Entscheidungsdatum
11.03.2019Norm
BFA-VG §22a Abs1 Z1Spruch
W154 2162938-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen die Festnahme der Beschwerdeführerin vom 13.06.2017, um 07:15 Uhr, und die Anhaltung im Rahmen der Festnahme bis 15.06.2017, 18:00 Uhr, zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung im Rahmen der Festnahme wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 und 2, § 34 Abs. 3 Z 3, § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG stattgegeben und festgestellt, dass die Festnahme und Anhaltung im Rahmen der Festnahme rechtswidrig waren.
II. Gemäß § 35 VwGVG iVm VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013, hat der Bund (Bundesminister für Inneres) der Beschwerdeführerin zu Handen ihres ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von € 737,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Befreiung von der Eingabegebühr wird als unzulässig zurückgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Afghanistans, stellte am 17.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) vom 14.09.2016 wurde dieser Antrag ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass die Niederlande für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 12 Abs. 2 der Dublin III-VO zuständig seien (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung in die Niederlande gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, welche mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.11.2016 gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen wurde. Diese Entscheidung ist mit 30.11.2016 in Rechtskraft erwachsen.
2. Aus einem Bericht des zuständigen Stadtpolizeikommandos vom 03.04.2017 geht hervor, dass an jenem Tag um 13.30 Uhr versucht worden sei, die Beschwerdeführerin in ihrer Wohnung festzunehmen. Sie sei zu jenem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen und ihre Mitbewohner hätten die Auskunft gegeben, dass sie im Deutschkurs und am späten Nachmittag wieder zu Hause wäre. Am selben Tag um 18.15 seien die Einsatzkräfte neuerlich zur Wohnung der Beschwerdeführerin gekommen und hätten diese dort angetroffen. Man habe versucht, ihr den vorliegenden Sachverhalt zu erklären, doch sei dies auf Grund von Verständigungsproblemen nicht möglich gewesen. Sie hätte verstanden, dass sie abgeschoben werde, es jedoch aus Angst vor ihrem Mann und dessen Familie nicht akzeptiert. Auf Grund des aufgebrachten Zustands der Beschwerdeführerin und der Tatsache, dass vier weitere Mitbewohner anwesend gewesen seien, hätten die Beamten Unterstützung angefordert. Eine anwesende Bekannte der Beschwerdeführerin habe in weiterer Folge als Dolmetscherin fungiert. Die Beschwerdeführerin sei dann nach den Bestimmungen des BFA-VG festgenommen worden. Da sie nun an der Festnahme mitgewirkt habe, sei ihr Zeit gegeben worden, um ihre persönlichen Sachen zu packen. Am Gehsteig sei die Beschwerdeführerin plötzlich bewusstlos auf den Boden gesackt und durch die Beamten sofort in die stabile Seitenlage gebracht worden, wo sie sich übergeben habe. Dabei seien mehrere weiße Tabletten wahrgenommen werden. Nachdem sich die Beschwerdeführerin ein weiteres Mal übergeben habe, sei der Notarzt mit der Info, dass eine Tablettenüberdosis vorliege, alarmiert worden. Die Bekannte der Beschwerdeführerin habe den Beamten ein Sackerl voll mit Medikamenten aus dem Zimmer der Beschwerdeführerin übergeben. Nach einem optischen Vergleich der Tabletten im Erbrochenem hätte es sich bei den eingenommenen Tabletten höchstwahrscheinlich um Psychopharmaka gehandelt. Der Arzt habe schließlich darüber informiert, dass die Beschwerdeführerin an einer Überdosis toxischer Psychopharmaka leide und durch die Wirkung der Medikamente akute Lebensgefahr bestehe. In weiterer Folge sei die Beschwerdeführerin auf eine Überwachungsstation und schließlich ins Spital auf die Toxikologie verbracht worden.
Nach ihrer Entlassung am Folgetag um 9:00 Uhr wurde die Beschwerdeführerin mit dem Krankentransport zum psychosozialen Dienst gebracht.
3. In einem Bericht des SPK vom 04.04.2017 wurde auf die versuchte Festnahme der Beschwerdeführerin vom Vortrag verwiesen und weiters ausgeführt, dass es ihr gelungen sei, durch die Einnahme einer Überdosis an Tabletten eine Intoxikation zu erwirken. Nach wie vor sei der Zeitpunkt der Einnahme der Tabletten ungeklärt, jedoch sei die Einnahme der Tabletten im Zuge der Anwesenheit der Beamten de facto unmöglich, da sie zu keinem Augenblick aus den Augen gelassen worden sei. Die diensthabenden Beamten gingen daher davon aus, dass die Beschwerdeführerin durch einen ersten Versuch am Nachmittag des 03.04.2017 über die drohende Abschiebung vorgewarnt worden sei und die Tabletten bereits unmittelbar nach dem Anläuten an der Haustüre bzw. bis zum Einlass zu sich genommen habe. Da die Beschwerdeführerin am 03.04.2017 lediglich ambulant im Spital behandelt worden sei, sei ein neuerlicher Festnahme- inkl. Durchsuchungsauftrag für den 04.04.2017 erlassen und am 04.04.2016 um 10.30 Uhr neuerlich versucht worden, die Beschwerdeführerin an ihrer Heimatadresse gemäß dem Auftrag des Bundesamtes festzunehmen. Die Beamten seien durch die unversperrte Haustüre ins Haus gekommen und hätten das Zimmer der Beschwerdeführerin betreten, wobei dieses leer gewesen sei. Die anwesenden Mitbewohnerinnen der Beschwerdeführerin seien zu deren Verbleib befragt worden und hätten angegeben, dass diese seit ihrer Einlieferung in das Krankenhaus nicht mehr in die Unterkunft zurückgekehrt wäre. Angeblich sei ihr durch die (namentlich genannte) Unterkunftgeberin eine Handtasche in das Krankenhaus nachgebracht worden. Über den aktuellen Aufenthaltsort hätten die Mitbewohnerinnen keine Angaben machen können bzw. wollen. Am 04.04.2016 gegen 16.20 Uhr sei daher neuerlich versucht worden, den Festnahmeauftrag gegen die Beschwerdeführerin zu vollziehen. Die Beschwerdeführerin sei auch zu jenem Zeitpunkt nicht angetroffen worden. Aufgrund der drohenden Abschiebung in die Niederlande sei davon auszugehen, dass sie möglicherweise mit Hilfe untergetaucht sei.
4. Am 05.04.2017 informierte das Bundesamt die niederländischen Behörden, dass die Beschwerdeführerin untergetaucht wäre und sich die Überstellungsfrist aus diesem Grunde auf 18 Monate verlängere.
5. Am 08.06.2017 wurde gegen die Beschwerdeführerin ein neuerlicher Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Z 3 i.V.m. § 40 Abs. 1 Z 1BFA-VG zum Zwecke der Abschiebung sowie ein Durchsuchungsauftrag gemäß § 35 Abs. 1 BFA-VG und ein Abschiebeauftrag Luftweg Einlieferungsauftrag zwecks Überstellung in die Niederlande erlassen. Der Festnahmeauftrag wurde im Wesentlichen damit begründet, dass das Asylverfahren gemäß § 5 AsylG durchführbar und die Entscheidung mit einer Ausweisung verbunden gewesen sei. Die Überstellung wäre für den 15.06.2017 geplant.
6. Am 13.06.2017 wurde die Beschwerdeführerin um 07:15 Uhr an ihrer Wohnsitzadresse von Organen des Öffentlichen Sicherheitsdienstes festgenommen. Im Zuge dieser Festnahme fügte sie sich mit einer Rasierklinge Verletzungen am Handgelenk zu und wurde in Folge nach der Erstversorgung und Alarmierung der Rettung in ein Spital und nach ambulanter Behandlung in das PAZ überstellt.
7. Am 15.06.2017 wurde die geplante Abschiebung unterbrochen, weil die Beschwerdeführerin ab dem Zeitpunkt der Anlieferung zum Flughafen sehr aufgebracht gewesen sei und angekündigt habe, nicht fliegen zu wollen.
8. Ohne die Beschwerdeführerin einzuvernehmen wurde mit dem Bescheid des Bundesamtes vom 15.06.2017, Zl. 1105824808/170705818, gemäß Artikel 28 Abs. 1 und 2 der Verordnung EU Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) i.V.m. § 76 Abs. 2 Z 2 FPG und § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.
Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.07.2017, GZ W268 2162938-1/9E, gemäß § 76 Abs. 2 FPG iVm. § 22a Abs. 1 BFA-VG idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid vom 15.06.2017 sowie die Anhaltung in Schubhaft bis zur Erlassung dieser Entscheidung für rechtswidrig erklärt (Spruchpunkt I.) und gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm Art. 28 Dublin-III-VO und § 76 Abs. 3 FPG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen würden (Spruchpunkt II.). Begründend wurde im Wesentlichen angeführt, dass die Beschwerdeführerin von 04.04.2016 bis zu ihrer Inschubhaftnahme am 15.06.2017 durchgehend behördlich gemeldet gewesen sei. Zum fraglichen Zeitpunkt am 04.04.2017, als die Polizeibeamten sie in ihrer Wohnung aufgesucht hätten, habe sie sich in medizinischer stationärer Betreuung befunden, was den Beamten von ihren Mitbewohnerinnen auch mitgeteilt worden sei. Es hätten keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgelegen, um von einem Untertauchen der Beschwerdeführerin ausgehen zu können. Die Ermittlungen der belangten Behörde hinsichtlich ihres Verbleibs zum fraglichen Zeitpunkt hätten sich letztendlich in Gesamtschau als unzureichend erwiesen, weshalb die Verlängerung der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. Dublin III VO unzulässig gewesen sei.
9. Am 05.07.2017 wurde die Beschwerdeführerin aus der Schubhaft entlassen.
10. Gegen die Festnahme gemäß § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG i.V.m. § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG vom 13.06.2017, um 07:15 Uhr, und gegen die Anhaltung im Rahmen der Festnahme vom 13.06.2017, 07:15 Uhr, bis zur Verhängung der Schubhaft am 15.06.2017 wurde am 24.07.2017 einlangend die gegenständliche Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG i.V.m. Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG (Maßnahmenbeschwerde) an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.
Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin am 17.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, der nach Zustimmung zur Aufnahme der Beschwerdeführerin durch die Niederlande mit Bescheid vom 14.09.2016 gemäß § 5 AsylG unter gleichzeitiger Anordnung zur Außerlandesbringung der Beschwerdeführerin in die Niederlande zurückgewiesen worden sei. Mit Beschluss vom 13.10.2016 habe das Bundesverwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt, die Beschwerde selbst jedoch mit Erkenntnis vom 24.11.2016 gemäß §§ 5 AsylG, 61 FPG abgewiesen.
Nach einem Suizidversuch sei die Beschwerdeführerin am 03.04.2017 in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses eingeliefert worden und bis zum darauffolgenden Morgen dort aufhältig gewesen. Dann sei sie direkt zum psychosozialen Dienst und weiter mit dem Krankentransport in ein anderes Krankenhaus gebracht worden, wo man sie bis 24.05.2017 in stationärer Betreuung behalten habe.
Am 05.04.2017 habe das Bundesamt die niederländischen Behörden informiert, dass die Beschwerdeführerin untergetaucht wäre und sich die Überstellungsfrist aus diesem Grunde auf 18 Monate verlängere.
Nach ihrer Entlassung habe die Beschwerdeführerin am 06.06.2017 die Rechtsberatung zur Perspektivenabklärung aufgesucht. Am 07.06.2017 habe der Rechtsberater mit der zuständigen Referentin des Bundesamtes telefoniert. Bei dieser Gelegenheit sei mitgeteilt worden, dass die sechsmonatige Überstellungsfrist auf 18 Monate verlängert worden sei, weil die Beschwerdeführerin flüchtig gewesen wäre.
Diese habe jedoch vom 13.06.2016 bis 03.05.2017 an einer näher genannten Adresse gewohnt, von dort wegen Umbaus ausziehen müssen und daraufhin woanders ein Zimmer bezogen. Sie verfüge über eine durchgehende behördliche Meldung. Dazu wurden der Beschwerde die entsprechenden Meldezettel beigelegt.
Am 08.06.2017 sei ein neuerlicher Festnahme- bzw. Durchsuchungsauftrag erlassen worden, am 13.06.2017 hätten Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Beschwerdeführerin an ihrer Wohnsitzadresse festgenommen, weil sie am 15.06.2017 in die Niederlande überstellt hätte werden sollen. Nachdem sich die Beschwerdeführerin mit einer Rasierklinge Verletzungen zugefügt habe, sei sie am 13.06.2017 in ein Krankenhaus gebracht und nach ambulanter Behandlung in das Polizeianhaltezentrum in eine Sicherheitszelle überstellt worden. Die Abschiebung am 15.06.2017 habe nicht stattgefunden. Mit Mandatsbescheid vom selben Tag habe man über die Beschwerdeführerin Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Von einer Einvernahme zur Prüfung der Fluchtgefahr habe die belangte Behörde jedoch aus Sicherheitsgründen Abstand genommen.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.07.2017 sei der Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid vom 15.6.2017 sowie gegen die laufende Anhaltung im Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 FPG i.V.m. § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und der angefochtene Bescheid sowie die Anhaltung in Schubhaft bis zur Erlassung dieser Entscheidung für rechtswidrig erklärt worden. Gemäß § 22 Abs. 3 BFA-VG i.V.m. Art. 8 und 20 Dublin III-VO und 76 Abs. 3 FPG sei festgestellt worden, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der schubhaftmaßgeblichen Voraussetzungen nicht vorgelegen seien. Begründet worden wäre die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Überstellungsfrist bis zum 24.05.2017 abgelaufen sei. Das Bundesamt habe zwar mit Schreiben an die Niederlande vom 05.04.2017 die Überstellungsfrist auf 18 Monate wegen Untertauchens der Beschwerdeführerin verlängert. Diese sei jedoch zum fraglichen Zeitpunkt nicht untergetaucht, sondern im Spital in Behandlung gewesen. Die geplante Abschiebung sei daher aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist nicht mehr durchführbar gewesen.
Da der Beschwerde gegen die Außerlandesbringung die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuerkannt worden sei, sei die sechsmonatige Überstellungsfrist unterbrochen worden und habe mit Zustellung des am 24.11.2016 erlassenen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes am 30.11.2016 neu zu laufen begonnen (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO). Damit habe die sechsmonatige Überstellungsfrist spätestens am 30.05.2017 geendet. Voraussetzung für die rechtmäßige Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate wäre gewesen, dass die Beschwerdeführerin flüchtig im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO gewesen wäre. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis vom 05.07.2017 über die Schubhaftbeschwerde zutreffend festgestellt habe, sei die Beschwerdeführerin nicht untergetaucht bzw. flüchtig, sondern im Spital in Behandlung gewesen.
Da die sechsmonatige Überstellungsfrist jedenfalls abgelaufen gewesen sei, hätte der Festnahmeauftrag vom 08.06.2017 daher nicht erlassen werden dürfen und erweise sich konsequenterweise auch die Festnahme und die darauffolgende Anhaltung ebenso wie die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung als rechtswidrig.
Weiters wurde im Beschwerdeschriftsatz ausgeführt, dass die Festnahme und Anhaltung auch aufgrund des gesundheitlichen Zustandes der Beschwerdeführerin unzulässig gewesen wäre.
In der Beschwerde wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge
* feststellen, dass die Festnahme gemäß § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG i. V.m. § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG vom 13.06.2017 um 07:15 Uhr in rechtswidriger Weise erfolgt sei;
* feststellen, dass die Anhaltung im Rahmen der Festnahme vom 13.06.2017 um 07:15 Uhr bis zur Verhängung der Schubhaft am 15.06.2017 in rechtswidriger Weise erfolgt sei;
* feststellen, dass die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit gemäß Art. 1 Abs. 1 PersFrG verletzt worden sei;
* eine mündliche Beschwerdeverhandlung unter Einvernahme der Beschwerdeführerin als Zeugin durchführen;
* die Beschwerdeführerin von der Eingabegebühr gemäß § 2 Abs. 1 BuLVwG- Eingabengebührverordnung befreien;
* der Beschwerdeführerin die Aufwendungen gemäß § 35 VwGVG i.V.m. Art. 1 der VwG-Aufwandsersatzverordnung (Schriftsatz- und allenfalls Verwaltungsaufwand) ersetzen;
* der Beschwerdeführerin etwaige DolmetscherInnenkosten ersetzen und im Falle eines Obsiegens der Behörde die Beschwerdeführerin von Ersatz des Aufwandsersatzes im Sinne der VwG-Aufwandsersatzverordnung befreien.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Afghanistans und somit Fremde im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.
Die Beschwerdeführerin stellte am 17.02.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesamtes vom 14.09.2016 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG zurückgewiesen wurde. Gemäß § 61 FPG wurde die Außerlandesbringung der Beschwerdeführerin angeordnet und ihre Abschiebung in die Niederlande für zulässig erklärt.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.11.2016 abgewiesen. Dieses Erkenntnis wurde am 30.11.2016 zugestellt.
Zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Festnahmeauftrages war die sechsmonatige Überstellungsfrist somit bereits abgelaufen und die geplante Abschiebung aufgrund des Ablaufs der Überstellungfrist nicht mehr durchführbar.
Die Beschwerdeführerin war im Bundesgebiet durchgehend gemeldet. Sie wurde am 3. 04.2017 nach einem Selbstmordversuch in ein Krankenhaus eingeliefert, verblieb dort bis zum Folgetag um 9:00 Uhr und wurde im Anschluss mit dem Krankentransportwagen zum psychosozialen Dienst gebracht.
Zum fraglichen Zeitpunkt am 04.04.2017, als die Polizeibeamten die Beschwerdeführerin in ihrer Wohnung aufsuchten, befand sie sich in medizinischer stationärer Betreuung, was den Beamten von ihren Mitbewohnerinnen auch mitgeteilt worden war.
Das Bundesamt hatte zwar mit Schreiben an die Niederlande vom 05.04.2017 die Überstellungsfrist wegen angeblichen Untertauchens der Beschwerdeführerin auf 18 Monate verlängert. Es lagen jedoch keine Anhaltspunkte vor, um von einem Untertauchen der Beschwerdeführerin ausgehen zu können. Die Ermittlungen der belangten Behörde hinsichtlich des Verbleibs der Beschwerdeführerin zum fraglichen Zeitpunkt erwiesen sich in einer Gesamtschau als unzureichend, weshalb die Verlängerung der Überstellungsfrist nach Art. 29 Dublin III-VO unzulässig war.
2. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes und der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes sowie aus der Einsicht in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung, dass Grundversorgungs-Informationssystem und das Zentrale Melderegister.
Die Feststellung, dass die geplante Abschiebung rechtlich nicht mehr durchführbar war, ergibt sich aus dem Ablauf der sechsmonatigen Überstellungfrist in Zusammenschau mit der nicht zulässigen Aussetzung der Überstellungfrist mangels Untertauchens der Beschwerdeführerin. Das mit 24.11.2016 datierte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, GZ W240 2136771-1/5E, und somit die Anordnung zur Außerlandesbringung in die Niederlande erwuchsen mit 30.11.2016 in Rechtskraft. Die sechsmonatige Überstellungfrist endete somit spätestens am 30.05.2017.
Die Beschwerdeführerin beging im Rahmen ihrer Festnahme am 03.04.2017 einen Suizidversuch und wurde in weiterer Folge auf eine Überwachungsstation und schließlich ins Krankenhaus auf die Toxikologie Abteilung verbracht. Dies alles wurde im Polizeiprotokoll vom 03.04.2017 vermerkt und es steht daher fest, dass das Bundesamt darüber informiert war. Dennoch wurde am nächsten Tag ein neuer Festnahmeversuch der Beschwerdeführerin in ihre Wohnung unternommen, bei dem diese laut Polizeibericht abwesend gewesen ist. Ihre Mitbewohnerinnen hatten angegeben, dass sie seit Einlieferung nicht mehr in ihre Unterkunft zurückgekehrt und ihr durch ihre Unterkunftgeberin eine Handtasche in das Krankenhaus nachgebracht worden sei. Am Nachmittag desselben Tages wurde dann neuerlich versucht, den Festnahmeauftrag gegen die Beschwerdeführerin an ihrer Wohnadresse zu vollziehen, jedoch war sie laut Polizeibericht auch an jenem Zeitpunkt nicht in ihrer Wohnung anwesend.
Der alleinige Grund für die Aussetzung der Überstellung und die Verlängerung der Überstellungfrist auf 18 Monate wegen Untertauchens der Beschwerdeführerin wurde somit von der belangten Behörde lediglich auf die Tatsache gestützt, dass diese an 04.04.2017 weder in der Früh noch am Nachmittag in ihrer Wohnung anwesend gewesen ist. Dies erweist sich jedoch als keineswegs hinreichend, um ein Untertauchen der Beschwerdeführerin anzunehmen. Da laut Polizeibericht vom 03.04.2017 auch vom herbeigerufenen Notarzt bestätigt wurde, dass sich die Beschwerdeführerin in einer Situation akuter Lebensgefahr befand, ist in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar, dass im Rahmen der versuchten Festnahme am 04.04.2017 keine weiteren Ermittlungen hinsichtlich des Aufenthaltsortes der Beschwerdeführerin durchgeführt wurden, dies umso mehr, als sich die Mitbewohnerinnen der Beschwerdeführerin kooperativ verhalten haben. Dass diese am Tag nach dem Selbstmordversuch noch keine konkreten Angaben über den Aufenthaltsort der Beschwerdeführerin machen konnten, kann nicht als mangelnde Mitwirkung interpretiert werden, weil es plausibel erscheint, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch keine konkreten Informationen darüber hatten. Angesichts der schlechten Verfassung der Beschwerdeführerin zu jenem Zeitpunkt ist auch nicht davon auszugehen, dass sie zu dem Zeitpunkt ihre Mitbewohnerinnen telefonisch über ihren genauen Aufenthaltsort in Kenntnis setzen konnte. Bei den Mitbewohnerinnen handelt es sich auch nicht um Angehörige, sodass sie auch keine entsprechende Auskunft seitens des Krankenhauses bekommen hätten können.
Insgesamt ist nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin während des Verfahrens untergetaucht ist. Es ist ihr auch nicht zuzurechnen, dass die Behörde sie zum fraglichen Zeitpunkt am 04.04.2017 nicht auffinden konnte, zumal im Hinblick auf ihren tatsächlichen Aufenthaltsort zahlreiche Indizien vorlagen, welchen jedoch von Seiten der Behörde nicht nachgegangen wurde. Im konkreten Fall hätte es eingehendere Ermittlungen zum Aufenthaltsort der Beschwerdeführerin bedurft und es war daher mangels dieser Ermittlungen eine Aussetzung der Überstellung und die Verlängerung der Überstellungfrist auf 18 Monate nicht zulässig.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zu Spruchpunkt I. Beschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung im Rahmen der Festnahme
1. Gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG hat der Fremde das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist (Z 1), er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde (Z 2), oder gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde (Z 3). Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten gemäß Abs. 1a leg.cit. die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
Behörde im Inland nach diesem Bundesgesetz ist gemäß § 3 Abs. 1 BFA-VG das Bundesamt mit bundesweiter Zuständigkeit. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben das Bundesamt gemäß § 6 BFA-VG bei der Erfüllung seiner Aufgaben, insbesondere durch Wahrnehmung der ihnen gemäß §§ 36 bis 47 leg.cit. eingeräumten Aufgaben und Befugnisse, zu unterstützen.
2. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG ermächtigt, einen Fremden zum Zweck der Vorführung vor das Bundesamt festzunehmen, gegen den ein Festnahmeauftrag (§ 34) besteht.
Gemäß § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG kann gegen den Fremden ein Festnahmeauftrag auch dann erlassen werden, wenn gegen ihn ein Auftrag zur Abschiebung (§ 46 FPG) erlassen werden soll.
Wird gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wideraufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf 18 Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.
Der gegenständliche Festnahmeauftrag wurde am 08.06.2017 zum Zwecke der Abschiebung bzw. Überstellung in die Niederlande erlassen. Wie in den Feststellungen im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung ausgeführt, endete jedoch die Sechsmonatsfrist für die Überstellung der Beschwerdeführerin in die Niederlande spätestens am 30.05.2017 und war somit zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen. Die Voraussetzung für eine Verlängerung auf 18 Monate lag mangels Untertauchens der Beschwerdeführerin nicht vor. Somit waren die Festnahme der Beschwerdeführerin am 13.06.2017 und ihre darauffolgende Anhaltung bis 15.06.2017 rechtswidrig.
Zu Spruchpunkt II. (Kostenbegehren):
Die Beschwerdeführerin begehrte den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da sie vollständig obsiegte, steht ihr nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz dieser Aufwendungen zu. Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten gesetzlichen Bestimmungen.
Die Beschwerdeführerin stellte zudem den Antrag auf Befreiung von der Eingabegebühr.
Ein solcher Antrag ist jedoch gesetzlich nicht vorgesehen - es gibt dementsprechend keine rechtliche Grundlage für eine solche Befreiung bzw. einen solchen Zuspruch. Die Eingabegebühr ist zudem in § 35 Abs. 4 VwGVG nicht als Aufwendung definiert und insofern auch nicht ersatzfähig. Im Übrigen kann eine finanzielle Belastung iHv 30 Euro auch nicht als unüberwindliche oder unverhältnismäßige Hürde zur Wahrnehmung eines Rechtsmittels angesehen werden.
Der Antrag auf Zuspruch der Eingabegebühr war daher zurückzuweisen.
Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Wie der oben dargelegten rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. zu entnehmen ist, warf die Tatsachenlastigkeit des gegenständlichen Falles keine Auslegungsprobleme der anzuwendenden Normen auf, schon gar nicht waren - vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Anhaltung, Festnahme, Festnahmeauftrag, Rechtswidrigkeit,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W154.2162938.2.00Zuletzt aktualisiert am
24.04.2019