Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 2. April 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rögner als Schriftführerin wegen Feststellung der Verletzung des Rechtes auf Datenschutz in Angelegenheiten der Gerichtsbarkeit (§ 85 GOG idF BGBl I 2004/128) über die Beschwerden der Betroffenen ***** und ***** GmbH gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts ***** vom 9. Mai 2018, AZ 7 Ns 6/18p, 7 Ns 7/18k, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Den Beschwerden wird nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft ***** führte zur AZ 6 St 60/15t ein Ermittlungsverfahren gegen ***** und weitere Beschuldigte wegen des Vergehens des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs nach § 256 dritter Fall StGB sowie anderer strafbarer Handlungen, welches seit 4. April 2017 zur Gänze eingestellt ist (ON 1 S 355 f iVm ON 823).
Während des Ermittlungsverfahrens waren von einer unbekannten Person, angeblich von einem ehemaligen Mitarbeiter, aus der ***** GmbH stammende Daten auf Datenträgern gespeichert und diese unaufgefordert der Staatsanwaltschaft, den Sicherheitsbehörden, dem Bundesministerium für Justiz (nunmehr Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz) und anderen übermittelt worden.
Mit Schriftsätzen vom 5. Juli 2017 bzw vom 4. August 2017 beantragten sowohl ***** als auch die ***** GmbH bei der Staatsanwaltschaft ***** die Löschung sämtlicher personenbezogener Daten auf beim Akt befindlichen Datenträgern gemäß § 27 DSG 2000 iVm §§ 74, 75 StPO, weil die darauf enthaltenen Informationen aus der *****kanzlei der Antragsteller stammten, der ***** Verschwiegenheitspflicht unterlägen und – aus Sicht der Antragsteller – unter Verletzung strafprozessualer Vorschriften ermittelt worden seien, weshalb die Verwendung der Daten überhaupt, aber jedenfalls seit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens unzulässig sei (ON 838, 843).
Die Staatsanwaltschaft verweigerte die Datenlöschung unter Hinweis auf (rechtskräftige) Entscheidungen des Oberlandesgerichts ***** vom 3. Februar 2016 (ON 747 bis 749) und vom 25. November 2016 (ON 815) mit der Begründung, dass danach weder die in Rede stehenden Datenträger in Umgehung des § 144 Abs 2 StPO rechtswidrig beschafft worden seien noch eine Verpflichtung zu deren Herausgabe oder zur Löschung der darauf gespeicherten Daten bestehe (ON 840 und 849).
Dagegen richteten sich Einsprüche des ***** und der ***** GmbH wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 Abs 1 StPO (ON 845, 851, 853). Aus Sicht der Einspruchswerber sei die Staatsanwaltschaft zur Löschung der auf den Datenträgern enthaltenen Daten verpflichtet, weil diese entgegen Bestimmungen der StPO sichergestellt worden seien; die fortdauernde Unterlassung der Löschung verletze aus den Bestimmungen der §§ 74, 75 StPO und § 27 DSG 2000 ableitbare subjektive Rechte und verstoße gegen § 27 Abs 4 DV-StAG sowie die Meldepflicht des § 17 DSG 2000.
Das Landesgericht ***** wies sämtliche Einsprüche mit Beschluss vom 2. Oktober 2017, AZ 19 HR 217/15g, mit der Begründung zurück, dass die behaupteten Rechtsverletzungen erst nach endgültiger Beendigung des Ermittlungsverfahrens begangen worden sein sollen (ON 857).
Der dagegen gerichteten (gemeinsamen) Beschwerde der Einspruchswerber (ON 858) gab das Oberlandesgericht ***** mit Beschluss vom 27. Dezember 2017, AZ 7 Bs 183/17m, nicht Folge (ON 860). Entgegen der Ansicht des Erstgerichts sei zwar die hier reklamierte staatsanwaltschaftliche Datenhandhabung im Ermittlungsverfahren und bei Beendigung desselben einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich, doch schlage die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem behaupteten Verstoß gegen die Bestimmungen der §§ 74, 75 StPO bzw § 27 DSG 2000 zum Nachteil der Beschwerdeführer aus, weil im vorliegenden Fall weder von „gesetzwidrig ermittelten“ Daten noch von einer daraus resultierenden Löschungspflicht gemäß § 75 Abs 1 StPO die Rede sein könne: Mögen auch sämtliche der auf den angeführten Datenträgern gespeicherten Daten dem ***** Berufsgeheimnis unterliegen, so habe die Strafverfolgungsbehörde diese nicht bei ***** selbst oder in dessen *****kanzlei sichergestellt, sondern vielmehr von dritten (zum Teil anonym gebliebenen) Personen unaufgefordert zugemittelt erhalten. Da es sich sohin gerade nicht um gesetzwidrig ermittelte Daten handle, bestehe auch bei Einstellung des Ermittlungsverfahrens keine Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, diese Daten gemäß § 75 Abs 1 StPO zu löschen. Mit Blick auf die Möglichkeit einer Wiederaufnahme (Fortführung) des Verfahrens müsse vielmehr der Verfahrensstand auch nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens dokumentiert bleiben.
Gegen diesen Beschluss von ***** und der ***** GmbH eingebrachte Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens wurden vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 19. Dezember 2018 (13 Os 83/18g [13 Os 84/18d]) zurückgewiesen.
Mit am 4. April 2018 sowohl beim Landesgericht ***** als auch beim Oberlandesgericht ***** eingebrachten Schriftsätzen beantragten ***** und die ***** GmbH jeweils gemäß § 85 Abs 2 GOG idF BGBl I 2004/128 (zur im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung siehe die Übergangsbestimmung in § 98 Abs 25 zweiter Satz GOG)
1./ die Feststellung der Verletzung ihrer Rechte auf Löschung personenbezogener Daten durch die Staatsanwaltschaft,
2./ die Untersagung einer weiteren Datenverwendung sowie
3./ einen „mit Bescheid im Wege einer Sofortmaßnahme“ zu erteilenden Auftrag zur „Löschung“ im Einzelnen angeführter „Datenträger“.
Da diese Datenträger von dritten Personen überreicht und in der Folge von den Ermittlungsbehörden (ohne weitere Prüfung) zum Akt genommen worden seien, sich darauf aber eine Vielzahl personenbezogener, teils sensibler Daten befinde, die allesamt dem ***** Berufsgeheimnis und daher dem Umgehungsverbot des § 157 Abs 2 StPO unterlägen, wäre die Staatsanwaltschaft, die überdies ihrer Meldeverpflichtung nach § 17 DSG 2000 nicht nachgekommen sei, jedenfalls seit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens zur Löschung verpflichtet, habe dem aber bislang nicht entsprochen (ON 865; Schriftsatz in den Akten AZ 7 Ns 6/18p des OLG *****).
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 9. Mai 2018, AZ 7 Ns 6/18p, 7 Ns 7/18k, wies das Oberlandesgericht ***** diese – auf Feststellung der behaupteten Rechtsverletzung und Untersagung der Datenanwendung gerichteten – Begehren ab. Mit Blick auf die Ausführungen in der zu AZ 7 Bs 183/17m ergangenen Beschwerdeentscheidung vom 27. Dezember 2017 (ON 860) könne weder von einer rechtswidrigen Beweismittelbeschaffung noch von einem Verstoß gegen ein Umgehungsverbot die Rede sein, weshalb das darauf gegründete Löschungsbegehren erfolglos bleibe. Die Archivierung der Daten sei – mangels Anwendbarkeit der für besonders geschützte Daten bestehenden Sonderregelung des § 75 Abs 4 StPO – durch § 75 Abs 3 StPO gedeckt, welcher eine endgültige Löschung von Daten erst nach 60 Jahren vorsehe. Auch aus der subsidiären Bestimmung des § 27 DSG 2000 lasse sich keine Löschungsverpflichtung ableiten, weil einerseits mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens die zweckgebundene Verwendung der Daten nicht weggefallen sei und auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Staatsanwaltschaft ihrer Verpflichtung zur Wahrung des Berufsgeheimnisses nicht ausreichend nachkommen würde (BS 5). In Anbetracht der Bedeutung der dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegenden Delinquenz nach § 256 StGB und der Möglichkeit einer Wiederaufnahme (Fortführung) des Verfahrens sei auch kein überwiegendes Interesse der Beschwerdeführer an der Löschung der Daten gegenüber den öffentlichen Interessen an deren Weiterverwahrung zu erkennen. Die hier behauptete Nichteinhaltung einer Meldepflicht nach § 17 DSG 2000 (aF) begründe ebenfalls keine Löschungsverpflichtung (BS 5 f; vgl im Übrigen § 17 Abs 3 Z 5 DSG 2000).
Gegen diesen Beschluss richten sich gemeinsam ausgeführte Beschwerden des ***** sowie der ***** GmbH vom 28. Mai 2018, welche unter Anschluss einer Gleichschrift einer an das Bundesverwaltungsgericht gerichteten Beschwerde (vgl dazu das mittlerweile ergangene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. September 2018; AZ W211 2170023-1/6E) vom Obersten Gerichtshof begehren:
1./ die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses;
2./ die Feststellung „mit Bescheid“, dass die Staatsanwaltschaft ***** durch ihre Weigerung, die Daten zu löschen, die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Löschung personenbezogener Daten verletzt hat;
3./ den an die Staatsanwaltschaft ***** gerichteten Auftrag „mit Bescheid im Wege einer Sofortmaßnahme“ zur Löschung mehrerer „Datenträger“.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde ist mit Blick darauf, dass zu § 85 GOG idF BGBl I 2004/128 bislang keine Judikatur des Obersten Gerichtshofs in Strafsachen besteht (§ 85 Abs 5 Satz 2 GOG idF BGBl I 2004/128), zulässig, aber nicht berechtigt:
Das GOG umfasst keine eigenen Datenschutzansprüche, sondern regelt nur die Durchsetzung der nach dem DSG 2000 bestehenden – grundsätzlich auch für juristische Personen anerkannten (§ 4 Z 3 DSG 2000) – Datenschutzrechte bei Akten der Gerichtsbarkeit (RIS-Justiz RS0129940 [T3]), sofern die in den Verfahrensgesetzen vorgesehenen Rechtsmittel kein Aufgreifen ermöglichen (Reindl-Krauskopf, WK-StPO § 74 Rz 66 f). Die Vorschriften der §§ 84, 85 GOG aF und §§ 85, 85a GOG in der geltenden Fassung dienen solcherart nicht dazu, in jenen Bereichen, in denen die Verfahrensgesetze die Verwendung von Daten (abschließend) regeln, das gerichtliche (Haupt-)Verfahren zu beeinflussen, zu korrigieren oder nachträglich zu kontrollieren. Eine den Verfahrensgesetzen entsprechende Verwendung von Daten ist daher auch aus datenschutzrechtlicher Sicht zulässig (RIS-Justiz RS0129940 [T4, T6]).
Das Grundrecht auf Datenschutz gemäß § 1 Abs 1 DSG (2000) besteht aus dem Grundrecht „auf Geheimhaltung“ personenbezogener Daten (§ 1 Abs 1 DSG [2000]) sowie aus den begleitenden Rechten auf Auskunft, auf Richtigstellung falscher und auf Löschung unzulässig verarbeiteter Daten (§ 1 Abs 3 DSG). § 74 StPO verweist in Abs 1 auf die Bestimmungen des DSG 2000 und ordnet in Abs 2 an, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten und angemessene Vorkehrungen zur Wahrung von Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen zu treffen sind. Eine Verpflichtung, Daten unverzüglich zu löschen, statuiert § 75 Abs 1 StPO – im Einklang mit § 27 Abs 1 DSG 2000 – für unrichtige oder entgegen den gesetzlichen Bestimmungen ermittelte Daten (vgl insofern ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 108 sowie überdies EGMR vom 6. Oktober 2016, Bsw 33696/11, NL 2016/432). Richtige und rechtmäßig ermittelte personenbezogene Daten sind (spätestens – zur verfassungskonformen Interpretation dieser Regelung im Sinn einer Maximalfrist vgl das Erkenntnis des VfGH vom 29. Juni 2012, G 7/12) nach sechzig Jahren im direkten Zugriff zu löschen (§ 75 Abs 3 StPO).
Die Strafprozessordnung normiert demnach einen (subjektiven) Anspruch (ua) auf Löschung von durch Staatsanwaltschaft und Gericht im Rahmen ihrer Aufgaben im Strafverfahren (§ 1 StPO) erlangten personenbezogenen Daten (§§ 74, 75 StPO). Berechtigten Löschungsanträgen einer betroffenen Person hat das zuständige Organ der Gerichtsbarkeit (je nach Verfahrensstadium also die Staatsanwaltschaft oder das Gericht) unverzüglich zu entsprechen. Eine abschlägige Entscheidung des Gerichts über einen solchen Antrag hat mit bekämpfbarem Beschluss zu ergehen (vgl §§ 35 Abs 2, 86, 87 StPO). Im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft (§ 20 StPO) wiederum steht jeder Person ein Einspruch an das Gericht zu, die ua behauptet, im Ermittlungsverfahren in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil ihr die Staatsanwaltschaft die Ausübung eines in der Strafprozessordnung eingeräumten Rechtes (etwa jenem nach § 75 StPO) verweigert (§§ 106, 107 StPO). Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass ein solcher Einspruch wegen Rechtsverletzung selbst gegen eine erst nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens getroffene Entscheidung der Staatsanwaltschaft betreffend subjektive Rechte erhoben werden kann (RIS-Justiz RS0132414). Die darüber ergangene gerichtliche Entscheidung kann (ua) der Einspruchswerber mit Beschwerde bekämpfen (§ 107 Abs 3 erster Satz StPO).
Ein auf die (unverzügliche) Löschung von in einem Strafverfahren verarbeiteten personenbezogenen Daten bezogener Anspruch ist, weil er nach dem oben Gesagten mit in der StPO eingeräumten Rechtsmitteln aufgegriffen werden kann, nicht Gegenstand des bloß subsidiären Verfahrens nach dem GOG. Eine (neuerliche) Entscheidung über diese bereits mit (inhaltlich den zu Art 8 MRK entwickelten Kriterien des EGMR [s RIS-Justiz RS0125064] entsprechendem) Beschluss des Oberlandesgerichts ***** vom 27. Dezember 2017, AZ 7 Bs 183/17m (ON 860) – im ordentlichen Rechtsmittelweg unanfechtbar (vgl § 89 Abs 6 StPO; zur – genutzten – Möglichkeit eines Erneuerungsantrags s oben)
– entschiedene Frage in einem Verfahren nach dem GOG kommt demnach – wie bereits die Generalprokuratur zutreffend geltend machte – nicht in Betracht.
Den Beschwerden war daher – entgegen der die oben dargelegten Ableitungen zur Subsidiarität nicht tangierenden Äußerung der Beschwerdeführer zur Stellungnahme der Generalprokuratur – nicht Folge zu geben.
Bleibt abschließend festzuhalten, dass in datenschutzrechtlichen Verfahren nach §§ 83 ff GOG in Strafsachen – soweit im GOG nicht anderes bestimmt ist – nach den Bestimmungen der StPO (siehe insbesondere § 35 StPO) zu entscheiden wäre (vgl § 85 Abs 2 letzter Satz GOG idF BGBl I 2004/128 bzw für nach dem 24. Mai 2018 angebrachte Anträge nunmehr § 85a GOG idF BGBl I 2018/32). Die von den Beschwerdeführern eingeforderte Erledigung der Beschwerdeanträge 2./ und 3./ in Form eines (verwaltungsrechtlichen) Bescheids käme somit keinesfalls in Frage.
Textnummer
E124736European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0110OS00069.18H.0402.000Im RIS seit
25.04.2019Zuletzt aktualisiert am
23.04.2021