalgebühren und die in diesem Verfahrensabschnitt angefallenen Barauslagen zur Hälfte zu tragen hätten und die übrigen Verfahrenskosten gegeneinander aufgehoben würden. Im zweiten Verfahrensabschnitt habe die Klägerin zu 75% obsiegt, sodass ihr die Beklagte 50% der Verfahrenskosten und 75% der Pauschalgebühr zu ersetzen habe.

Gegen diese Kostenentscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahingehend, dass ihr ein Prozesskostenersatz in Höhe von insgesamt EUR 26.097,12 zugesprochen werde.

Die beklagte Partei beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben und verweist in diesem Zusammenhang auch auf ihre Einwendungen gegen die Kostennote der Klägerin.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist teilweise berechtigt.

Das Erstgericht hat seine Kostenentscheidung auf § 43 Abs 1 ZPO gestützt. Nach dieser Bestimmung sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, was hier zweifellos der Fall ist.

Gemäß § 43 Abs 2 ZPO kann das Gericht jedoch auch bei solchem Ausgang des Rechtsstreites der einen Partei den Ersatz der gesamten, dem Gegner und dessen Nebenintervenienten entstandenen Kosten auferlegen, wenn […] der Betrag der von ihm erhobenen Forderung von der Feststellung durch richterliches Ermessen, von der Ausmittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Abrechnung abhängig war.

Die Bemessung von Schmerzengeld nach richterlichem Ermessen auf Grund eines Sachverständigengutachtens ist ein klassischer Anwendungsfall des § 43 Abs 2 ZPO und erlaubt daher nach ständiger Rechtsprechung den Zuspruch der vollen Kosten auf Basis des ersiegten Betrages. Eine Ausnahme besteht nur für den Fall der „Überklagung“, also nach überwiegender Auffassung, wenn mehr als doppelt so viel eingeklagt als letztlich zugesprochen wurde.

Die Klägerin hat ursprünglich EUR 12.000,-- eingeklagt und letztlich EUR 6.750,-- zugesprochen bekommen, sodass schon auf Grund dieser Relation keine Überklagung vorliegt und daher § 43 Abs 2 ZPO anwendbar ist. Dies führt aber im vorliegenden Fall nicht zum Zuspruch der vollen Kosten auf Basis des Streitwerts von EUR 6.750,--, weil das prozessuale Unterliegen der Klägerin mit (ausgehend vom ursprünglichen Klagebegehren) insgesamt EUR 5.250,-- nur teilweise, nämlich im Ausmaß von EUR 3.000,--, auf die Feststellung des Schmerzengeldes durch richterliches Ermessen zurückzuführen ist. Die Abweisung des weiteren Mehrbegehrens von EUR 2.250,-- beruht hingegen auf dem festgestellten Mitverschulden des Bruders der Klägerin, also auf einem Umstand, der den Grund und nicht die Höhe des Anspruchs betrifft und daher nicht unter § 43 Abs 2 ZPO subsumiert werden kann.

In einem solchen Fall ist, wie die Klägerin in ihrem Rekurs zutreffend ausführt, eine kombinierte Anwendung von § 43 Abs 1 und 2 ZPO geboten. Dabei ist zunächst der fiktive, kostenrelevante Streitwert zu bilden, indem vom tatsächlichen Streitwert der aus den Gründen des § 43 Abs 2 abgewiesene Betrag abgezogen wird. Im vorliegenden Fall beträgt dieser fiktive Streitwert EUR 12.000 - EUR 3.000 = EUR 9.000,--.

Bis zur Klagseinschränkung ist somit von diesem fiktiven Streitwert auszugehen; ab der Klagseinschränkung deckt sich der fiktive mit dem tatsächlichen Streitwert. Die vom Erstgericht getroffene Einteilung in zwei Verfahrensabschnitte vor und nach der Klagseinschränkung ist somit überflüssig; vielmehr ist in beiden Prozessphasen der fiktive Streitwert von EUR 9.000,-- dem ersiegten Betrag von EUR 6.750,-- gegenüberzustellen. Dies führt zu einer Erfolgsquote der Klägerin von ¾, sodass sie Anspruch auf ¾ ihrer in § 43 Abs 1 ZPO genannten Barauslagen und auf die Hälfte ihrer sonstigen Kosten auf Basis von EUR 9.000,-- hat.

Diese Überlegungen treffen aber nicht auf das gesamte Verfahren zu, weil das Berufungsverfahren im ersten Rechtsgang mit dem Berufungsverfahren der Mutter der Klägerin verbunden war. Für diesen speziellen Verfahrensabschnitt – ab dem Verbindungsbeschluss des Berufungsgerichtes vom 29.2.2016 bis zur Berufungsentscheidung vom 24.7.2017 -, in dem die Klägerin und ihre Mutter vom selben Rechtsanwalt vertreten waren, bedarf es noch komplizierterer Überlegungen (vgl. Fucik/Hartl/Schlosser, Verkehrsunfall I2 [2009] Rz 109):

Der Kostenersatzanspruch der Klägerin richtet sich in diesem Fall nach dem Produkt aus der „fiktiven Teilungsquote“ und der „fiktiven Tarifquote“. Fiktive Teilungsquote ist das Verhältnis des fiktiven Teilstreitwerts zum fiktiven Gesamtstreitwert. Da das Berufungsinteresse der Mutter der Klägerin EUR 18.000,-- betrug, beläuft sich der fiktive Gesamtstreitwert auf EUR 9.000 + EUR 18.000 = EUR 27.000,-- und die fiktive Teilungsquote auf EUR 9.000 : EUR 27.000 = 1/3.

Bei der fiktiven Tarifquote handelt es sich um das Verhältnis des für den fiktiven Gesamtstreitwert maßgeblichen Kostenansatzes des RAT zu dem dem realen Gesamtstreitwert zugrunde liegenden Kostenansatz. Im vorliegenden Fall wäre hier an sich zwischen den Kostenansätzen nach TP 3A und den im Berufungsverfahren teilweise geltenden Ansätzen nach TP 3B zu unterscheiden, wobei aber die Quote in beiden Fällen praktisch gleich ist: Der Ansatz nach TP 3A bei einem Streitwert von EUR 27.000,-- betrug im Zeitpunkt des Berufungsverfahrens EUR 639,20, bei einem Streitwert von EUR 30.000,-- EUR 697,60. Die fiktive Tarifquote beträgt daher EUR 639,20 : EUR 697,60 = 0,92. Zum selben Ergebnis gelangt man, wenn man den Tarifansatz nach TP 3B bei EUR 27.000,-- (EUR 797,80) jenem bei EUR 30.000,-- (EUR 870,60) gegenüber stellt. Der Kostenersatzanspruch der Klägerin beträgt daher rund 30% (0,92 x 1/3) der im Berufungsverfahren verzeichneten sonstigen Kosten und 1/3 der dortigen Barauslagen.

Vor der rechnerischen Darstellung all dieser Ergebnisse ist noch kurz auf die Einwendungen der beklagten Partei gegen das am Ende des zweiten Rechtsganges gelegte Kostenverzeichnis der Klägerin einzugehen, auf die die Rekursbeantwortung verweist. Das Erstgericht hat diese Einwendungen nicht behandelt, weil sie alle den von ihm definierten „ersten Verfahrensabschnitt“ betreffen, für welchen es von einer Kostenaufhebung ausgegangen ist.

Diese Einwendungen kritisieren zwar durchaus substanziiert und schlüssig eine Reihe von Positionen im Kostenverzeichnis der Klägerin, lassen aber eine rechnerische Darstellung der sich bei Berücksichtigung dieser Kritik ergebenden oder wegfallenden Beträge weitestgehend vermissen. Der Rekurssenat schließt sich diesbezüglich der Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Innsbruck an, welches mit sehr eingehender und überzeugender Begründung dargelegt hat, dass Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis nach § 54 Abs 1a ZPO in ihrem Inhalt und Ergebnis auch rechnerisch nachvollziehbar gestaltet und also alternativ durchkalkuliert sein müssen, sodass sie als Begründung für eine (teil-)abweisliche Kostenentscheidung herangezogen werden könnten. Erfüllen die Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis nicht dieses Inhaltserfordernis, liegt eine wirksame Beeinspruchung des gegnerischen Kostenverzeichnisses nicht vor (OLG Innsbruck 3 R 145/10p mwN, veröffentlicht in RIS-Justiz RI0100000).

Da die Einwendungen der beklagten Partei in diesem Sinne nicht durchkalkuliert und daher unwirksam sind, können im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (G 280/09 vom 3.12.2010) nur noch Schreib- oder Rechenfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten im Kostenverzeichnis von Amts wegen korrigiert werden. Zu diesen offenbaren Unrichtigkeiten zählt die bereits oben dargestellte Verzeichnung der Kosten für das Berufungsverfahren im ersten Rechtsgang sowie die Verzeichnung von Kosten für Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis der Beklagten im ersten Rechtsgang (ON 83 vom 14.7.2015), da gemäß § 54 Abs 1a letzter Satz ZPO für solche Schriftsätze kein Kostenersatz stattfindet. Die im Kostenrekurs enthaltene Verzeichnung von Kosten für die Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis der Beklagten auch im zweiten Rechtsgang (ON 118 vom 4.5.2018) ist überdies schon deshalb verfehlt, weil sie dem Neuerungsverbot widerspricht; in diesen Einwendungen selbst waren korrekterweise keine Kosten verzeichnet worden.

Somit können der Kalkulation die im Rekurs zutreffend auf Basis des fiktiven Streitwerts von EUR 9.000,-- kalkulierten Anwaltskosten, mit Ausnahme der Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis vom 14.7.2015 sowie der Phase der verbundenen Berufungsverfahren vom 7.10.2016 bis zum 12.6.2017, zugrunde gelegt werden. Dabei ergibt sich eine Honorarsumme von EUR 11.503,86, wovon der Klägerin die Hälfte zusteht, das sind EUR 5.751,93. Weiters ergibt sich eine Barauslagensumme von EUR 21.181,88, wovon der Klägerin ¾ zustehen, das sind EUR 15.886,41. Die im Rekurs vorgenommene Differenzierung in „gemeinsam und allein getragene Barauslagen“ ist für das Rekursgericht nicht nachvollziehbar, da sich diese Unterscheidung aus den Kostenverzeichnissen der Klägerin nicht ergibt. Auch der Rekurs erklärt nicht, wie sich der als „gemeinsam getragene Barauslagen“ bezeichnete Betrag von EUR 47,58 herleitet, weshalb darauf nicht weiter Bedacht zu nehmen ist.

Für die während der Verbindung der Berufungsverfahren aufgelaufenen Kosten ergibt sich Folgendes: Zunächst sind der verzeichnete „Antrag“ vom 7.10.2016 und die Vertagungsbitte vom 11.4.2017 aus dem Kostenverzeichnis auszuscheiden. Ein gesonderter Antrag ist neben dem am 7.10.2016 eingebrachten Antrag auf Gutachtenserörterung, der ohnehin verzeichnet wurde, nicht aktenkundig. Die Vertagungsbitte wurde abgewiesen und war schon deshalb nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig. Aus den übrigen Schriftsätzen der klagenden Partei im Berufungsverfahren des ersten Rechtsganges sowie der mündlichen Berufungsverhandlung ergeben sich eine Honorarsumme von EUR 8.576,30 und Barauslagen von EUR 4,--. 30% von EUR 8.576,30 sind EUR 2.572,89; 1/3 von EUR 4,-- sind EUR 1,33.

Das gerechtfertigte Gesamthonorar beträgt also EUR 5.751,93 + EUR 2.572,89 = EUR 8.324,82 netto. 20% USt davon sind EUR 1.664,96. Die zu ersetzenden Barauslagen betragen EUR 15.886,41 + EUR 1,33 = EUR 15.887,74. Somit ergibt sich ein berechtigter Kostenersatzanspruch der Klägerin von EUR 25.877,52. Auf diesen Betrag war der Kostenzuspruch zu korrigieren und dem Rekurs insoweit teilweise Folge zu geben.

Damit hat die Klägerin, die im Rekursverfahren einen Kostenersatz von insgesamt EUR 26.097,12 angestrebt hat, nahezu vollständig obsiegt; ihr sind daher nach §§ 50, 43 Abs 2 ZPO die gesamten, korrekt verzeichneten Rekurskosten zuzusprechen, wobei kein Tarifsprung zu berücksichtigen ist.

Gemäß § 528 Abs 2 Z 3 ZPO ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig.

Textnummer

EW0000966

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2019:01400R00016.19D.0402.000

Im RIS seit

25.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.04.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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